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Mittwoch, 23. 12. 2009
  „Das war ja der Kreis der Securitate, dem man in keiner Weise trauen konnte“
Deutschlands Verhandlungsführer über den Freikauf der Rumäniendeutschen im Zeitraum 1967 – 1989 (I) / Von Ernst Meinhardt


Unter dem Titel „Fluchtgeschichten“ veranstaltete die Evangelische Akademie Siebenbürgen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) zwischen dem 9. und 11. Dezember eine Tagung zum Thema Exil, Emigration, Aussiedlung. Besonders interessant war dabei der Vortrag von Ernst Meinhardt, Journalist bei der Deutschen Welle und Vorsitzender des Vereins der Banater Schwaben in Berlin und den neuen Bundesländern, der sich seit mehreren Jahren der Recherche über den Freikauf der Rumäniendeutschen widmet. Der Abdruck seines (leicht gekürzten) Beitrages erfolgt mit der Genehmigung von Dr. Heinz-Günther Hüsch, von 1968 bis 1989 Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland mit Rumänien, der versicherte: „Es käme auch meinen Absichten nahe, für eine historisch richtige Berichterstattung zu sorgen.“



Haben Sie schon mal von der „Geheimsache Kanal“ gehört?

Wissen Sie, wer „Eduard“ war oder ist? Bis vor Kurzem hätte auch ich beide Fragen mit „Nein“ beantworten müssen. Was hinter den beiden Bezeichnungen steckt, habe ich erst vor drei Wochen erfahren: in Neuss, einer Stadt ganz in der Nähe Düsseldorfs.

Dort wohnt und arbeitet ein heute über 80-jähriger Herr: Dr. Heinz-Günther Hüsch. Was er mir am 21. November 2009 in einem fast vierstündigen Interview gesagt hat, darüber möchte ich heute berichten. Die Auskünfte, die ich von ihm erhalten habe, sind von großer Tragweite. Sie bringen Licht in eine Sache, über die zwar viel gesprochen und geschrieben wurde, über die aber niemand so gut Bescheid weiß wie Dr. Hüsch: den Freikauf der Rumäniendeutschen in den Jahren des Kommunismus. Dr. Hüsch war fast ein Vierteljahrhundert lang Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland mit Rumänien: von 1968 bis 1989.

1968 hat ihn die damalige Bundesregierung unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger damit beauftragt. Auf die Regierung Kiesinger folgten die Regierungen Brandt, Schmidt und Kohl. Dr. Hüsch blieb unter allen Bundesregierungen – egal welcher Couleur – deutscher Verhandlungsführer. Seine Mission endete erst mit dem Sturz des Ceausescu-Regimes in Rumänien im Jahre 1989.

Wer ist Dr. Heinz- Günther Hüsch?

Dr. Heinz Günther Hüsch ist seit 53 Jahren Rechtsanwalt. Zehn Jahre lang war er Abgeordneter in Düsseldorf, im Landtag von Nordrhein-Westfalen, danach 16 Jahre lang Bundestagsabgeordneter in Bonn. 1990 hat er sich aus der Bundespolitik zurückgezogen. Seine politische Heimat war und ist die CDU. Er ist überzeugter Katholik. Seine Kanzlei befindet sich in Neuss, im Geburtshaus des berühmten Kölner Kardinals Joseph Frings. Dr. Hüsch war bei ihm Ministrant. Über sich selbst sagt er: „Ich bin schwarz wie die Nacht.“

Seinen offiziellen Auftrag, mit Rumänien über die Ausreise der Deutschen zu verhandeln, erhielt Dr. Hüsch im Januar 1968 von Gerd Lemmer. Lemmer war damals Staatssekretär im Bundesministerium für Vertriebene und Flüchtlinge. Was seine Verhandlungen mit Rumänien betraf, bestand Dr. Hüsch gegenüber der Bundesregierung auf folgenden Bedingungen:„Ich bin Anwalt, nicht Politiker, nicht Abgeordneter. Und ich unterliege ausschließlich anwaltlichen Regelungen. Das heißt, ich bin, wenn ich handeln soll, in der Entscheidung, wie ich handle, frei. Was ich verhandle, das ist ein anderer Punkt. Aber methodisch habe ich Freiheit. Ich muss mich darauf verlassen können, jederzeit den unmittelbaren Zugriff auf Lemmer, nach Möglichkeit auch auf einen Minister zu bekommen.“ So Dr. Hüsch im Interview. Lemmer akzeptierte diese Bedingungen. Was Dr. Hüsch nicht erhielt, das war ein schriftlicher Vertrag mit der Bundesregierung. „Weil dieses Geschäft ja zunächst mal so risikoreich war – das vertrug keine schriftlichen Aufzeichnungen – zum damaligen Zeitpunkt.“

Wichtig war, dass das Deutsche Rote Kreuz die Aktion unterstützte, aber nicht führen wollte.
In der Anfangszeit akzeptierte Rumänien nur Barzahlungen, „über die es zunächst keine anderen Belege gab.“ Protokolliert und dokumentiert wurden die Barzahlungen durch Dr. Ewald Garlepp. Er war Anwalt und Notar in Stuttgart und hatte die Aufgabe, Dr. Hüsch bei den rumänischen Verhandlungspartnern einzuführen. Später wurde per Scheck gezahlt. Damit war die Nachweisproblematik geringer. Noch später folgte Zahlung per Überweisung.
In den Verhandlungen, die Dr. Hüsch mit Rumänien führte, ging es im wesentlichen um zwei Themen: Erstens sollte sich die rumänische Seite verpflichten, dass sie in einem bestimmten Zeitraum eine bestimmte Anzahl von Deutschen in die Bundesrepublik ausreisen lässt; zweitens sollte sich die deutsche Seite verpflichten, dass sie für jeden ausgereisten Deutschen einen bestimmten Betrag an Rumänien zahlt.

„Streng geheim“

In der Anfangsphase waren sich beide Seiten unsicher, ob sie der Gegenseite trauen konnten, ob die Gegenseite überhaupt in der Lage war, Vereinbarungen einzuhalten. Keine Seite gab sich zu erkennen. Dr. Hüsch: „Die Rumänen erklärten von Anfang an: ’Das ist alles streng geheim. In dem Moment, wo Sie das publizieren, ist die Sache zu Ende.’“ Auch die deutsche Seite hatte kein Interesse, die Sache in die Öffentlichkeit zu bringen, weil sie befürchtete, dass die Medien sie zerreden würden.

Seine Verhandlungsrunden mit der rumänischen Seite hat Dr. Hüsch nie gezählt. „Ich schätze die Zahl meiner Verhandlungen auf mehr als 200. Und wenn ich die inoffiziellen Treffen hinzuzähle, geht das noch einmal steil (nach oben) bis 600 oder 1000.“

Inoffizielle Treffen gab es – meist am Tag vor der offiziellen Verhandlung – mit dem jeweiligen Dolmetscher. Diese Gespräche liefen in deutscher Sprache. Die Absprache lautete: Aus den nicht-offiziellen Gesprächen durfte in den offiziellen nicht zitiert werden.

Wie sich Dr. Hüsch erinnert, waren die Verhandlungen in Rumänien immer viel verkrampfter als an anderen Orten. Das hatte seinen Grund: „Bukarest wurde abgehört, lückenlos. Ich bin beobachtet worden von der ersten bis zur letzten Sekunde, auch von der Kontraspionage, nicht nur von der Spionageabwehr. Da gab es auch noch eine Kontraspionageabwehr.“ Dr. Hüsch durfte nie einen Dolmetscher zu den Verhandlungen mitbringen. Es war Bedingung Rumäniens, das nur die rumänische Seite einen Dolmetscher stellte. Die Linie der Verhandlungen wurde aus Bonn vorgegeben, aber die Methode hat Dr. Hüsch festgelegt. Natürlich hatte er die Möglichkeit, die Linie zu beeinflussen.

Immer „Privatverträge“

In keinem Vertrag, in keiner Übereinkunft, in keinem Abkommen, die Dr. Hüsch mit der rumänischen Seite geschlossen hat, findet sich eine Angabe wie z. B.: „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Rumänien“ oder „Übereinkunft zwischen der Bundesregierung und der Regierung Rumäniens“ oder „Abmachung zwischen dem Bundesministerium ... und dem rumänischen Ministerium ...“. Dr. Hüsch: „Es ist entweder mein persönlicher Name. Oder es ist abstrahiert mit ‚die deutsche Seite – die rumänische Seite’.“

Natürlich wollte die rumänische Seite auch nie zugeben, dass sie für die ausgereisten Rumäniendeutschen Geld erhielt. Die offizielle Formulierung lautete: „Jede Seite handelt für einen Auftraggeber. Die rumänische Seite legitimiert sich durch Ausreisen. Ich, Dr. Hüsch, legitimiere mich durch Zahlungen.“ Und: „Sie haben nie danach gefragt, wer steckt dahinter. Und ich habe nie gefragt, wer steckt bei der rumänischen Seite dahinter. (...) Der Vertrag ist ja völkerrechtlich nicht einklagbar. Völkerrecht ist eh Ganovenrecht. Es gilt nur, solange der andere es beachtet. Es gibt kein Gericht, das über diesen Vertrag entscheiden könnte. Und es gibt keinen Gerichtsvollzieher, der den Vertrag vollstrecken könnte. Mit Sicherheit nicht die Ausreisenden. Und auf die kam es uns an.“

Es war auch von der ersten Verhandlungsrunde an klar, dass die rumänische Seite Geld wollte. Sie hatte dazu Vorstellungen. Für jede bewilligte Ausreise sollte gezahlt werden, und zwar nach Kategorien: „Alter. Berufliche Ausbildung. Also, ob einfacher Arbeiter, qualifizierter Arbeiter, Akademiker. Dann gab es noch eine Kategorie Rentner. Und dafür hatten sie auch jeweils unterschiedliche Beträge. Und sie verlangten von Anfang an einen Vorschuss von 200.000 Mark. Was ja damals sehr viel war. Für den Beginn der Verhandlungen. Barzahlung. Keine Quittung.“

Zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten kam es bei der Einstufung: Ist das ein Spezialist, also ein Facharbeiter, Handwerker? Oder ist es nur ein einfacher landwirtschaftlicher Arbeiter, der auch mal einen Traktor gefahren hat. Der war nach rumänischer Auffassung schon Spezialist für die höhere Kategorie. Mit den Studenten war es ähnlich, gerade wenn sie im letzten Semester waren. „Also, es gab in jeder Verhandlung darüber Differenzen. Die längste, die ich geführt habe, hat elf Stunden an einem Stück gedauert. Also, über den Erfolg dieser Verhandlungen hat die Blase entschieden. Ich konnte ja nicht das Zimmer verlassen, weil ich meine Papiere nicht liegen lassen konnte.“

Dr. Hüsch wollte immer von der Kategorisierung wegkommen, weil sie zu Streit führte, zum Teil sogar zu Schreien, Fäuste auf den Tisch schlagen. Dr. Hüsch wollte auf einen festen Betrag umstellen. Das ist irgendwann auch gelungen. Von dann an wurde nicht mehr nach Kategorien gezahlt, sondern nur noch nach Personen.

Die rumänische Seite übergab Listen mit folgenden Angaben: Name, Vorname, Adresse, Passnummer.

Nach rumänischen Angaben waren das die Leute, die ausgereist waren. Es stellte sich aber heraus, dass es lediglich Personen waren, die eine Ausreisegenehmigung erhalten hatten. Ob sie tatsächlich in die Bundesrepublik ausgereist waren, war unklar. In dem 1970 in Stockholm unterzeichneten Vertrag wurde präzisiert: „Maßgeblich für Zahlungen ist die Einreise in die Bundesrepublik und die Registrierung – in der Regel in Nürnberg.“
Eine weitere wichtige Bedingung – zumindest in den Anfangsjahren – war, dass die Ausgereisten Volksdeutsche sein mussten.

Woher stammte das Geld?

Ursprünglich aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Vertriebene und Flüchtlinge.
Unter der sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt wurde das Ministerium 1969 aufgelöst und für dieses Thema eine eigene Abteilung im Bundesinnenministerium gegründet. Sie wurde einem Staatssekretär unterstellt. Diese Abteilung gibt es nach wie vor.
In der Anfangszeit akzeptierte Rumänien nur Barzahlungen. Dr. Hüsch: „über die es zunächst keine anderen Belege gab.“ Protokolliert und dokumentiert wurden die Barzahlungen durch Dr. Ewald Garlepp. „Geld übergeben wurde nie in Rumänien, sondern an anderen Plätzen in Europa. Das begann in Wien, Paris, Rom, Stockholm, Kopenhagen.“

Dr. Hüsch: „Ich hatte eingeführt: Wir zahlen mit 1000-Mark-Scheinen, die hier bei der Commerzbank – genau gegenüber von Dr. Hüschs Anwaltskanzlei – in einer gemeinsamen Besprechung gezählt, kuvertiert, versiegelt wurden mit Siegel der Commerzbank. Und dann habe ich noch mein Anwaltssiegel zusätzlich aufgedrückt. Und diese Papiere sind dann in dieser Weise in Umschlägen übergeben worden. Jeder 1000-Mark-Schein wurde zuvor notifiziert nach Nummer. Und das Verzeichnis bekam der Auftraggeber – also die Bundesregierung.“

Später wurde per Scheck gezahlt. Das geschah auch in Bukarest. Mit der Commerzbank lautete die Vereinbarung: „Die Schecks werden erst eingelöst, wenn ich persönlich durch Erscheinen erkläre: Zeigen Sie mir das Dokument, und ich sage ja oder nein. Das habe ich natürlich der rumänischen Seite gesagt, also wissen lassen, dass sie mit den Schecks nichts machen können, wenn ich nicht zuvor wieder hier bin. Ich war ja nicht sicher, behalten die mich als Pfand, oder irgendwas inszenieren sie. Das war ja der Kreis der Securitate, dem man in keiner Weise trauen konnte.“

Später wurde umgestellt auf Barzahlung UND Scheck. Später NUR Scheck. Am Schluss: Überweisung. Gezahlt wurde ungefähr alle Vierteljahre.


Teil II