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„Das war ja der Kreis der Securitate, dem man in keiner
Weise trauen konnte“
Deutschlands Verhandlungsführer über den Freikauf
der Rumäniendeutschen im Zeitraum 1967 – 1989 (I)
/ Von Ernst Meinhardt
Unter dem Titel „Fluchtgeschichten“ veranstaltete
die Evangelische Akademie Siebenbürgen in Zusammenarbeit
mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) zwischen
dem 9. und 11. Dezember eine Tagung zum Thema Exil, Emigration,
Aussiedlung. Besonders interessant war dabei der Vortrag von
Ernst Meinhardt, Journalist bei der Deutschen Welle und Vorsitzender
des Vereins der Banater Schwaben in Berlin und den neuen Bundesländern,
der sich seit mehreren Jahren der Recherche über den Freikauf
der Rumäniendeutschen widmet. Der Abdruck seines (leicht
gekürzten) Beitrages erfolgt mit der Genehmigung von Dr.
Heinz-Günther Hüsch, von 1968 bis 1989 Verhandlungsführer
der Bundesrepublik Deutschland mit Rumänien, der versicherte:
„Es käme auch meinen Absichten nahe, für eine
historisch richtige Berichterstattung zu sorgen.“
Haben Sie schon mal von der „Geheimsache Kanal“
gehört?
Wissen Sie, wer „Eduard“ war oder ist? Bis vor Kurzem
hätte auch ich beide Fragen mit „Nein“ beantworten
müssen. Was hinter den beiden Bezeichnungen steckt, habe
ich erst vor drei Wochen erfahren: in Neuss, einer Stadt ganz
in der Nähe Düsseldorfs.
Dort wohnt und arbeitet ein heute über 80-jähriger
Herr: Dr. Heinz-Günther Hüsch. Was er mir am 21. November
2009 in einem fast vierstündigen Interview gesagt hat,
darüber möchte ich heute berichten. Die Auskünfte,
die ich von ihm erhalten habe, sind von großer Tragweite.
Sie bringen Licht in eine Sache, über die zwar viel gesprochen
und geschrieben wurde, über die aber niemand so gut Bescheid
weiß wie Dr. Hüsch: den Freikauf der Rumäniendeutschen
in den Jahren des Kommunismus. Dr. Hüsch war fast ein Vierteljahrhundert
lang Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland
mit Rumänien: von 1968 bis 1989.
1968 hat ihn die damalige Bundesregierung unter Kanzler Kurt
Georg Kiesinger damit beauftragt. Auf die Regierung Kiesinger
folgten die Regierungen Brandt, Schmidt und Kohl. Dr. Hüsch
blieb unter allen Bundesregierungen – egal welcher Couleur
– deutscher Verhandlungsführer. Seine Mission endete
erst mit dem Sturz des Ceausescu-Regimes in Rumänien im
Jahre 1989.
Wer ist Dr. Heinz- Günther Hüsch?
Dr. Heinz Günther Hüsch ist seit 53 Jahren Rechtsanwalt.
Zehn Jahre lang war er Abgeordneter in Düsseldorf, im
Landtag von Nordrhein-Westfalen, danach 16 Jahre lang Bundestagsabgeordneter
in Bonn. 1990 hat er sich aus der Bundespolitik zurückgezogen.
Seine politische Heimat war und ist die CDU. Er ist überzeugter
Katholik. Seine Kanzlei befindet sich in Neuss, im Geburtshaus
des berühmten Kölner Kardinals Joseph Frings. Dr.
Hüsch war bei ihm Ministrant. Über sich selbst sagt
er: „Ich bin schwarz wie die Nacht.“
Seinen offiziellen Auftrag, mit Rumänien über die
Ausreise der Deutschen zu verhandeln, erhielt Dr. Hüsch
im Januar 1968 von Gerd Lemmer. Lemmer war damals Staatssekretär
im Bundesministerium für Vertriebene und Flüchtlinge.
Was seine Verhandlungen mit Rumänien betraf, bestand
Dr. Hüsch gegenüber der Bundesregierung auf folgenden
Bedingungen:„Ich bin Anwalt, nicht Politiker, nicht
Abgeordneter. Und ich unterliege ausschließlich anwaltlichen
Regelungen. Das heißt, ich bin, wenn ich handeln soll,
in der Entscheidung, wie ich handle, frei. Was ich verhandle,
das ist ein anderer Punkt. Aber methodisch habe ich Freiheit.
Ich muss mich darauf verlassen können, jederzeit den
unmittelbaren Zugriff auf Lemmer, nach Möglichkeit auch
auf einen Minister zu bekommen.“ So Dr. Hüsch im
Interview. Lemmer akzeptierte diese Bedingungen. Was Dr. Hüsch
nicht erhielt, das war ein schriftlicher Vertrag mit der Bundesregierung.
„Weil dieses Geschäft ja zunächst mal so risikoreich
war – das vertrug keine schriftlichen Aufzeichnungen
– zum damaligen Zeitpunkt.“
Wichtig war, dass das Deutsche Rote Kreuz die Aktion unterstützte,
aber nicht führen wollte.
In der Anfangszeit akzeptierte Rumänien nur Barzahlungen,
„über die es zunächst keine anderen Belege
gab.“ Protokolliert und dokumentiert wurden die Barzahlungen
durch Dr. Ewald Garlepp. Er war Anwalt und Notar in Stuttgart
und hatte die Aufgabe, Dr. Hüsch bei den rumänischen
Verhandlungspartnern einzuführen. Später wurde per
Scheck gezahlt. Damit war die Nachweisproblematik geringer.
Noch später folgte Zahlung per Überweisung.
In den Verhandlungen, die Dr. Hüsch mit Rumänien
führte, ging es im wesentlichen um zwei Themen: Erstens
sollte sich die rumänische Seite verpflichten, dass sie
in einem bestimmten Zeitraum eine bestimmte Anzahl von Deutschen
in die Bundesrepublik ausreisen lässt; zweitens sollte
sich die deutsche Seite verpflichten, dass sie für jeden
ausgereisten Deutschen einen bestimmten Betrag an Rumänien
zahlt.
„Streng geheim“
In der Anfangsphase waren sich beide Seiten unsicher, ob sie
der Gegenseite trauen konnten, ob die Gegenseite überhaupt
in der Lage war, Vereinbarungen einzuhalten. Keine Seite gab
sich zu erkennen. Dr. Hüsch: „Die Rumänen
erklärten von Anfang an: ’Das ist alles streng
geheim. In dem Moment, wo Sie das publizieren, ist die Sache
zu Ende.’“ Auch die deutsche Seite hatte kein
Interesse, die Sache in die Öffentlichkeit zu bringen,
weil sie befürchtete, dass die Medien sie zerreden würden.
Seine Verhandlungsrunden mit der rumänischen Seite hat
Dr. Hüsch nie gezählt. „Ich schätze die
Zahl meiner Verhandlungen auf mehr als 200. Und wenn ich die
inoffiziellen Treffen hinzuzähle, geht das noch einmal
steil (nach oben) bis 600 oder 1000.“
Inoffizielle Treffen gab es – meist am Tag vor der offiziellen
Verhandlung – mit dem jeweiligen Dolmetscher. Diese
Gespräche liefen in deutscher Sprache. Die Absprache
lautete: Aus den nicht-offiziellen Gesprächen durfte
in den offiziellen nicht zitiert werden.
Wie sich Dr. Hüsch erinnert, waren die Verhandlungen
in Rumänien immer viel verkrampfter als an anderen Orten.
Das hatte seinen Grund: „Bukarest wurde abgehört,
lückenlos. Ich bin beobachtet worden von der ersten bis
zur letzten Sekunde, auch von der Kontraspionage, nicht nur
von der Spionageabwehr. Da gab es auch noch eine Kontraspionageabwehr.“
Dr. Hüsch durfte nie einen Dolmetscher zu den Verhandlungen
mitbringen. Es war Bedingung Rumäniens, das nur die rumänische
Seite einen Dolmetscher stellte. Die Linie der Verhandlungen
wurde aus Bonn vorgegeben, aber die Methode hat Dr. Hüsch
festgelegt. Natürlich hatte er die Möglichkeit,
die Linie zu beeinflussen.
Immer „Privatverträge“
In keinem Vertrag, in keiner Übereinkunft, in keinem
Abkommen, die Dr. Hüsch mit der rumänischen Seite
geschlossen hat, findet sich eine Angabe wie z. B.: „Vertrag
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen
Republik Rumänien“ oder „Übereinkunft
zwischen der Bundesregierung und der Regierung Rumäniens“
oder „Abmachung zwischen dem Bundesministerium ... und
dem rumänischen Ministerium ...“. Dr. Hüsch:
„Es ist entweder mein persönlicher Name. Oder es
ist abstrahiert mit ‚die deutsche Seite – die
rumänische Seite’.“
Natürlich wollte die rumänische Seite auch nie zugeben,
dass sie für die ausgereisten Rumäniendeutschen
Geld erhielt. Die offizielle Formulierung lautete: „Jede
Seite handelt für einen Auftraggeber. Die rumänische
Seite legitimiert sich durch Ausreisen. Ich, Dr. Hüsch,
legitimiere mich durch Zahlungen.“ Und: „Sie haben
nie danach gefragt, wer steckt dahinter. Und ich habe nie
gefragt, wer steckt bei der rumänischen Seite dahinter.
(...) Der Vertrag ist ja völkerrechtlich nicht einklagbar.
Völkerrecht ist eh Ganovenrecht. Es gilt nur, solange
der andere es beachtet. Es gibt kein Gericht, das über
diesen Vertrag entscheiden könnte. Und es gibt keinen
Gerichtsvollzieher, der den Vertrag vollstrecken könnte.
Mit Sicherheit nicht die Ausreisenden. Und auf die kam es
uns an.“
Es war auch von der ersten Verhandlungsrunde an klar, dass
die rumänische Seite Geld wollte. Sie hatte dazu Vorstellungen.
Für jede bewilligte Ausreise sollte gezahlt werden, und
zwar nach Kategorien: „Alter. Berufliche Ausbildung.
Also, ob einfacher Arbeiter, qualifizierter Arbeiter, Akademiker.
Dann gab es noch eine Kategorie Rentner. Und dafür hatten
sie auch jeweils unterschiedliche Beträge. Und sie verlangten
von Anfang an einen Vorschuss von 200.000 Mark. Was ja damals
sehr viel war. Für den Beginn der Verhandlungen. Barzahlung.
Keine Quittung.“
Zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten kam es bei der Einstufung:
Ist das ein Spezialist, also ein Facharbeiter, Handwerker?
Oder ist es nur ein einfacher landwirtschaftlicher Arbeiter,
der auch mal einen Traktor gefahren hat. Der war nach rumänischer
Auffassung schon Spezialist für die höhere Kategorie.
Mit den Studenten war es ähnlich, gerade wenn sie im
letzten Semester waren. „Also, es gab in jeder Verhandlung
darüber Differenzen. Die längste, die ich geführt
habe, hat elf Stunden an einem Stück gedauert. Also,
über den Erfolg dieser Verhandlungen hat die Blase entschieden.
Ich konnte ja nicht das Zimmer verlassen, weil ich meine Papiere
nicht liegen lassen konnte.“
Dr. Hüsch wollte immer von der Kategorisierung wegkommen,
weil sie zu Streit führte, zum Teil sogar zu Schreien,
Fäuste auf den Tisch schlagen. Dr. Hüsch wollte
auf einen festen Betrag umstellen. Das ist irgendwann auch
gelungen. Von dann an wurde nicht mehr nach Kategorien gezahlt,
sondern nur noch nach Personen.
Die rumänische Seite übergab Listen mit folgenden
Angaben: Name, Vorname, Adresse, Passnummer.
Nach rumänischen Angaben waren das die Leute, die ausgereist
waren. Es stellte sich aber heraus, dass es lediglich Personen
waren, die eine Ausreisegenehmigung erhalten hatten. Ob sie
tatsächlich in die Bundesrepublik ausgereist waren, war
unklar. In dem 1970 in Stockholm unterzeichneten Vertrag wurde
präzisiert: „Maßgeblich für Zahlungen
ist die Einreise in die Bundesrepublik und die Registrierung
– in der Regel in Nürnberg.“
Eine weitere wichtige Bedingung – zumindest in den Anfangsjahren
– war, dass die Ausgereisten Volksdeutsche sein mussten.
Woher stammte das Geld?
Ursprünglich aus dem Haushalt des Bundesministeriums
für Vertriebene und Flüchtlinge.
Unter der sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy
Brandt wurde das Ministerium 1969 aufgelöst und für
dieses Thema eine eigene Abteilung im Bundesinnenministerium
gegründet. Sie wurde einem Staatssekretär unterstellt.
Diese Abteilung gibt es nach wie vor.
In der Anfangszeit akzeptierte Rumänien nur Barzahlungen.
Dr. Hüsch: „über die es zunächst keine
anderen Belege gab.“ Protokolliert und dokumentiert
wurden die Barzahlungen durch Dr. Ewald Garlepp. „Geld
übergeben wurde nie in Rumänien, sondern an anderen
Plätzen in Europa. Das begann in Wien, Paris, Rom, Stockholm,
Kopenhagen.“
Dr. Hüsch: „Ich hatte eingeführt: Wir zahlen
mit 1000-Mark-Scheinen, die hier bei der Commerzbank –
genau gegenüber von Dr. Hüschs Anwaltskanzlei –
in einer gemeinsamen Besprechung gezählt, kuvertiert,
versiegelt wurden mit Siegel der Commerzbank. Und dann habe
ich noch mein Anwaltssiegel zusätzlich aufgedrückt.
Und diese Papiere sind dann in dieser Weise in Umschlägen
übergeben worden. Jeder 1000-Mark-Schein wurde zuvor
notifiziert nach Nummer. Und das Verzeichnis bekam der Auftraggeber
– also die Bundesregierung.“
Später wurde per Scheck gezahlt. Das geschah auch in
Bukarest. Mit der Commerzbank lautete die Vereinbarung: „Die
Schecks werden erst eingelöst, wenn ich persönlich
durch Erscheinen erkläre: Zeigen Sie mir das Dokument,
und ich sage ja oder nein. Das habe ich natürlich der
rumänischen Seite gesagt, also wissen lassen, dass sie
mit den Schecks nichts machen können, wenn ich nicht
zuvor wieder hier bin. Ich war ja nicht sicher, behalten die
mich als Pfand, oder irgendwas inszenieren sie. Das war ja
der Kreis der Securitate, dem man in keiner Weise trauen konnte.“
Später wurde umgestellt auf Barzahlung UND Scheck. Später
NUR Scheck. Am Schluss: Überweisung. Gezahlt wurde ungefähr
alle Vierteljahre.
Teil II
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