SportLabor - TextTerminal
[White Kids can jump: Streetball]

Der folgende Text ein Auszug aus Generation X - Jugendforschung für eine immer schneller werdende Kultur (Erstveröffentlichung in: in: "Z" Zeitschrift für Kultur und Geisteswissenschaften, Nr. 12, Sommer 1996, S. 3-15). Dieser Artikel ist ein Gemeinschaftsprodukt von SPoKK, Textbeiträge lieferten Christoph Bieber, Nikola Duric, Eike Hebecker, Erik Meyer, Jörg Schlicker, Kai-Steffen Schwarz und SteffenWenzel.

Die einzelnen Kapitel sind in jeweils zuständigen Laboren veröffentlicht und können über den Navigator am Ende des Textes eingesehen werden.


SPoKK
White Kids can jump: Streetball

Während eine mangelnde Mobilsierungsfähigkeit von Jugendlichen für kollektive Ziele beklagt wird, erobern diese die Straßen und öffentlichen Plätze für ihre Zwecke. Ähnlich wie bei politischen Demonstrationen handelt es sich dabei um punktuelle Interventionen im urbanen Raum, die zur Präsentation eines abweichenden Verhaltens genutzt werden. Dies zeigen nicht nur die street parades der Techno-Szene, sondern auch Sportarten wie "streetball". Beide Phänomene verbindet ein körperliches Engagement jenseits traditioneller Beteiligungsformen, das zudem nicht von etablierten Organisationen repräsentiert wird. Der Mangel an organisatorischen Ressourcen wird häufig durch die Kooperation mit kommerziellen Trägern kompensiert, deren Einsatz vom Sponsoring bis zur Ausrichtung entsprechender Veranstaltungen reicht. Dementsprechend wird Streetball, das Basketballspiel der Straße, oft als reine Erfindung der Sportartikelfirma adidas angesehen, die sich zwar die Rechte an dem Namen "Streetball" gesichert hat, nicht aber alleinverantwortlich den derzeitigen Boom initiierte.

Die Verbindung zwischen Jugendkultur und Kommerz ist seit langem ein zentraler Gegenstand der Jugendkulturforschung. Meist wird den kommerziellen Anbietern eine direkte Manipulation von Jugendlichen vorgeworfen, da sie diese in einer schutzlosen pubertären Phase der Selbstfindung für ihre hedonistisch-egozentrische Kommerzkultur rekrutieren würden. Die beschriebene Beziehung führte verbreitet zu dem Schluß, daß man sich von dem für Authentizität und Konsumkritik stehenden Subkulturbegriff verabschiedete, da heutige Jugendkulturen dem normativen Modell einer gesellschaftlichen und politischen subversiven Gegenkultur nicht genügen. Damit wird natürlich dieser Form von Jugendkultur eine mögliche Form des Protestes genommen, nämlich sich "bewußt" von dem alten Modell von Jugendkultur als Gegenkultur zu verabschieden, indem man die "Feinde" des alten Modells zu seinen Verbündeten macht. Im Gegensatz zur bisherigen Deutung ist zu vermuten, daß Genese und kommerzielle Verbreitung von Jugend- und Subkultur nicht mehr in einem hierarchischen, mehrstufigen Zyklus von Entstehung, Vereinnahmung , Manipulation und Ende eines Stils miteinander verbunden sind, sondern daß durch die rasend schnelle Ausbreitung und sofortige Ausdifferenzierung von Stilen gerade eine Koexistenz von Subversion und Kommerzialisierung verursacht wird.

Die Verbindung von Kommerz und Kultur ist jedoch kein alleiniges Phänomen der heutigen Jugend. Vielmehr wären auch etliche Formen der Hochkultur sonst kaum finanzierbar. Zudem entstehen die Stilsegmente und Rituale immer in der Jugendkultur selbst und können höchstens von den kommerziellen Anbietern aufgegriffen werden. adidas hat demnach Streetball nicht neu erfunden, sondern zur richtigen Zeit den anstehenden Boom erkannt und ihn auch forciert. Dabei machte sich die Firma den Mythos der US-amerikanischen Ghettokultur zunutze. Die eigentlichen Wurzeln des Streetballs liegen in den "backcourts" der US-Metropolen. Die Hinterhofszenen mit Basketball spielenden schwarzen Kids metaphorisieren den "schwarzen" amerikanischen Traum, der realistische Aufstiegschancen für Farbige auf das Sportsystem reduziert. Durch die Ghettoisierung und Stigmatisierung von Afroamerikanern werden dem Spiel Attribute zugewiesen, die Streetball zu einer eigenen Lebensphilosophie für die Jugendlichen werden lassen. Diese Lebensphilosophie symbolisiert eine Identifikation mit spezifischen Wertmustern, die demselben Kulturkreis zuzuordnen sind wie Rap, Grafiti und Breakdance, wobei das Spiel nicht nur Mittelpunkt und Freizeitvergnügen, sondern auch zentrales Stilmittel dieser Jugendkultur ist.

Auch die Sprache, der sich die Streetball-Spieler bedienen, ist der amerikanischen Ghettosprache entnommen und mit normalem Schulenglisch kaum zu verstehen. Gerade am inflationären Gebrauch dieser Sprachpartikel läßt sich der Generationskonflikt mit der Elterngeneration verdeutlichen. Für die kritischen Beobachter der Streetball-Courts ist diese Sprache nicht mehr, als ein Abgrenzungsmechanismus zu anderen Jugendkulturen, ein Identitätsspender. Deswegen wird den Jugendlichen vorgeworfen, nicht nur die amerikanische Sprache, sondern auch die Lebensweise, den übertriebenen Starkult und deren weltpolitische Arroganz kopieren zu wollen und zu verherrlichen: "[...] die Nachahmung des amerikanischen Lebensstils ist zeitgeschichtlich verständlich. Sie ist Ausdruck und Bestätigung der westlich-demokratischen Kultur, deren Inbegriff die USA sind, über die gescheiterten kommunistischen Systeme im Ostblock."[13] Ob Streetball-Spielerinnen und -Spieler wirklich unkritisch politische Verhältnisse adaptieren, ist durch die beschriebene Imitation amerikanischer Lebensweisen nicht nachzuweisen. Von Bedeutung ist es, daß Sprache als Stilmittel zur Provokation eingesetzt wird und damit als Protest gegen einen latenten Antiamerikanismus der Elterngeneration verstanden werden kann.[14]

Die bisher aufgezeigten Erklärungen, warum gerade dieses Spiel einen solchen Anklang bei Jugendlichen findet, implizieren gleichzeitig die derzeitige Krise der deutschen Jugendforschung: Ohne sich das eigentliche Spiel näher anzuschauen, die jugendlichen Akteure zu beobachten, respektive das Phänomen zu beschreiben, wird auch die Organisationsform marginalisiert, die es schafft, die Quantität der Teilnehmer in eine Qualität des Erlebnisses für die Jugendlichen zu transformieren. Als ein Exponent der modisch-modernen Bewegungskultur funktioniert Streetball nicht regulativ, sondern nach "Lust und Laune" und läßt sich demnach nicht in herkömmlicher Weise vereinnahmen. Ausdruck findet dies in den unterschiedlichen Organisationsformen des klassischen Basketballspiels (Verein) und des Streetballspiels (Event). Beim Streetball spielen drei gegen drei Spieler auf einen Korb, ohne Schiedsrichter, nur mit einem sogenannten Courtbeobachter. Dieser ist für besonders strittige Fälle und für das Zählen des Spielstandes verantwortlich. Die Spieler werden dazu angehalten Entscheidungen, selbst zu treffen und Fouls von alleine anzuzeigen. Meist funktioniert das ohne große Probleme, da der Spielspaß durch überflüssige Diskussionen verloren gehen würde. Das relativ reibungslose Funktionieren dieser Methode liegt zusätzlich auch darin begründet, daß durch das Fehlen einer oberen Instanz die Spieler dieser auch nicht willenlos ausgeliefert sind. Dies erfordert zugleich das Vorhandensein eines Moralkodexes, der die Jugendlichen in dem Spiel leitet: Da man nicht selbst unfair behandelt werden will, sollte man es auch vermeiden, seine Gegenspieler auf diese Art und Weise zu behandeln. Fairneß bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die zulässige Aggressivität im Spiel von den Spielern selbst geregelt wird. Dies verlangt von den Teilnehmern einen gewissen Grad der Verantwortung und des "respects" gegenüber den Konkurrenten. Wird der Gewinn eines Turniers als oberstes Ziel über diesen Kodex erhoben, verfällt das Spiel in die alten Strukturen des traditionell organisierten Sports zurück.

Das Phänomen ungebundener Freizeitspieler veranlaßt inzwischen sogar Schulen dazu, Basketballkörbe aufzustellen, sozusagen als pädagogische Maßnahme. Doch auch hier wird sich Streetball nicht einbinden lassen, weder in den traditionellen Schulsport, noch zu spielerischen "Resozialisierungsmaßnahmen" individualisierter Kids. Denn was oft nicht verstanden wird ist, daß das Phänomen "Streetball" nur deswegen so gut "funktioniert", weil die bisherigen Anbieter nicht den traditionellen Organsiationsrahmen, inklusive dessen Verpflichtungen oder auch dessen leicht zu durchschaubare "Erziehungsmaßnahmen", benutzen. So oberflächlich die Anbieter mit überladenen Phrasen das Spiel und ihre Ware verkaufen, halten die Events doch das, was die Jugendlichen erwarten: Spaß, Selbstbestimmung und Exklusivität.

Anmerkungen:


[12] Diesen Gedanken hat Birgit Richard (a.a.O.) formuliert.


[13] Zit. nach Kugelmann, Claudia. Basketball - ein Spiel im Wandel. In: Sportpädagogik. 
Nr. 1/1995. S. 16.


[14] Diese Sprache ist nicht ohne weiteres decodierbar und symbolisiert
eine Kohärenz mit Teilaspekten der amerikanischen Lebensweise. 
Vgl. dazu Stemmler, Theo. Alles hip. In: Die Zeit, 5.8.94, S. 51.


Navigator:
Generation X - Jugendforschung für eine immer schneller werdende Kultur




[Top of Text] - [TextTerminal] - [Mail]
[LabMap] - [VInCI-Homepage]

VInCI by SPoKK is located at the Justus-Liebig-Universität Giessen.
Date of Publishing: Oct-96