Bessarabiendeutscher Verein e.V.

Neuerscheinungen

Ute Schmidt, Bessarabien. Deutsche Kolonisten am Schwarzen Meer, (Potsdamer Bibliothek Östliches Europa. Geschichte), Deutsches Kulturforum Östliches Europa, Potsdam 2008,
420 S.

siehe auch: http://library.ndsu.edu/grhc/research/scholarly/book_reviews/meer.html


Dieses Buch hat die besten Voraussetzungen dafür, das Standardwerk über die Bessarabiendeutschen zu werden. Es ist flott und gut verständlich geschrieben, bietet einen umfassenden Überblick über alle möglichen Aspekte der Geschichte und Gegenwart Bessarabiens und zeigt so, in welchem Rahmen sich die Ansiedlung ab 1814 und die weitere Entwicklung der Bessarabiendeutschen bis zur Umsiedlung 1940 abgespielt hat. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen jedoch die Bessarabiendeutschen, deren weiteres Schicksal in der Zeit nach 1940 bis zur Gegenwart kurz nachgezeichnet wird. Hervorzuheben ist, dass viele gut ausgewählte Bilder, Farbtafeln, Graphiken und Karten den Text begleiten und unterstreichen. Zu bestimmten Stichworten - etwa "Alexander Puschkin in Bessarabien" (S.53), "Salzgewinnung am Schwarzen Meer" (S. 193) oder "Der Aufstand von Tatar Bunar 1924" (S. 296 f.) - sind zusätzliche Informationen eingestreut.

In ihrem ersten, 2003 erschienenen Buch "Die Deutschen aus Bessarabien. Eine Minderheit aus Südosteuropa (1814 bis heute)", beschäftigte sich Ute Schmidt neben einem Überblick über die Geschichte vor allem mit den besonderen Prägungen, die sich bei den heute lebenden verschiedenen Generationen von aus Bessarabien Stammenden nachweisen lassen. Dazu hatte sie eine große Zahl von Interviews geführt, aus denen sie bestimmte gemeinsame Grundeinstellungen ableiten konnte, bis selbst in die dritte Generation hinein.

In ihrem neuen Buch konnte Schmidt auf diesen Untersuchungen aufbauen. So steht an dessen Beginn ein Kapitel "Kolonisten - Umsiedler - Flüchtlinge" (S.9 - 20), in dem sie deren Ergebnisse kurz zusammenfasst. Sie spricht dabei von dem "kulturellen Kapital", das die Bessarabiendeutschen nach Umsiedlung und Flucht nach Deutschland mitgebracht haben: Pioniergeist, Protestantische Ethik, Selbstverantwortung und Gemeinsinn, Nachbarschaftshilfe und Solidarität mit den Schwächeren, Bildungs- und Innovationsbereitschaft und die Bereitschaft zum Zusammenleben mit anderen Nationalitäten - das sind die Hauptstichworte, mit denen sie dieses "kulturelle Kapital" umschreibt (das hat Bundespräsident Köhler in seiner Ansprache beim Bundestreffen 2008 aufgegriffen). Es ist das besondere Verdienst dieses Buches, dass diese Grundeinstellungen immer wieder erwähnt und in ihrer Entstehung überzeugend begründet werden.

Im Kapitel "Zweistromland am Schwarzen Meer" (S. 37 - 54) geht die Verfasserin auf die Geschichte Bessarabiens seit dem Altertum ein, um anschließend die "Russische Kolonisationspolitik im Schwarzmeergebiet zu Beginn des 19. Jahrhunderts" (S. 55 - 64) einschließlich der dafür bedeutsamen familiären Verflechtungen zwischen den Herrscherhäusern Russlands und Württembergs zu skizzieren.

Erst nach dieser Vorbereitung wendet sich Schmidt der "Einwanderung deutscher Kolonisten nach Bessarabien" (S. 65 - 84) und dem Thema "Ansiedlung und Siedlungsbedingungen in Bessarabien" (S. 85 - 100) zu. Hier erfährt man das Notwendige über die verschiedenen Gruppen der Ansiedler: die "Warschauer Kolonisten", die Auswanderer aus Württemberg, die Anhänger des Erweckungspredigers Ignaz Lindl,  die katholischen und schweizerisch-reformierten Kolonisten und schließlich die Siedler in Nordbessarabien, aber auch über den Ablauf der Gründungsphase und über die Namen der Siedlungen.

Im Kapitel "Sonderverwaltung und lokale Autonomie" (S. 101 - 114) werden die Voraussetzungen geschildert, die von staatlicher Seite zur Herausbildung eines "Kolonistengeistes" geführt haben: Das "Fürsorgekomitee" in Odessa führte die Oberaufsicht über die Kolonien, mit denen es in deutscher Sprache verkehrte, ließ aber erheblichen Spielraum für eine demokratische Selbstverwaltung. Das folgende Kapitel "Religion und kirchliches Leben" (S. 115 - 140) schildert die religiösen Voraussetzungen desselben Vorgangs, einschließlich innerer Streitigkeiten, die aber schließlich überwunden werden konnten. "Das deutsche Schulwesen in Bessarabien" (S. 145 - 166) zeigt auf, wie wichtig in einem Land, dessen Bevölkerung sonst weitgehend aus Analphabeten bestand, der Aufbau eines eigenständigen (Kirchen-)Schulwesens war und welche Bedeutung die eigene Lehrerbildungsanstalt "Werner-Schule"in Sarata und die Gymnasien in Tarutino für die weitere Entwicklung hatten.

Nach diesen grundlegenden Kapiteln wendet sich das Buch dem  Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft zu: "Landwirtschaft, Viehzucht, Weinbau" (S. 167 - 184) und "Handwerk, Industrie, Handel, Infrastruktur" (S. 185 - 204) informieren über die Entwicklung auf diesen wichtigen Gebieten. - "Leben im Dorf" (S. 205 - 226) und "Brauchtum und Kultur" (S. 227 - 246) zeigen auf, welche Dorfanlagen und Hoftypen in Bessarabien zu finden waren, welche Arbeitsschwerpunkte es im Jahreslauf gab, wie die Familienstrukturen aussahen und wie es um die Gesundheit der Deutschen bestellt war. Ebenso wird auf Kleidung und Tracht, Kirchliche Feste und Feiern, auf die Unterscheidung von "Schwaben" und "Kaschuben", auf Volksbräuche, Nachbarschaftshilfe, Vereinswesen, Presse, Kultur und die Anfänge einer Freizeitkultur am Schwarzen Meer eingegangen. - Unter "Bevölkerungsentwicklung und beruflich-soziale Gliederung der Deutschen in Bessarabien" (S. 247 - 256) erfährt man Wichtiges über die Gründung von Tochterkolonien, über Aus- und Weiterwanderungen und über die Entwicklung der beruflichen Gliederung. "Die Deutschen im multiethnischen Bessarabien" (S. 257 - 276) zeigt, wie vielfältig die nachbarschaftlichen Beziehungen zu den anderen Nationalitäten in Bessarabien waren.

Die vier Schlusskapitel zeichnen die geschichtliche Entwicklung seit 1871 nach: "Von der Aufhebung der Sonderverwaltung 1871 bis zur Februarrevolution 1917" (S. 277 - 288), "Bessarabien unter rumänischer Herrschaft 1918 bis 1940" (S. 289 - 308), "Umsiedlung, Flucht und Integration im Nachkriegsdeutschland" (S. 309 - 348). Bemerkenswert ist, dass Ute Schmidt mit "Bessarabien nach 1940 bis heute: Impressionen aus einem geteilten Land" (S. 349 - 379) den Versuch wagt, trotz lückenhafter Unterlagen auch die Entwicklung in Bessarabien nach der Umsiedlung der Bessarabiendeutschen darzustellen. Damit macht sie deutlich, dass die Geschichte weder bei den Bessarabiendeutschen noch bei den heutigen Bewohnern des Landes stehen geblieben ist.

Im Anhang finden sich eine Liste "Lehnwörter in der Umganssprache der Deutschen in Bessarabien"  (S.381 - 385), die auf ihre Weise die Verflechtung mit den benachbarten Völkerschaften  beweist, eine "Zeittafel" (S. 386 - 395), ein "Quellen- und Literaturverzeichnis" (S. 396 - 403), ein "Personenverzeichnis" (S. 404 - 410), ein "Ortsverzeichnis mit Konkordanz" (S. 411 - 416), ein "Abbildungsnachweis" (S. 417) und ein "Tabellenverzeichnis" (S. 418), die das Buch leicht benutzbar machen. Eine Notiz "Über die Autorin" beschließt S. 419 das Buch.

Fragt man nach der Botschaft dieses Buches, so könnte man sie so zusammenfassen: Wir sind 1945 zwar mit leeren Händen nach Deutschland gekommen, aber wir brachten doch Wichtiges mit: ein  "kulturelles Kapital", das uns befähigte, uns schnell zu integrieren und wichtige Beiträge zur Gestaltung des Lebens im Nachkriegsdeutschland zu leisten. Wir brauchen uns nicht zu verstecken, sondern können uns weiter fragen, wie wir dieses "kulturelle Kapital" auch heute aktivieren können. Ute Schmidt gebührt großer Dank dafür, diese Botschaft einleuchtend vorgetragen zu haben.

Es mindert das Gesamturteil in keiner Weise, dass abschließend einige Wünsche für eine - hoffentlich bald nötig werdende - zweite Auflage genannt werden: Die Bildunterschriften könnten gelegentlich noch etwas präziser formuliert werden. Auch sonst finden sich in dem im übrigen von Druckfehlern fast freien Buch gelegentlich Unschärfen und Versehen; es wird kein Zufall sein, dass dies besonders im Themenbereich Religion auftritt - in diesen Bereich musste sich die Verfasserin erst einarbeiten. Das lässt sich bei einer Neuauflage leicht verbessern.

Dem Deutschen Kulturforum Östliches Europa in Potsdam ist sehr für die Aufnahme dieses Buches in seine "Potsdamer Bibliothek Östliches Europa. Geschichte" zu danken, ebenso dem Kulturbeauftragten der Bundesregierung für die finanzielle Förderung, die einen erschwinglichen Preis ermöglicht. Dieses Buch wird seinen Weg in die Öffentlichen Bibliotheken machen und so dazu beitragen, dass Bessarabien und die Bessarabiendeutschen stärker ins allgemeine Bewusstsein treten. Es sollte auch unter uns in keiner Familie fehlen.
                                                                                                                                               Arnulf Baumann


 

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