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AI-Journal Beitrag / Österreich:

Der tödliche Wiener Sumpf

Todesfälle, Folter, Misshandlungen: Auch zehn Jahre nach dem Fall Omofuma bringen PolitikerInnen und Medien für die schwersten Verfehlungen der Wiener Polizei Verständnis auf. Doch ReformerInnen sind im Anmarsch. Von Florian Klenk

Fokus Österreich

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Freitag, 15. Mai 2009

Zehn Jahre sind vergangen, seit der nigerianische Asylwerber Marcus Omofuma von drei Wiener Fremdenpolizisten in einem Flugzeug der Balkan Air von Wien Richtung Afrika abgeschoben werden sollte. Der „Schübling“, wie ihn der damalige Polizeipräsident Peter Stiedl nannte, soll während der Abschiebung getobt und die Polizisten zu beißen versucht haben. Aus Angst und um die Amtshandlung „nicht zu gefährden“, haben die Beamten Omofuma den Mund verklebt. Sie wickelten ihn zusätzlich mit einem Klebeband wie eine Mumie ein. Mit einem Seil zurrten sie ihn wie ein Paket am Sitz fest.

Omofuma, so erzählten es später holländische PassagierInnen, habe geröchelt, doch keiner wagte, den Polizisten zu widersprechen. Im Gegenteil. Ein Passagier versetzte Omofuma eine Ohrfeige. In Sofia angekommen, war der Afrikaner erstickt. Nicht das Klebeband, sondern die Kompression des Brustkorbes war für ihn tödlich. Die Beamten, die Omofuma solcherart zu Tode brachen, fassten ein mildes Urteil aus. Sie erhielten acht Monate bedingt. Zwei von ihnen versehen weiter Dienst in Uniform, ein dritter Beamter ist mittlerweile im Ruhestand.

Was lernen wir aus diesem Fall? Und vor allem: Wieso entglitt die Debatte über den Schubhäftling in Österreich? Wieso wurden vergleichbare Todesfälle von Abschiebehäftlingen in Deutschland und der Schweiz viel sachlicher und selbstkritischer abgehandelt?

Man könnte es sich leicht machen und die österreichische Polizei des Rassismus zeihen. Es gibt einige Studien, die der Exekutive strukturellen Rassismus unterstellen. Doch diese Erkenntnis ist nur ein Teil der Wahrheit, der sich die heimische Polizei, die Politik und Teile der Medien nicht stellen wollen.

Kurz nachdem Omofuma starb, besuchte ich eine Mutter in einem Gemeindebau in Wien Meidling. Die Wienerin saß weinend in ihrer kleinen Wohnung und zeigte ein Foto von ihrem Sohn, Adolf Spieß. „Mein Bub starb wie Omofuma“, klagte sie. „Doch niemanden interessiert es.“ Adolf Spieß, der wegen kleinerer Drogenvergehen gesucht wurde, begegnete eines Morgens zwei Polizisten und rannte davon. Die Polizisten eilten ihm nach, rangen ihn zu Boden, knieten auf ihm. Vor den PassantInnen schrie Spieß, er bekomme keine Luft. Er lief blau an. Dann starb er. „An Herzversagen“, wie die Wiener Gerichtsmedizin attestierte.

Nur drei Jahre später, im Juli 2003, starb schließlich der mauretanische Student Cheibani Wague in Wien während einer Amtshandlung. Während die Polizei erneut von „Herzversagen“ eines Tobenden sprach, witterten DemonstrantInnen und die African Community rassistisch motivierten Mord. Tatsache ist: Ein regloser Cheibani Wague wurde am Brustkorb fixiert – so wie Adolf Spieß und Marcus Omofuma. Cheibani Wague, so fand der Gerichtsmediziner Daniele Risser heraus, war erstickt. Ein Notarzt stand daneben, die Hände im Hosensack.

Omofuma, Spieß, Wague: drei gesellschaftliche Außenseiter, drei Amtshandlungen, drei Tote. Erst jetzt begriffen GerichtsmedizinerInnen, PolizistInnen und ein paar PolitikerInnen, was ExpertInnen in den USA längst wussten. Das Einengen des Brustkorbes bei der Fesselung von aufgebrachten oder erschöpften Menschen kann tödlich enden. Die Polizei agierte vielleicht in all diesen Fällen aufgrund von Ressentiments besonders hart. Auf jeden Fall aber handelte sie unprofessionell und stümperhaft.

Es waren nicht die einzigen Toten, die seit dem Fall Omofuma wegen solcher Unprofessionalität zu beklagen waren. So starben etwa der Familienvater Imre B., der Gastarbeitersohn Binali I. und ein rumänischer Lastwagenfahrer, um nur einige zu nennen.

Dann wäre da noch der Fall des Gambiers Bakary J.: Weil sich der verurteilte Drogenhändler seiner Abschiebung widersetzte, prügelten ihn drei Beamte der Sondereinheit Wega in einer Lagerhalle so brutal nieder, dass ihm die Schädelknochen splitterten, und inszenierten eine Scheinhinrichtung. Die Beamten versehen weiter Dienst. Die damalige ÖVP-Innenministerin Liese Prokop wollte sich für den Folterfall übrigens nicht entschuldigen. Bakary J., so sagte sie, sei schließlich ein Dealer.

Sympathie für Polizei.

Warum herrschen vor allem bei Amtshandlungen gegen AusländerInnen, AfrikanerInnen, psychisch Kranke oder sozial Schwache solche Missstände? Warum gibt es so viel Verständnis für das Polizeiversagen?

Es ist eine Melange aus mehreren Faktoren: Zum einen herrschte in Wien lange Zeit Kontrollversagen dank einer zahnlosen Justiz, unkritischer Massenmedien und einer korrupten Polizeispitze. Die Wiener Polizei ist außerdem noch immer keine professionelle Metropolenpolizei. Wien ist in den letzten 20 Jahren eine offene Stadt geworden, ihre Grenzen sind nach Osten und Westen offen. Wiens Polizei hat diese gesellschaftlichen Entwicklungen indes verschlafen. PolizistInnen sind durchwegs weiß, MigrantInnen und ihre interkulturellen Kompetenzen fehlen fast völlig. Der Umgang mit psychisch Kranken wird praktisch überhaupt nicht gelehrt. Die wenigen Seminare fallen dem Sparstift zum Opfer.

Dazu kommt das katastrophale Fehlermanagement bei der Polizei. Kritik in den eigenen Reihen gilt noch immer als Hochverrat, selbst bei schlimmsten Übergriffen bleiben Konsequenzen fast immer aus. Der Corpsgeist unter den PersonalvertreterInnen (die von der rabiaten freiheitlichen AUF unterwandert sind) schützt selbst jene, die Folter gestehen.

Dann das Führungsversagen: Bis vor kurzem waren sogar Teile der Polizeispitze in Korruptions- und Missbrauchsaffären verstrickt. Versagt haben aber auch die InnenministerInnen der letzten Jahre. In all den Fällen stellten sie sich demonstrativ hinter ihre BeamtInnen, anstatt sich der Kritik zu stellen und Reformen einzuleiten. Im Fall Cheibani Wague bedankte sich der damalige Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) sogar ausdrücklich für den Einsatz der Polizei.

Ein Grund dafür ist auch in Österreichs Medienlandschaft zu suchen – und hier hauptsächlich bei der „Kronen Zeitung“, die vor allem im Fall Omofuma offene Hetze gegen AfrikanerInnen betrieb, Angehörige von AfrikanerInnen verunglimpfte und sogar empfahl, kritischen PolitikerInnen den Mund zu verkleben. KritikerInnen von Missständen wurden und werden mittels Kampagnenjournalismus zu FeindInnen der Polizei erklärt, die Exekutive hingegen unkritisch verehrt. Im Gegenzug wird die „Krone“ von der Polizei mit vertraulichen Daten beliefert.

Diese mal offene, mal subtile Hetze in Österreichs Boulevard und die Demut der Politik und der Polizei davor sind vielleicht der größte Unterschied zu anderen Ländern, in denen sicherlich vergleichbare Polizeiübergriffe passieren, aber wesentlich härter und konsequenter verfolgt werden.

Leider ist von diesem mangelhaften Kontrollbedürfnis immer wieder auch die Justiz infiziert. Sie lässt sich bei der Aufarbeitung von Polizeiübergriffen oder tödlichen Amtshandlungen oft jahrelang Zeit, bis alle alles vergessen haben. Das Gebot der Antifolterkonvention – eine unverzügliche Untersuchung durchzuführen – wird immer wieder missachtet, brutale Amtshandlungen mit milden Haftstrafen geahndet, damit die PolizistInnen nicht automatisch ihren Job verlieren.

Neue Generation.

Gibt es Hoffnung, dass dieser Sumpf trockengelegt wird? Ja. Es ist ein Generationenwechsel bei der Polizei zu beobachten. Kürzlich bat etwa der neue Wiener Landespolizeikommandant Karl Mahrer zu einem Interview. Von sich aus berichtete er, zwei Beamte suspendiert zu haben, die einen Passanten verprügelten. Mahrer war es auch, der sich schriftlich bei Mike Brennan entschuldigte, jenem US-Lehrer, der mit einem farbigen Dealer verwechselt und bei einer Amtshandlung zu Boden gestoßen und dabei schwer verletzt wurde. Das sind Gesten, die vor kurzem noch unvorstellbar waren.

Seit dem Fall Omofuma gibt es im Innenministerium auch einen Menschenrechtsbeirat (MRB), ein Gremium aus BeamtInnen, AnwältInnen, MenschenrechtsprofessorInnen und RichterInnen. Der MRB hat zwar keine exekutiven Befugnisse, aber er kann Einsicht in Polizeiakten nehmen, Razzien und Verhaftungen begleiten und öffentlich zugängliche Berichte über Missstände verfassen.

Die jeweiligen InnenministerInnen pflegen zwar die Empfehlungen des MRB gerne zu ignorieren, doch den vom MRB angestoßenen öffentlichen Debatten können sie sich nicht entziehen.

Da wäre auch noch die schlagkräftige Antikorruptionseinheit BIA (Büro für interne Angelegenheiten), die in den Fällen Bakary und Cheibani Wague prompt und hartnäckig ermittelte, anstatt (wie früher üblich) die Vorfälle herunterzuspielen.

Sogar unabhängige Polituntersuchungskommissionen gibt es plötzlich, ähnlich wie in Großbritannien, wo Lordrichter im Auftrag des Parlaments Polizeiversagen penibel untersuchen.

All das sind zu begrüßende Versuche, die menschenrechtlichen Standards bei der Polizei zu heben. Es bleibt zu hoffen, dass die große Masse der unter Einsatz ihres Lebens handelnden, korrekten PolizistInnen diesen Vorbildern folgt und InnenministerInnen und PersonalvertreterInnen statt Corpsgeist den Wert der Rechtsstaatlichkeit entdecken.


Florian Klenk, 35, ist promovierter Jurist und stellvertretender Chefredakteur des „Falter“. Er arbeitete für „Die Zeit“ in Hamburg. Für seine Enthüllungsreportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet.