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Tschechien

Qualen für Rennpferde

20.10.2002

von Thomas Eichberg

Im tschechischen Pardubice findet jedes Jahr das härteste Pferderennen der Welt statt. Die Hindernisse sind hier extrem groß. Bereits 50 Pferde scheiterten daran und brachen sich Beine oder Wirbelsäule. Nur massive Sicherheitsvorkehrungen halten Tierschützer fern.

Peter Gehm hat es wieder geschafft. Zum zweiten Mal gewinnt der deutsche Jockey eines der härtesten Hindernisrennen der Welt: das "Velka Pardubicka", 80 km östlich von Prag.

Die Nationalhymne für die Sieger - das Pardubicer Rennen ist für die Tschechen ein nationales Ereignis. Die völlig erschöpften Jockeys sind ihre Helden.

"Wir müssen Chalko wohl einschläfern lassen."

Vor dem Rennen genießen Wallach Chalko und Besitzer Komärek in der Box die Ruhe vor dem Sturm. Chalko ist Vorjahressieger und damit Favorit. Der Preis für Chalko hat sich seit dem letzten Sieg verzigfacht. Victor Komäre weiß, wie hoch das Ansehen, aber auch das Risiko dieses Rennens sind. Denn die Bedingungen in diesem Jahr sind extrem schwierig. Tagelanger Regen hat den Boden aufgeweicht, die Tiere könnten im Schlamm leicht ausrutschen. Noch kontrollieren die Tierärzte den Gesundheitszustand, doch es ist unsicher, ob das Rennen überhaupt stattfindet.

Im Moment sind alle hier sehr nervös, die Kälte ist schlecht für die Pferde und der Boden wirklich ungünstig.

Überall wacht Polizei. Nach den Krawallen der 90er Jahre sollen keine Tierschützer mehr aufs Gelände gelangen. Dafür kommen die Besucher umso zahlreicher. 15.000 sind es diesmal - trotz Dauerregen und nur 2 Grad über Null. Der absolute Höhepunkt der Rennsaison - nicht nur für Tschechen.

Denn während die Einheimischen hinter den Zäunen warten, beobachtet die englische Reitprominenz die Vorbereitungen aus der Nähe.

Henry Heath, Pferdefan

"Wir sind hier, um einen schönen Tag zu haben und hoffen, das Jockeys und Pferde das Rennen sicher überstehen."

Die Briten sind einiges gewohnt. Wenn überhaupt gibt es nur auf der Insel vergleichbare Rennen.

Mi ford-Slade, Pferdefan

"Es ist sehr exklusiv hier. Außer tschechischen, dürften nur britische Pferde so etwas kennen."

Taktische Anweisungen von Besitzer Komärek für seinen Jockey. Eigentlich sollte Peter Gehm auf Komäreks Chalko reiten. Doch der hat sich kurzfristig für ein anderes Vollblut entschieden. Die Aufregung ist enorm, denn es geht um 65.000 Euro für den Sieger.

Ing. arch. Miroslav Petran, Direktor

"Leider hat ein Besitzer aus England wegen des Wetters zurückgezogen, sagt uns der Direktor. Die Gesundheit seines Pferde sei ihm wichtiger als ein Sieg."

Die anderen Jockeys brauchen starkeke Nerven. Start zum "Velka Pardubicka" - dem 112. seit 1874. Das tschechische Fernsehen überträgt live.

Die großen, unübersichtlichen Hindernisse sind die Besonderheit des Rennens. Gefährliche Stürze gehören dazu.

Plötzlich die Ansage: Favorit Chalko ist nicht mehr im Rennen. Mit über 40 km/h preschen die anderen Pferde weiter. Durch den Massenstart können die Jockeys die Tiere kaum steuern. Sie folgen einfach dem Herdentrieb.

Und wie im letzten Jahr heißt der Sieger: Peter Gehm, nur auf einem anderen Pferd. Doch was ist mit Chalko? Sein Reiter, Vaclav Luka hat Tränen in den Augen.

Vaclav Luka, Jockey von "Chalko"

"Ich darf nichts sagen - sonst wäre ich morgen kein Jockey mehr."

Wir finden das Pferd trotzdem. Chalko hinkt, will vor Schmerzen sein hinteres Bein nicht mehr aufsetzen. Als unser Kamerateam im Stall nachfragen will, werden wir aufgehalten. Trotzdem gelingt es uns, Bilder hinter den Kulissen zu machen.

Das die Pferde erschöpft sind, ist nach einem Rennen über fast sieben Kilometer normal. Doch die blutig geschlagenen Beine sind ein Zeichen für die Härte des Rennens in Pardubice.

Die Besitzer des Siegerpferdes feiern derweil lautstark mit Schnaps und tschechischen Liedern über die Liebe und die Pferde.

Nach Angaben von Tierschützern starben insgesamt fast 50 Pferde vor oder nach den "Velka Pardubicer" - Rennen. Auch Chalkos Zukunft ist ungewiß: ein gebrochenes Bein bedeutet das Aus für ein Rennpferd.

Niederlage und Sieg liegen im Sport immer nah beieinander. Doch nie geht es so oft um Leben und Tod, wie in Pardubice. Die schönen Bilder des Rennens werden die düsteren nicht auslöschen. Und Chalko wird nur in Erinnerung bleiben als ein ehemaliger Champion im härtesten Rennen Europas.

Zuletzt aktualisiert: 18. Oktober 2002, 17:42 Uhr

 

 
 
 
 
 
 

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