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Schwerpunkt: Im Proberaum mit: blauwurf

Im Proberaum mit: blauwurf

Das ist doch gar keine Musik. Das ist Lärm, das ist Geräusch. Das ist ja auch keine Band. Das sind Nerds, die auf irgendwelche Knöpfe drücken.



Es gibt nicht viele Proberäume von der Größe eines kleinen Konzertsaales. Eigentlich ist es ja auch nicht ihr Proberaum. Ihr Proberaum ist für kurze Zeit immer der, in dem dann später auch das Konzert stattfindet. Dieses Mal ist es der Kuppelsaal der TU Wien und „sie“ sind blauwurf. Es ist ein warmer hoher Raum, mit hölzernen Deckenbalken und einem Parkett ausgekleidet hat er etwas von einer riesigen Tiroler Berghütte. Was noch fehlt, sind ein Kamin und eine Heurigenbank in der Ecke. Stattdessen ist der Kuppelsaal leer. Das heißt, nicht ganz: In der Mitte aufgebaut, stehen ein Mischpult, ein MacBook und dem gegenüber ein rechteckiger - mit unzähligen Kabeln versehener - Kasten. An den Ecken des Saals sind vier Boxen aufgestellt. Beim eigentlichen Auftritt werden hier zirka 20 Lautsprecher stehen. Man nennt das dann „Akusmonium“, ein Begriff aus der Akusmatik, wie mir Thomas Gorbach - TU-Vortragender im Fach elektroakustischer Komposition und  Veranstalter dieses Konzertes - kurz nach meinem Eintreffen erklärt.



Module, Touchpads und jede Menge Kabel

Eric Schörghofer und Michael Zacherl, beide über 30, beide schwarz gekleidet, sind seit 2005 blauwurf. Kennengelernt haben sie sich in einer Salsaband. An den Namen kann sich Michael nicht mehr erinnern. “Das war auch eine ziemliche Totgeburt, diese Band.“. Michael macht derzeit den Lehrgang für Computermusik und elektronische Medien am Institut für Komposition und Elektroakustik der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.
Der sympathische Typ mit sanfter Stimme bedient einen sogenannten analogen Modularsynthesizer. Das ist ein aus verschiedenen individuell zusammengesetzten Teilen bestehendes Musikinstrument. Michael hat sich seinen Synthesizer sozusagen selbst zusammengebaut. Die einzelnen Module können zur Klangveränderung, Klangsteuerung oder Klangerzeugung dienen. Verbunden werden diese mit einer Vielzahl an sogenannten Patch-Kabel. Zur Klangerzeugung verwendet er etwas, das ein bisschen wie ein Geigenbogen aussieht, der „Ribbon Controller“. Interessiert  höre ich seinen Ausführungen über die technischen Spezifikationen seines Geräts zu und verstehe nur die Hälfte. Im Moment wirkt Michael nicht wie ein Musiker, sondern eher wie ein Techniker auf mich. Eric ist da schon etwas moderner, oder besser gesagt, digitaler unterwegs. Auf dem Tisch gegenüber stehen ein MacBook und ein ziemlich cooles Touchpad, der „Lemur“ (ein Multitouch Controller Interface). Mit ihm verändert Eric die Samples, welche er zu hunderten auf seinem Laptop gespeichert hat und erzeugt damit völlig neue Geräusch- und Klangcollagen. Nach diesen ausgiebigen technischen Erläuterungen geht’s dann auch gleich ans Proben.







Das kann keine Musik mehr sein


Die beiden nehmen gegenüber voneinander Platz, und legen los. Aus den Lautsprechern dringen die ersten Geräusche an mein Ohr, zu allererst ein Rauschen. Mal leise, mal lauter sind es diffuse Klangbilder, manchmal zuordenbar, manchmal völlig fremd. Kurz glaube ich an einen technischen Defekt, doch dann wird klar, das ist es schon. Ich versuche aus all den Geräuschen und Tönen eine Melodie, einen Rhythmus, ein Thema, oder ein Muster zu erkennen und scheitere kläglich. Struktur erhält diese Geräuschcollage nur durch Zeit, nämlich durch die Dauer ihrer Wahrnehmbarkeit und Lautstärke. Mir drängt sich unweigerlich der Gedanke auf, dass dies nur die verrückten Anwandlungen zweier Nerds sind. Während die Geräusche säuselnd und zirpend weiter durch den Kuppelsaal schallen, stellt sich für mich die grundsätzliche Frage, ob das überhaupt noch Musik ist. Es fehlen alle Merkmale, die Musik nach meinem Verständnis nach hat, nämlich Rhythmus, Melodie, Thema. Die einzige Gemeinsamkeit, die ich noch erkennen kann, ist die Art der Wahrnehmung über das Gehör. Die Minuten vergehen, Michael dreht an den Reglern seines Kastens, bedient ein Fußpedal und drückt am Ribbon-Controler herum. Mal sitzt er, mal steht er. Eric hingegen - den Kopf meistens gesenkt - lässt beide Hände über die Bedienfläche des Touchpads flitzen. Während ich so dasitze und nicht recht weiß was ich von dieser Darbietung halten soll, schweifen meine Gedanken zunehmend ab und plötzlich ist das Gehörte nicht mehr Thema meines Denkens, sondern Träger. Die Klang- und Geräuschkulisse wirkt plötzlich nicht mehr borstig, verquer oder bedrohlich, sondern hat sich gewissermaßen etabliert. Es ist jetzt egal nicht zu wissen was Strophe und was Refrain ist und dass es hier keine Muster zu erkennen gibt. Ich beginne es zu akzeptieren keine Ahnung zu haben welcher Ton, welches Geräusch auf das vorherige folgt. In gewisser Art und Weise ist dies wie eine Reise ins Unbekannte. Als die Darbietung endet, ist es ein Gefühl, als ob man  aus dem Dunkeln eines gerade zu Ende gegangenen Kinofilms in das Foyer tritt, um sich langsam wieder an die Helligkeit des dort so üblichen künstlichen Lichts zu gewöhnen. Irgendwie war man grade woanders.



Die Erde ist doch keine Scheibe


Die beiden Künstler bewegen sich jenseits aller musikalischer Konventionen. Begründet auf einer stark abstrahierten Auffassung von Musik und Kunst stellen sie den Hörer vor eine große Herausforderung: nämlich den Blick über den Tellerrand zu wagen. „Ich gehe sehr oft durch die Stadt und höre genau auf das, was an Geräuschen um mich herum passiert. Und es gibt immer wieder diese Momente wo plötzlich - wir würden sagen durch Zufall - ein bestimmter Ablauf von verschiedenen Klängen und Geräuschen passiert. Diesen Ablauf empfinde ich als Musik, als Melodie und in dem Moment ist dieser Ablauf von Geräuschen Musik. Das passiert mir oft.“, erklärt Eric und Michael nickt zustimmend. Die beiden sitzen mir gegenüber und beantworten geduldig meine Fragen. Per Definition ist das allerdings keine Musik mehr, wende ich ein und werde sofort eines Besseren belehrt: „Das sind sehr enge Definitionen, die sich auf westliche Populärmusik beschränken. Es gibt allerdings sehr viele Musiken auf der Welt, die keinen Rhythmus und keine erkennbaren Melodien haben. Und das ist auch ganz eindeutig Musik. Das hat schon sehr damit zu tun, dass wir gewohnt sind, alles mit unseren westlichen Augen zu sehen“, erläutert Eric weiter.



Warum die Entscheidung gerade auf diese Art von Musik fiel, ist schnell erklärt: „Wir haben ja früher auch andere Musik gemacht. Wir haben das gespielt und gemerkt es ist langweilig. Auch wenn diese Sachen rein technisch sehr schwer zu spielen waren, waren sie rein künstlerisch beziehungsweise musikalisch nicht das, wo ich das Gefühl gehabt hätte, da will ich meine Zeit und Mühe aufwenden, um das zu perfektionieren und zu verbessern. Was nicht heißt, dass ich diese Musiken nicht schätze. Gute Salsamusik höre ich heute nach wie vor sehr gerne“, erzählt Eric.

Improvisation als Lebensgefühl

blauwurf improvisieren bei ihren Konzerten. Man hat also ziemlich gute Chancen etwas zu hören, das noch nie irgendjemand in dieser Form gehört hat. Dadurch stellt sich auch die Frage nach der Wiederholbarkeit einzelner oder mehrerer Passagen eines solchen Konzerts.
„Ich kann schon einfache Klänge und die Charakteristik wiederholen, aber sobald es ein bisschen ins Abgedrehte und Detailliertere reingeht, hält sich – so wie das auch bei Eric der Fall ist - die Wiederholbarkeit sehr eng in Grenzen“, erklärt Michael. Eric ergänzt: „Das nicht Wiederholbare an unseren Instrumenten macht den Reiz des Improvisierens aus. Das Improvisieren entspricht meinem Lebensgefühl und meiner Art die Welt zu sehen, diesem im Augenblick des Entstehens einer Sache öffnen. Was für die Zuhörer wichtig ist, ist genau hinzuhören. Wenn man nur oberflächlich hinhört, klingt das, als ob das immer die gleichen Samples - bei mir -, oder immer die gleichen Klänge – bei Michael - wären. Vieles von diesen Strukturen von noch nie Dagewesenem sind in diesen Details erkennbar und das erfordert vom Zuhörer auch Konzentration.“



Unprogrammatische Pragmatik

„Musik ist es“, erklärt Eric, „wenn es etwas in mir zum Schwingen bringt“. Das kann das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos genauso sein, wie das Knacken eines im Wald umfallenden Baumes. Eine pragmatische und einleuchtende Einstellung, losgelöst von sämtlichen Fesseln kultureller Prägungen. Das Ganze geschieht vollkommen unprogrammatisch und unpolitisch. Ihre Musik als Statement gegen den Mainstream zu sehen, halten sie für möglich, es liegt jedoch absolut nicht in ihrer Absicht. Eine solche Botschaft ist ihnen zu „plakativ“ und „plump“.

Von wegen „Nerds“

Diese beiden Typen wissen ganz genau was sie machen. Aus einer schlichten Motivation heraus, nämlich der, einem Lebensgefühl zu folgen, zeigen sie ganz unbeabsichtigt wie festgefahren und vorhersehbar unsere Hörgewohnheiten sind. Und nebenbei machen sie auch noch außergewöhnliche Musik.



Wachs in ihren Händen

Für blauwurf ist das Hörbare ein materielles, berührbares Medium, das wie Wachs, wie ein Fluss, in den sie ihre Hände tauchen, in seinen Grundessenzen abgelenkt und verformt werden kann. Ganz nah am Ursprung von Ton und Geräusch, blicken sie über, die von uns im Laufe kultureller Evolution erworbenen beziehungsweise geschaffenen musikalischen Strukturen und Auswüchsen,  dem was wir heute Musik nennen, hinweg. Die beiden Musiker ignorieren diese mit einer kühnen Selbstverständlichkeit und bewegen sich in ursprünglichen Kategorien, in denen nur die spezielle Art der Rezeption, das Hörbare, einziger, wahrer, und gleichzeitig definierender Rahmen von dem wird, was sie als Musik bezeichnen. Die Entscheidung zur Improvisation ist somit nur logisch. Technik ist dabei nur Mittel zum Zweck, das es ermöglicht, eine Unzahl an hörbarem Material zu erzeugen, und dieses auf verschiedenste Arten zu verändern. Es sind Maler, die sich dazu entschieden haben anstatt eines neuen Bildes, neue Farben zu kreieren.

 

Fotos: Reinhard Astleithner



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AutorIn(nen)

Daniel Grabner

Daniel Grabner

mag Musik; legt auch mal gerne selbst auf; charakterlich angesiedelt irgendwo zwischen der Melancholie eines Shakespearestückes und der nüchternen Rationalität eines Mathematikprofessors; weiters interessiert er sich für Politik und mediale Arbeit;

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