Deutsche
Erstausgabe 1991
Eine
Woche war seit Anthonys Antrag
verstrichen, und Amanda hatte
seinem
grimmigen Blick
am Frühstückstisch
entnommen,
daß er allmählich die Geduld
verlor.
Nach dem Gebet hatte er Mr. Leigh um eine
Unterredung in
seinem
Arbeitszimmer ersucht. Dieser Wunsch
wurde ihm gewährt und Amanda daraufhin zu
ihrem Vater zitiert.
Voll banger Erwartung betrat sie sein Zimmer.
„Tochter“, sagte er, „ich bin
sehr
bekümmert, obwohl ich doch
eigentlich Grund
zur
Freude haben sollte. Sage mir eines: Macht es
dir
Spaß,
deine
Eltern zu
verletzen?“ Es war
nicht erforderlich, dies
zu
verneinen, denn er
erwartete keine
Antwort. „Es
ist mein innigster Wunsch, dich
glücklich versorgt
zu sehen,
damit du ein gutes
und nützliches Leben
führen
kannst. Das weißt du,
und dennoch
verhöhnst du
meine Wünsche, wie du es während
deiner ganzen Kindheit getan hast; du bringst Kummer
über deine Mutter, Unglück über uns beide.
Ich habe zu
Gott gebetet, ER möge dein Herz erweichen,
dich mit ein wenig töchterlichem Pflichtbewußtsein
erfüllen, an dem es dir leider
mangelt; doch bisher hat es dem Herrn nicht gefallen, meinem
Wunsche
stattzugeben. Dein Vetter hat mich um meine Zustimmung
gebeten, dich zur Frau zu nehmen. Ich gab sie ihm
mit Freuden. Er ist ein junger Mann, den ich sein ganzes
Leben gekannt habe; er ist meines Bruders Sohn. Mit
keinem anderen sähe ich dich lieber glücklich
vereint. Er ist
ein Leigh – von unserem Fleisch und
Blut. Eure Verehelichung würde mir den Sohn bescheren,
den
Gott
mir verwehrt hat. Ich wußte, daß Gott
mir den Gedanken eingegeben hat, als ich die
Möglichkeit
einer
solchen Verbindung erwog. Dies ist
Gottes Antwort auf meine Gebete. Das war der Grund, warum
mein ernstes Flehen um einen Sohn nicht erhört
worden war. „Hier ist dein Sohn“, sagte
Gott.
„Nimm
ihn und vereine ihn mit deiner Tochter.“ Gern
würde
ich Gottes Willen tun, das war stets mein Bestreben.
Doch du
hast wieder einmal
beschlossen, nicht nur mir, sondern auch deinem himmlischen
Vater zu trotzen.“
Das Gespräch nahm den üblichen
Verlauf. Wie oft
hatte sie schon dieselben Worte gehört, dieselben
Phrasen? Gott stand immer auf seiten ihres
Vaters, führte ihn bei allen seinen Entscheidungen.
„Papa“, sagte sie,
„ich fühle mich noch zu jung.“
„Darüber habe ich zu befinden.
Du bist sechzehn
geworden. Deine Mutter wurde kurz vor ihrem siebzehnten
Geburtstag verheiratet, und ich sehe keinen Grund, warum du es nicht
sein solltest.“
„Wenn ich noch eine kleine Weile
warten, andere Menschen kennenlernen könnte ...“
„Maßt du dir etwa an, mir zu
sagen, ich
wüßte nicht, was für meine Tochter am
besten ist?“
„Ja, Papa. So ist es wohl.“
Überrascht starrte er sie an; dann
schloß er
die Augen und preßte seine Hände zusammen.
„O Gott“, sagte er, „welch
eine Bürde hast
DU mir auferlegt? Welch ein Kreuz habe ich zu tragen ... und welches
Kreuz ist bitterer als eine undankbare, ungehorsame
Tochter? Vergib mir, denn ich weiß
nicht, was ich sage.“
Amanda hatte die Zwiegespräche ihres
Vaters mit Gott
immer als peinlich empfunden. Trotz all seiner
angeblichen Demut schien er mit Gott beständig zu hadern, weil
ER
etwas getan oder nicht getan hatte. Er
bemühte sich
stets, IHN auf dem Weg zu leiten, den ER gehen solle.
Sie legte die Hände auf den Rücken
und versuchte,
sich Friths
lachendes Gesicht vorzustellen und Mut daraus zu
schöpfen.
Ihr Vater hatte die Augen geöffnet.
„Du widersetzt dich“, sagte er.
„Ich fürchte ja,
Papa.“
„Dennoch ist dir bekannt, daß
ich entschlossen
bin, dich mit deinem Vetter zu verheiraten?“
„Ja, Papa.“
„Du kannst auf dein Zimmer gehen. Wir
werden beim
Dinner eure Verlobung offiziell bekanntgeben.“
„Ich bitte dich, mich nicht dazu zu
zwingen, Papa.“
Sie wußte, daß es
Schwäche war. Es war
kein „Ich will nicht“; er war ein „Ich
bitte dich,
zwinge mich
nicht“. Dazwischen lagen Welten. Sie
hatte ihre Niederlage erkannt, und
lebenslange Gewohnheit
ließ sie diese akzeptieren.
„Ich werde darauf bestehen“,
sagte ihr Vater;
er lächelte wohlwollend, denn er hatte
blitzschnell den
Zusammenbruch des Widerstandes erkannt. „Und“,
fügte er hinzu, beinahe sanft, „in
späteren Jahren wirst du vor mir auf die Knie fallen
und mir
danken
für das, was ich getan habe.
Nun geh,
mein Kind.“ Er kam zu ihr und klopfte ihr auf die Schulter.
„Ein bißchen Zaudern ist
zuerst vielleicht natürlich. Du meinst, wir
hätten dich
zu
sehr gedrängt. Nun geh auf dein Zimmer! Du
bist eine
glücklich zu schätzende junge Frau. Ich gratuliere
dir zu
deinem charmanten
Ehemann.“
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