Naturschutz heute – Hintergrundinfo zu Ausgabe 2/01 vom 27. April 2001


Zerstörung im Namen des Umweltschutzes
Die Renaissance der Wasserkraftnutzung bedroht unsere Flüsse.

von Bernd Uhrmeister


Die Wasserkraftnutzung ist auf dem Vormarsch. Vielfach gepriesen als sanfte Energieform, als Ausweg aus Atom und Kohle, entstehen allerorten neue Anlagen. Doch Zeitungsschlagzeilen wie "30.000 Kraftwerke warten auf die Reaktivierung" sollten uns alarmieren. Der Ausbau der Wasserkraft geht alles andere als sanft vonstatten.

Wasserkraftwerke gelten heute als privilegierte Bauten, die ohne viel Federlesens in Landschaftsschutzgebieten genehmigt werden. Der Restabfluss, der bei Ausleitungen aus Bächen und Flüssen im Mutterbett verbleiben muss, wurde drastisch gesenkt. Wie Untersuchungen des NABU Sachsen zeigen, führt das dazu, dass einige Flüsse zeitweise buchstäblich trocken fallen.

Propagandaerfolge der Wasserkraftlobby
Diese Bedrohung müsste die Naturschützer eigentlich auf die Barrikaden treiben. Doch es wird kaum Protest laut. Selten formiert sich eine Bürgerinitiative. Die einen begreifen nicht, dass Stauen und Ausleiten dem Fluss den Todesstoß versetzt. Die anderen sind auf die Propaganda der Wasserkraftlobby hereingefallen und überschätzen den Beitrag der Wasserenergie maßlos.

Wenn wir uns nicht für unsere Flüsse einsetzen, dann wird es bald keine mehr geben - abgesehen von ein paar Kilometern in Naturschutzgebieten. Und deren Sperrung für Wanderer, Badende und Bootfahrer wird wegen großen Andrangs nicht lange auf sich warten lassen.

Vergleicht man die Leistung von Wasserkraftwerken mit der von Autos, Lokomotiven und Flugzeugen, also uns allen vertrauten Fahrzeugen, dann schnurrt die zum Elefanten aufgeblasene Wasserkraft auf ihr wahres Maß zusammen, dem einer Mücke. So verfügt zum Beispiel das Windachkraftwerk in Eching am Ammersee trotz seines 4,75 Meter hohen Wehres lediglich über eine installierte Leistung von 60 Kilowatt, also gerade so viel wie ein Kleinwagen. Seine im Mittel übers Jahr abgegebene Leistung liegt mit 32 Kilowatt bei Trabi-Dimensionen. Im Gegenzug denaturiert es den kleinen Fluss auf rund einem Kilometer Länge. Selbst der Star unter den deutschen Wasserkraftwerken, das Walchensee-Werk, leistet im Jahresmittel mit 37.000 Kilowatt weniger als ein im Reiseflug dahinziehendes Flugzeug.

Minimaler Energiebeitrag
Zur Zeit tragen die 5000 deutschen Werke mit vier Prozent gerade so viel zur Stromversorgung bei wie zwei Wärmekraftwerke. Der Ausbau des verbliebenen Potentials ließe eine Steigerung um knapp zwei Prozentpunkte erwarten - also soviel wie ein einziges Wärmekraftwerk erzeugt.

Nun verbraucht der Mensch nicht nur Strom, sondern auch Öl, Gas, Kohle, Benzin usw. All das addiert sich zum Gesamtenergieverbrauch. Zu diesem trägt die Wasserkraft derzeit rund ein Prozent bei. Und um dieses magere eine Prozent verringert sie die Emission des Treibhausgases Kohlendioxid und senkt sie den Ressourcenverbrauch. Selbst nach totalem Ausbau und drastischem Einsparen von Energie steuert sie nur 1,9 Prozent zur Versorgung bei - so beschreibt es die Enquete-Kommission des Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre in ihrem Reduktionsszenarium für das Jahr 2020.

Aber wem schadet es, wenn ein Fluss ausgebaut wird? Zuerst mal dem Fluss selbst. Der Stau beraubt ihn des Fließens und die Ausleitung nimmt ihm das Wasser. Eindämmung oberhalb und Ausbaggerung unterhalb des Kraftwerks engen ihn ein, verwehren ihm, sich sein Bett selbst zu gestalten und trennen ihn von der Aue ab. Die Folgen: Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sterben aus, die auf strömendes Wasser und ein vielgestaltiges Flussbett angewiesen sind. Vom Fluss abgeschnitten, verdorrt der Auwald. Eingezwängt in enge Ufer, verschärfen sich die Hochwasser und richten an Häusern Schäden in Millionenhöhe an. dafür sollte man die Betreiber der Wasserkraftwerke in Regress nehmen. Wandernden Arten stellen sich die Wehre als unüberwindliches Hindernis in den Weg, während die Turbinen sich als Fischhäckselmaschinen betätigen.

Flüsse mit Wassermangel
Lassen sich bei neuen Kraftwerken diese Schäden nicht vermeiden? Einfache Antwort: nein! Fischtreppen und ein ausreichender Abfluss in der Ausleitstrecke brauchen Wasser. Das fehlt dann in der Turbine. Die ohnehin prekäre Wirtschaftlichkeit ginge vollends verloren. Aus diesem Grund wehren sich die Kraftwerksbetreiber gegen solche Auflagen. Mit Erfolg! Ihre Lobby hat in den Novellierungen des Wasserrechts durchsetzen können, dass der Restabfluss bei weniger als einem Drittel des Niedrigwassers liegt. Das entspricht etwa einem Zehntel des Mittelwassers.

Aber sollte man nicht die aufgelassenen alten Kraftwerke reaktivieren? Davon träumt die Wasserkraftlobby, die 30.000 Mühlen und winzigen Kraftwerke wieder aufzubauen, die im Lauf des letzten Jahrhunderts aufgelassen wurden. Die meisten sind zerfallen. Das Wehr schwemmte der Fluss weg oder es wurde im Zuge einer Renaturierung beseitigt. Und selbst da, wo es stehen blieb, rauschte das gesamte Wasser darüber und füllte die Ausleitstrecke. Mit einem Wort: Dem Fluss wurde seine Natürlichkeit zurückgegeben. All das ginge durch eine Reaktivierung wieder verloren und noch mehr. Denn in aller Regel wird das Wehr erhöht und die Restwassermenge drastisch verringert.

Erfolgreicher Widerstand
Aufgepäppelt durch Subventionen, steuerliche Vergünstigungen und einen überhöhten Einspeisepreis ist die Wasserkraft für Investoren interessant geworden. Vornehmlich die Öko- und Umweltbanken bieten Beteiligungen an Wasserkraft-Fonds an. Deren Initiatoren planen die Verbauung ganzer Flusssysteme. So sind 180 Kleinkraftwerke in der Eifel projektiert. Wird dieser Plan verwirklicht, dann sind Prüm, Kyll, Lieser, Elzbach und Ahr verloren. Stau würde sich an Stau und Ausleitung an Ausleitung reihen. Einen Vorgeschmack dürfte das kurz vor der Fertigstellung stehenden Werk an der Prüm bieten, das der Flussschlinge bei Hamm auf zwei Kilometer das Wasser bis auf 200 Liter pro Sekunde entzieht.

Dass Widerstand ist möglich, zeigt die Jagst-Initiative. Sie brachte ein Projekt des Stadt Friedrichshall zu Fall. Das Werk hätte den Fluss auf zwei Kilometer gestaut. Ein Dutzend Vereine schlossen sich zusammen. Unterschriftensammlungen, Pressearbeit und Eingaben veranlassten das Regierungspräsidium, das Projekt abzulehnen. Die Begründung: Die Verringerung der Luftbelastung und die Ressourcenschonung durch 470 Kilowatt Leistung stünden in keinem Verhältnis zum Verlust an naturnaher Landschaft. Die Initiative formulierte griffig: "Die Jagst sollte uns mehr wert sein als die Leistung von 400 Kochplatten".

Nur noch ein Zehntel naturnah
Zurecht wird beklagt, dass sich nur noch zehn Prozent unserer Flüsse in naturnahem Zustand befinden. Es wäre deshalb schizophren, gleichzeitig den weiteren Ausbau der Wasserkraft zu fordern. Grundsätze wie "Reaktivierung hat Vorrang vor Neubau" oder "der Neubau von Kleinanlagen hat Vorrang vor dem der großen Werke" sind bloße Deckmäntelchen und bedeuten letztlich nichts anderes als die Zustimmung zur Verbauung aller Flüsse - mit Ausnahme der wenigen Flusskilometer in Naturschutzgebieten. Noch haben wir Flüsse, die im naturnahen Zustand dahinströmen. Bewahren wir sie vor der Zerstörung durch die Wasserkraft.



Buchtipp: Bernd Uhrmeister, Nicola Reiff & Reinhard Falter: Rettet unsere Flüsse. Kritische Gedanken zur Wasserkraft. - Pollner Verlag. 19,90 Mark.
ISBN 3-925660593.



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Naturschutz heute ist das Mitgliedermagazin des 1899 gegründeten Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Mehr über den NABU und seine Aktivitäten unter www.NABU.de.

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