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NSDAP, linker Flügel der
(siehe auch Nationalsozialismus)
Zu Beginn des 20.Jahrhunderts war das öffentliche Klima stark von autoritären und biologistischen Lehren wie dem Sozialdarwinismus beeinflusst. Sie erreichten auch die Arbeiterbewegung, in der unter sozialistischen Vorzeichen sowohl totalitäre Staatskonzepte als auch Ideen vom "besonderen Kulturauftrag" des jeweiligen Volkes grassierten. Insgesamt eine Gedankenwelt, der zufolge das Kollektiv über das zersetzende Marktprinzip und den bürgerlichen Egoismus, das "schaffende" über das "raffende" Kapital siegen werde (siehe Antisemitismus). Von da ist es nicht mehr weit zur faschistischen Ideologie: man musste nur an die Stelle des von Marx und Engels international gedachten Proletariats die "schaffende Nation" und schließlich die zur Herrschaft berufene "Rasse" setzen (siehe Rassismus). Am augenscheinlichsten wird diese Entwicklung in der Figur von Benito Mussolini, dem 1921 in Italien die historisch erste faschistische Machtergreifung gelang: Er war bis 1915 einer der führenden Köpfe der italienischen Sozialisten, Parteisekretär und Chefredakteur der Parteizeitung "Avanti!" (heißt soviel wie: "Vorwärts!").
Auch die viel radikalere deutsche Version des Faschismus, der Nationalsozialismus, verweist nicht nur in seinem Namen deutlich auf diese Beziehung. 1919 nämlich bestand die DAP (Deutsche Arbeiterpartei), jene völkische Splitterpartei (siehe Völkische Ideologie), die später zur NSDAP werden sollte, streng genommen aus eigentlich nichts anderem als dem, was später unter "linker Flügel" firmierte. DAP-Gründer Anton Drexler, dessen Vorstellungen aus dem Dunstkreis der sudetendeutschen Sozialdemokratie stammten, wollte nämlich den Grundstein für eine offen nationalistische Arbeiterbewegung legen: die Fahne der DAP war rot, die wenigen Parteimitglieder sprachen einander mit "Genosse" an, ihre "Arbeiterideologie" richtete sich aber nicht gegen den Kapitalismus insgesamt, sondern nur gegen "unproduktives Einkommen" und "national unzuverlässiges Kapital", das wiederum exklusiv "den Juden" zugeschrieben wurde. Der Demagoge Hitler wiederum fand durch die DAP, in die er Ende des Jahres 1919 eintrat, eine populäre Sozialdoktrin, die eine optimale Trägerin für seine viel weitergehenden Vorstellungen vom "Rassenkrieg" und damit einhergehender "Vernichtung der jüdischen Rasse" darstellte (siehe Shoa), denn mit Hilfe dieser Doktrin konnte er auch sozialdemokratisch geprägte Milieus erreichen.
1920 stellte der an die Spitze der jetzt NSDAP genannten Partei aufgestiegene Hitler das dementsprechende 25-Punkte-Programm des "Nationalsozialismus" vor: es wetterte gegen Großhandel und Banken (die verstaatlicht werden sollten), ergriff Partei für Tante-Emma-Läden und Handwerker, forderte eine Art Zinsverbot, Gewinnbeteiligung und einen Ausbau des Rentensystems. Hitlers wichtigster Punkt aber war der: "Kein Jude kann Volksgenosse sein." Zu dieser Zeit wählte man auch das Hakenkreuz - ein okkultes Sonnensymbol, das Ariertum versinnbildlichte - als Parteisymbol, um das Rot der Fahne eindeutig nationalistisch und antisemitisch zu konnotieren, und gründete unter dem Namen SA (Sturmabteilung) eine eignene Parteimilz. Die SA war parteiintern das Hauptterrain der Arbeiterschicht, aus der 1923 deutlich mehr als ein Drittel der 55.000 Parteimitglieder stammten.
Hitlers besessener Judenhass ließ ihn allerdings zeitlebens soziale und ökonomische Angelegenheiten als zweitrangig ansehen. Das führte 1926 zur Herausbildung eines opponierenden, "linken" Flügels innerhalb der Partei, der vor allem in den Großstädten der nördlichen Reichshälfte stark war und unter der Führung der Brüder Gregor und Otto Strasser sowie des späteren Propagandaministers Joseph Goebbels stand. Sie pochten auf eine Art von autoritärem Interventionsstaaat, der seine Wohltaten allerdings nur "rassereinen" Deutschen zukommen lassen sollte (im deutschen Geistesleben sympathiserten damit auch einige Protagonisten der konservativen Revolution; es gab sogar Gruppen von Nationalbolschewisten um Ernst Niekisch und auch Wolfgang Abendroth, die an einem Bündnis zwischen diesem Flügel und der immer nationalistischer auftretenden KPD arbeiteten; siehe Querfront). Hitler befriedete sie mit sozialstaatlichen Versprechungen und der Gründung der NSBO, der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation. Gleichzeitig aber lockerte er die starke propagandistische Fixierung der Partei auf die Arbeiterschicht und richtete die Außenwirkung stärker als bisher auf Mittelschicht und Landbevölkerung aus.
Das war nicht nur dringend nötig, um den Stimmenanteil so zu steigern, dass die NSDAP 1932 zur stärksten Partei Deutschlands wurde, was Hitler auf einigen Umwegen schließlich in das Amt des Reichskanzlers trug, sondern auch, um die exportorientierte Großindustrie und die monarchistischen Eliten inklusive der Reichswehr zu beruhigen. Die nämlich standen der als zu sozialistisch empfundenen NSDAP bis 1933 reserviert gegenüber. Hitler fand sich also eingeklemmt zwischen Reichswehr einerseits und dem in Form der SA (mit mittlerweile 2,9 Millionen Mitgliedern!) bewaffneten "linken Flügel" der NSDAP andererseits. Dies umso mehr, als Röhm immer lautstärker über eine "Zweite Revolution" schwadronierte, in der die alten Eliten komplett durch Parteikader ersetzt werden und die SA als "revolutionäres Volksheer" an die Stelle der regulären Reichswehr treten sollte. Hitler löste sein Dilemma mithilfe der ebenfalls parteiinternen "Schutzstaffeln" (SS): die Reichswehr wurde schleichend entmachtet durch den fortschreitenden Ausbau der SS zum Staat im Staate, die SA unter Ernst Röhm durch eine blutige Säuberungsaktion am 30.6.1934. Röhm wurde ebenso wie Gregor Strasser und hundert weitere potentielle Rivalen Hitlers in einer Nacht- und Nebelaktion von SS-Eliteeinheiten getötet (Propagandaname der Aktion: "Röhm-Putsch").
Damit war der "linke Flügel" zwar organisatorisch enthauptet und spielte danach keine weitere Rolle mehr, aber Hitler war Machtpolitiker genug, um gleichzeitig die soziale Rhetorik zu verstärken und mit Kriegsbeginn auch sozialen Aktionismus u. a. in Sachen Kündigungs-, Schuldner- und Mieterschutz an den Tag zu legen. Das zu dieser Zeit unter anderem deshalb völlig überschuldete Deutsche Reich hielt sich dabei ökonomisch allein durch Raub und Plünderung in ganz Europa über Wasser. "Sozialistisch" war die Wirtschaftspolitik im engeren Sinne insofern, als der Nationalsozialismus ab 1935 alle Wirtschaftssektoren unter ein strenges staatliches Regiment von Lenkungsmaßnahmen, Mehrjahresplänen, hoher Besteuerung und Zuteilungs- und Abnahmeverträgen gestellt hatte. Hitler selber brüstete sich damit, dass er es nicht nötig habe, die Wirtschaft zu verstaatlichen, denn er habe die ganze Bevölkerung verstaatlicht - was ja letzlich den sozialautoritären Vorstellungen der 1934 zerschlagenen Nazi-Linken von einem "Arbeiterstaat" doch sehr nahe kam.