Nun neigt Paul Brody nicht zu Verklärungen. Im Gegenteil, der künstlerische Lebensweg des Trompeters aus San Francisco zeugt von sachdienlichen Entscheidungen und klarer Linie.
Spross einer jüdischen Musikerfamilie, klassisch ausgebildet in Boston, sozialisiert im Umfeld der Radical Jewish Culture in New York, hat er Mitte der Neunziger seinen Wohnsitz nach Berlin verlegt, weil er sich mit seinen Ideen dort am wohlsten fühlte. Seitdem hört man ihn mit Tango Toy und dem DetoNation Orchestra, vor allem aber mit seiner Post-Klezmer-Kapelle Sadawi, deren stilistisches Spektrum weit über die traditionellen Anklänge hinaus reicht:
„Inzwischen verwende ich weniger Klezmer-Ideen als auf früheren Aufnahmen – damit meine ich Klezmer-Rhythmen und -Melodien. Die späteren Sadawi-Platten sind jüdisch, weil sie philosophische und kulturelle Verbindungen zu jüdischen Ideen haben. Mich inspirieren sehr unterschiedliche Denker und Geschichten. Das ‚Ich/Du’-Konzept von Martin Buber etwa oder Geschichten aus der Torah“.
Da liegt das Etikett „Intellektueller“ nahe, und doch erfasst das bestenfalls eine Geisteshaltung, aber nicht den Kern der Musik. Denn der liegt in der Umsetzung gedanklichen Empfindens in die Unmittelbarkeit hörbarer Kunst. Kein Wunder also, dass Brody in diesem Fall auch einen Schöpfungsmythos zu bieten hat:
„Das Titelstück ‚For The Moment' basiert auf einem Traum. Ich hatte Schwierigkeiten, einen neuen Song für die CD zu schreiben, und da erschien eine Gottheit in meinem Zimmer. Ich habe ihr gesagt, sie solle verschwinden, denn ich müsse mich konzentrieren. Es kam zu einem seltsamen Moment nach der Art ‚Jakob ringt mit dem Engel’. Dann war sie weg. Ich ging zurück zum Klavier, und auf dem zuvor weißen Blatt stand der Song“.
Enigma – ein kleines Wunder in profaner Zeit. Und doch wirkt die Geschichte im Zusammenhang mit Brodys Musik weder albern noch esoterisch. Denn „For The Moment“ (Tzadik/sunny moon) ist getragen von einem heiteren Ernst, der den Tönen Kraft verleiht. Das mag am Sadawi-Quintett liegen, an der partiellen Unterstützung von Kollegen wie John Zorn, Frank London und Michael Alpert oder an historischen Verweisen wie auf den deutlich zitierten Duke Ellington und dessen Konzept von individueller solistischer Freiheit im arrangierten Rahmen. Es ist aber auch in den Stücken verankert. Sie verleiten zum Hinhören. Welch Glück!
Text: Ralf Dombrowski |