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Dokumentarfilm
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Spurensuche
Der Filmemacher Hartmut Bitomsky
In den Reihen all der ungestümen (Dokumentar-)Filmer, die momentan das
Phänomen der deutschen Wiedervereinigung in Bildern zu begreifen versuchen,
dürfte Hartmut Bitomsky nicht zu finden sein. Bitomsky hat stets der
Versuchung widerstanden, dem jeweiligen "Ruf der Geschichte" nachzulaufen.
Sein filmisches Interesse setzt vielmehr da ein, wo sich diese Ereignisse
zu Geschichten verdichten, die sich in den unterschiedlichsten Archiven
als Profan-Mythen ablagern. Seit nunmehr 20 Jahren versucht er in seinen
Filmen beharrlich diese Archive, die seit Beginn dieses Jahrhunderts auch
Archive des Kinos sind, zu entdecken, zu verstehen, wie sie aufgebaut werden,
wie sie funktionieren, um dann unter ihren Verzerrungen und Fälschungen
Spuren einer Wirklichkeit freizulegen, der so einfach nicht beizukommen ist.
l942 in Bremen geboren, studierte Harmut Bitomsky ab 1962 zunächst an der
FU Berlin Germanistik, Theaterwissenschaft und Publizistik und wechselte
1966 an die neugegründete "Deutsche Film- und Fernsehakademie". Zwei
Jahre später, auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte, wurde er zusammen
mit anderen Kommilitonen wegen politischer Aktivitäten
relegiert. Seitdem lebt er als Autor und freier Filmemacher in Berlin.
1970 drehte er zusammen mit seinem Freund und langjährigen Weggefährten
Harun Farocki (vgl. "Eine Anstrengung - überflüssig?" in "film-dienst" 10/1990, Seite 14) seinen ersten Film für den Westdeutschen Rundfunk:
"Die Teilung aller Tage", mehr eine gefilmte denn eine filmische
Einführung in die Grundbegriffe der marxistischen Theorie, in Anlehnung an
Bert Brecht mit "Lehrfilm" untertitelt. Für denselben Sender
entstanden bis heute 14 weitere Produktionen. Darunter sogenannte
"medienkritische Filme" wie "Kressin und..." (1973) oder "Kino/Kritik"
(1974), essayistische Porträts des englischen Dokumentarfilmers
Humphrey Jennings (1975, bzw. 1976), eine Studie über John Ford (1976),
der zweiteilige Spielfilm "Karawane der Wörter" (1977), die vierteilige
Dokumentation einer Reise auf dem legendären nordamerikanischen
"Highway 40 West" (1980/81) und schließlich zwei Filme, die den Formen
und der Funktionsweise der faschistischen Ästhetik nachspüren - nicht
im Bereich des Militärischen, wo sie nach landläufiger Meinung ihre
deutlichste Ausprägung fand, sondern im vermeintlich "Zivilen", wo sie ihre
größte Effizienz hatte.
SPUREN IM "KULTURFILM"
In "Deutschlandbilder" (1983) schält Hartmut Bitomsky aus sogenannten
"Kulturflmen", die damals zur unverfänglichen "Erbauung" regelmäßig
im Vorprogramm der Kinovorstellungen liefen, ein in höchstem Maße
ideologisch verfärbtes Deutschland-Bild heraus, das die Nazis
dem Volk auf subtile Weise als sein eigenes präsentierten. Bitomskys
Fazit: "Die Kulturfilme funktionierten wie ein umgekehrtes Plebiszit:
das Regime bestätigt sein Volk, weil es sich so anstellig zeigt und
schaffensfroh mitmacht."
"Reichsautobahn" (1986) verdankt sich ursprünglich dem Umstand,
dass Bitomsky bei der Sichtung jener "Kulturfilme" ständig auf Episoden
stieß, die sich eigentlich nur als Werbefilme für dieses, damals in Teilen
fertiggestellte, Großprojekt nationalsozialistischer Verkehrsplanung
verstehen ließen.
Wozu braucht eine Autobahn, nahezu der Inbegriff blanker Funktionalität,
"Werbung"? Einmal neugierig geworden, stieß Bitomsky auf andere
Ungereimtheiten eines Bauwerkes, dessen Qualitäten eher im Mythischen,
denn im Funktionalen lagen. Als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme blieb ihre
Auswirkung auf den Arbeitsmarkt bescheiden. Verkehrspolitisch war
sie unsinnig, da die Nazi-Parole von der "mobilen Gesellschaft" vorerst
nicht mehr als eine kühne Vision war. Mit einem Belag, der selbst für
LKWs zu dünn war, konnte ihr Bau auch nicht unter militärstrategischen
Gesichtspunkten erfolgt sein. Wie Bitomsky mit einer Fülle von
Archivmaterial belegt, wurde "die Autobahn... gleich von Anfang an
zu einem künstlichen Gegenstand erhoben. Sie wurde von Malern gemalt,
von Photographen photographiert, von Dichtern besungen, von Romanciers
beschrieben. (...) Die Filme, Gemälde, Photos, Bücher und Gedichte hielten
als ihre Fassade her. Ein potemkinsches Projekt". Die betreffenden
"Kulturfilme" waren also nicht Werbefilme für die neue Autobahn, sondern
nur Teil eines gigantischen Werbefeldzuges mit dem Titel "Reichsautobahn".
Zumindest in thematischer Hinsicht knüpft Hartmut Bitomsky in seinem
bisher letzten Film "Der VW-Komplex" (1989) an seinen Vorgänger an. Es geht
erneut um Autos und um Straßen. Er begibt sich in jene Produktionsstätte,
die von Hitler gegründet wurde, seine Vision des "mobilen Volkes" zwar
programmatisch im Namen trägt, sie jedoch erst in der Nachkriegszeit zur
Realität werden lassen sollte. Wie die Reichsautobahn nicht darin aufging,
dass auf ihr Autos fuhren, ist "VW" nicht auf einen Ort, eine Stadt zu
reduzieren, wo Autos hergestellt werden. Bitomsky verbindet Analyse mit
freier Assoziation, kontrastiert die vollmundige Firmen-Philosophie der
"Verbindung von Vergangenheit und Zukunft" mit Archivbildern, die das
offiziell gern ausgesparte einklagen. Aber ebenso irritiert wie fasziniert
folgt er auch der Straße, auf der heutzutage Autos hergestellt werden,
bevor sie auf anderen als Schrotthaufen enden können: der gespenstische
Prozess der vollautomatischen Produktion.
In "Reichsautobahn" hatte Bitomsky aus einem zeitgenössischen Buch
über den Autobahnbau zitiert: "Nirgends verdrängt jedoch die
Maschine die menschliche Arbeit. (...) Und wenn man in dem weitverstreuten
Gelände auch nur wenige Menschen zu erblicken glaubt - sie sind da."
Nicht der Entwicklungsstand damaliger Technologie machte dieses Statement
erforderlich, sondern die ideologische Parole vom Volk, das emsig seine
Zukunft gestaltet. Auch im heutigen VW-Werk ist der Arbeiter natürlich noch
nicht "ausgestorben". Aber die Kamera muss ihn suchen und findet ihn als
Appendix einer gigantischen Maschinerie.
PRODUKTIONSBEDINGUNGEN DER (KINO-)WIRKLICHKEIT
Bitomsky hat als Filmemacher im Laufe der Jahre eine eigenständige
Filmsprache und Methodik entwickelt, in die seine gleichzeitige Arbeit
als Filmtheoretiker eingeflossen ist. Er gab die Schriften von Andéi Bazin
und Belá Balász heraus und war langjähriger Redakteur der 1984 eingestellten
Zeitschrift "Filmkritik". 1972 erschien sein Buch "Die Röte des Rots
von Technicolor. Kinorealität und Produktionswirklichkeit.", in dem er
die marxistische Filmtheorie mit dem Ansatz des Strukturalismus zu verbinden
versucht. Dort schreibt er: "Eine vornehmlich geübte Form der
Ideologiekritik an Kunstwerken ist puritanisches Erbe, sie schätzt alles
Vergnügen gering, und sie kann sich das Vergnügen, das ein Publikum mit
einem Film hat, überhaupt nicht erklären: weil sie nur das am Film
wahrhaben will, was man nicht sehen kann - die Ideologie. Diese
Ideologiekritik liest den Film wie einen heimlich in den Film
hineingesteckten Kommentar über die Realität; sie liest
den Film nicht."
Diese Anstrengung, sich auf die Materialität der originären Filmsprache
(oder auch die "filmische Realität") einzulassen, hat Bitomsky seinen
Zuschauern immer wieder abverlangt. Freilich nicht, um eine jeder
Wirklichkeit entrückte Welt des schönen Scheins nahezubringen, sondern
um die Tauglichkeit des Films als eine eigenständige Form der Erkenntnis
und der Erfahrung zu sichern, die als solche grundsätzliche
Konstruktionsprinzipien von "Wirklichkeit" sichtbar machen kann. In dieser
Doppelbewegung ist Bitomsky in seinen Filmen gleichermaßen am mythischen
Gehalt des Realen wie am realen Gehalt des Mythischen interessiert.
Dabei kann seine Arbeit nicht die eines Interpreten sein, der etwas zu
erklären vermöchte, sondern nur die eines Dekonstrukteurs, der die
materiellen Schichten scheinbar evidenter Bedeutungen freilegt.
("Die Geschichte gegen den Strich bürsten", hat Walter
Benjamin das einmal genannt.) In seinem einzigen für das Kino gedrehten
Spielfilm, "Auf Biegen oder Brechen" (1974), hat Bitomsky versucht,
diesen Grad der Reflexivität mit dem subjektiven (Er-)Leben und der
"Lust am Kino" zu verbinden. Eine geradlinige Story, die trotzdem nicht
die trivialen Muster fiktionaler Komplexitätsreduktion wiederholt. Der
Versuch, diesen Gordischen Knoten mit redlichen Mitteln zu lösen,
fiel nicht sonderlich überzeugend aus.
DIE BEWEGUNG IM STATISCHEN
Das eigenwilligste Verfahren, das Hartmut Bitomsky in seinen Filmen
entwickelt hat, scheint fast aus einem Misstrauen gegenüber dem eigenen
Medium, dem Film, zu resultieren. Immer wieder löst er Sequenzen in einzelne
Fotos (nicht Standbilder!) auf, die er dann vor seine Filmkamera hält. Das
"Einfrieren" der Bewegung hat jedoch erstaunlicherweise keine Verflachung,
sondern eine Intensivierung zur Folge. In "Reichsautobahn" wird zunächst
eine Sequenz gezeigt, die einen emsig schaufelnden Adolf Hitler beim ersten
Spatenstich zeigt. In einzelne Fotos aufgelöst, verzerrt sich dieses
Gesicht zur grotesken Maske. Zugleich gewinnen Personen im Hintergrund
des Bildes, die im laufenden Film nur als Staffage auszumachen waren,
plötzlich Konturen, werden als Beteiligte sichtbar.
Was verbirgt ein Film, wenn er das zeigt, was die Kamera sieht? In
seinem Essayfilm "Das Kino und der Tod" (1988) beschränkt sich Bitomsky
über 45 Minuten auf dieses Verfahren. Zu Beginn fragt man sich irritiert,
warum er nicht gleich die betreffenden Filmausschnitte präsentiert.
Am Ende hat man manch altbekannten Film nur in ein paar Fotos völlig neu
gesehen. Aber auch ein Vefahren, das nicht immer gleichermaßen
effizient ist. Wenn er in "Der VW-Komplex" Fotos durchblättert, auf denen
ein Fotograf Fahrzeugbauteile zu bizarren Kunstobjekten stilisiert
hat, will sich erhellende Differenz nicht einschieben.
DIE STIMME UND DIE DIFFERENZ
Im Gegensatz zu Harun Farocki, der bei seinen letzten Filmen auf
jeglichen Kommentar verzichtet hat, spielt die Sprache (seine Sprache)
in den Filmen von Hartmut Bitomsky ein Rolle, wie sie ihr sonst wohl nur
noch in den Filmen Alexander Kluges zukommt. Dabei ist die Art, wie er
mit seiner sonoren Nasalstimme in einer an Monotonie nicht zu
überbietenden Melodik einen schlichten Hauptsatz an den nächsten
reiht, anfangs schon fast eine Beleidigung für jedes halbwegs geschulte
Gehör. Es braucht seine Zeit, bis man dahinterkommt, dass es eigentlich
auch gar nicht um das geht, was er sagt. So funktioniert dieser Kommentar
vielfach am besten da, wo er gar keiner ist, wo die Stimme nicht das
Sichtbare erklärt oder interpretiert, sondern es scheinbar nur verdoppelt.
Wo man bei jedem anderen Regisseur den "mündiger Zuschauer" einklagen
würde, gelingt es Bitomsky vielfach, eine eigentümliche Differenz zwischen
dem Visuellen und dem Akustischen zu erzeugen, die zu einem wirksamen
Korrektiv der immer drohenden "Objektivität" der Bilder wird. Zugleich aber
auch immer ein sensibler Balanceakt, der unvermittelt in manieriertes Pathos
umkippen kann. Wo Bitomsky denselben Sprachduktus einsetzt, um die Bilder
zu interpretieren, also von der Differenz zur Synthese wechselt, gerät das
Ganze auch schon einmal zur Platitüde. In "Das Kino und der Tod" stellt er
die Frage, warum der Tod bzw. das Sterben im Film eine derart große Rolle
spielt. Die Antwort: "Die Gesellschaft handelt so, damit das Leben
in ihr als lebenswert erscheint." Nicht, dass die grundsätzliche
Richtigkeit dieser These zu bestreiten wäre; es die Art,
wie der Satz gesprochen wird, die hier als filmisches Mittel nicht nicht
funktioniert, da er die Bilder nicht akzentuiert, sondern von ihnen ablenkt.
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