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Ljapunow-Diagramme im Design


Chaotische Strukturen, die auf mathematischen Gleichungen (z.B. logistische Gleichung) basieren oder die sich durch Gleichungen annähernd beschreiben lassen, können mit Hilfe des Ljapunow- Exponenten analysiert werden (siehe Spektrum der Wissenschaft, April 1995, Ljapunow-Diagramme von Mario Markus). Dazu wird das durch Störgrößen beeinflußte Ergebnis der rekursiven Berechnung der Gleichung in einem zweidimensionalen Koordinatensystem aufgetragen und es werden den Zuständen des Chaos und der Ordnung Farbübergänge zugeordnet. Die daraus entstandenen Diagramme beinhalten nach entsprechender Interpretation nicht nur einen naturwissenschaftlichen Aussagewert, sondern bestechen darüberhinaus durch ihre ungewohnten Formelemente und Ästhetik.

Als ich im April letzten Jahres die Zeitschrift 'Spektrum der Wissenschaft' aufschlug, fiel mir sofort ein Artikel über Ljapunow-Diagramme von Mario Markus auf. Unter Diagrammen verstand ich bisher eigentlich zweidimensionale, nüchterne Graphen, eben die, die ich aus anderen naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen kannte, und war daher von der Form- und Farbvielfalt dieser 'Diagramme' überrascht.

Ljapunow-Diagramme beschreiben nämlich die Intensität der Ordnung und des Chaos eines jeden Wertes einer chaotischen Gleichung im zweidimensionalen Raum. Daß solche Diagramme ungewöhnlich erscheinen müssen, war mir schon klar, überraschend sind aber die neuartigen Raumstrukturen, die aus diesen Bildern hervorgehen. Neben periodisch auftretenden Beinahewiederholungen von Formen gibt es auch 'Gebilde', die natürlich und gleichzeitig geheimnisvoll wirken, weil sie in abgewandelter Form dem ähneln, was normalerweise nur unter einem Mikroskop zu sehen ist, nämlich der Welt der Insekten und anderer Kleinlebewesen.

Inspiriert durch diesen Artikel begann ich ein Programm zu schreiben, um selbst in der Welt der Ljapunow-Diagramme experimentieren zu können. Schnell mußte ich feststellen, daß an eine einfache Implementierung der Algorithmen nicht zu denken war. Neben der notwendigen komplexen Infrastruktur des Programmes, die aus der grafischen Softwareumgebung und den aufwendigen Dateneingaben resultiert, benötigt man auch optimierte Algorithmen zur Berechnung der Diagramme, damit die Berechnung eines Bildes nicht Wochen benötigt. Inzwischen ist das Programm soweit gereift, daß das Generieren von Bildern für den Anwender nicht weiter kompliziert ist und er sich hauptsächlich mit der Erzeugung neuer Formen und Farbübergängen beschäftigen kann.

Im Vergleich zu anderen 'Chaos'-Programmen, die überwiegend Fraktale erzeugen, ist dieses Programm in dieser Art und Weise einzigartig, nicht nur, weil ungewöhnliche Formen entwickelt werden, sondern auch, weil es jeden Anwender in die Lage versetzt, mit diesen Formen zu experimentieren.

Diese statischen Ljapunow-Diagramme haben ihren besonderen Reiz, bewegte Sequenzen, erzeugt durch Variation der Parameter oder durch Ortsänderungen, sind sehr viel aussagekräftiger. Daher ist die Implementierung eines Filmgenerators begonnen worden.

Was sind nun Ljapunow-Diagramme, was ist Chaos? Unter Chaos versteht man den Zustand eines Systems, der nicht aufgrund von Gesetzmäßigkeiten und vergangenen Ereignissen vorhersehbar ist. In der herkömmlichen Naturwissenschaft ist man davon ausgegangen, daß zukünftige Ereignisse prinzipiell vorhersehbar sind, wenn alle vergangenen und gegenwärtigen Fakten mit ihren Gesetzmäßigkeiten bekannt sind und ausgewertet werden können. Beispielsweise kann man davon ausgehen, daß ein Apfel, der vom Baum fällt, den kürzesten Weg zum Erdboden wählt. Unsere Erfahrung zeigt, daß jeder Apfel in unserer Umgebung dieses Verhalten zeigt. Es gibt allerdings Systeme, deren Zustand nicht vorhersehbar ist. Das System kann zwei oder auch mehrere oder auch unendlich viele Zustände erreichen.

Die Intensität des Chaos kann nun mit dem Ljapunow-Exponenten untersucht werden, wenn die chaotische Eigenschaft durch eine Gleichung oder ein Gleichungssystem beschrieben werden kann. Oft benutzt man zur Beschreibung eines chaotischen Systems die logistische Gleichung, deren Parameter an das zu untersuchende System angepaßt werden. Allerdings gibt es auch speziell entwickelte Gleichungen, die bestimmte chaotische Systeme besser beschreiben, wie der Artikel von Mario Markus zeigt (oszillierende chemische Reaktionen, Herzrhythmus). Gemeinsam an allen Gleichungen ist, daß sie rekursiv betrieben werden. Der aus einem bestimmten Startwert resultierende Funktionswert wird als neuer Wert in die Gleichung eingesetzt, so daß wieder ein neuer Funktionswert entsteht.

In dem oben angeführten Artikel sind sechs chaotische Gleichungen angegeben, von denen allerdings mit diesem Programm nur vier berechnet werden können, da die Berechnung der übrigen beiden wahrscheinlich zu zeitaufwendig ist (bei Interesse bin ich bereit, diese Funktionen zu implementieren). Deshalb sollen hier auch nur diese vier vorgestellt werden, genauere Angaben findet man in dem Artikel von M. Markus.


Basisgleichungen und deren erste Ableitungen

Erläuterung des Ljapunow-Exponenten:

der Ausdruck df(xi)/dxi beschreibt die erste Ableitung, also die Steigung, der zu untersuchenden Funktion an der Stelle xi. Es ist uninteressant für die Untersuchung, ob die Steigung an dem Punkt positiv oder negativ ist, wichtig ist die absolute Größe, daher wird der Absolutbetrag benutzt. Die Verwendung des Zehnerlogarithmus und die darauffolgende Summierung (beschrieben durch Sigma) hat nur technische Bedeutung (logarithmierte Werte sind kleiner, ein Zahlenüberlauf während des Rechenvorgangs kann so leichter vermieden werden), beides zusammen entspricht einer fortlaufenden Produktbildung der Ableitungen.

Ein System ist dann chaotisch, wenn zwei ursprünglich dicht benachbarte Punkte während der Iteration nicht benachbart bleiben (siehe: Ljapunow-Diagramme, Mario Markus, Spektrum der Wissenschaft 4/95). Genau dieses wird mit dem Ljapunow-Exponenten untersucht, denn für diesen Fall ist die Ableitung an der Stelle xi größer als 1, bei Ordnung kleiner als 1. Um Fehler zu eliminieren, muß im Idealfall das Produkt der Ableitungen aller Iterationsschritte gebildet werden.