Stadt Mannheim: Leben im Quadrat Samstag, 29. Mai 2010 Inhalt
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 Mannheim-Momente: Das historische Schlaglicht des Monats

 29. September: 100. Todestag von Johann Wilhelm Reiß (1838-1908)

 „Wo Humboldt umkehrte, kletterte Wilhelm weiter“

Portrait Reiss

Diese Schlagzeile der Rhein-Neckar-Zeitung anlässlich des 150-jährigen Geburtstages im Jahr 1988 erinnert an einen in Mannheim nahezu vergessenen Forscher, der mit seinen Expeditionen in der Fachwelt hingegen weitläufig bekannt ist. Legendär wurde Reiß durch eine jahrelange Südamerikaexpedition, die ihren Höhepunkt in der Erstbesteigung durch einen Europäer des Vulkans Cotopaxi fand. Hatte Alexander von Humboldts fünfjährige Südamerikaexpedition schon für Furore gesorgt, so toppte ihn Reiß mit ganzen sieben Jahre unter einfachsten Bedingungen.

Karte der Südamerika-Expedition

Johann Wilhelm Reiß wurde am 13. Juni 1838 als mittleres Kind von Friedrich Reiß und Wilhelmine Friederike geb. Reinhardt geboren. Die Abstammung seiner Mutter aus einer bekannten Mannheimer Bankiersfamilie sowie die umtriebigen Aktivitäten seines Vaters im Bank- und Handelswesen – u. a. war er Mitbegründer der Rheinischen Kreditbank und der Badischen Anilin- und Soda-Fabrik und war von 1849 bis 1852 Oberbürgermeister– sicherten ein gutsituiertes Milieu des höheren Bürgertums, in dem Reiß zusammen mit seinen zwei Geschwistern, der zwei Jahre älteren Schwester Anna und dem fünf Jahre jüngeren Carl aufwuchs.

Dem Willen seines Vaters folgend besuchte Reiß 1855 zunächst noch die Handelshochschule in Antwerpen, die dem jungen Mann eine kaufmännische Karriere ebnen sollte. Reiß wiederum fand „dass die Theorien des Handels schauderhaft langweilig sind“.

Auf einer Studienreise nach Italien entdeckte er bald seine Neigung zur Mineralogie und Vulkanologie. Nach Studien der Chemie, Physik, Mineralogie, Kristallographie, Paläontologie, Meterologie und Geographie promovierte er in an der Heidelberger Universität mit „summa cum laude“ zum Dr. phil. und habilitierte zum Privatdozenten.

Reine Lehrtätigkeit stellte für Reiß keine echte Herausforderung dar. Hatten ihn erste Forschungsreisen bereits zwischen 1859 und 1860 nach Portugal, auf die Azoren, Madeira und die Kanarischen Inseln geführt sowie 1866 zusammen mit Karl von Fritsch und Moritz Alphons Stübel nach Santorin, folgte nun 1868 bis 1876 eine umfangreiche und sehr forschungsergiebige Expedition durch Kolumbien, Ecuador und Peru. Zusammen mit dem Geologen Stübel gelang es Reiß, Messungen durchzuführen und Gesteinsproben zu entnehmen, die alsbald die bisherige Vulkantheorie maßgeblich beeinflussen sollten.

Bahia

Am 28. November 1872 bestieg Reiß, wie eingangs erwähnt, den Vulkan Cotopaxi in Ecuador. Als einzige Begleitung folgten ihm dabei sein Diener und sein „jämmerlich heulender“ Hund. Aus Reiß Bericht kann die Beschwerlichkeit der Tour nur erahnt werden. Schlechte Witterungsverhältnisse, dünne Luft, entkräftete Träger und Diener, die auf den letzten tausend Metern zurückblieben, sowie eine kurz vor dem Ziel zugezogene Verletzung machten das Vorhaben fast unmöglich.

Kathedrale von Lima, Peru

Im April 1876 zurück in Deutschland forderten die jahrelangen Strapazen und Forschungen in Südamerika unter extremen Bedingungen ihren gesundheitlichen Tribut. 1876 bis 1892 lebte als Privatgelehrter in Berlin. Am 30. Januar 1883 heiratete er in Mannheim Emilie Franciena Wiederholdt. geschiedene Kuipers. Aus der Ehe gingen keine Kinder hervor. Reiß wurde nach Beendigung seiner Expedition mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Noch zu Lebzeiten wurde er im Brockhaus von 1903 aufgeführt. Zusammen mit seiner Frau unternahm er 1888 eine letzte größere Reise nach Italien, Ägypten, Türkei und Griechenland.

Palmenallee Rio de Janeiro

Trotz seines Ruhms zog sich Reiß im letzten Lebensjahrzehnt zurück. Zum Alterssitz wurde ab 1892 Schloß Könitz in Thüringen, wo er am 29. September 1908 bei einem Jagdausflug ums Leben kam.

Peruambuer; Brasilien

Teile seines Nachlasse werden im Stadtarchiv – Institut für Stadtgeschichte aufbewahrt. Die Reisefotografien der Geschwister Reiß werden vom Forum Internationale Photographe der rem wissenschaftlich aufbereitet und der Öffentlichkeit durch Ausstellungen und Publikationen präsentiert.

Die von Dr. Claude W. Sui, Leiter des Forums Internationale Photographie, kuratierte Ausstellung „Ins Heilige Land“, die mit großem Erfolg in den rem 2006 lief, wird nun Mitte September 2008 in Dubai gezeigt. In dieser Ausstellung ist ein großer Teil aus der Wilhelm-Reiß-Sammlung zu sehen sein.