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ECHT! | 13.10.2009 | 21:15 Uhr

Grenzfestung Marienborn

Wer heute auf der Bundesautoahn A 2 unterwegs ist, kann ungehindert fahren. Noch vor 20 Jahren war das für viele nur ein Traum. Wer von West nach Ost oder in umgekehrte Richtung wollte, musste eine Zwangspause am Grenzübergang Marienborn einplanen, einem streng bewachten Nadelöhr im"Eisernen Vorhang."

Rechte: dpa

Der Grenzübergang Marienborn hat eine lange Geschichte: Sie begann kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Am 1. Juli 1945 richteten die Alliierten an der damaligen Reichsautobahn in der Nähe von Helmstedt einen Kontrollpunkt zwischen der britischen und der sowjetischen Besatzungszone ein. Was mit provisorisch gezimmerten Holzgebäuden begann, entwickelte sich nach und nach zu einer immer größer werdenden Grenzstation.

Der Übergang zwischen Ost und West war unter anderem deshalb so bedeutend, weil er an der Strecke zu Westberlin lag. Von Marienborn bis zur geteilten Stadt waren es nur 167 Kilometer. Zwischen Juni 1948 und Mai 1949, zur Zeit der Berlinblockade, riegelten sowjetische Truppen den Grenzübergang ab. Ein Vorgeschmack darauf, was in den Jahren danach in gewisser Weise alltäglich werden würde.

Die deutschen Genossen übernehmen

Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 übernahmen ab 1950 Schritt für Schritt Truppen der DDR Grenzpolizei die Kontrolle auf der östlichen Seite des Grenzüberganges. Als Folge des Kalten Krieges wurde Marienborn weiter ausgebaut und es fanden immer schärfere Kontrollen statt. 1952 wurde entlang der Westgrenze eine 5-Kilometer-Sperrzone eingerichtet, 1961 die Berliner Mauer gebaut. Im selben Maße, wie sich die DDR von der BRD abschottete, wuchs die Grenzübergangsstelle (GÜSt) Marienborn - wie sie im offiziellen DDR-Jargon hieß. Die Kontrollen zielten vor allem darauf, jeden Fluchtversuch aus der DDR zu verhindern und die Einfuhr von "Propagandamaterial" aus dem Westen zu unterbinden. Als Propagandamaterial zählten auch westliche Zeitungen und Zeitschriften.

Schöner, größer, sicherer: Marienborn wird eine "Festung"

Im Laufe der Jahre nahm der Straßenverkehr zwischen Ost und West so stark zu, dass der Übergang Marienborn zunehmend an seine Grenzen stieß. Dies, aber auch die Tatsache, dass es immer noch zu viele erfolgreiche Fluchten aus der DDR in den Westen gab, veranlasste die DDR-Führung über eine neue Grenzübergangsstelle nachzudenken. Erste Planungen für den Neubau gab es in den 1960er-Jahren. Nach Inkrafttreten des sogenannten Transitabkommens zwischen DDR und BRD im Dezember 1971, das den Reiseverkehr zwischen beiden Staaten erheblich erleichtern sollte, startete die DDR ein Jahr später den Neubau der Grenzübergangsstelle Marienborn. Sie sollte größer und vor allem viel sicherer werden als die alte Kontrollstelle. Als Standort hatten sich die Planer ein Areal in der Nähe des alten Überganges ausgesucht: etwa anderthalb Kilometer von der Grenze entfernt, südlich der Autobahn. Auf 35 Hektar, einem Gelände, fast so groß wie 50 Fußballfelder, entstand bis 1974 die "Festung" Marienborn. So viel Sicherheit ließ sich die DDR einiges kosten. 70 Millionen DDR-Mark gab man für das ehrgeizige Projekt aus. Es zeigte sich bald, dass sich der Aufwand gelohnt hatte: Der neue Übergang kam der Definition eines Nadelöhrs deutlich näher als der alte.

Licht ohne Schatten

Marienborn glich auf DDR-Seite nun einem riesigen Lager: Es gab Baracken, Häuser, Garagen, eine Trafostation, ein Heizhaus und einen Kommandoturm. Damit den Kontrolleuren auch nachts nichts entging, sorgten Lampen und Scheinwerfer für taghelles Licht: "blend- und schattenfrei", wie es hieß. Jeder der zwölf begehbaren Lichtmasten zog bis zu 8.000 Watt. Übers Jahr gerechnet verbrauchte der "Checkpoint" fast so viel elektrische Energie wie eine Kleinstadt im selben Zeitraum.

Kontrollboxen, Wechselstube und Leichenhalle

Am neuen GÜSt Marienborn lief alles wie am Schnürchen. Es gab getrennte Bereiche für die Ein- und Ausreise, Kontrollstellen für Tiere und Pflanzen und sogar eine Leichenhalle. Dort filzten Zöllner und Staatssicherheitsmitarbeiter Särge. Vor allem, wenn ein Verstorbener aus der DDR seine letzte Ruhe im Westen finden wollte, wurde genau untersucht. Jede Möglichkeit, aus der DDR zu flüchten, sollte unterbunden werden.
Reisende aus dem Westen mussten durch die Pass- und Identitätskontrolle, Autos und Lastkraftwagen wurden unter die Lupe genommen. Während Reisende aus dem NSW, dem Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, wie es in der DDR hieß, auf ihre Einreise warteten, hatten sie Zeit, in der Wechselstube ihren Obolus zu entrichten. Die DDR hatte 1964 einen sogenannten Mindestumtausch eingeführt. In den 1980er-Jahren wurden für Reisende aus dem Westen 25 D-Mark pro Person am Tag fällig. Sie mussten 1:1 in Ost-Mark umgetauscht werden. Die Marienborner Wechselstube war täglich rund um die Uhr geöffnet. Über sie flossen hunderte Millionen Devisen in die DDR.
Im Ausreisebereich von Ost nach West gab es eine Kontrollbox, in der die Zöllner bei "begründetem Verdacht" intensive Kontrollen durchführten. Der Fluchtversuch vieler DDR-Bürger endete dort. Vereitelte Fluchtversuche wurden dokumentiert.
Auf dem gesamten Gelände der GÜSt waren 124 Alarmknöpfe installiert. Wurde einer von ihnen gedrückt, konnten die diensthabenden Offiziere von einem Kommandoturm aus ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem in Gang setzen. Es bestand aus Ampeln, Schlagbäumen und Rollschranken und konnte binnen kürzester Zeit den gesamten Verkehr im Grenzübergang zum Stehen bringen.
Um die gigantische Grenzanlage zu betreiben, taten dort zeitweise bis zu 1.000 Zöllner, Staatssicherheitsleute, Grenzsoldaten und Zivilbeschäftigte ihren Dienst. Zwischen 1985 und 1989 fertigten sie rund 35 Millionen Reisende ab.

Und dann war plötzlich Schluss

Als SED Politbüromitglied Günter Schabowski am 9. November 1989 auf einer Pressekonferenz die Reisefreiheit für DDR-Bürger verkündet hatte, war das auch das Aus für Marienborn. Gut sieben Monate später rollte der Verkehr auf der A 2 zwischen Ost und West ungehindert. Am 30. Juni 1990 um Mitternacht wurden die Kontrollen an der Grenzübergangsstelle Marienborn eingestellt. Auf den Tag genau 45 Jahre nach dem die Alliierten den Kontrollpunkt eingerichtet hatten.

Die ehemaligen Grenzabfertigungsanlagen der DDR wurden unter Denkmalschutz gestellt. Seit 13. August 1996 lädt auf einem etwa sieben Hektar großen Areal der ehemaligen GÜSt die Gedenkstätte "Deutsche Teilung Marienborn" Besucher dazu ein, sich ein Bild über die jüngere deutsche Geschichte zu machen.

Zuletzt aktualisiert: 20. Oktober 2009, 18:06 Uhr

 

 
 
 
 
 
 

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