POTSDAM - Ministerpräsident Matthias Platzecks Appell für eine Versöhnung mit den Erben der SED sorgt parteiübergreifend für Kritik. „Platzecks Versuch, seine angestrebte Koalition mit der Linkspartei durch Nazi-Vergleiche zu rechtfertigen, ist töricht. Seine Thesen zur Integration von Nazis in Westdeutschland werden allenfalls Jubel bei Extremisten auslösen“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende der CDU, Sven Petke. FDP-Chef Heinz Lanfermann sagte: „Platzecks SS-Vergleich ist eine komplette Fehlleistung.“ Die Grünen warfen dem Ministerpräsidenten eine „eingeschränkte Geschichtswahrnehmung“ vor.
In einem Gastbeitrag für den „Spiegel“ hatte Platzeck im Zusammenhang mit der künftigen rot-roten Koalition einen „längst überfälligen Prozess der Versöhnung“ angemahnt und dabei an die „gelungene Demokratisierung“ Westdeutschlands nach 1945 erinnert. Der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher habe sich ungeachtet seiner fast zehnjährigen KZ-Haft gegenüber ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS versöhnlich gezeigt und dies als „menschliche und staatsbürgerliche Notwendigkeit“ bezeichnet.
Selbst in den eigenen Reihen ist Platzecks Verweis auf die Historie umstritten. Die scheidende Gesundheitsministerin Dagmar Ziegler (SPD) hält den Vergleich für „unzulässig“. Die Situation in Deutschland nach dem Krieg sei völlig anders gewesen als nach der Wiedervereinigung, sagte sie im „Tagesspiegel“.
„Platzeck hat keinen Nazi-Vergleich, sondern einen Aufarbeitungsvergleich gezogen“, hielt SPD-Generalsekretär Klaus Ness den Kritikern entgegen. Nach 1945 habe die Demokratie nur funktionieren können, weil es in Westdeutschland auch Integrationsangebote für ehemalige Anhänger der NS-Diktatur gab. Der scheidende Generalsekretär der Bundes-SPD, Hubertus Heil, sprach von einem „außerordentlich klugen“ Beitrag Platzecks „zu einer wichtigen Debatte“. Die Haltung der ehemaligen Blockpartei CDU, sich „moralisch zu echauffieren“, gehe an der Debatte vorbei.
Irritationen löste Platzecks Appell beim künftigen Koalitionspartner aus. „Ich akzeptiere den Vergleich, ohne dass ich ihn teile“, sagte Thomas Nord, Landesparteichef der Linken. Deutlicher wurde Bundesvorstand Ulrich Maurer: „Man kann ja über die Fehler der Kommunisten in der DDR viel zu Recht sagen“, meinte er. „Aber zu sagen, man müsse an ihnen die gleiche Integrationsleistung vollziehen wie in der BRD an der Waffen-SS, das ist eine beispiellose Unverschämtheit.“ Linkspartei-Chef Lothar Bisky fügte hinzu, man merke, dass Platzeck zehn Jahre lang mit der CDU regiert habe.
Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung, nimmt Platzeck dagegen in Schutz. „Platzeck hat die DDR keineswegs mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt“, sagte er der MAZ. Vielmehr habe Platzeck „eine naheliegende historische Anleihe gemacht“.
Allerdings führe der Vergleich zu einem widersprüchlichen Ergebnis: „Zum einen ist das NS-Regime in seinem verbrecherischen Charakter so viel monströser als die SED-Herrschaft. Zum anderen sehen wir die rasche Integration der NS-Eliten nach 1945 heute als die größte Schwäche der Bonner Republik an.“ Und daher nicht als nachahmenswert für den Umgang mit dem SED-Erbe.
Laut Platzeck ist seit 1990 zwar eine bessere Aufarbeitungsleistung gelungen als nach 1945 – „eine vergleichbare Integrationsleistung bis heute jedoch nicht“. Ähnlich sieht das Sabrow. „Pointiert kann man sagen: Nach 1945 gab es eine Versöhnung ohne Wahrheit, also die mit einem Schweigekonsens verbundene Integration der NS-Eliten.“ Die Auseinandersetzung mit der ostdeutschen Vergangenheit drohe dagegen in eine „Suche nach der Wahrheit ohne Versöhnung umzuschlagen, wenn sie nicht historische Aufarbeitung mit politischer Integration verbindet“. (Von Torsten Gellner)