Sektion der Bundesrepublik Deutschland

Asylgutachten

FGM bei den Kikuyu


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12.12.2002 4 K 4465/99.A AFR 32-03.004 07.03.2003



Verwaltungsstreitverfahren einer kenianischen Staatsangehörigen

Sehr geehrter Herr Lützow,
Ihre o.g. Anfrage kann amnesty international wie folgt beantworten:
Frage 1: Welche Erkenntnisse liegen über eine Organisation oder Sekte namens "Mungiki" (z.B. Ziele, Mitgliederstärke, territoriale Verbreitung) vor?

Gegründet in den späten 80Žer Jahren stellt "Mungiki" sich selbst als eine religiöse Gruppe dar, die ihre Aufgabe darin sieht, die Traditionen und Riten der Volksgruppe der Kikuyu zu erhalten und zu fördern. Dazu gehört auch die Praxis der Beschneidung von Frauen und Mädchen. “Mungiki” behauptet Tausende von Anhängern hauptsächlich vom Volk der Kikuyu, die im Rift Valley und in den Zentralprovinzen angesiedelt sind, zu haben. In ihren Kampagnen und Aktivitäten insistiert die Organisation darauf, dass sich jede Frau, egal ob sie Mungiki Anhängerin ist oder nicht, der Genitalbeschneidung zu unterziehen hat (siehe auch als Anlage beigefügte Presseberichte).

Nähere Informationen über diese Gruppe liegen amnesty international nicht vor.
Frage 2: Trifft es zu, dass eine Kikuyufrau, die mit einem Kikuyumann traditionell verheiratet war, nach der Heirat zu der Familie des Mannes gehört und nach dem Tod des Ehemannes mit ihren Kindern Versorgung und Unterkunft bei den Familienangehörigen des Mannes nehmen muss, da ihre eigene Familie nach der Verheiratung nicht mehr verantwortlich ist?

Die Unterstützung, die Witwen und Waisen nach dem Tod des Ehemannes / Vaters erhalten können, ist der Verfügungsfreiheit der Familie des Ehemannes überlassen. Einige Familien lassen diesen Unterstützung zukommen, während andere dies nicht tun.

Frage 3: Welche Erkenntnisse gibt es über die Beschneidung von Mädchen bei den Kikuyu bzw. bei der Mungiki-Sekte?

Die Genitalbeschneidung war eine der Riten, die den Mädchen bei den Kikuyu als Übergang in das Erwachsenenalter aufgezwungen wurde.

Obwohl einige isolierte Teile der Kikuyu-Gemeinden noch immer Beschneidungen durchführen, wurde diese Praxis auf Grund des christlichen Einflusses vor langer Zeit aufgegeben.

Gleichwohl wollen die “Mungiki” diese Tradition wieder aufleben lassen und zwingen ihre weiblichen Mitglieder und andere Frauen in ihrem Bezirk, sich einer Beschneidung zu unterziehen.
Frage 4: Müssen die 11 und 16 Jahre alten Töchter der Klägerin nach einer Rückkehr damit rechnen, dass die Familie des Ehemannes eine Beschneidung der Mädchen auch gegen den ausdrücklichen Willen der Mädchen und der Klägerin vornehmen lässt?

amnesty international ist eine sichere Einschätzung, ob die Töchter der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Kenia gezwungen würden, sich einer Beschneidung zu unterziehen, nicht möglich. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Informationen könnte ihnen diese zwangsweise Behandlung allerdings drohen, wenn die Familie des Ehemannes bzw. ihr Onkel, deren/dessen Obhut sie unterstehen, Mitglied der Mungiki ist.
Frage 5: Besteht gegebenenfalls die Möglichkeit für die Kläger, sich in Kenia außerhalb des Einwirkungsbereiches der Mungiki-Sekte niederzulassen?

Die Möglichkeit sich außerhalb des Einflussbereiches der Mungiki niederzulassen besteht, ist allerdings abhängig von den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln.

Ohne ausreichende ökonomische Ressourcen dürfte es für die Klägerin und ihre Töchter im Falle einer Rückkehr schwierig sein, in Kenia für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und sich eine eigene Existenz aufzubauen. Sollte ihnen dies nicht gelingen, bestünde das Risiko auf finanzielle Unterstützung und der Hilfe der Familie des Ehemannes, respektive des Onkels angewiesen zu sein. In dessen Obhut wären die Mädchen wiederum der Gefahr ausgesetzt, gegen ihren Willen zur Beschneidung gezwungen zu werden, wenn er sich den Traditionen und Grundsätzen der “Mungiki” verpflichtet fühlt.
Frage 6: Gibt es Erkenntnisse, dass der kenianische Staat die von der Mungiki-Sekte praktizierten Beschneidungen duldet oder tatenlos hinnimmt?

Seit Inkrafttreten einer Kinderschutzgesetzgebung durch den “Childrens Act” (CA) im Jahr 2002 ist die Vornahme von Genitalbeschneidung an unter 16-Jährigen gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt (Artikel 14 des CA). Es sollen bereits Gerichtsverfahren auf der Grundlage des Children’s Act anhängig sein. Darüber hinaus hat die Regierung einen “Nationalen Aktionsplan zur Abschaffung der Genitalbeschneidung in Kenia von 1999 bis 2019” erarbeitet.

Gleichwohl ist die Praxis der Genitalverstümmelung in einigen Gemeinden in Kenia noch weit verbreitet. amnesty international ist bekannt, dass Mungiki-Mitglieder zwar verhaftet und wegen Mordes angeklagt wurden, soweit sie in Tötungen, verwickelt waren.

Es ist allerdings nur schwer feststellbar, ob eine Anklage gegen einen Mungiki-Führer oder ein Mitglied wegen Totschlags, Körperverletzung oder tätlichen Angriffs im Zusammenhang stand mit den Zielen der Organisation, Mädchen und Frauen zwangsweise der Genitalbeschneidung zu unterziehen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Koordinationsgruppe Kenia
f.d.R.

Susanne Jesih

Länder und Asyl

Referat Afrika