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7. Oktober 1955: Allen Ginsberg stößt in einer Galerie in San Francisco zum ersten Mal den Schrei einer Generation aus – und gründet so die Bewegung der Beatniks.

Einführung: Georg Döcker
Kommentar: Peter Apfl

Einführung

Der Abend trug den Titel „6 Poets at the 6 Gallery“. Ein Versuch etablierter Dichter, jene Kollegen, die noch keine Werke veröffentlicht hatten, bekannter zu machen. Doch derjenige, der von diesem Abend in San Francisco am meisten profitierte, war kein Neuling: Allen Ginsberg. Einst Lehrer an der Columbia University, las er an diesem 7. Oktober erstmals aus seinem Gedichtband „Howl“ vor. Der Auftritt machte Ginsberg schlagartig bekannt – obwohl oder eben weil die erste Auflage von „Howl“ in den USA sofort verboten wurde. Ursprünglich hatte Ginsberg die Gedichte für Carl Solomon geschrieben, einen Freund, den er in einer psychiatrischen Klinik in Rockland, New York, kennen gelernt hatte. Ginsberg wollte Solomon auf diese Art von den Geschehnissen „draußen“ erzählen.

In „Howl“ beklagt er den Verfall seiner Generation, „who ate fire in paint hotels or drank turpentine in Paradise Alley“. Beat steht im engsten Sinn für den Rhythmus, den Takt in der Musik. Beat steht aber auch für eine Gruppe junger US-Autoren auf der Suche nach Freiheit, Drogen, Jazz und Sex: die Beat Generation. Mit Jack Kerouac und William S. Burroughs zählte Ginsberg zu den berühmtesten „Beatniks“. Er selbst verband mit dem Begriff „beaten“ vor allem Armut. Aus Protest gegen das Bild der bürgerlichen Familie, welches die USA nach dem Zweiten Weltkrieg prägte, gierten die jungen Männer – Frauen wurden als Zierde angesehen – danach, neue Länder und Menschen kennen zu lernen, ständig auf der Suche nach der Wahrheit und dem Sinn des Lebens.

Kerouac schrieb seine Erlebnisse aus sieben Jahren Reisen innerhalb von drei Wochen nieder. Unter dem Titel „On the Road“ erschien der stark autobiografische Roman 1957 und wurde schnell zum Klassiker. Bevor die Beatniks Ende der Fünfziger vom Mainstream vereinnahmt wurden, wurden sie wegen ihrer provokanten Kunst, die auch freie Liebe propagierte, vom Establishment angeklagt. Dazwischen lag eine Phase, in der sich vor allem Burroughs mit dem Surrealismus auseinander setzte. Den Höhepunkt erreichte er 1959 mit „Naked Lunch“, einem Roman, der aufgrund seiner unkonventionellen Schreibweise bis heute als so genial wie unlesbar gilt.

Während Hollywood mit Filmen über die Beat Generation Geld machte, wandten sich die Künstler selbst zusehends dem Buddhismus zu. Als 1964 der Vietnamkrieg ausbrach, traten die Beatniks dagegen auf und beteiligten sich an der Entstehung der Hippie-Bewegung. Heute haben die Werke der Beats einen Ehrenplatz in der US-amerikanischen Literatur.


Kommentar

Als „Howl“ in der Six Gallery zum ersten Mal gelesen wurde, war ich gerade drei Monate alt. Es sollten noch zwei Jahrzehnte ins Österreichische ziehen, bis ich davon erfuhr. Ginsbergs Geheul war gemeinsam mit dem der „Heulbojen“ Elvis, Dylan und Konsorten nach Europa getragen worden. Und damit auch die amerikanische „Jagd nach Glück“. Ginsbergs Aufschrei der durch den „klimatisierten Alptraum“ gequälten Kreatur wirkte dabei eher im Hintergrund. Elvis war es, der mit „Heartbreak Hotel“ in den Mainstream eindrang. Ebenso wie der Beatnik stellte der King seine Seele nackt und bloß zur Schau. Das war die Formel. Sie wirkte. Den materiellen Unterbau dafür hatten die Amis mit ihrer Armee im Zweiten Weltkrieg gelegt.

Für mich bedeutete die allgegenwärtige Popmusik in den Sechzigern den frischen Wind, der durch das verstaubte Land wehte. Damit konnte nichts Österreichisches mithalten. Das häufig bemühte Lebensgefühl der Sechziger bedeutete ja auch, Gefühle zuzulassen. Nacktheit zu zeigen. Das Abweichlerische anzunehmen. „Clothed or naked – we are not obscene“, hatte Ginsberg in seiner New Yorker Wohnung über dem Spiegel hängen. Lennon und die Ono nackt im Bravo. Das brachte es auf den Punkt. Das Plattencover dazu lernte man erst Jahre später kennen. In der heimischen Provinz gab es noch keinen Markt dafür. Dass etwa die so genannte „Uniferkelei“ der Wiener Aktionisten etwas mit der Haltung der Beats zu tun haben könnte, war mir unbekannt. Krone und Arbeiterzeitung hoben klarerweise den Skandal in den Vordergrund.

Der große Zusammenhang zwischen alledem eröffnete sich mir im Mai 1976. An einer Bushaltestelle, Gumpendorfer Straße. Als ich „Gammler, Zen und Hohe Berge“ – der dämliche deutsche Titel ließ mich zuerst an Heinrich Harrer denken – und somit ein neues Kapitel aufschlug. Jack Kerouac beschreibt darin die besagte Lesung von „Howl“. Ich begriff: Der frische Wind kam aus den Fünfzigern. Handke, Brinkmann, Fauser, Wondratschek – sie wären ohne den heulenden Sturm nicht möglich gewesen. Oder der große Ernst Jandl, der 1965 gemeinsam mit Ginsberg in Swinging London an „Poets Of The Worlds“ teilgenommen hatte. Aber auch der ebenso große Wolfgang Bauer hat den Beats viel zu verdanken. Besonders merkbar in seinen frühen Stücken. Beispielsweise im Film „Pull My Daisy“. Am Tag nach Bauers Tod spielte Ö1 zu seinem Gedenken mehrere Stones-Nummern. Hätten nicht Ginsberg et alii vor 50 Jahren etwas losgetreten, wäre das im vormaligen Hofratsgattinnensender nicht möglich gewesen.

Weiterführender Link:
www.allenginsberg.org



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