Montag, 13.4.2009

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GRAUSAMES HOBBY

Bluten fürs Publikum

Es ist brutal, blutig, beliebt: Backyard Wrestling heißt ein irrer Zeitvertreib made in USA. Zwei Kämpfer, ein Ring, keine Regeln. Als Waffen dienen Stacheldrahtkeulen, Neonröhren und Rasierklingen. SPIEGEL TV hat das perverse Spektakel besucht, das besonders unter Jugendlichen populär ist.

Backyard Wrestler: "Ich erhoffe das Schlimmste"
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Backyard Wrestler: "Ich erhoffe das Schlimmste"

Edwin Borsheim aus Paris in Kalifornien ist zufrieden. Nach dem Tod seines Vaters hat er etwas Geld geerbt und sich ein Grundstück gekauft, auf dem er machen kann, was er will - und das ist: Kämpfe in seinem Garten veranstalten. Die Nachbarn finden das in Ordnung, solange niemand getötet wird - und das freut Borsheim: "Hier kannst du Mörder sein, ohne dass es die Leute kümmert." Rechtlich gibt es keine Probleme, wenn sich die Backyard Wrestler die Zähne ausschlagen, sich Glasplatten auf dem Kopf zertrümmern, mit Stacheldraht umwickelte Knüppel über den Bauch ziehen oder mit voller Wucht auf die Gliedmaßen des Gegners springen. Die Kämpfe sind legal - solange sie von der Straße nicht einzusehen sind.

GRAUSAMES HOBBY: BLUTEN FÜRS PUBLIKUM

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Borsheim war schon als Kind begeistert von Monstern, Blut und Schrecken. Im Alter von sechs Jahren beschloss er, wie sein Vorbild zu werden: Skeletor heißt die Figur, die einen Totenschädel als Kopf hat und Knochen auf der Brust. "Die anderen Kinder wollten immer Polizisten oder Feuerwehrmänner werden, der ganz schwule Kram", erzählt Borsheim gegenüber SPIEGEL TV. "Ich war ehrlich, weil ich fast wie mein Vorbild geworden bin. Die anderen sind noch immer weit entfernt davon, Polizisten oder Feuerwehrmänner zu sein."

Denny Brank, genannt "Sabu", ist ein Superstar der amerikanischen Wrestling-Showindustrie und Vorbild aller Backyard Wrestler. Das Muskelmonster hat in seiner Karriere Millionen verdient und wieder ausgegeben. Bei dem Schaukämpfen geht immer wieder mal was schief: "Ich habe meine Nackenwirbel zweimal gebrochen, beide Schultern, beide Kreuzbänder gerissen, meine Rückenwirbel zweimal und den Kiefer viermal gebrochen. Mit 19 Jahren wurde ich angeschossen, das hat mich meine Schneidezähne gekostet und ein Loch in meinem Hals hinterlassen."

Will Sabu richtig Geld verdienen, geht er nach Japan. Dort werden die Kämpfe im TV übertragen, die Prämien sind am dicksten, die Zuschauer sind ganz verrückt nach dem Gemetzel, bei dem die Körper mit üblen Waffen malträtiert werden. "Stacheldraht wurde modern, als ich vor zwölf Jahren nach Japan kam", erzählt Sabu, der heute durch die USA tourt. Er selbst habe 150 Stacheldrahtkämpfe bestritten, davon habe er etwa 300 Nähte und mehr als 1000 Schnittwunden. Die meisten Verletzungen hat Sabu selbst behandelt: "Ich habe sie selbst genäht, manche getackert. Meine größte Wunde habe ich mit Sekundenkleber zugeklebt."

So zu werden wie Sabu, das ist der Traum vieler US-Jugendlicher. Im Gegensatz zu den Profis aus der Wrestlingszene leben die Jugendlichen bei ihren Kämpfen ihre Aggressionen wirklich aus. In den Hinterhöfen gibt es keine Gewalt-Fakes, sondern Dresche satt, solange bis das Blut spritzt und die Knochen brechen. Auch die 15-jährige April aus der Nähe von San Diego träumt davon, durch die perversen Kämpfe berühmt zu werden. In einem ausgetrockneten Salzsee hat sie mit Freunden ihren eigenen Ring aufgebaut, die Utensilien für den Kampfplatz haben sie auf der Straße gefunden oder im Müll. Profi-Wrestler wollen sie werden, Karriere machen - und vielleicht sogar Geld verdienen. "Irgendwie ist das Ringen mein Leben. Meine Eltern haben Wrestling mit mir im Fernsehen angeschaut. Meine Mutter liebt es, meine Großmutter, und ich liebe es auch. Auch den Schmerz. Viele Leute finden es cool, dass ich wrestle."

Was von den Jugendlichen als "cool" empfunden wird, ist in Wahrheit ein perverser Wahnsinn, der oft mit mehr als nur ein paar kaputten Knochen endet. Schon mehrfach haben Kinder andere Kinder getötet, die Profi-Wrestlern nacheifern wollten. 1998 rammte ein Siebenjähriger seinen dreijährigen Bruder den ausgestrecktem Arm gegen den Kehlkopf. Die Technik hatte er sich beim Wrestling im TV abgeguckt. Im selben Jahr tötete ein vierjähriges Kind ein 15 Monate altes Baby. Der Babysitter hatte sie kurz alleine gelassen und ein Wrestling-Video angeschaltet. Ein Jahr später tötete ein Zwölfjähriger seinen kleinen Cousin, indem er den 19 Monate alten Säugling zu Boden schleudert - genauso wie das die Profi-Catcher machen.

Um die gewaltbereiten Jugendlichen vor sich selbst zu schützen, hat Larry Sharpe eine Kaderschmiede für Wrestler eingerichtet. In der Monster Factory (Monsterfabrik) in Westville im Bundesstaat New Jersey lernen die Jungwrestler, wie sie kämpfen können, ohne sich dabei gleich den Hals zu brechen. "Grundsätzlich wollen wir den Kindern Grundlagen des sicheren und professionellen Ringens vermitteln", sagt Sharpe. "Viele Jugendliche fangen in ihren Hinterhöfen einfach an zu kämpfen, ohne darüber nachzudenken, wie zerbrechlich Nacken und Rücken sind." Blaue Flecken, Muskelkater und Verstauchungen gehören zum Training dazu. Die Übungen sollen später vor Invalidität und Tod schützen. Das Sommerferien-Programm der Monster Factory ist hart: Erst nach sechs Stunden ist Schluss. Es geht nicht darum, sich quälen zu lassen, sagt einer der Sharpe-Schüler. "Wrestling macht Spaß."

In Kalifornien steht derweilen schon wieder ein Kampf an: Edwin Borsheim gegen einen Newcomer. "Ich erhoffe und erwarte das Schlimmste, es muss cool aussehen, das ganze Blut und so", freut sich der junge Mann auf den Kampf mit Edwin. Als er wenig später blutüberströmt aus dem Ring klettert, sagt er: "Ich liebe es, es war eine tolle Sache." Dann befühlt er seine malträtierten Armen und Beine: "Jetzt fühlt sich noch alles super an, vielleicht ändert sich das nachher. Aber ich werde es bestimmt noch mal machen."




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