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Nachhaltigkeit

Energiekonzepte: Händler unter Strom

Strategien gegen die Energiegiganten. / Von Heidrun Krost
LZ|NET. Für Klaus Koch sind steigende Ölpreise kein Thema mehr. Der Edeka-Händler und Inhaber eines 2.800 Quadratmeter großen Marktes in Schömberg auf der schwäbischen Alb hat 2006 mit seinem neuen Energiekonzept rund 30.000 Liter Heizöl gespart. Geldwert sind das gut 20.000 Euro. Gleichzeitig wurde der Strombedarf für die Kühlanlagen im Markt um 25 Prozent herunter gefahren.
 
Die Gebrüder Klaus und Gerd Koch haben seit einem Jahr eine Wärme-Kälte-Kopplung. Sie leiten die im Sommer entstehende
Abwärme aus der Kühlung in einen Tiefenspeicher und holen sie sich im Winter zum Heizen wieder zurück.
 
Umgekehrt sparen sie sich im Sommer die Klimaanlage und ziehen gespeicherte Kälte aus ihrem geothermischen Tiefenspeicher. "Wir arbeiten hier klimaneutral", berichtet Klaus Koch stolz. Mit ihrer neuartigen Wirtschaftsweise haben die Brüder dem deutschen Klima im Jahr 2006 mehr als 430 Tonnen Kohlendioxid-Emissionen erspart. Seit Jahreswechsel gilt der Edeka in Schömberg als erster CO2-freie Supermarkt Deutschlands.
 
Investiert haben die Kochs 100.000 Euro, Zuschüsse kamen vom Land Baden-Württemberg und der Edeka-Südwest. Die Einspareffekte übertreffen bislang alle Erwartungen, so dass sich das Projekt in vier Jahren amortisiert haben dürfte. Angesichts stetig steigender Energie- und Strompreise dürfte sich die Pionierarbeit, für die das schwäbische Händlergespann aktuell für den Deutschen Umweltpreis nominiert wurde, schneller auszahlen als gedacht.

Pionierarbeit lohnt sich

Auch wenn sich der Energiepreis-Hype des vergangenen Jahres abgeschwächt hat, angesichts limitierter fossiler Ressourcen werden regenerative Energiequellen und effizientere Anlagentechnik wirtschaftlich immer attraktiver. Allen voran die Photovoltaik. So sprießen auch auf den Dächern deutscher Supermärkte Solarkollektoren.
 
Handelsunternehmen gehen unter die Stromproduzenten. Die Rewe Group etwa erzeugt auf den Dächern eines Rewe-Centers in Weisendorf sowie eines weiteren Penny-Marktes in Hockenheim Strom für knapp 90 Dreipersonenhaushalte, rund 312.000kWh im Jahr. Öko-Vorzeigehändler Tegut hat 13.000 Quadratmeter Kollektorfläche auf das Dach seines Fuldaer Logi.stikzentrum gebaut, die Strom für 130 Haushalte liefert. Eingespeist wird der Ökostrom ins öffentliche Netz.
 
Selten nämlich dient das Solar-Engagement dazu, das Preisdiktat der vier deutschen Energie-Multis abzuschütteln und eine autarke Eigenversorgung zu sichern. Es geht vielmehr darum, die lukrative Einspeisevergütung von über 40 Cent pro Kilowattstunde abzuschöpfen, eine Subvention, die über das Jahr 2008 hinaus noch weitere 20 Jahre über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) garantiert ist.
 
Der Strom für die Tiefkühlung kommt weiter aus der Steckdose und die Tarife dafür unterliegen dem starren Preisgefüge der Lieferanten. Nicht zu vergessen die Steuerlast, die einer Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney zufolge Strom seit dem Jahr der Liberalisierung 1998 um ganze 78 Prozent verteuert hat.
 
Als effektivste Gegenstrategien in dem offenbar wettbewerbsresistenten Energiemarkt gelten deshalb noch immer: Cleverer Einkauf sowie sachkundiges Vertrags- und Risikomanagement. "Mehr Wettbewerb und bessere Konditionen sind nur zu erreichen, wenn die Kunden bereit sind, den Lieferanten zu wechseln", ist Dirk Mithöfer, Geschäftsführer der Energie-Handels-Gesellschaft (EHA), überzeugt.
 
Die Hamburger Einkaufs- und Beratungsgesellschaft, an der zu je 50 Prozent die Rewe Group und der Energiekonzern Vattenfall beteiligt sind, ist nicht nur Stromhändler des Kölner Handelskonzerns. Ihr "Leistungsversprechen", so Mithöfer, verfolgen sie auch für Conrad Electronic oder Bäckereifilialisten: "Im vergangenen Jahr waren wir um 13 Prozent besser als der durchschnittliche Marktpreis an der Leipziger Strombörse." Solche Ergebnisse seien nur mit einem strategischen Einkauf möglich, der Preisrisiken bereits im Vorfeld abpuffert. Die Hamburger vergleichen sich deshalb gerne mit Risikomanagern.

Metro mit neuem Anlauf

Die EHA präsentiert zusammen mit der Tengelmann Energie GmbH das wohl nachhaltigste Handelsengagement seit der Liberalisierung des Marktes Ende der 90er Jahre. Damals tummelten sich viele Händler in dem zukunftsträchtigen Markt. Der Metro-Konzern wollte sogar zusammen mit dem Bayernwerk als Stromhändler auftrumpfen. Die Pläne wurden rasch eingestampft. Seit dem vergangenen Jahr nehmen die Düsseldorfer einen erneuten Anlauf, das Thema Energieeinkauf konzernweit zu professionalisieren.
 
Über die neu gegründete Tochter Metro Group Energy Production & Management (MEM) GmbH und deren zwei Dutzend Mitarbeiter kaufe man Strom und Gas jetzt großhandelsorientiert ein, heißt es auf Anfrage. Zum Thema Wechselwilligkeit: Die Metro hat aktuell dem langjährigen Stromlieferanten EnBW die rote Karte gezeigt. Die Einkaufsoptimierung bringe auch verbesserte preisliche Konditionen.
 
Das Umdenken bei der Metro ist auch ein Zeichen dafür, dass die Brisanz des Themas wieder in den Vorstandsetagen der Handelskonzerne angekommen ist. "Energie darf kein Randthema sein", bestätigt auch EHA-Geschäftsführer Mithöfer, "Kostensenkungen hier steigern eins zu eins den Deckungsbeitrag, und der ist im Handel ja niedrig genug."
 
Ähnlich wie Metro will auch die Hamburger Edeka Zentrale den Energieeinkauf für ihre Genossen langfristig in einer eigenständigen Versorgungsgesellschaft bündeln. Hauptaufgabe der im vergangenen Jahr gegründeten Zentralabteilung sei die wirtschaftliche Energiebeschaffung und Verteilung an derzeit 4.600 Abnahmestellen. Der Energiebedarf der Edeka-Gruppe schätzt man in Hamburg auf 3TWh im Jahr. Ein ausreichendes Potenzial, um eine aggregierte Abnahmemenge gegenüber den mächtigen Energiekonzernen in die Waagschale zu werfen, so hofft man.
 
Reine Bündelverträge aber reichen längst nicht mehr, das komplexe Geschäft zu beherrschen. Mit dem Spotgeschäft an der Leipziger Strombörse oder der Entwicklung des frei verfügbaren OTC-Marktes rückt der Einkauf in eine neue Dimension. Auch das Thema Stromsteuer will gemanagt werden: Metro, Edeka & Co. haben, so zeigt das jüngste Engagement, erkannt, dass Contracting-Konzepte sowie die Belieferung von Kälte und Licht ein "legitimes Modell" ist, einen ermäßigten Steuersatz zu reklamieren.
 
Als dann stromintensives Unternehmen kann im Rahmen des Spitzenausgleichs eine weitere Steuerentlastung geltend gemacht werden. Zusätzliche Einsparpotenziale stecken in den zum Jahreswechsel stark gekürzten Netznutzungsentgelten. "Die Bundesnetzagentur hat hier Dynamik rein gebracht", bestätigt Rainer Wimmer, Key Accounter beim Bruchsaler Energieberatungsunternehmen Enoplan GmbH. Die Bonner Regulierungsbehörde hat die Netzgebühren, die je nach Versorgungsgebiet oft gar über ein Drittel des Strompreises ausmachen, zum Jahreswechsel radikal gekürzt.
 
Im Durchschnitt um 45 Prozent. Unterm Strich bleiben damit Kostenvorteile von 5bis 15 Prozent hängen, bestätigt auch EHA-Geschäftsführer Mithöfer. "Das ist eine spürbare Entlastung, vorausgesetzt die Entgeltkürzung ist im Vertrag vorgesehen", sagt er. Tatsächlich seien diese Kostenvorteile nur verfügbar, wenn Netzentgeltanpassungen vertraglich zulässig sind. Einer der Fallstricke, auf den Nichtexperten im Energiegeschäft schon mal hereinfallen.

Gebündelte Kräfte

Was gerade im Handel unterschätzt wird: Beim Energieeinkauf sind die Rollen anders verteilt als bei Verhandlungen mit der Konsumgüterindustrie. "Man sitzt am Verhandlungstisch wie ein zahnloser Tiger", so ein Handelseinkäufer. Dabei scheint sich die Branche ihrer Marktmacht gar nicht bewusst.
 
Hochrechnungen der Tengelmann Energie GmbH zufolge kommt der deutsche Handel auf ein nicht unbedeutendes Abnahmevolumen von 25 bis 30 TWh jährlich. "Das sind 5 Prozent des deutschen Stromverbrauches und entspricht grob gerechnet einem Kostenblock von 2 bis 2,5 Milliarden Euro", sagt Geschäftsführer Werner Kalter. Allein die Top Ten des deutschen Handels bringen ein Bündelvolumen, vergleichbar einer Deutschen Bahn oder BASF auf die Strecke. Eine Marktmacht, die es zu nutzen gilt, gerade jetzt, wo Eon & Co. offenbar den Bogen überspannt haben.
 
Der jüngste Vorstoß der EU-Kommission, Energieerzeugung und Netze zu entkoppeln, ist wohl zunächst einmal von den zuständigen Ministern gestoppt. Doch der öffentliche Druck auf das Energie-Oligopol nimmt zu. Das Bundeskartellamt dürfte wohl demnächst seinen nächsten Trumpf gegen die Energiegiganten ausspielen: So sieht es derzeit danach aus, dass die Einpreisung der CO2-Emissionszertifikate, die kostenfrei an die Stromerzeuger verteilt wurden, kartellrechtswidrig war.

Nachgefragt: "Exzellente Lobbyarbeit"

Werner Kalter, Geschäftsführer der Tengelmann Energie GmbH
 
Werner Kalter (Foto: Tengelmann)Lebensmittel Zeitung: Herr Kalter, warum kommt der Wettbewerb im Energiemarkt nicht in Schwung ?
 
Werner Kalter: Aus den historisch gewachsenen Monopolgesellschaften mit festen Marktgebieten wurde ein Oligopol - 80 Prozent der Stromerzeugung ist im Besitz von vier Unternehmen. In den jeweiligen Netzgebieten gelten weiterhin Angebots-Monopole. Damit hängen Handel und Vertrieb bei der Preisgestaltung im Wesentlichen am Tropf dieser beiden Wertschöpfungsstufen. Weil die Versorger exzellente Lobbyarbeit betreiben, können Sie ihre Interessen gegenüber den nur schwach organisierten Verbrauchern politisch durchsetzen. In der aktuellen Situation musste die Politik reagieren, denn die Preisschraube ist überdreht.
 
LZ: Die Bundesnetzagentur hat den Netzbetreibern kräftig auf die Finger geklopft. Offenbar ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Fehlt es ihr an den Kompetenzen, um die Multis zur Räson zu bringen?
 
Kalter: Nein, ich denke nicht. Die Bundesnetzagentur hat einige Dinge aufzuarbeiten, um auf rechtlicher Basis Ordnung und Vertrauen zu schaffen. Die ersten Schritte sind mit der Änderung von bisher zirka 270 Netzentgelten - überwiegend Senkungen - getan. Dies reicht aber nicht aus, um die Preissteigerungen der Vergangenheit zu kompensieren und um eine verlässliche Basis für die vorgesehene Anreizregulierung zu schaffen.
 
Neben den notwendigen strukturellen Veränderungen in der Erzeugungslandschaft muss es der Netzagentur - eventuell im Zusammenspiel mit den Kartellbehörden - gelingen, die Netze für den Wettbewerb zu öffnen. Dies ist in einigen anderen europäischen Ländern bereits der Fall. Ich bin überzeugt davon, dass die Energiemärkte in zwei bis drei Jahren eine Entwicklung wie der Telekommunikationsmarkt durchlaufen werden. Der ein oder andere große Stromkonzern wird dann in eine ähnliche Kundenkrise geraten wie heute die Telekom.
 
LZ: Angesichts des Zugriffs der Eon auf die spanische Endesa scheint die Europäisierung des Angebotsmarktes nur eine Flucht auf Zeit. Sehen Sie in der Beschaffung im Ausland mittelfristig einen Sinn?
 
Kalter: Sinvoll ist alles, was dem Wettbewerb nützt. Die Wahrscheinlichkeit, aus dem Ausland wettbewerbsfähigen Strom als Endkunde zu beziehen, ist mittelfristig nicht besonders hoch. Laut einer Studie von A.T. Kearney haben sich die Marktanteile der großen europäischen Stromkonzerne innerhalb der damals 15 EU-Staaten in den Jahren 1999 bis 2005 von 58 auf 69 Prozent erhöht.
 
Mit der Fusion von Eon und Endesa dürfte sich dieser Anteil noch erhöhen. Positive Entwicklungsmöglichkeiten sehe ich, wenn die Netzproblematik europäisch über einen unabhängigen Systemnetzbetreiber abgewickelt wird. Dann würden auch grenzübergreifend höhere Angebotsmengen zur Verfügung stehen, die an einer europäischen Strombörse gehandelt werden.

Handelskonzepte: Energiebündel

  • Für die Düsseldorfer Metro Group kauft die MEM Metro Energy Production & Management großhandelsorientiert ein. Hauptlieferanten sind die EnBW sowie Vattenfall. Ab März 2007 beziehen die Düsseldorfer für 250 Standorte Ökostrom von der Hamburger Lichtblick GmbH&Co.; KG.
     
    Eigenen Angaben zufolge benötigt der Metro-Konzern jährlich 3,1 Terrawattstunden (TWh) Strom sowie 1,1 TWh Heizöl, Gas oder Fernwärme. Durch die "kontinuierliche Optimierung des Energiemanagments" sei der Verbrauch in deutschen Filialen seit 2002 von 0,43 auf 0,38 MWh pro Quadratmeter gesenkt worden. 2007 soll der Energiebedarf durch weitere Effizienzmaßnahmen um weitere fünf Prozent gesenkt werden.

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  • Die Tengelmann Energie GmbH ist mit ihrem 60-köpfigen Expertenteam ein feste Größe unter den Energiehändlern und -beratern. Die Mülheimer Handelsgruppe nutzte die Aufbruchsstimmung der Liberalisierung und widmet sich seit 1998 dem Energieeinkauf und Controlling - zunächst innerhalb der Gruppe, seit 2001 auch für externe Filialisten wie Banken, Krankenhäuser oder Textilhändler.
     
    Heute geht es um ein Bündelvolumen von mehr als 2 TWh Strom und 1 TWh Gas, die die eigenständige Tengelmann-Tochter managt. Dabei ziehen die Energieexperten sämtliche Register, sie glätten Preisrisiken und Lastspitzen durch gezielten Trancheneinkauf. Sie mixen für ihre Kunden feste Abnahmemengen mit Spotmengen von der Strombörse oder dem Over the Counter (OTC) Markt.

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  • Kostensenkung durch gebündelten Einkauf - das ist das erste Ziel der Edeka Versorgungsgesellschaft, die es seit vergangenem Jahr in der Hamburger Zentrale gibt. So wird Energie derzeit noch klassisch über Lieferanten eingekauft. Künftig will man sich auch am OTC-Markt oder an der Leipziger EEX-Börse bedienen. Weitere Pläne: Aufbau eines Energiecontrollings, Technikberatung. Aktuell nehmen laut Edeka 1.100 Selbstständige sowie 3.500 Regiebetriebe an dem Bündelkonzept teil.

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  • Die Rewe Group hat 1998 mit der Vattenfall-Tochter Hamburgische Elektrizitätswerke (HEW) AG die EHA gegründet. Sie versteht sich als Zentraleinkäufer, der alle Möglichkeiten eines Best-Prize-Konzeptes für seine Kunden ausreizt. Anteilseigner Vattenfall sei dabei kein Vorzugslieferant.
     
    Zum Portfolio gehören rund 9.000 Abnahmestellen des Kölner Konzerns im In- und Ausland. Das Handelsvolumen liegt bei mehr als 2,6 Terrawattstunden. Weitere externe Filialkunden sind Peek&Cloppenburg; oder die 190 Standorte des Filialbäckers Kronenbrot. Seit 2005 sind auch 1.500 Rewe-Selbstständige EHA-Kunden.

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    Lebensmittel Zeitung vom 23. Februar 2007  


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