In diesem Monat, präzise am
25. Mai, sind es genau 300 Jahre her, daß der damalige Abt von Corvey,
Christoph von Bellinghausen, an den Hängen des Räuschenberges eine
Weinpflanzung anlegte. Christophs Nachfolger, Abt Florenz von dem Velde,
hat uns über diese Unternehmung einen genauen Bericht hinterlassen, der
uns mit seinen vielen Einzelheiten erschöpfende Auskunft gibt; er soll
hier im Wortlaut folgen.
Beschreibung, wie und was gestalt weiland Ihre
hochfürstl. Gnaden Abt Christoph an dem Reuschenberg einen Weinberg angelegt, und wie und aus
was Ursachen solcher nachgehends abgeschaffet.
Anno 1680, den 25. Mai, fingen Ihre
hochfürstl. Gnaden H. Abt Christoph mit großem Eifer, Sorge und Mühe an
dem Fuß des sogenannten Reuschenberges einen Weinberg auf Anlaß und
Zureden eines aus der Wetterau bürtigen Weingärtners, Johann Rupen
genannt, zu bauen an, also daß in solchem ersten Jahr ohngefähr vier
Morgen mit Weinreben bepflanzet wurden, und wie selbige als neu
umgebrochene Länderei nicht allein in diesem Jahr ohngefähr 5 bis 6 Ohm
(1 Ohm = ca. 150 Liter) ziemlich guten Wein, hervorbrachte, sondern auch
daselbsten andere Gartengewächse als Kohl, Salat und Rüben /: deren eine
14 Pfund gewogen /: in sonderlicher und extraordinärer Güte wuchsen,
auch die alda gepflanzte Birn- und Apfelbäume überaus fruchtbar waren,
da wurden Se. hochfürstl. Gnaden in ihrem Eifer und Lust gestärket
dergestalt, daß sie sothanen Weinberg in denen folgenden 4 oder 5 Jahren
bis auf 18 Morgen extendierten. Sie bauten auch daselbst verschiedene
Gebäude, als Erstlich, oben am Berge ein kleines
Lusthaus, welches in einem oberen und einem unteren Zimmer nebst einem in
den Felsen ausgehauenen Keller bestunde, in solchen taten sich ihre
hochfürstl. Gnaden nicht allein mit denen häufig ankommenden Fremden
öfters belustigen, sondern sie blieben daselbst auch sowohl Tages als
Nachts nebst einem einzigen Lakaien, sonderlich zur Zeit wenn
die Weinreben blühen.
2tens. Wurde unten am Berg ein stattlich
Haus gebaut, welches nicht allein zum Keltern, sondern auch zum Wohn- und
Wirtshaus für den Weingärtner /: welcher daselbst mit Weib und Kindern
wohnte und Wein, Bier und Branntwein verzapfte /: gewidmet wurde 1).
3tens. Bauten Se. hochfürstl. Gnaden
mitten am Weinberg zu Ehren des heil. Josephi eine schöne und kostbare
Capelle, und endlich
4tens. Ein herrliches weitläufiges
Wohnhaus oben am mehrbesagten Berge, welches mit Küche, Kellern, vielen
Zimmern und einem überaus großen Saal wie auch einer Hofcapelle versehen
war. Zu diesem Gebäude wurde viel schönes Eichen-Bauholz, welches der
Herr Graf zur Lippe dem Stift zur Erbauung einer Scheuer und Schafstalls
zu Fürstenau verehret hatte, verbraucht und über den Berg dahin
gebracht.
Die Weinbergsarbeit wurde bei diesem Bau
immittels nicht versäumet, sondern mit großem Eifer fortgesetzet, so gar
daß auch viele Privatleute aus Lüchtringen und Albaxen, wie imgleichen
verschiedene Bediente /: welche doch dadurch mehr ihrem Herrn zu gefallen
als ihren Nutzen suchten :/ daselbst Weingärten anlegten und solche
vermittels großer Pergamenen Briefe und darin erteilter Privilegien
recognoscierten: Da dann einsmal des Stifts Weinberg über 30 Ohm Weins
eintrug, und obzwar dieser bei weitem so gut nicht als die ersten 6 Ohm
war, machte man sich jedennoch die gesicherte Hoffnung, es würde sich in
folgenden Jahren der Wein wiederum bessern. Aber es erfolgte das
Gegenspiel, maßen der Wein von Jahren zu Jahren schlechter und in
geringerer Quantität wachsen täte.
Wie nun der Weingärtner 1: so durch seine
Schwätzerei zu diesem kostbaren und weitläufigen Weinberg Anlaß gegeben
:/vermerkte, suchte derselbe unter allerhand Praetexten sich seiner
Diensten los zu machen und wieder nach der Wetterau zu reisen, verkaufte
auch sein in Huxar an sich gebrachtes Haus, machte über 1000 Taler an
Geld, und zog hinweg.
An dessen Stelle nun wurde dessen Gesell,
Hans Jürgen Rohden aus Lüchtringen, Anno 1692 angenommen, und ihm der
ganze Weinberg zu verarbeiten eingetan, also daß ihm dagegen jährlich,
wie der vorige auch einige Jahre bekommen, 300 Taler, teils an Geld, teils
an Korn, Bier und Diensten, nebst freier Wohnung, Brennholz und Anderem,
gereichen wurde. Die guten Jahre blieben inmittels aus, und obzwar etwas
weniges nun und dann an Wein gepresset wurde, so war derselbe jedoch sehr
unangenehm und wegen des kalkige Grundes sehr ungesund zu trinken. Daher
dem guten Herrn auch der erste Eifer und Lust mit der Zeit verging, und
als er solches vermerkte, stellte er das Gebäude des großen Hauses ein,
ließ es selbst ohnerachtet es schon aufgerichtet und das Dach guten Teils
fertig war, es auch bereits über 1000 Taler gekostet hatte, ganz
abbrechen, und das Holz teils nach Fürstenau, teils nach Ovenhausen zu
dasigem Scheuernbau bringen. Wie wohl die verspürte Untauglichkeit des
Orts nicht alleine die Ursache dieses Abbrechens war, sondern den Herrn
auch dazu viel anreizete, daß verschiedene davon, als wenn er daselbst
seine Residenz bauen wollte, und solches ohne merklichen Schaden des
Stifts nicht zugehen könnte, reden täten, es auch ohnedem daselbst an
zwei zur Wohnung höchst nötigen Sachen, nämlich an Brennholz und
Wasser, gebrechen wollte.
Die Privati ließen auch bei so gestalten
Sachen ihre angelegten Weinberge einer nach dem anderen liegen und wüst
werden.
Als nun Ihre hochfürstl. Gnaden im Jahr
1696 den 12. Mai dieses Zeitliche verließen, wurde zwar mit Kultivierung
des Weinbergs dasselbige und im folgenden 1697. Jahr continuiert, dem
Weingärtner auch das Salarium der 300 Taler gereichet, es brachte aber
derselbe nicht die geringste Nutzbarkeit, maßen nicht allein in diesen
zweien, sondern auch 4 oder 5 vorhergehenden Jahren, obzwar am Rhein und
Moselstrom der Wein ziemlich geraten, nicht eine einzige Maß, außer
einsmal etwa eine halbe ganz unbrauchbare Ohm davon einkommen.
Derowegen fing man Anno 1698, das Werk
reiflich zu überlegen, und die Gedanken zu machen, einen Teil des
Weinbergs liegen zu lassen, und zum Kornacker zu gebrauchen, wozu der
dritte Teil, ungefähr 6 Morgen, abgemessen, wie dann auch dem
Weingärtner das Salarium nach Proportion gekürzet wurde.
Als aber im folgenden Jahr eben wenig
Weinwachs erfolgete, wurde abereins so viel davon genommen, daß nur in
allem 6 Morgen verblieben, gestalten dann auch mit dem Weingärtner ein
neuer Contract getroffen wurde, daß er gemeldete 6 Morgen auf seine
Kosten bauen und behacken, und dagegen kein weiteres Salarium als 4
Handdienste, jede zu 24 Tage, für 2 Kühe freie Weide und sonsten etwas
wenigen Korns, nebst der freien Wohnung, Bier und Branntwein Brauen und
Verzapfen, auch nötiges Brennholz zu genießen haben, und den Weinwachs
mit dem Stift zur Halbscheid teilen sollte.
Wie aber auch dies Jahr nichts geraten und
nur etwa ein halb Ohm untüchtigen Weins davon einkommen, ist nach reifer
Beratschlagung das ganze Werk abgeschaffet, und dasjenige Land, so davon
zum Ackerbau tüchtig, denen Leuten für die Landheuer, so jetzo wohl 30
Taler jährlich emportiert, ausgetan.
Nun stunde man lang in Bedanken, was man
mit denen Gebäuden tun sollte, maßen es zu bedauern schiene, das so
kostbarlich erbaute Haus abzubrechen. Wie man aber weitläufig und
reiflich darüber deliberieret, wurde beschlossen, daß sowohl dieses als
obengenanntes kleines Lusthaus abgeschaffet werden sollte, wie auch aus
vielen Ursachen geschehen, denn:
1. War das Haus nicht fest, sondern
schwach von Holz, und mit einem schweren Dach gebauet, welches zu erhalten viel gekostet
haben würde.
2. Gab solches vielen jungen Leuten Anlaß,
aus der Stadt und vom Stift auf Sonn- und Feiertagen, auch wohl andern
Tagen, sich daselbst mit Spielleuten p.lustig zu machen. 3. Hielten sich
da zuweilen unbekannte und verdächtige Leute einige Tage auf. 4. Des
Wirts Vieh, Ochsen, Kühe und Schweine, taten dem Stift viel Schaden,
mußten alle von dessen Länderei leben. 5. An Brenn- und Bauholz ging
viel darauf, daß der Reuscheberg, wie noch zu sehen, dünn und kahl
darüber worden, anderer Ursachen zu geschweigen.
Hat also der so berühmte Weinberg,
nachdem er kaum 20 Jahre gebaut worden, ein kurzes Ende genommen. Er hat
nebst seinen Gebäuden und steinernen Treppen, wenn die großen Salaria
vom Anfang bis zum Ende mitgerechnet werden, der großen Consumption, so
wegen großen Anlauf der Fremden allda geschehen, zu geschweigen, dem
Stift wohl 15 bis 16000 Taler, wiewohl einige noch ein mehreres vermeinen,
gekostet.
Die S. Josephi Capelle ist stehen
geblieben und wegen der Andacht, so in festo S. Josephi und das Jahr durch
daselbst geschieht, mehr gebessert und ausgeziert, wiewohl zu besorgen,
daß sie wegen der großen Risse, so man darin verspüret, nicht lange
stehen werde.
Dieses hat man gut befunden, etwas
weitläufiger der Posterität zur Nachricht zu beschreiben, damit man
wissen möge, wie das Werk seinen Anfang genommen und warum es seinen
Untergang gehabt, man sich auch inskünftig hüten möge, dergleichen
wiederum anzufangen.
Non omnis fert omnia tellus.
In dem Bericht klingt nur leise an, daß
Abt Christoph wegen dieser überaus kostspieligen Unternehmung erhebliche
Differenzen mit seinem Konvent hatte. Einsichtige Mönche mögen wohl von
Anfang an erkannt haben, daß es damit auf die Dauer nicht gutgehen
konnte. Die für damalige Verhältnisse enormen finanziellen Aufwendungen hielten
sie für reine Verschwendung, und so ist ihre starke Opposition durchaus
verständlich.
Mit dem Weinbau könnte zusammenhängen,
daß zwei Corveyer Mönche, der Oberkellner und der Küchenmeister, nach
Entlassung aus ihren Ämtern am 22. Februar 1680 aus dem Kloster flohen.
Da diesen beiden die Güterverwaltung der Abtei unterstand, dürfte ihre
Flucht die Reaktion auf die geplante Unternehmung des Abtes sein. Die
Flucht erfolgte zwar kurz vor dem Beginn des Weinbaus, man darf aber
sicher annehmen, daß die Absichten des Abtes schon vorher bekannt waren
und im Konvent erörtert wurden. Die beiden Flüchtlinge waren vielleicht
die Anführer der Opposition gegen den Abt. Wohl in der Meinung, der Abt
wolle sie durch die Entsetzung von ihren Ämtern als lästige Mahner
ausschalten, griffen sie zu dem ungewöhnlichen Mittel, das Kloster
heimlich zu verlassen.
Nach einer Chronik des Klosters Grafschaft
im Sauerland soll dessen Abt Emmerich Quincken, als er auf Anordnung der
Bursfelder Kongregation das Kloster Corvey visitierte, den Weinberg
gewaltsam zerstört haben mit Hilfe von in Höxter stationierten Soldaten.
Davon sagt der oben abgedruckte Bericht nichts. Die Chronik übertreibt
stark, denn nach dem Wortlaut des von Abt Emmerich am 8. Dezember 1690 mit
unterschriebenen Visitationsberichtes wurde lediglich angeordnet, das
Weinbergshaus (domus Vinetaria) abzureißen und den Weinberg nicht weiter
auszudehnen. Wie der oben abgedruckte Bericht beweist, hat sich Abt
Christoph an die Visitationsbeschlüsse gehalten, indem er den großen,
noch unvollendeten Neubau im Reuschenberg abreißen ließ.
Geradezu fürstlich war die Entlohnung des
Weingärtners mit 300 Talern jährlich. Uns ist zufällig ein
Kammerregister aus dem Jahr 1679/80 erhalten geblieben, also gerade aus
der Zeit des Weinbaubeginns. Damals bekam der höchste weltliche Beamte
der Fürstabtei, der Kanzler Joh. Wilh. Brüning, ein Jahresgehalt von 200
Talern, zusätzlich an Naturalien zwei Scheffel Leinsaat und Futter für
zwei Pferde. Der Weingärtner wurde also um die Hälfte höher bezahlt als der Kanzler.
Außerdem hatte er ja noch Einkünfte in unbekannter Höhe aus dem Verkauf
von Wein, Bier und Branntwein in seiner Wirtschaft.
Ein „Kurzer Anschlag wegen der Bedienten
... de Anno 1691" beziffert das Gehalt des Weingärtners auf 278
Taler 17 Groschen, davon 150 Taler in bar. Der Kanzler bezog in diesem
Jahr 345 Taler. Zum Vergleich sei bemerkt, daß Handwerker zwischen 20 und
40 Taler jährlich erhielten, Kutscher und Knechte 12 bis 16 Taler, Mägde
5 Taler (diese alle natürlich bei freier Station). Der Corveyer Arzt, der
allerdings den größeren teil seines Einkommens mit seiner freien Praxis
verdienen mußte, bekam von Corvey 49 Taler 8 Groschen. Man sieht daraus,
daß die Bezahlung des Weingärtners unverhältnismäßig hoch war; Abt
Christoph ließ sich seine Liebhaberei eine Menge Geld kosten.
Aus dem Häuserverzeichnis vom Jahr 1690,
welches im Kirchenbuch der S. NikolaiGemeinde aufgezeichnet ist, ersehen
wir, daß dem Weingärtner Johann Rode das große Eckhaus an der Grove (=
Grube) und Nikolaistraße gehörte. Später war darin die Corveyer
Apotheke. Es war damals wohl eines der stattlichsten Häuser in Höxter;
auch daran kann man sehen, wie hoch der Weingärtner verdiente, wenn er
sich nach einigen Jahren seiner Tätigkeit ein solches Anwesen kaufen
konnte. (Hier muß übrigens eine Namensverwechslung vorliegen, da der
Lüchtringer Hans Jürgen Rohde erst 1692 Nachfolger des Johann Rupen als
Weingärtner wurde laut oben abgedrucktem Bericht.)
Der Weinbau am Reuschenberg hat einige
Jahrhunderte früher bereits einen Vorläufer am Bielenberg gehabt.
Näheres darüber wissen wir freilich nicht. Nach einer undatierten
Urkunde hat Abt Widukind (1189-1205) zu seinem und seiner Eltern
Seelenheil den Corveyer Mönchen den von ihm angelegten Weinberg am
Bielenberg geschenkt. Er behielt sich für die Zeit seines Lebens die
Lieferung von sechs Fuder Wein bevor. Erst nach seinem Tode sollte die
Schenkung voll eintreten, der Zehnte von dem Weinberg soll an die Pforte
und das Hospital gezahlt werden (Pförtner und Krankenhaus besaßen damals
eigenes Vermögen). Schwierigkeit bereitet
die Angabe der sechs Fuder (plaustratae); würde es sich um Fuder als
spezielle Maßeinheit handeln, so müßte der Weinberg riesig groß
gewesen sein, denn ein Fuder faßte mindestens 900 Liter.
Von einem Weinberg am Bielenberg erfahren
wir noch im Jahr 1645. Als damals Abt Arnold den Bielenberg an die Herren
von Stockhausen verlehnte, behielt er dem Kloster ausdrücklich den
Weinberg vor. Wir haben ihn uns wohl nur als einen kleinen Weingarten
vorzustellen, oder sollte hier noch die Erinnerung an den früheren
Weinbau lebendig geblieben sein und sich als Flurname erhalten haben?
Daß überhaupt in hiesiger Gegend Weinbau
betrieben wurde, war nicht so abwegig, wie uns das heute erscheint. Es
gibt aus früheren Jahrhunderten viele Nachrichten über Weinbau in
nördlichen Gegenden, so etwa bei Stolzenau an der Weser, im
Braunschweigischen südlich des Elm, oder am Kyffhäuser in Thüringen, wo
die Zisterzienser aus Walkenried Weinbau betrieben. Es wäre lohnend,
einmal der Frage nachzugehen, wo überall noch der Flurname „Weinberg"
bekannt oder lebendig ist.
Der Hauptanreiz für Weinbau in
Norddeutschland dürfte wohl der Wunsch gewesen sein, die enorm hohen
Transportkosten zu vermeiden, die durch wochenlange Fahrten mit
Pferdefuhrwerk zwangsläufig entstanden. Daß der Wein nicht die Qualität
der klassischen Anbaugebiete erreichte, damit mußte man sich allerdings
abfinden.
Als einzig sichtbare Erinnerung an den
Weinbau am Reuschenberg ist die dem hl. Joseph geweihte Weinbergskapelle
erhalten geblieben. Sie wurde laut Inschriften 1689/90 errichtet,
schriftliche Quellen über Bau, Weihe etc. fehlen. Die Kapelle ist ein
schlank aufstrebender, achteckiger Zentralbau mit welscher Haube und einer
Laterne als oberem Abschluß. Durch ihre Einfügung in den Steilhang
reicht sie auf der Ostseite viel tiefer herab als auf der bergseitigen
Eingangsseite.
Dechant Hillebrand berichtet in einer im
Dechanei-Archiv aufbewahrten Handschrift: „ Anno 1703 im Januar haben
Ihro hochfürstl. Gnaden mir als Decano et Pastori Catholicorum die
Capelle S. Josephi am Weinberg mit Übergebung der Schlüssel
anvertrauet". Seit diesem Jahr fand am Fest Mariä Heimsuchung (2.
Juli) von St. Nicolai aus eine Prozession statt, bei der man für eine
gute Ernte betete und um Abwendung allen Übels. Die Prozession hat bis in
die Jahre nach 1960 ihren Bestand gehabt.
Heute bietet die Kapelle das traurigste
Beispiel eines modernen Vandalismus, vor dem nichts sicher und dem nichts
heilig ist. Wer weiß, welche Hausbars die Inneneinrichtung heute „ziert".
Da nicht nur die Tür gewaltsam geöffnet wurde, sondern auch Wappen und
Inschrift darüber ausgebrochen wurden, ebenso das Mauerwerk unter einem der
Fenster zerstört ist, hat die Kapelle schweren Schaden an der Bausubstanz
gelitten. Wenn dann noch Feuchtigkeit eindringt, kann es nur eine Frage
der Zeit sein, wann der Bau einstürzt. Alle Bemühungen um Erhaltung der
Kapelle sind bei der einsamen Lage zwecklos, da mit Sicherheit weitere
Beschädigungen erfolgen.
Der natürliche Verfall im Lauf von fast
dreihundert Jahren hat den Bau kaum berührt, sein beklagenswerter Zustand
ist ausschließlich das Werk gewissenloser Kirchenschänder. So steht die
Kapelle heute da als Dokument einer Zerstörungswut, die wenig zu unserer
angeblich so humanen und zivilisierten Welt passen will.
Dr. Brüning
ZUM
INHALTSVERZEICHNIS