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AWMF-Leitlinien-Register | Nr. 028/028 | Entwicklungsstufe: | 1 |
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Schlafstörungen
Die im folgenden beschriebenen Erscheinungsbilder frühkindlicher Schlafstörungen beziehen sich auf die ersten 3 Lebensjahre. Für Schlafstörungen bei Vorschul- und Schulkindern sei auf die entsprechende Leitlinie "Nichtorganische Schlafstörungen" (F51) verwiesen. Wiederholtes, kurzes nächtliches Aufwachen ist im Säuglingsalter physiologisch, die meisten Säuglinge erwerben allerdings unter entsprechender elterlicher Unterstützung bereits innerhalb der ersten Lebensmonate die Fähigkeit, ohne wesentliche elterliche Hilfe wieder einzuschlafen. Schlafstörungen zeichnen sich dagegen durch die über den sechsten Lebensmonat hinaus persistierende Unfähigkeit des Säuglings aus, ohne elterliche Hilfe (wieder) einzuschlafen. Bei jungen Säuglingen, insbesondere innerhalb der ersten 3-6 Lebensmonate, geht eine Unreife der Schlaf-Wach-Regulation in der Regel mit exzessivem Schreien einher (s.o.). Neben der subjektiven elterlichen Wahrnehmung der Schlafstörung als Problem gibt es folgende objektive Kriterien für frühkindliche Schlafstörungen:
Schlafstörungen jenseits des Säuglingsalters (zweites/drittes Lebensjahr) sind gekennzeichnet durch:
Fütterstörung im Säuglings- und Kleinkindalter
Um den interaktionellen Aspekt von Ess- und Gedeihstörungen im Säuglingsalter hervorzuheben, wird in Übereinstimmung mit der internationalen Literatur der Begriff Fütterstörung bevorzugt. Vorübergehende Fütterprobleme sind im Säuglingsalter häufig und nicht als Störung an sich zu bewerten. Es wird daher vorgeschlagen, von einer Fütterstörung zu sprechen, wenn die Fütterinteraktion von den Eltern über einen längeren Zeitraum (> 1 Monat) als problematisch empfunden wird. Als objektive Hinweise auf eine Fütterstörung können jenseits der ersten 3 Lebensmonate folgende Kriterien herangezogen werden:
Darüber hinaus sprechen folgende Symptome für eine frühkindliche Ess- und/oder Fütterstörung:
Spielunlust, chronische Unruhe
Übermäßige Suche des Kindes nach Stimulation bzw. nach neuen Reizen bei gleichzeitiger Unfähigkeit, sich altersentsprechend lange mit einer Sache zu beschäftigen. Misslaunigkeit, motorische Umtriebigkeit, permanentes Einfordern von Aufmerksamkeit und Unterhaltung.
Persistenz und übermäßige Ausprägung von Fremdeln, Klammerverhalten. Ausgeprägte Ängste, im Entwicklungsverlauf evtl. auch soziale Rückzugstendenz, elektiver Mutismus
Exzessives Klammern an die Bindungsperson ohne erkennbare Bedrohung, z.B. in geringen Anforderungssituationen. Einfordern von permanenter Aufmerksamkeit, Schwierigkeit/Unfähigkeit der Bezugsperson, sich in Situationen, in denen dies angemessen ist, ausreichend klar abzugrenzen. Altersunangemessene Hemmung der Spiel- und Explorationsbereitschaft trotz Gegenwart der Bezugsperson mit Anzeichen ängstlicher Gehemmtheit.
Exzessives Trotzverhalten
Mangelnde Selbstberuhigung und Selbstregulation in Grenzsetzungssituationen mit protrahierten Wut- und Trotzanfällen. In diesen Kontexten auch auto- oder fremdaggressive Handlungen (z.B. Kopfschlagen, Gewalt gegenüber Gegenständen, Spielzeug etc.). Die sog. Affektkrämpfe entsprechen einer besonders starken Ausprägung solcher Wut- und Trotzanfälle, bei denen es in extremen Erregungszuständen zu kurzzeitigem Bewusstseinsverlust kommen kann.
Aggressiv-oppositionelles Verhalten
Aggressive Verhaltensweisen sich selbst oder anderen gegenüber im Rahmen dysfunktionaler Interaktionsabläufe, z.T. im Kontext der Kontaktsuche zu anderen Personen. Tendenz, sich Aufforderungen, Regeln oder Grenzsetzungsversuchen zu widersetzen. Aggressive Handlungen in der Peer-Gruppe (z.B. Krabbel- oder Spielgruppe).
Freud- und Interesselosigkeit, Kummer, depressive Stimmungslage, Passivität, Apathie
Frühkindliche depressive Symptome wie auch das Konzept einer möglichen frühkindlichen Depression sind gegenwärtig noch wenig untersucht. Ebenso unzureichend geklärt ist, inwieweit bzw. ab wann das kindliche Spiegeln eines elterlichen depressiven Affektes, wie es in der Interaktion zwischen einem depressiven Elternteil und seinem Kind beschrieben wird, mit einem tatsächlichen kindlichen depressiven Affekt einhergeht.
Speziell
Fütterstörungen
Verhaltensbeobachtung
Möglichst Beobachtung mehrerer unterschiedlicher interaktiver Kontexte (z.B. Spiel, Beruhigungssituationen, Trennungssituationen/elterliche Abgrenzung und Wiedersehen/Wiedervereinigung), um das Ausmaß an Störungspervasivität zu beurteilen.
Beobachtung und Beurteilung störungsrelevanter Kontexte:
Verhaltensprotokolle, Tagebücher
Fremd- und Selbsteinschätzung mit Fragebögen, Skalen
Abb. 57: Diagnostischer Entscheidungsbaum für Regulationsstörungen im Säuglings und Kleinkindalter
Abb. 58: Therapeutischer Entscheidungsbaum für Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter
Folgende grundsätzlichen Aspekte sind zu beachten:
Indikationen für eine ambulante Beratung und Therapie
Eine ambulante entwicklungspsychologisch fundierte, interaktionszentrierte Beratung oder Eltern-Säuglings- und Kleinkind-Psychotherapie (s.u.) ist in der Mehrzahl der Fälle die Behandlung der Wahl und ausreichend, vor allem wenn
Die Sitzungen können als therapeutisches Gespräch (mit der Mutter, dem Vater, beiden Eltern) in Anwesenheit des Kindes, aber auch als gemeinsames Spiel mit dem Kind im Schutz der therapeutischen Beziehung erfolgen (z.B. bei Blockaden der intuitiven Kompetenzen). Es sollten jeweils 50-90 Minuten zur Verfügung stehen. 1- bis 2-mal pro Woche erfolgende Therapiesitzungen sind in der Regel ausreichend, im Bedarfsfall kann die Therapie aber auch hochfrequent als Krisenintervention oder als niederfrequente stützende Begleitung erfolgen.
Entwicklungspsychologisch fundierte, interaktionszentrierte Beratung
Eltern-Säuglings- und Kleinkind-Psychotherapie
Die Eltern-Säuglings- und Kleinkindpsychotherapie ist eine wissenschaftlich begründete Methode. Sie kann nach unterschiedlichen Konzepten (tiefenpsychologisch, verhaltenstherapeutisch, bindungsorientiert, systemisch) erfolgen. Die grundsätzliche Wirksamkeit verschiedener psychodynamischer, interaktionszentrierter und verhaltenstherapeutischer Formen ist gut belegt (II) im Hinblick auf die kindliche Symptombesserung bei Regulationsstörungen, auf eine Besserung von Interaktionsstörungen i.R. mütterlicher Depressionen und im Hinblick auf eine allgemeine Reduktion multipler mütterlicher psychosozialer Belastungen. Die Eltern-Säuglings- und Kleinkindpsychotherapie sollte entwicklungspsychologisch fundiert erfolgen, in den meisten Fällen wird auch sie stark auf aktuelle dysfunktionale Interaktionsmuster zwischen Eltern und Kind fokussieren. Der Zugang hierzu kann je nach Therapieansatz eher über die Repräsentationsebene der Eltern (psychodynamisch), die aktuellen Interaktionen (interaktionszentriert, verhaltenstherapeutisch) oder systemisch gewählt werden. Bewährt hat sich in diesem Zusammenhang der Einsatz von Video-Feedback zur Reflexion und Bearbeitung dysfunktionaler Interaktionsmuster.
Die Eltern-Säuglings-/Kleinkind-Psychotherapie schließt sinnvollerweise auch die Bearbeitung von Gefühlen, Erinnerungen, Phantasien und Konflikten (Gespenster im Kinderzimmer), die in der Interaktion mit dem Kind evoziert werden, ein, soweit diese die Kommunikation mit dem realen Kind stören (ggf. unter Einsatz von Video-Feedback). Insbesondere geht es um die Bearbeitung relevanter innerpsychischer wie interpersoneller Beziehungskonflikte.
Meist führt die Eltern-Säuglings-/Kleinkind-Psychotherapie innerhalb weniger Sitzungen (5-10 Sitzungen) zu relevanten Besserungen, kann aber auch einen größeren Umfang beanspruchen, wenn
In solchen Fällen sollte in der elterlichen Biographie geachtet werden auf:
Elterliche psychische/psychiatrische Störungen oder schwere Paarkonflikte übersteigen nicht selten die Möglichkeiten einer Eltern-Säuglings-/Kleinkind-Psychotherapie. Hier ist eine zusätzliche Einzel- oder Paartherapie indiziert.
Im Einzelnen sollte bei den unterschiedlichen Regulationsstörungen auf folgende Aspekte geachtet werden:
Exzessives Schreien Als hilfreich hat sich das mit den Eltern gemeinsam erfolgende Üben im Lesen kindlicher Signale, z.B. von Überlastung, erwiesen. Zusätzlich ist das Erproben individuell angepasster Beruhigungsstrategien während akuter Schrei-/Unruhephasen sinnvoll. Folgende Maßnahmen haben sich im Einzelnen bewährt:
Schlafstörungen
Die Interaktionen beim Einschlafen und nächtlichen Erwachen sind der direkten Beobachtung und Therapie im klinisch-ambulanten Setting nicht zugänglich. Dennoch können auch hier gemeinsam mit den Eltern das selbstständige kindliche Einschlafen geübt und Beruhigungsstrategien während kindlicher Wach- und Unruhezustände erprobt werden, die die kindliche Selbstregulation unterstützen. Auf Letztere können die Eltern dann während abendlicher/nächtlicher Unruhephasen zurückgreifen. Qualitative Auffälligkeiten der Eltern-Kind-Interaktionen und -Beziehungen außerhalb der Einschlafsituation sollten nach Möglichkeit in die Therapie einbezogen werden. Bei unkomplizierten Schlafstörungen reichen oft wenige therapeutische Gespräche aus (III).
Modifikationen der Einschlafinteraktion (z.B. nach der Methode des "Checking") sind bei einfachen isolierten Schlafstörungen i.d.R. rasch effektiv (I), während sich unspezifische Beratungsansätze als wirkungslos erwiesen haben (I). Individuelle Modifikationen sind möglich und je nach Konstellation gelegentlich auch notwendig. Schlafinterventionen setzen eine gründliche Vorbereitung und Unterstützung sowie enge Begleitung der Eltern während der Modifikation voraus, um mitunter auftretende elterliche Ängste und Ambivalenzen psychotherapeutisch bearbeiten zu können. Individuelle Schlafgewohnheiten, psychodynamisch relevante Themen wie auch die Funktion von Schlafstörungen im partnerschaftlichen und familiendynamischen Kontext sollten ausreichend berücksichtigt werden. Ziel ist, die selbstregulatorische Kompetenz des Säuglings und Kleinkindes zu verbessern und ihm ein (Wieder-) Einschlafen ohne elterliche Regulationshilfen in einem Alter, in dem die reifungsabhängigen Voraussetzungen dafür erreicht sind, zu ermöglichen.
Folgende Aspekte sind von besonderer Bedeutung:
Fütter- und Essstörungen
Randomisierte Studien bei gedeihgestörten Säuglingen und Kleinkindern, die unterschiedliche Interventionen (Interventionen zu Hause, familienzentriert, elternzentriert, allgemeine Beratung, multimodale Therapieansätze) miteinander verglichen haben, zeigen keine Überlegenheit einer einzelnen Methode bei insgesamt nur sehr begrenzt positiven Auswirkungen auf den langfristigen Ernährungsstatus sowie die Entwicklungs- und sozial-emotionale Prognose des Kindes (II).
Spielunlust, chronische Unruhe
Klammerverhalten
Übermäßige Ängstlichkeit, Schüchternheit
Exzessives Trotzverhalten
Oppositionelles und aggressives Verhalten
Freud- und Interesselosigkeit, Kummer, Passivität
Zusätzlich können im Sinne eines multimodalen Therapieansatzes folgende adjuvante Therapieformen sinnvoll sein:
Alternativ- und paramedizinische Interventionen, obwohl weit verbreitet, sind gegenwärtig noch wenig empirisch erforscht und abgesichert. Nicht zu vernachlässigen sind allerdings die z.T. erheblichen nichtmedizinischen Wirkungen solcher Interventionen in Bezug auf die psychische Regulation der primären Bezugspersonen (Entlastung durch somatische Mitbehandlung, Gefühl des Rückgewinnens von Kontrolle über die Situation etc.) und auf die Beziehungsregulation zwischen Eltern und Kind.
Gerade automatisierte, eingeschliffene Interaktions- und Beziehungsmuster lassen sich bei entsprechender Störungskomplexität oft nur mit einem multimodalen Mehrebenen-Therapiekonzept erfolgreich bearbeiten.
Indikationen für eine teilstationäre Therapie mit Aufnahme der Bezugsperson
Indikationen für eine stationäre Therapie
Jetzige Bearbeiter dieser Leitlinie
N. von Hofacker, U. Lehmkuhl, F. Resch, M. Papoušek, R. Barth, T. Jacubeit
Korrespondenz an:
Dr. med. Nikolaus von Hofacker
Städt. Klinikum München GmbH, Klinikum Harlaching
Behandlungseinheit Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters
Sanatoriumsplatz 2
81545 München
Redaktionskomitee:
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Martin H. Schmidt, Mannmein
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