Entwicklungsgeschichte Pellworms und der Halligen
unter besonderer Berücksichtigung der großen Sturmfluten
Enken Johannsen
- Entwicklungsgeschichte bis 1362
- Die erste große Mandränke von 1362
- Die zweite große Mandränke von 1634
- Weitere Sturmfluten
- Quellenangaben
Durch den erneuten Meeresspiegelanstieg während der Dünkirchen-Transgression
waren die Siedler im Raum des heutigen Pellworms gezwungen, ihre Gebäude auf
Warften - von Menschenhand aufgeschüttete Hügel - zu errichten, um diese in
Stürmen vor besonders hohen Wasserständen zu schützen. Zusätzlich
wurden seit 1000 n. Chr. erste Deiche entlang der Küste errichtet, die
zu jener Zeit
noch auf einer Linie vom heutigen Sylt über Amrum nach Eiderstedt verlief.
Abbildung 1: Küstenverlauf um 900 n. Chr.
(Quelle: STADELMANN, 1981, S. 21)
Die gesamte Küstenlandschaft bestand um das erste Jahrtausend nach Christus
aus einer zusammenhängenden Landmasse. Dies belegen ebenfalls alte
Kirchenbücher und eine Karte, die das Bistum Schleswig zeigt, auch noch für
spätere Jahrhunderte. Nach besagter Karte gehörten Föhr und Amrum zur
Probstei Nordstrand (gemeint ist hier "Alt-Nordstrand"). Die
ebenfalls zu Alt-Nordstrand gehörende Lundenbergharde wurde der großen
festländischen Probstei zugerechnet (MÜLLER, 1936, S. 29). Diese
Einteilung in Probsteien läßt darauf schließen, daß die Trenngewässer in
diesem Gebiet so schmal gewesen sein müssen, daß sie ohne zu große Mühe zu
überwinden waren.
Im Zusammenhang mit den Kirchenbüchern sei an dieser Stelle auf die sehr
regelmäßige anmutende "Anordnung" der größeren und bedeutenderen
Kirchen hingewiesen, auf die uns Pastor Adam aufmerksam machte. Sieht man
sich diese Positionen auf der Landkarte genauer an, zeigt sich, daß die
größeren und bedeutenderen Kirchen wie Keitum auf Sylt, Nieblum auf Föhr,
die alte Kirche Pellworms und Tating in Eiderstedt auf einer gedachten
Geraden liegen, die auch noch weiter nach Süden fortgesetzt werden kann.
Zudem weisen diese Kirchen in etwa denselben Abstand zueinander auf und es
scheint als ob sich die kleineren Kirchen ebenfalls in dieses
"System" einordnen lassen. Fast schon mystisch erscheint dabei, daß die bedeutendsten Kirchen bis heute trotz aller Landverluste erhalten blieben.
Besonders interessant ist allerdings, daß diese scheinbare Systematik noch
viel weiter in die Geschichte zurück reicht. Denn Quellen belegen, daß der
amtierende Bischof die ersten christlichen Siedler in dieser Gegend anwies,
die Kirchen auf den ehemaligen Thingplätzen (Versammlungs- und Ratsplätze)
zu errichten (Mündliche Mitteilung Pastor Adam).
Was es genau mit dieser regelmäßigen "Anordnung" der Thingplätze
auf sich hat und zu welchem Zweck dies geschah - falls eine Absicht dahinter
steckte - bedarf bis heute noch der Klärung.
Die Abbildung 2 zeigt vier Verwaltungsbezirke, sog. Harden, (in der Abbildung jeweils
orange umrandet) in die Alt-Nordstrand im 13. Jahrhundert aufgeteilt war. Im Norden lag
die Wyrichsharde, im Westen die Pilwormharde, im Süden die Edomsharde und die
Beltringharde im Osten (MÜLLER, 1936, S. 24).
Abbildung 2: Alt-Nordstrand im 13. Jahrhundert
(Quelle: PETERSEN, ROHDE, 1977,
S. 352)
Die Karten dieser Zeit weisen große Unterschiede auf, und die Positionen der
einzelnen Ortschaften und Gehöfte wurden sehr wahrscheinlich nicht exakt
wiedergegeben. Allerdings vermitteln diese Karten eine ungefähre Vorstellung und
einen gewissen Eindruck über die zu jener Zeit herrschende Situation.
Bereits zu Beginn der Besiedlungszeit war der Torfstich zur Salzgewinnung für die
Bevölkerung dieser Gegend ein lohnendes Unterfangen. Die unter der oberen Torfschicht
zutage getretene alte Marsch wurde entwässert und in Kultur genommen. Sowohl durch
den Torfstich als auch durch die Entwässerung und Anreicherung des Bodens mit
organischer Substanz sackte das Land noch weiter ab, so daß die Köge teilweise
unter dem mittleren Tiedehochwasser lagen
(PETERSEN, ROHDE, 1977, S. 37). Im frühen Mittelalter stieg der Meeresspiegel
erneut an, und damit begann die Zeit
der großen Sturmfluten.
Für die ersten Sturmfluten waren wiederum die Kirchenbücher die einzigen
Quellen. Diese waren allerdings eher Schadensberichte, als daß sie die Höhe
der Wasserstände angaben. Bei der Studie dieser "Schadensberichte" gilt es zu
bedenken, daß die damals vorhandenen Deiche in keiner Weise mit den heute gebauten
zu vergleichen waren. Bei dem Profil und der Höhe der ersten Deiche traten
Schäden sehr viel schneller und heftiger auf, als es bei den selben
Wasserständen heute der Fall wäre. Zudem waren die berichtenden Pastoren
häufig durch persönliche Verluste betroffen, so daß auch die Angabe des
Schadensumfanges nicht unbedingt als exakt und objektiv bezeichnet werden kann (Die Zahl
der Todesopfer wurde in einigen Quellen beispielsweise höher angegeben, als damals
Menschen in dieser Gegend lebten).
Zunächst waren die Folgen dieser Fluten nicht so gravierend und hatten teilweise
sogar positive Konsequenzen. So wurden die Trenngewässer größer, was
für Husum als Handelsstützpunkt einen freien Zugang zum Meer bedeutete
(MÜLLER, 1936, S. 41).
Der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Sturmfluten, die jede für sich bereits
die Deiche angegriffen hatte, war die Marcellusflut vom 16. Januar 1362. Diese als
"große Mandränke" bezeichnete Flut verursachte enorme Schäden
(FISCHER, 1954, S. 326, PETERSEN, ROHDE,
1977, S. 38f., BANTELMANN et al., 1995, S. 72
sowie MÜLLER, 1936, S. 35). In dieser Flut kamen zahlreiche Menschen zu Tode, Vieh
ertrank, Häuser und Kirchen wurden zerstört, und ganze Landstriche fruchtbaren
Kulturlandes wurden durch die Überflutung mit Salzwasser vernichtet.
grüne Hervorhebungen = bei der Flut 1362 untergegangene Kirchspiele
orange Hervorhebungen = bei der Flut 1634 untergegangene Kirchspiele
orange Linie = Küstenverlauf vor der Flut vom Oktober 1634
lila Linie = Küstenverlauf des Jahres 1878
Abbildung 3: Alt-Nordstrand vor 1634 und der Küstenverlauf Ende des 19. Jahrhunderts
(Quelle: PETERSEN, ROHDE, 1977, S. 42)
Diese Karte zeigt die Landverluste im Raum Alt-Nordstrand. Es ist klar ersichtlich,
daß 1362 die Halligen wie Nordmarsch (oder Langeneß), Oland, Gröde,
Habel, Hamburgerhallig, Südfall, Süderoog, Norderoog, und Hooge von dem Rest
Alt-Nordstrands abgetrennt wurden, wobei diverse Kirchspiele untergingen. Zudem
stieß die Falsdeep - ein Seitenarm des Heverstroms - so weit nach Norden vor,
daß große Teile der Pellwormharde und der Edomsharde weggerissen wurden. Auf
diesem Wege entstand die Rungholtbucht, die ihren Namen nach dem hier untergegangenen,
viel zitierten Handelspunkt Rungholt erhielt.
Dadurch, daß das Land aus o. g. Gründen tiefer lag als das mittlere Hochwasser,
wurde es nach einem Deichbruch bei jeder normalen Flut erneut mit Salzwasser
überspült, so daß der Ackerboden ohne raschen Deichschluß
unbrauchbar wurde.
Die Wiederherstellung der Deiche wurde im 14. Jahrhundert durch die Folgen der Pest enorm
erschwert, so daß auch der Versuch, die Rungholtbucht durch einen Deich von Pellworm
über Südfall nach Nordstrand vom Meer zurückzugewinnen, scheiterte
(PETERSEN, ROHDE, 1977, S. 39 und 41).
Auch in den folgenden Jahrhunderten kam es immer wieder zu schweren Sturmfluten wie z. B.
die große Eisflut von 1625, bei der die Eisschollen schwere Deichschäden
verursachten (PETERSEN, ROHDE, 1977, S. 41 f.). Besonders bezeichnend
sind auch die in
den Quellen genannten Sommerfluten. Daß ein relativ schwächerer Sommersturm
trotzdem nennenswerte Schäden hervorrufen konnte, läßt auf zahlreiche
Fluten schließen, die die Reparaturen der Deichschäden aufgrund der
Winterstürme behinderten oder sogar verhinderten.
Der orange eingezeichnete Küstenverlauf in Abbildung 3 zeigt den Zustand des Raumes
Alt-Nordstrand vor der zweiten großen Mandränke im Jahre 1634. Für den
gesamten nordfriesischen Raum beschreibt Abbildung 4 die Landverteilung zu dieser Zeit.
Abbildung 4: Küstenverlauf 1634
(Quelle: STADELMANN, 1981, S. 21
unter Ergänzung der Hallignamen)
Die bereits angesprochene "zweite Mandränke" ereignete sich am 11. Oktober 1634,
wobei sich die einzelnen Quellen in Bezug auf das
genaue Datum nicht einig sind (FISCHER, 1954,
S. 330, PETERSEN, ROHDE, 1977, S. 42 bis 47,
BANTELMANN et al., 1995, S. 134 bis
137, HINRICHS et al., 1985, S. 41,
MÜLLER, 1936, S. 107).
Die Folgen dieser Flut, die wiederum als Höhepunkt einer ganzen Sturmflutreihe
anzusehen ist, waren verheerend. Wie die Abbildung 5 verdeutlicht, gingen ¾ der ehemaligen
Fläche Alt-Nordstrands verloren (orange Flächensignatur). Übrig
blieben nur die nun voneinander getrennten Inseln Pellworm und Nordstrand, sowie die
Hallig Nordstrandischmoor (weiße Flächensignatur).
orange Fläche = Landverluste durch die Flut vom 11. Oktober 1634
Abbildung 5: Landkarte von Nordgoesherde, Amt Husum, Lundenberg und dem Nordstrande Anno
1649
(Quelle: FISCHER, 1954, Tafel 48)
Deutlich werden die Landverluste auch in Abbildung 3, wobei die 1634 untergegangenen
Kirchspiele orange hervorgehoben wurden und die lilafarbene Linie den Küstenverlauf
im Jahre 1878 darstellt.
Bei der zweiten Mandränke verloren 2/3 der Gesamtbevölkerung Alt-Nordstrands
ihr Leben, ca. 50.000 Stück Vieh verendeten, 1339 Häuser und Kirchen, 28
Windmühlen sowie der größte Teil der im Oktober bereits eingefahrenen
Ernte wurden vernichtet. Auch durch diese Flut wurde das Kulturland durch
regelmäßige Überflutungen und die Verbreiterung der Priele weggerissen
bzw. durch den Salzeintrag unbrauchbar, so daß weitere Landstriche von der
Bevölkerung aufgegeben werden mußten (Ausdeichungen).
Als kultureller Verlust durch diese Flut muß auch das Aussterben einer
eigenständigen Sprache - des Alt-Nordstrander Friesisch - gewertet werden. Dies
wurde durch die zahlreichen Opfer unter der Bevölkerung und die Tatsache,
daß ein Teil der Einwohner entgegen eines Verbotes des Herzogs auf das Festland
auswanderte, verursacht.
Bei der Besichtigung der Alten Kirche Pellworms unter der sachkundigen Führung durch
Pastor Adam kann man sich davon überzeugen, daß das Inventar einiger
untergegangener Kirchen (wie z. B. ein Taufbecken) teilweise gerettet werden konnte, denn
einige dieser Stücke befinden sich heute in der Alten bzw. der Neuen Kirche Pellworms.
Noch heute werden im Wattenmeer Fundstücke entdeckt, die aus den damals
zerstörten Häusern stammen. Gegenstände wie Kacheln, Flaschen,
Münzen, Töpfe, Krüge u. ä. sowie Schädel und andere Knochen
treten bruchstückhaft aber z. T. auch unversehrt zu tage und können im
Wattenmuseum Bahnsen auf Pellworm besichtigt werden. Durch andere Funde, wie z. B.
Ackerfurchen, Balken von ehemaligen Schleusen oder die Reste von Brunnen, kann teilweise
ziemlich genau rekonstruiert werden, wo sich einzelne Gehöfte befunden haben
müssen. Diese Erkenntnisse wurden in Form von Photographien festgehalten, um sie
auf diese Weise vor der unweigerlichen Zerstörung durch die Kraft des Meeres zu
bewahren.
Bereits drei Jahre nach der Flut von 1634 war es den Pellwormern gelungen, 1.800 ha Land
vom Meer zurückzugewinnen und einzudeichen. Dies geschah unter Zurateziehung
holländischer Deichbaumeister. Auf Nordstrand gelang es erst 1652 - ebenfalls mit
der Hilfe der Holländer - die Deiche zu schließen. Dadurch, daß
Nordstrand 15 Jahre länger überflutet wurde, und somit 15 Jahre länger
Sedimente abgelagert wurden, liegt Nordstrand heute deutlich höher als Pellworm
(HINRICHS et al., 1985, S. 47 bis 51).
Durch Neulandgewinnung - oder besser durch Landrückgewinnungsarbeiten - umfassen
die Inseln Pellworm und Nordstrand heute wieder ca. 9.000 ha, was bedeutet, daß bis
heute 2/3 der Fläche Alt-Nordstrands immer noch verloren sind
(HINRICHS et al., 1985, S. 54).
Doch die Sturmflut von 1634 sollte nicht die letzte sein, nur verursachten die
Sturmfluten der folgenden Jahrhunderte bei weitem nicht dieses Ausmaß an
Zerstörung. Zu nennen wären dabei die Fluten von 1791 bis 1793 und die
Februarflut von 1825, bei denen Pellworm wiederholt total überschwemmt wurde.
Abbildung 6: Die bei der Februarflut 1825 überfluteten Gebiete an der
Westküste Schleswig-Holsteins
(Quelle: PETERSEN, ROHDE, 1977, S. 57)
Die letzte große Sturmflut ereignete sich in diesem Gebiet 1962, wobei die
moderneren Deiche allerdings die größten Schäden verhindern konnten.
Abbildung 7 zeigt die Situation, wie sie sich 1981 im gesamten Nordfriesland darstellte.
Abbildung 7: Küstenverlauf 1981
(Quelle: STADELMANN, 1981, S. 21
unter Ergänzung der Hallignamen)
Allerdings bedeuten nicht nur Sturmfluten eine Gefahr für die Insel Pellworm,
sondern auch der immer tiefer und breiter werdende Heverstrom mit seinen Seitenarmen,
der der Insel immer näher kommt. Noch vor einigen Jahren konnte man die Norderhever
zwischen Pellworm und Nordstrand bei Ebbe durchschreiten. Heute ist der Strom dort sechs
bis neun Meter tief. Um zu verhindern, daß der Heverstrom mit seinen Seitenarmen
Pellworm ganz umschließt, wird der Bau eines Dammes in Erwägung gezogen, der
Pellworm mit dem Festland verbinden soll. Unklar ist neben der Finanzierung allerdings
auch, welche landschaftlichen Veränderungen der Damm seinerseits verursachen
würde. Der Leiter des Amtes Pellworm Herr Harrsen merkte zu diesem Thema auch an,
daß eine in Auftrag gegebene Untersuchung ergeben hat, daß sich der
Heverstrom in den letzten Jahren scheinbar "beruhigt". Aus diesen Gründen wird das
Dammprojekt vermutlich nicht realisiert werden.
Die Veränderungen des Wattenmeeres gehen stetig weiter, so daß man über
das zukünftige Aussehen dieses Teils Deutschlands nur Vermutungen anstellen kann.
5. Quellenangaben
BANTELMANN, A., PANTEN, A., KUSCHERT, R., STEENSEN, T. ([1995): Geschichte
Nordfrieslands, Heide/Bredstedt
FISCHER, O. (1954): Sonderprobleme und Einzelfragen des Küstenraumes, in: MÜLLER, F.
und FISCHER, O. (Hrsg.) (1954): Das Wasserwesen an der schleswig-holsteinischen
Nordseeküste , Teil III, Das Festland, Bd. 1, Berlin
HINRICHS, B., PANTEN, A., RIECKEN, G. (1985): Flutkatastrophe 1634 - Natur,
Geschichte, Dichtung, Neumünster
MÜLLER, F. (1936): Das Wasserwesen an der schleswig-holsteinischen
Nordseeküste, Teil II, Die Inseln, Bd. 2, Alt-Nordstrand, Berlin
PETERSEN, M., ROHDE, H. (1977): Sturmflut, Die großen Fluten an den Küsten
Schleswig-Holsteins und in der Elbe, Neumünster
STADELMANN, R. (1981): Meer - Deiche - Land, Neumünster
Mündliche Mitteilung Pastor Manfred Adam, 25. Juni 2000