Von Ad van Tiggelen, Senior Strategist bei ING Investment Management
Kürzlich feierten Aktienanleger das einjährige Jubiläum dieses so genannten Bärenmarktes: Seit zwölf Monaten befinden sich die Aktienkurse überwiegend auf Talfahrt. Zwischendurch gab es allerdings auch ein paar kurzlebige Ralleys. Auslöser für diese Bärenmarktralleys waren ein überverkaufter Markt und die Neigung der Aktienmärkte, ein schnelleres Nachlassen der Gewinndynamik einzupreisen. Deshalb finden Erleichterungsralleys häufig in der Berichtssaison statt, wenn den Anlegern klar wird, dass sie das Tempo der Abkühlung überschätzt hatten.
In der Vergangenheit sind Bärenmärkte immer mit Perioden sinkender Unternehmenserträge einhergegangen, häufig auch mit Rezessionen oder Zeiten steigender Inflation. Bärenmärkte bestehen im Wesentlichen aus zwei Phasen. Während der ersten Phase sind die Aussichten durchweg trübe: Die Kurse purzeln, die Ertragsaussichten werden nach unten korrigiert und der gesamtwirtschaftliche Rahmen verschlechtert sich zusehends. Derzeit befinden sich die globalen Aktienmärkte noch in dieser Phase.
In der zweiten Phase setzen sich die Abwärtskorrekturen fort, mitunter sogar für weitere ein, zwei Jahre. Das Tempo der Abkühlung verlangsamt sich jedoch und/oder die Notenbanken senken die Zinsen. Sofern die Bewertungen zu diesem Zeitpunkt günstig genug sind, ist diese zweite Phase der Aktienperformance weniger abträglich und mitunter sogar positiv.
Nachdem die Aktienkurse seit ihrem Höchststand 2007 um über 25 Prozent gefallen sind, sind die Bewertungen nun in der Tat recht günstig und im Vergleich zum Niveau der letzten 20 Jahre sogar relativ billig. Andererseits gibt es gute Argumente dafür, dass die letzten 20 Jahre im Hinblick auf die Balance zwischen globalem Wachstum und Inflationsentwicklung ungewöhnlich erfreulich verlaufen sind. Überdies trugen diverse Asset Bubbles erheblich zur allgemeinen Dynamik bei. Insofern eignet sich dieser Zeitraum weniger als Maßstab der Angemessenheit von Bewertungen. Aber auch wenn die Abwärtskorrekturen bei den Ertragserwartungen noch lange nicht abgeschlossen sind, gibt es nach wie vor angemessen bewertete Titel, die den Markt stützen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich erst dann ein nachhaltiger Aufwärtstrend an den Aktienmärkten abzeichnen, wenn die Unternehmenserträge die Talsohle erreicht haben. Damit ist frühestens in der zweiten Hälfte von 2009 zu rechnen.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Malaise bei den Unternehmenserträgen wohl noch eine Weile anhalten wird. Zunächst sind nämlich die Auswüchse bei der Verbraucherverschuldung der letzten zehn Jahre (vor allem in den USA und Großbritannien) abzuarbeiten.
Generell erreichen die Aktienkurse allerdings viel früher die Talsohle als die Unternehmenserträge. Auch wenn der Beginn eines neuen Bullenmarktes noch in relativ weiter Ferne liegt, werden wir den gegenwärtigen Bärenmarkt doch wohl bald hinter uns haben.
Welche Faktoren würden also die zweite Phase auslösen? Wenn die Inflationsraten ihren höchsten Stand erreichen, würde das sicherlich Erleichterung schaffen, denn dann könnte die EZB die Zinsen senken. Hilfreich wäre auch, wenn der freie Fall der US-Immobilienpreise gestoppt und der Ölpreis sich wieder unter 100 Dollar pro Barrel einpendeln würde.
Es ist durchaus möglich, dass einer oder mehrere dieser teilweise miteinander verzahnten Faktoren in den nächsten Monaten eintreten. Das könnte den Tiefstpunkt des aktuellen Bärenmarktes markieren. Für langfristig orientierte Investoren ist das dann der richtige Zeitpunkt zum Kauf von Aktien auch wenn sie noch ein Weilchen warten müssen, bis sie wirklich feiern können.
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