Gottesbilder und ihre Implikationen Teil II

Gottesbilder, also unsere Vorstellungen von Gott, sind stets antropomorph, also vermenschlicht, und lassen Gott daher auch nur als vergöttlichtes Spiegelbild unseres menschlichen Bewusstseins, unserer Vorstellungen, Wünsche und Hoffnungen erscheinen, ohne aber Gott in seiner Unbegreiflichkeit damit auch nur annähernd erfassen zu können. Im Teil 1 seines Gottesbild-Aufsatzes hat R. Stiegelmeyr die problematischen Auswirkungen von formelhaft starren, oft von Kirchen dogmatisch geprägten Gottesbildern auf unser Glaubens-, Lebens- und Weltbild am Bespiel von Leid und Anfechtung erkennen lassen. Im hier vorliegenden Teil 2 zeigt uns der Autor, wie durch das Auftreten Jesus und dem damit verbundenen Abschied von einem lediglich bildhaft vorgestellten Gott ein eigentlicher Paradigmenwechsel stattfand und wie wir, ausgehend vom dem durch jesuanischem Einssein geprägten Gottesbild, einen anderen Zugang zu Gott bekommen.[break]

Dieser Artikel ist der 2. Teil des Gottesbildaufsatzes unseres Autors Rudolf Stiegelmeyr. Den einführenden 1. Teil finden Sie unter Gottesbilder und ihre Implikationen Teil I

5. Entwicklung von Gottesbildern i

Je weniger Menschen über diese Welt und ihre Zusammenhänge wussten, desto mehr war Gott (und ist er in solchen Völkern noch heute…) Ursache aller inner- wie außerweltlicher Phänomene. Naturkatastrophen, egal welcher Art oder Ursache, wurden als göttliches Strafgericht für unangemessenes menschliches Verhalten gedeutet. Krankheit war in den meisten urzeitlichen Völkern das äußere Merkmal dafür, dass die Götter verärgert worden waren. Krieg wurde, falls siegreich beendet, als göttliche Strafaktion für die Verlierer und, wo nötig, als Unterstützung zur Erweiterung der eigenen Interessen gedeutet. Für den Fall, dass er verloren wurde, hatte die Interpretation göttlicher Rachegelüste etc. für nichtkonformes Verhalten oberste Erklärungspriorität.

Dabei wurden einerseits jene Phänomene, die noch keine menschliche Erklärung fanden, und andererseits die jeweiligen menschlichen Erfahrungen mit ihrer Umwelt in das spezifische Gottes- oder Götterbild projiziert. In der Entwicklung und im Wandel der Gottesbilder verloren dabei diejenigen Teile an projizierbarer Bedeutung, welche keine menschliche Erklärung fanden und jene, in denen menschliche Lebenserfahrungen analogisiert auf die Gottheit übertragen wurden, mehrten sich. Dies hatte den einfachen Grund, dass einerseits die Menschen im Laufe ihrer evolutiven Entwicklung immer mehr die Zusammenhänge ihres Lebens und der Welt verstehen konnten und andererseits, dass in dem Maße, wie sie in ihren Welt- und Lebenserfahrungen sicherer wurden und diese bewusster in das Sammeln neuer Erfahrungen einbringen konnten, es ihnen zunehmend schwerer fiel, Gottheiten außerhalb dieser Erfahrungen, zumindest aber außerhalb der dazugehörigen Erfahrbarkeit zu vermuten. Dies führte im Laufe der Zeit in einen zunehmend Anthropomorphismus, was die (Weiter)Entwicklung der jeweiligen Gottesvorstellungen betraf, ein Phänomen, welches wiederum die jeweiligen Erfahrungen und damit den Lauf der Geschichte im Nachhinein auf Gott/Götter und dessen/deren mehr oder weniger häufiges und/oder intensives Steuern hin interpretierte. Diese so geglaubte Gottes-/Göttersteuerung wurde u.a. zum Ausgangspunkt des ersten Paradigmenwechsels, weg von den unpersönlichen polytheistischen Göttervorstellungen und hin zum immer persönlicher werdenden monotheistischen Volks-, Sippen-, Familien- und schließlich individuellen Vater-Gott.

Da sowohl der Wechsel von Gottesbildern einer bestimmten religiösen Vorstellungswelt zu einer anderen als auch die Vermischung mit Nachbargottheiten (das alte Prophetenproblem in der Frühzeit Israels) weder nahtlos ineinander gehen noch immer klar zu trennen sind, mischen sich häufig Zwidderwesen in die unterschiedlichen Ausprägungen dessen, was als gotthaft geglaubt wird und religiöse Anerkennung und Verbreitung findet. In diesem unweigerlichen Spannungsverhältnis vermischen sich auch unterschiedliche religiöse Traditionen und Völkerschaften und neue Gottheiten, ohne eine geschichtliche Erfahrungstringenz, kommen auf den Plan. Gottheiten, die nicht nur alte und neue Züge vereinen, sondern auch alte und neue Irrtümer zu neuen Vorstellungen mischen. Der rosarote Kuschelgott der kindhaften Bettgeschichten ist nur ein Beispiel von vielen, wie die ursprüngliche Vaterrolle missverstehend ein Transfer zustande kam, dessen Inhalte weder konkruent noch analogiefähig zueinander sein können. Das so entstandene Sammelsurium der unterschiedlichsten Gottesbilder, Gottheiten und scheinbar genuinen Gotteserfahrungen trug viel zur Verwirrung und Unglaubwürdigmachung tatsächlicher Gotteserfahrungen bei. Hier wahre von falschen und echte von unechten Gotteserfahrungen und daraus sich entwickelnden Gottesbildern zu trennen, wurde zunehmend schwerer. Aus Unsicherheit, Unkenntnis oder Ignoranz entstanden so Gottheiten, deren Vorstellungsspektrum oft mehrere Entwicklungsstufen mit einschloss, woraus sich zwangsläufig Widersprüche ergaben, die ihrerseits mit zur Unglaubwürdigkeit von Gottesbildern per se beitrugen. Wie überall konnten sich auch hier die Menschen nicht immer von den überkommenen Traditionen trennen, nicht zuletzt, weil missverstandener Glaube und negative Erfahrungen usw. damals wie heute einer Weiterentwicklung im Wege standen. Dies musste über kurz oder lang naturgemäß in das heutige Gottesvakuum der Widersprüche führen.

6. Das Dilemma von Anspruch und Wirklichkeit

Dieses Erbe von traditionsbezogenem Missbildnis, persönlichem Erfahrungsvakuum oder Erfahrungstrauma – unabhängig der Ursachenfrage nach diesem Erfahrungsvakuum oder -trauma – und scheinbarer naturwissenschaftlicher Gegenerkenntnis, einschließlich deren oftmals völlig unsinnige Vermengungen und Verdrehungen, „… formte in vielen nicht unwesentlichen Zügen auch noch das Gottesbild von uns Christen. Wo immer dieses Bild überlebte, werden die Spannungen zwischen archaischer Gottesvorstellung und einerseits dem Gottesbild Jesus Christus und andererseits der erkenntnisorientierten Durchdringung der Welt immer größer. In unserer evolutiven ‚Denkhierarchie’ können die Erkenntnisse (Natur- und Geisteswissenschaft) die Modelle (Glauben, Mythologie) nicht verdrängen. So ‚wissen’ wir einerseits um die natürlichen Zusammenhänge, ‚glauben’ aber trotzdem (noch), dass Gott die willentliche Ursache der Phänomene ist. Bekanntestes Beispiel hierfür ist die große Zahl der Menschen, die zwar – im Gegensatz zu den Kreationisten – die Wörtlichnahme der biblischen Schöpfungslegende nicht ernst nehmen, aber gleichwohl davon überzeugt sind, dass innerhalb der evolutiven Artenentwicklung bei jeder neuen Art Gott seine Finger im Spiel haben müsste, mit anderen Worten: für das Anschubsen von Neuem im Sinne eine Urimpulses könne nur Gott verantwortlich sein.

Mit der Hauptgrund für diese immer noch ständige Inanspruchnahme Gottes ist, um mit dem Jesuitenpater Rupert Lay zu sprechen, dass man von Gott eben nur anthropomorph sprechen könne, weil die Worte, die sich zur Beschreibung dessen, was nach unserer Erfahrung das Höchste ist, sich notwendigerweise auf etwas beziehen müssen, was dem menschlichen Erfahrungs- und damit Wissenshorizont zugänglich ist – und das ist eben der Mensch. Daraus aber folgt die unausweichliche Gefahr, dass uns dieses anthropomorphe Sprechen von Gott beinahe automatisch dazu verführt, diesem so vorgestellten Gotteskonstrukt auch menschliche Eigenschaften zuzuschreiben bzw. alles, was uns widerfährt, unter der Maßgabe dieser Eigenschaften zu interpretieren. So war von je her dieses anthropomorphe Gotteskonstrukt Inhalt der Predigten aller Religionsgemeinschaften. Vorstellungen, dass ‚Gott hilft, liebt, straft, sich ärgert oder eben in Versuchung führt bzw. uns Anfechtungen aussetzt’ sind menschliche Erfahrungsparameter, die auf Gott und damit ein Wesen übertragen werden, das bei genauerem Hinsehen aber einen solch einfachen Analogietransfer nicht zulässt.

Im Bewusstsein also, dass wir weder über die, letztlich ja nur mittels eines manipulierbaren Glaubens erfahrbaren traditionellen Gottesbilder, noch über die ebenso manipulierten schriftlichen Zeugnisse uneingeschränkten und unmissverständlichen Zugang zu dem finden werden, was Gott wirklich ist, sollten wir bei jeglichem institutionellen Versuch, auf darauf basierende religiöse Inhalte eingeschworen zu werden, die – wen wundert's – nun auch nur über den Glauben erfahrbar seien, sofort hellhörig werden. Denn auf dieser Ebene kann uns nur der Verstand anleiten zu erkennen, um mit Wittgenstein zu reden, dass ‚die Grenzen meiner Sprache und meines Denkens automatisch die Grenzen meiner Welt bedeuten’ und damit automatisch die Grenzen dessen, über das oder von dem zu sprechen uns zusteht. Dies bedeutet allerdings, dass die, die immer meinen für alles und jedes Erklärungen haben zu müssen oder Erklärungen zu haben, sich von dem fatalen Gedankengang zu trennen hätten, der immer Erklärungen für alles Gute und Positive hat, nämlich göttliche Liebe und göttliches Wohlwollen, bei negativen Ereignissen und Leid und Elend erklärungsmäßig aber immer versagt mit dem Hinweis auf den unerforschlichen Ratschluss Gottes oder eben die scheinbar notwendige Anfechtung, die für das Himmelreich unerlässlich wäre.
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Wenn wir uns vor Augen halten, was mehr als 100 Jahre Forschung in biblischen, naturwissenschaftlichen, anthropologischen, linguistischen und anderen Bereichen an umwerfenden und ehrfurchtgebietenden Erkenntnissen – auch wenn diese nur Bruchstücke der Wirklichkeit sein können – zutage gefördert haben, so wäre jegliche fromme Negation dieser Erkenntnisse und Einsichten, die Roland Z. hier ganz wunderschön zusammengefasst hatte, die gleiche fortschritthemmende Sünde, wie dies jegliche wissenschaftliche Negation oder Ignoranz in anderen menschlichen Bereichen wäre. Wer dererlei Einsichten immer noch als unbiblisch, antireligiös, den Glauben hemmend, Zweifel säend o.ä. verteufelt, darf sich getrost in die Reihen derer einfügen, die mit dem Begriff ‚Sekte’ noch viel zu ungenau umschrieben sind.

Wir sollten uns im klaren sein: Wollen wir unseren schöpfergewollten Verstand, unsere Fähigkeit zu denken und zu lernen usw., zur Erlangung göttlicher Erkenntnisse segenbringend einbringen, müssen wir dabei zuerst unser christliches Gottesbild, oft subsumiert unter dem Begriff ‚Theismus’, von dem trennen, was Gott nicht ist bzw. was Gott in seiner Unbegreiflichkeit begreiflich, kalkulierbar und damit fassbar machen soll. Theismus ist letztlich ja auch nur eine von vielen menschlich erschaffenen Definitionen und daraus resultierend Vorstellungen von Gott.

Der Grund: Es erhebt sich nämlich die durchaus berechtigte Frage, ob menschliche Definitionen oder Vorstellungsinhalte auch nur annähernd (er)fassen können, was die abstrakte und damit doppelt ungreifbare Gesamtbegrifflichkeit ‚Gott’ – unabhängig aller scheinbaren oder tatsächlichen Erfahrungen – eigentlich aussagt bzw. beinhaltet? Denken wir bei dem mit diesem Gottesabstraktum verbundenen menschlichen Vorstellungs-Wirrwarr alleine einmal an die Aristotelische Weisheit, nach der das Ganze (Gott als universale Gottheit) mehr sei als die Summe seiner Teile (die auf Gott hin interpretierten menschl. Erfahrungen und Vorstellungsaspekte), so werden wir gewahr, dass wir viel zurückhaltender sein sollten in dem, was wir oft so leidenschaftlich als den ein für allemal festzumachenden ‚göttlichen Willen’ etc. auszumachen meinen. Ganz zu schweigen von unserer Unfähigkeit, die Vielzahl dieser Einzelvorstellungen Gottes zu trennen von dem, was ihr unweigerlicher menschlicher Bezugs- und damit Schwachpunkt ist. Wäre es also vor diesem Hintergrund nicht aufrichtiger, wir würden uns auf die alte Volksweisheit besinnen, die schlicht besagt: Wenn Pferde einen Gott hätten, würde dieser eben auch aussehen, denken und handeln wie ein Pferd..., und auch der dazugehörige Pferdehimmel wäre besetzt mit Vorstellungen von saftigen, raubtierfreien Wiesen, Steppen, die durchflossen wären von kristallklaren Bächen, gesäumt von schattigen Alleen, usw...

Die Ursache dafür liegt zuerst einmal in der banalen Erkenntnis begründet, dass keine Kreatur je Geistiges jenseits des eigenen Geistes zu erfassen in der Lage wäre (es sei denn, es werden ihr diese Möglichkeiten von einer externen, höheren Quelle ermöglicht). Wie ein Pferd, das auch nicht über den Erfahrungs- und damit Denkhorizont eines Pferdes hinaus kann. Trotz unserer menschlich so ungleich höheren Fähigkeiten (wie beispielsweise Abstraktions-, Induktions- oder Reflexionsfähigkeiten), trifft genau dies auch auf uns Menschen zu. Das heißt, menschliche Götter werden immer auch wie Menschen denken und handeln. Über diese Vorstellungsgrenze hinaus können wir im Prinzip nichts Sinnvolles denken oder aussagen. Wenn wir also von Gott sprechen, müssen wir uns vorab dieser Beschränkung bewusst werden. Selbst wenn wir Glauben oder mystische Offenbarungen etc. in unserem Vorstellungsvermögen zulassen, muss es uns prinzipiell klar sein, dass wir auch diese Dinge nur mit eben jenen Beschränkungen wahrnehmen, gebrauchen und damit Vorstellungen schaffen können, jedenfalls solange, solange wir uns ausschließlich auf rein irdisch-menschliche Parameter verlassen. Genau dies bedeutet aber, dass wir Gott nicht gleich gänzlich aus unserem Denkkreis zu verbannen hätten, sondern im Augenblick lediglich, dass der Gott der Religionen und Religionsgeschichte, den die Menschen seit Urzeiten angebetet haben, ein sehr vermenschlichter – eben ein anthropomorpher Gott ist.

Dies allerdings sollte uns nun zu der Schlussfolgerung veranlassen, dass wir uns nicht allzu heftig, vor allem aber nicht unkritisch, an persönliche Gottesbilder und deren Definitionen und Erklärungsmodelle halten sollten. All dies kann sich, wie wir am Beispiel der typisch kirchlichen Anfechtungserklärungsversuche gesehen haben, nämlich ganz schnell in nichts mehr als einen lebensbehindernden Trugschluss auflösen, wobei sich theologische oder religiöse Gedanken- und Lehrgebäude sehr schnell auf ein ganz einfaches Bild reduzieren: das Betrachten des eigenen Spiegelbildes im Lichtkegel der feuerbeschienen Höhlenwände. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass der Gott Abrahams aussah und dachte wie eben Abraham. Ebenso die Gottesvorstellungen von Martin Luther, der Urapostel wie der heutigen, der Päpste, Bischöfe, ja aller geistlichen Denker und Führer.

Genau dies trifft aber auch auf die Bibel zu, denn beim Lesen ihrer Geschichten, Mythen, Legenden, Theologien, Predigten, usw. lesen wir immer nur mit unseren bereits vorstrukturierten menschlichen Vorstellungen und Erfahrungen (erstes Filter) durch die Augen und Interessen der jeweiligen menschlichen Autoren und Redaktoren mit all ihren Wünschen, Bedürfnissen, Begierden, Interessen und damit letztlich immer auch begrenzten Vorstellungen etc. (zweites Filter), und dies zu allem Übel auch noch anhand oftmals sehr unzureichender Übersetzungen (drittes Filter), wobei das unzureichende Element oft nicht so sehr im semantisch-grammatischen, sondern im kommunikativen Feld liegt.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet werden die unterschiedlichsten Gottesbilder und die sich daraus entwickelten Glaubenslehren nun schon ziemlich relativiert. Nicht nur unsere Gottesbilder sind dann häufig nichts weiter als gespiegelte Menschenbilder mit unbegrenzten Eigenschaften, die unsere Urahnen vorstellungsbedingt irgendwann in den Himmel projiziert haben, sondern auch die sich daraus entwickelten Glaubens- und Bekenntnislehren. Vieles, was wir als sakrale oder sakramentale Gottesvorstellung mit Realität gleichsetzen, ist letztlich nicht mehr als das vergöttlichte und sich evolutiv weiterentwickelnde Spiegelbild unseres menschlichen Bewusstseins und seiner Wünsche, Hoffnungen und Begierden. Das ist wohl der Hauptgrund, warum wir dazu tendieren, in unseren religiösen Begriffen schon von vorneherein göttlichen Charakter zu vermuten. In unserem Streben nach Lebenssinn und damit verbunden ewige Sicherheit oder Gewissheit setzen wir unsere jeweilige Gottesvorstellung gleich mit Gott selber, unsere Vorstellung von heiligen Dingen mit dem Heiligen selber. Das führt dann dazu, dass, wenn diese Vorstellungen durch reflexionskritisches Denken durcheinandergebracht, ja herausgefordert werden, wir dies als persönlichen Angriff auf Gott oder das Heilige selbst werten (gerade Sekten liefern dazu eine Unzahl ganz lebendiger Beispiele). Und dies obwohl doch ganz klar zu erkennen sein müsste, dass im Prinzip alle unsere Gottesvorstellungen einschließlich der damit verbundenen Glaubenserfahrungen zuerst einmal nur menschliche Konstrukta sind, Denk- oder Vorstellungshilfen für unsere irdischen Zwecke, und dass, wenn wir von oder über Gott sprechen, dies nicht automatisch schon Gott in unsere Alltagswelten transponieren kann, sondern zuerst einmal nur unser menschliches Sehnen und unsere menschlichen Wunschvorstellungen zum Ausdruck bringt. Ebenso sind alle religiösen Lehren, Glaubensbekenntnisse, die Bibel und sonstige erbaulichen Schriften in erster Linie menschlich reproduziertes und gefiltertes Mittel zum Zwecke, um überhaupt Gotteserfahrungen der Vergangenheit menschlichen Sinnen zugänglich machen zu können. Welche Rolle der Faktor Gott auch immer spielen mag in all den Offenbarungen und Traditionen, der Faktor Mensch ist unweigerlich immer mit von der Party.

Dabei dürfen wir aber nicht stehen bleiben. Die Fragen, die sich für das Heute ergeben, sind gänzlich anderer Art. Wie können wir beispielsweise aus unseren alten Gottesvorstellungen und Glaubensgebäuden heraustreten mit einem Gottesbild, das nicht mehr den urzeitlich gefärbten Lehrdoktrinen und situativ wie kulturell begrenzten Glaubensvorstellungen unserer Ahnen entspricht, … ohne gleichzeitig das zu verwerfen, was vergangene Gotteserfahrungen an potenzieller Wahrheit zu liefern imstande sind? Indem wir Gott zutrauen, dass er sich dem Menschen zu allen Zeiten auf art-, kultur- und situationsgerechte Weise verständlich machen konnte und kann, müssen wir uns dieser Wahrheit stellen und sie – zeit- wie kulturspezifisch – auf unsere jeweiligen Verhältnisse zu übertragen suchen. Denn allein die Annahme der Herausforderung, die in der Beantwortung obiger Frage enthalten sein wird, wird uns meines Erachtens dem, was Gott wirklich ist, und damit einem überzeugten wie auch überzeugenden Glauben näher bringen.

7. Paradoxien können uns helfen, das Göttliche dieser Bilder besser zu verstehen iii

Die Gotteserfahrungen des Alten wie des Neuen Testaments sind so dynamisch, daß sich nicht nur der Glaubensbereich ständig erweitert, sondern daß Gott nur in widersprüchlicher und paradoxer Rede bezeugt werden kann. Eine helle und eine dunkle Seite werden ihm zugeschrieben. Er ist einerseits der übermächtig bewußt (als »Ich«) allein Handelnde, und anderseits ist er derjenige, der die Weltgeschichte als Raum menschlicher Freiheit und Verantwortung ansieht. Er ist der ganz Nahe (bis zu anthropomorpher Vertrautheit) und zugleich der absolut Ferne. Er ist der durch sein Wort Inspirierende und Kritisierende und zugleich der gegenüber den zu ihm Rufenden abgründig Schweigende. iv

U.a. aus diesem Grund entstand die kirchliche Irrlehre, dass Gott nicht mit dem Verstande erfasst werden könnte, sondern nur über den Glauben. Beide Aussagen stimmen nur teilweise; ohne weitere Kontextualisierung sind sie sogar sehr gefährlich, da damit impliziert wird, man brauche den Verstand überhaupt nicht, während der Glaube allein die Unterscheidungsmerkmale zu liefern imstande wäre, ohne welche Gott nicht von Ungöttern und Glauben nicht von Aberglauben zu unterscheiden wäre.

Nun ist es sicherlich richtig, dass über die rein informationellen Denkstrukturen Gott nicht so erfassbar sein wird, dass wir vollumfänglich verstehen würden, was jeweils mit dem Chiffre Gott gemeint sein könnte – wäre dies möglich, wäre er kein Gott. Dies heißt aber nicht, dass jene Schöpfungsfähigkeit Gottes uns nicht grundsätzlich Befähigungspotenzial böte, um sich Gott über den lernfähigen Verstand und die von ihm geschenkte ‚intuitive wie rationale Vernunft’ so zu nähern, dass zumindest jene Bilder, die nicht Gott sind, außen vor bleiben können. Dazu müssen wir uns nur ein wenig wegbewegen vom üblichen Denken in den uns ansozialisierten und/oder traditionsbelasteten Sprach- und damit Denkstrukturen.

Neben metaphorischer Sprache und symbolischer können vor allem Paradoxien neue sprachliche und damit gedankliche Vorstellungsfelder erschließen, die sonst weit außerhalb unseres Denkens in zweiwertig-logischen Relationen liegen. Wenn beispielsweise René Magrittes das realistisch gemalte Bild einer Pfeife mit der Unterschrift versieht „Das ist keine Pfeife“, dann lässt uns bereits diese einfache Paradoxie im Prinzip über den sozialisierten Denkrahmen blicken, indem sich unsere Vorstellung der unmittelbaren Bezogenheit der Verneinung auf das Verneinte neu perspektiviert, so dass wir erkennen, dass die Verneinung nicht auf das Verneinte bezogen war, sondern auf die Art oder Form des so Verneinten (es handelt sich in der Tat nicht um eine Pfeife, sondern lediglich um deren Abbild).

Wir können diesen Vorgang nun unschwer auf das übertragen, was wir gemeinhin unter Gott verstehen – eine ganz bestimmte und von vielen Parametern gespeiste Denkvorstellung, deren Unterschrift lauten müsste: das ist nicht Gott! Es ist nur ein Bild, das Bild, das wir uns von IHM machen. Damit haben wir Gott aber bereits auf zwei unterschiedliche Arten begrenzt und festgelegt. Erstens haben wir ihn menschlich dimensionalisiert, genauer auf zwei Dimensionen – jene eines Bildes – begrenzt, und zweitens haben wir ihn optisch aspektualisiert – alle anderen Wahrnehmungsformen (akustische, taktile, intuitive, spirituelle usw.) bleiben bei dieser Vorstellung außen vor. Was bedeutet dies?

Es bedeutet, dass wir Gott nicht als vollständige Wahrnehmungsrealität erkennen können, sondern nur als chiffrenhaftes Abbild derselben. Wer in der unglücklichen Lage ist, einen lieben Menschen verloren zu haben, und nun auf dessen verblichene Photographie blickt, versteht, was damit gemeint ist. Man kann mit dem photographisch Abgebildeten nicht mehr sprechen, ihn nicht mehr berühren, uns nicht mehr an ihn (oder sie) kuscheln und seinen Atem, seine Körperwärme verspüren. Er ist ein Passivum, das kein Handeln mehr vorstellbar macht und von seinem Bild gehen auch sonst keine Impulse mehr aus – nur mentale Erinnerungen, die keinen realen Bezug mehr haben zur Gegenwart, diese nicht mehr gestalten oder verändern können. Alle Formen unserer menschlich möglichen Wahrnehmung sind gesperrt – nur das erinnernde Sehen ist geblieben. Und selbst dieses Sehen hat sich verändert. Jede Art von Bewegung, tiefenscharfe Dreidimensionalität, die Möglichkeit realistischer Blickwinkel- oder Distanzveränderungen und vieles andere mehr ist bei einem Bild nicht mehr möglich. Dies alles kann nur bedeuten: Wir müssen weg von der alleinigen und starren Wahrnehmung des Bildes, weg von einseitig orientierter bildhafter Gotteswahrnehmung, wie dies das alte Volk Israel schon zu tun pflegte, indem sie keinen Gottesnamen vergab im Bewusstsein, dass – zumindest damals – Name immer auch Bild für eine bestimmte Eigenschaft des so benannten sein würde. Doch die Frage stellt sich: Wie kommen wir weg von einseitig fassen wollenden Gottesbildern?

8. Der biblische Paradigmenwechsel und seine Folgen

Der Abschied von einem lediglich bildhaft vorgestellten und damit übermäßig reduzierten Gott als mehr oder minder distanziertes und öfter als uns Menschen lieb sein kann scheinbar willkürlich agierendes Götterwesen begann mit dem Auftreten Jesu. Sein Gottesbezug hatte nicht mehr ausschließlich Bildhaftes an sich. Man kann zurecht sagen: Die Geschichte Gottes hatte, nach dem Aufkommen der monotheistischen Gottesvorstellung, ihren zweiten Paradigmenwechsel. Diese Dynamik in der Veränderung des Gottesbildes zeigt sich in der Geschichte in der fortschreitenden Entwicklung, wie Gott auf den Menschen immer näher zugeht, wie sich aus einem fern kosmischen und ansonsten schweigenden Götterwesen, neben vielen anderen Göttern, die Erkenntnis des Abba-Vater-Gottes Jesu Christi herausschälte und mit und in diesem Vatergott-Werdungsprozess sich Theologie – als die Lehre der abbildgleichen Gotterkenntnis – ausbildete und entwickelte von den mystischen Anfängen polytheistischer Gottesvorstellungen bis hin zur Erkenntnis christlicher Erlösung und Reich-Gottes-Herrschaft, in der, weil Gott auf den Menschen zugeht, nun auch der Mensch auf Gott zugehen, ja zu ihm und damit zur Wahrheit zurückkehren kann, oder, wie Ratzinger es in die wunderbar tröstenden Worte bindet: „Weil Gott in die Geschichte eingetreten und dem Menschen entgegengegangen ist, kann der Mensch nun auch ihm entgegen gehen. Er kann sich Gott verbinden, weil Gott sich dem Menschen verbunden hat. v Wo Gott und Mensch sich verbinden können, muss aber mehr vorhanden sein als lediglich ein Bild Gottes, das wir uns wohl vorstellen, aber mit dem wir nicht in Beziehung treten können. Wie müssen wir uns das vorstellen?

Gehen wir für einen Moment wieder zurück zu unserem Ausgangsversuch, über Paradoxien das zu entbilden suchen, was sich im normalen Sprach- und Denkgebrauch nicht entbilden lässt. Zurecht stellt der Linguist Köller nämlich fest, dass „…Paradoxien dem Wesen nach Grenzphänomene in einem doppelten Sinn sind. Einerseits machen sie uns durch ihre inneren Widersprüchlichkeiten sehr massiv auf die Grenzen aufmerksam, die sie verletzen, und damit auf die Denk- und Sprachkonventionen, die wir für natürlich und ‚gottgegeben’ halten. Andererseits führen sie uns die Grenzen unsere sprachlichen Objektivierungsmöglichkeiten vor Augen, weil sie andeutungsweise etwas zur Sprache bringen, was im Rahmen der üblichen Sprach- und Denkkonventionen eigentlich nicht zur Sprache gebracht werden kann.

Darüber hinaus exemplifizieren sie auch sehr schön die Ambivalenz von Grenzen schlechthin. Einerseits schränken Grenzen ja unsere Bewegungsspielräume und Erfahrungsmöglichkeiten ein und werden deshalb von uns auch immer wieder als zu beseitigende Zwänge empfunden. Andererseits schirmen uns Grenzen aber auch vor unbeherrschbaren Mannigfaltigkeiten von Erfahrungen ab und garantieren uns überschaubare geistige Bewegungsspielräume, die uns angesichts von unendlichen Denkmöglichkeiten nicht ganz klein werden lassen.
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Lange Zeit musste die Grenze des Bildhaften die Menschen schützen vor der unüberschaubaren Vielfalt, Größe und Konsequenz dessen, was der Gottesbegriff impliziert. Ohne diese Grenze wäre kein menschlich verstehbarer Bezug zu einem solchen Wesen denkbar gewesen. Indem wir nun versuchen, diese Grenze ein ganz klein wenig zu heben, ein winziges Stückchen nach außen zu verschieben, werden wir sofort der Konsequenzen eines solchen Wagnisses gewahr, sehen wir uns doch plötzlich mit einer ganzen Reihe unbequemer, ja beängstigender Fragen konfrontiert, die zu allem Überfluss auch noch alle mit JA zu beantworten wären: Die hier beispielhaft gestellten Fragen zeigen, dass Paradoxien (unter zumindest scheinbar nicht erfüll- oder vorstellbare Prämissen) immer dann in Erscheinung treten können, wenn unterschiedliche Denk- und Ordnungsperspektiven ineinander geschoben werden, die ihr jeweils eigenes Recht haben und die nicht einfach in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gebracht werden können. Bei jeder Rede über Gott wird man nämlich mit dem Problem konfrontiert, ob man über ihn in der Sprache reden kann, die im Prinzip für die kognitive und kommunikative Bewältigung einer Welt gegeben ist, die nicht die seine ist? Da auf diese Weise selbst die Postulate der klassischen Logik dabei ins Leere laufen können, stellt sich naturgemäß die Frage nach einer anderen Sprech- oder Lesart Gottes. Gleichzeitig, und auch dieser Änderungsbedarf im Denken muss von nun an berücksichtigt werden, wird deutlich, dass das Denken nicht Gefangener seiner eigenen Inhalte und Regeln ist, sondern immer eine Stufe höher steht als seine jeweiligen Denkinhalte, Denkmittel und Denkverfahren.

Damit weisen Paradoxien aber auch auf die Grenzen hin, denen Gottesbilder unterliegen, wenn wir uns nicht gedanklich von ihren Inhalten und den damit verbundenen gewohnten und vorstrukturierten Denkwelten lösen können, um zu höheren Einsichten zu gelangen. Erst der Sprung heraus aus der gewöhnlichen Logik des Sprechens und Denkens führt in neue geistige Freiheiten, wie folgendes Beispiel zeigen möchte.

Um die Fähigkeit von Mönchen zur Distanzierung von ihren gewohnten Denkwelten zu erproben, wurde eine Vase mit Wasser auf den Boden gestellt und dann danach gefragt, wer in der Lage sei zu sagen, was das sei, ohne es beim Namen zu nennen. Der oberste Mönch wartet mit der Antwort auf: „Niemand kann es einen Holzschuh nennen.“ Sein Versuch, durch die Negation des Seins das Sein so zu umschreiben, dass eine Antwort überflüssig scheint, wird aber durch die Antwort des Kochs überboten, der auf einer anderen Ebene reagiert und die Vase einfach mit dem Fuß umstößt und hinausgeht. vii

Man könnte dieses Beispiel ohne große Schwierigkeiten auf die Fragestellung übertragen, ob jemand in der Lage sei, Gott zu beschreiben, denn auch hier wäre ein Zerstören des schöpfungsgegebenen Gottvertrauens eines Menschen wohl eine kaum zu übertreffende Beschreibung dessen, was Gott wirklich ist. In jedem Fall aber verdeutlichen solche Beispiele, wie scheinbare oder echte Paradoxien gerade dadurch neue Denkperspektiven eröffnen, dass sie ungewöhnliche Perspektiven an ihrem Vollzug hindern, indem sie diese als scheinbar unzureichend kennzeichnen, um auf diese Weise neue Denkprozesse in Gang zu setzen, die nicht auf Abschluss oder Abschließbarkeit hin orientiert sind. Sie dienen vor allem in der religiösen Rede dazu, die bildhafte Rede von Gott im Rahmen der zweiwertigen Logik in Frage zu stellen, ohne sie indes vollständig zu verwerfen. Köller fährt hier fort, dass gerade in religiöse Äußerungen Paradoxien, Metaphern, Gleichnisse, Negationen usw. deshalb so interessant seien, weil sie den Denkweg grundsätzlich offen ließen. Schröer kommt deshalb zu dem Urteil, dass Paradoxien vorrangig jene Intention haben, gerade über ihre widersprüchliche Aussagestruktur zur eigentlichen Wirklichkeitsbeschreibung vorzudringen.

Diese Sichtweise beinhaltet, dass Paradoxien in der religiösen Rede eigentlich nicht aufgelöst werden dürfen, weil sich damit auch der Sinngehalt verflüchtigt, der mit ihrer Hilfe sprachlich objektiviert werden soll. Je weniger sich der religiöse Sprachgebrauch von Paradoxien, Gleichnissen, Metaphern u.ä. trennt, desto mehr signalisiert er, dass bestimmte Gegenstandsbereiche weder von der begrifflichen Sprache noch von der zweiwertigen Logik zureichend bewältigt werden können. Der religiöse Sprachgebrauch muss deshalb Redeweisen suchen, die durch ihre Form schon davor warnen, Kategorien und Aussagen vorbehaltlos zu verwenden und bestimmten Sinnbildungsstrategien vorbehaltlos zu vertrauen.

Der paradoxe Sprachgebrauch hat deshalb in allen Formen der Mystik immer einen hohen Stellenwert gehabt, weil er gerade hinsichtlich des Verhältnisses von Schöpfer und Geschöpf zum Gebrauch von synoptischen Denkformen anregt, die sich das linear begriffliche Denken verbieten muss. Meister Eckhardt kann deshalb Sätze formulieren, in denen die üblichen Denkoppositionen keine Rolle mehr spielen:

„Got und ich wir sint ein. Das ouge, dậ inne ich got sihe, daz ist daz selbe ouge, dâ inne mich got sihet; mîn ouge und gotes ouge daz ist éin ouge und éin ouge und éin gesiht und éin bekennen und éin minnen.
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Unwillkürlich werden wir erinnert an Jesu Ausspruch: „Ich und der Vater sind eins…“ (Joh 10,30), oder an die Bitte Jesu für seine Jünger: „Vater, lass sie alle eins sein, wie du, Vater, in mir und ich in dir! Lass auch sie in uns eins sein, damit die Welt es glaube, dass du mich gesandt!“ (Joh 17,21). Damit wollte Jesus zum Ausdruck bringen, dass der Vater nur durch den Sohn wirkt und der Sohn nur über die Macht des Vaters wirken kann und dass alle, die daran teilhaben, auch an der Herrlichkeit Gottes teilhaben würden. In diesem, von jesuanischem Einssein geprägten Gottesbild, verschwimmen die Wesenszüge und lassen keinerlei religiöse Unterscheidungsmerkmale mehr zu. Die gewöhnlichen bekenntnisorientierten Fehlkonturen lösen sich immer mehr auf und andere nehmen ihren Platz ein. Diese ‚anderen’ sind von einer anderen Art und zeugen von einem anderen Zugang des Menschen zu Gott.

9. Gottes Bild im Leid des Menschen

Erst jetzt beginnt langsam das Verständnis für Perspektiven zu dämmern, unter welchen sich für Papst Benedikt XVI das Leiden des einzelnen Menschen dann doch etwas relativiert, nicht zuletzt, weil die Gottesgesetzlichkeit im Menschen einen Zusammenhang erahnen lässt, der weit über das gängige Streben des Menschen und dessen Ziele hinauszugehen scheint:

Schmerz und Krankheit können den Menschen als Menschen paralysieren, ihn nicht nur physisch, sondern psychisch und geistig zersetzen. Sie können aber auch die Selbstzufriedenheit, die Abstumpfung des Geistes aufsprengen und den Menschen zur Selbstfindung führen. Die Auseinandersetzung mit dem Leid ist die eigentliche Entscheidungsstätte des Menschlichen. Denn darin wird der Mensch konkret und unausweichlich mit der Tatsache konfrontiert, dass er über sein eigenes Leben weder im Leben noch im Sterben verfügen kann, dass ihm sein eigenes Leben nicht zu eigen ist. Darauf kann er mit Trotz antworten, der sich selbst dennoch die Macht zu beschaffen sucht, und sich so einem verzweifelten Zorn als Grundhaltung ausliefern. Darauf kann er aber auch antworten, indem er versucht, der fremden Macht zu vertrauen und sich furchtlos führen zu lassen, ohne sich angsterfüllt nach sich selber umzusehen. Auf solche Weise verschmilzt seine Haltung zum Leid und Schmerz, zur Präsenz des Todes im Leben mit der Grundhaltung, die wir Liebe nennen. Denn nun zeigt sich dies: Der Unmöglichkeit, über das eigene Leben zu verfügen, begegnet der Mensch nicht nur an der physischen Grenze des Lebens, welche die Krankheit ihn spüren lässt, sondern im zentralen Bereich des Humanen, sofern er darauf angelegt ist, geliebt zu werden, ein Wesen, dem Liebe als die eigentlichen Nahrung seiner Seele zugewiesen ist. Aber die Liebe, also das, was der Mensch am meisten braucht, kann er wiederum nicht selbst herbeiführen; er muss ihrer warten und erhält sie dann sicher nicht, wenn er sie selber besorgen will. Wieder kann er ob dieser Angewiesenheit zürnen, sie abschütteln wollen, sie auf eine Bedürfnisstillung zurückschrauben, die ohne das Abenteuer des Geistes und des Herzens zu erreichen ist. Wieder kann er umgekehrt dies annehmen und sich vertrauend offen halten in der Gewissheit, dass die Macht, die ihn so gewollt hat, ihn auch nicht betrügen wird.

Dies bedeutet: Die Auseinandersetzung mit dem physischen Tod als der Abwesenheit des physischen Lebens stößt den Menschen auf die Grundverfassung seines Seins überhaupt. Sie stellt vor die Entscheidung, die Struktur 'Liebe' anzunehmen oder ihr die Struktur 'Macht' entgegenzuhalten.

Dies eröffnet eine weitere Dimension von Entscheidung. So wie das Sterben des Menschen nicht auf den Augenblick des klinischen Todes zusammenzuziehen ist, so beginnt die Beteiligung an der Martyria Jesu, als der Beteiligung am Kern des Christlichen überhaupt, nicht erst in dem Augenblick, in dem sich jemand für seine Glaubensüberzeugungen hinrichten lässt. Ihre grundlegende Form ist auch hier sehr unscheinbar und gewöhnlich: Sie besteht in der alltäglichen Bereitschaft der Überordnung von Glauben, Wahrheit, und Gerechtigkeit über den Vorteil des eigenen Davonkommens. [...] Martyrium mit Christus ist als Prozess der Überordnung der Wahrheit über das bloße Ich mit der Bewegung der Liebe identisch. [...] Dann deckt dieser Prozess der Selbstenteignung an die Wahrheit erst auf, welche Scheol, welche reale Nichtigkeit und Preisgabe ans Nichts unsere Selbstherrlichkeit, unser Überlebenwollen auf Kosten des Rechts gewesen ist, und dann vollzieht sich in der Entscheidung für diesen Todesprozess, diesem inneren Absterben der Sünde, der eigentliche Prozess des Lebens, denn Wahrheit und Leben sind beide Gottes und gehören in sich zusammen.
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Starker Tobak, so will es uns scheinen, für die gängigen Vorstellungen von Leid und Not und was daraus zum Sein und Sinn des Christenlebens wird in unserer erfolgshungrigen und verwöhnorientierten Ego- und Wellness-Gesellschaft, in der Gewinn, Gesundheit, Fitness und mit ihnen das Recht des Stärkeren und Skrupelloseren weit höhere Rangplätze in der Werteskale einnehmen als jene jesuanisch gelebten Charaktereigenschaften, welche Mitgefühl, Solidarität und Mitmenschlichkeit über Selbstverwirklichung und Individualinteressen stellen. Trotz der offensichtlichen, weil alltäglich erlebbaren Anderwertigkeit des menschlichen Erdendaseins vor Gott, erschrecken wir immer wieder, wenn wir solche Anforderungskataloge lesen, weil wir – trotz lebensanschaulichster Beispiele, in denen göttliche Maßstäbe und Lebensgewichtungen allein anhand unserer sehr begrenzten Lebens- und Zukunftsmöglichkeiten uns eigentlich wachrütteln sollten – verlernt haben, unser kurzes Erdenleben in einen realistischen, und das heißt u.a. vorbereitungsorientierten Bezug zur ewigen Zukunft des Reiches Gottes zu setzen. Oftmals beginnt dieser Lernprozess (wenn überhaupt) erst, wenn wir im Angesicht von Lebenslagen stehen, die unsere menschlichen Möglichkeiten haushoch überfordern und uns dann, unvorbereitet wie wir sind, meist nur noch ans Aufgeben und Verzweifeln denken lassen, ohne dass wir erkennen, dass Gott ja nicht als außenstehende Person unberührt und belanglos von außen zuschaut, sondern Teil unseres Selbst und damit unseres Leidens ist.

Was Ratzinger hier aber noch zum Ausdruck bringen möchte, ist jene solidarisch ausgerichtete Mitleidensfähigkeit, welche erst durch die eigene Leidenserfahrung geschaffen wird, und die dann zu jener Empathie führt, welche als Teil der göttlichen Liebe unsterblich ist und in ihrer Auferstehungskraft jenes eschatologische Element besitzt, welches alleine Zukunftsfähigkeit ausweist. Dies hatte wohl auch Goethe im Sinn, als er die bekannten und uns heute so scheinbar unverständlichen Worte prägte, dass der, der nicht in kummervollen Nächten weinend auf seinem Bette saß, diese himmlischen Mächte nicht kennen würde. Der Zugang zu unserem Inneren und damit der Zugang zu Gott und seiner Auferstehungskraft in uns selber, der durch die zeitlichen Gegebenheiten, Ablenkungen und allerlei wohlstandsbedingten Errungenschaften usw. heute mehr zugeschüttet ist denn je zuvor in der Menschheitsgeschichte, der wird erst wieder richtig freigelegt in jenen Selbstbesinnungsfaktoren von Leid und Kummer, in denen wir uns unserer Vergänglichkeit und Hilfsbedürftigkeit wieder bewusst werden, ebenso wie der Vergänglichkeit und Hilfsbedürftigkeit unseres Nächsten. Dann fangen wir langsam an, mit und für unseren Nächsten zu denken (nicht einfach zu spenden…) im Bewusstwerden und in der Erfahrung, dass wir Menschen einander brauchen, aufeinander angewiesen sind, ja dass es wohl der Sinn des Lebens aus der Perspektive der anderen Welt ist, einander zu dienen und Freude zu bereiten, Leid zu mildern und zu mindern und die Lasten des Lebens, und vor allem jene der Sünde – die uns ja alle angeht, weil sie uns alle, ob wir direkt darinnen verstrickt sind oder nicht, gefangen hält – gemeinsam zu tragen.

Dabei sehe ich nach vielen Jahren immer noch das ‚Gottesbild’ jener schwer verwundeten Pfarrerin vor mir, die einem Terroristenanschlag zum Opfer gefallen war und nun auf der Trage liegend dem Reporter auf die Frage, ob sie denn nicht fürchterlich wütend wäre, da sie nun so unschuldig leiden müsste, antwortet: „Nein, ich versuche auch deren Seite zu verstehen, weil mein Gott ja so sehr bei mir ist und auch mich versteht!“ Aus ihren Augen strahlte ein ganz unbeschreiblicher Glanz und auf ihrem blutverschmierten Gesicht lag ein Frieden, der gar nicht in Worte zu fassen war…

Vor solchen Bildern beginnen sich unsere scheinbar so notwendigen und doch scheinbar so berechtigten Lebenswünsche zu relativieren und langsam beginnen wir zu ahnen, was die Worte des Dichters wirklich meinen: „Von dem Irdischen geschieden, mit dem Ewigen erfüllt. Find ich hier den süßen Frieden, der des Geistes Sehnsucht stillt. An dem Strom der Erdenlust, darbet doch zuletzt die Brust; und es wird dem Herzen bange, bei des Lebens wildem Drange“ – Wahrheit und Lebenswirklichkeit, auch und gerade außerhalb jeder Anbetungsstätte.

Das alles hat nun überhaupt nichts damit zu tun, dass wir keine Lebensfreude haben dürften und weltferne Heilige mit masochistischen Selbstkasteiungstrieben zu werden hätten, die von den mittelalterlichen Satisfaktionslehren beseelt nur noch Gott im Leiden suchen müssten, weil jede Erdenfreude tabu wäre. Im Gegenteil, hatte uns Jesus selber doch Lebens- und Genussfreude vorgelebt. Nur darf der gerade heute und in unserer westlichen Konsumgesellschaft so gigantische Strom der Erdenlust – das Treiben und Jagen nach Reichtum, Ansehen und Macht – uns nicht ablenken von unserem eigentlichen, christlichen Lebenssinn, der eben nicht darin besteht, hier das Paradies zu finden, weil die Sorglosigkeit des Paradieses den geistigen Menschen ablenkt von seiner Lebens- und Liebesaufgabe am und für den Nächsten. Diese ‚Ablenkungsgefahr’ ist so uralt wie die Menschheit selber. Wenn der Evangelist davon schreibt, dass es beim Wiederkommen des Menschensohns sein würde, wie zu Noahs Zeiten, wo die Menschen aßen und tranken und heirateten (Mt 24,37-38), mit anderen Worten ein sorgloses und daraus sich entwickelnd gedankenloses Leben genossen – hier wird im Prinzip angespielt auf das kurze aber Gott wohlgefällige Leben des Gerechten im Unterschied zur lebensausbeutenden Lebensweise der Ungerechten, welche dafür im Endgericht Rechenschaft abzulegen haben würden (Weisheit Kap. 4 und 5) – so wurde bereits damals diese scheinbare Ungerechtigkeit Gottes als fehlsichtige Lebensperspektive erkannt, die es nicht anzustreben gälte.

Schauen wir in unsere heutige Zeit, so müssen wir dieser Sehensweise uneingeschränkt Recht geben, denn weder unsere westliche Spaßkultur noch der damit gezüchtete und vielfach schon überbordende Materialismus und Konsum-Hedonismus, und auch keine noch so perfekt inszenierte Selbstverwirklichung können wahre, weil bleibende Lebensfreude versprechen, jenen tiefen inneren Frieden, der den Kummer der Seele und die Sehnsucht des Geistes stillt – indem dieser Geist wieder eins werden kann mit seinem göttlichen Ursprung und seiner ewigen Bestimmung. Damit wird die Gewichtung eindeutig verlagert von irdisch-materieller Lebensverwirklichung etc. hin zu einer geistigen Lebensverwirklichung, welche mit der Auferstehung ins Paradies Gottes beginnt und all jenen als Versprechen galt, die sich nicht ablenken ließen, so dass Gottes Geist in ihnen wesensmäßig zur Entfaltung kommen und sie ‚reich-gottes-fähig’ machen konnte.

Auch der evangelische Theologe Paul Tillich hatte sich im Laufe seines Lebens, nicht zuletzt durch die Nazi-Verfolgungen bedingt, von den traditionellen Gottesbildern der Kirchen immer mehr gelöst. So fügt er dieser beschriebenen Perspektive, unter der Gottes und menschliches Leid sich vereinen, seine eigene hinzu, in der er erkannt hatte, dass wir die externen Dimensionen unseres Gottesbildes zugunsten eines in uns selber wirkenden Gottes aufgeben sollten, ein Gottesbild, das nicht von uns getrennt, sondern Teil, ja Grundlage aller Wesen sei. Dieser Gott wäre nicht länger in unerreichbar theistischen Allmachtsvorstellungen verankert, als Wesen unter anderen Wesen, dessen Existenz wir bejahen oder verneinen, aber nie wirklich verstehen können. Dies könne aber nur geschehen wenn wir wegkommen von der althergebrachten Vorstellung eines himmlischen Wundertäters und Schlachtenlenkers, der belohnt oder bestraft, segnet oder verflucht, je nach unserem Verhalten (oder himmlischer Lust und Laune). x Die Bilder, die hier erweckt werden sollen, sind Bilder, deren eschatologische Gewichtung jene unserer heute so überbordenden Augenblicksgewichtung weit übersteigen und unsere Blicke hinzuwenden trachten auf jene Gewichtungsparameter, die so gänzlich anderen Maßstäben unterliegen.

Ratzinger spinnt die so entstehenden Gedanken aus einer nochmals anderen Perspektive weiter fort:

Das Bild von Mose, der auf den Berg hinaufsteigen und in die Wolke treten musste, um Gott zu finden, bleibt gültig für alle Zeiten. Gott kann – auch in der Kirche – nicht anders gefunden werden, als indem wir den Berg hinaufgehen und in die Wolke des Inkognito Gottes eintreten, der in dieser Welt der Verborgene ist. Den Hirten von Betlehem ist am Anfang der neutestamentlichen Heilsgeschichte auf andere Weise das Gleiche bedeutet worden. Ihnen wurde gesagt: »Dies soll euch zum Zeichen ein: Ihr werdet ein Kindlein finden, das in Windeln eingewickelt ist und in einer Krippe liegt.« (Lk 2.12). Mit anderen Worten: Das Zeichen für die Hirten ist, dass sie kein Zeichen antreffen, sondern einfach den Kind gewordenen Gott – und in dieser Verborgenheit Gottes Nähe glauben müssen. Ihr Zeichen verlangt von ihnen, zu lernen, Gott im Inkognito seiner Verborgenheit zu entdecken. Ihr Zeichen verlangt von ihnen, zu erkennen, dass Gott nicht in den fassbaren Ordnungen dieser Welt zu finden ist, sondern nur dann gefunden werden kann, wenn und indem wir über sie hinauswachsen. xi

10. Die Konsequenz solcher Weiterentwicklung von Gottesvorstellungen

Über sie hinauswachsen indes können wir nur, wenn wir uns lösen von alten und falschen Vorstellungen und Denkmustern, von Bildern, die zu ihren Zeiten und unter ihren Kulturen Wertvolles und Wichtiges zu sagen hatten, aber eben keinerlei Anspruch auf Zeitlosigkeit stellen. Ebenso müssen wir uns lösen von rein materiell orientierten Schlussfolgerungen, die uns Gott als Medizin- und Feuerwehrmann glauben machen möchten, der für all unsere Unachtsamkeiten und für das doch mit seinen Gesetzmäßigkeiten in Zusammenhang stehende Unheil immer auch ein Pflästerchen haben, ja am besten diese Gesetzmäßigkeiten gleich auflösen würde.

Indem wir uns, beispielsweise angeregt durch ein weiteres Paradoxon, nämlich dass Gott eigentlich beides ist, Gesetzgeber und Gesetz, lösen können von der Vorstellung eines der Subjekt-Objekt-Trennung unterliegenden Schöpfergottes, wird uns vielleicht etwas verständlicher, warum alle Menschen – unabhängig ihrer Stellung zu Gott – zuerst einmal gleich sind vor dem Schöpfungs- aber auch dem Vollendungsgesetz. Wenn nun Schöpfer und Geschöpf und damit Gott und Mensch aufeinander zugehen und sich dadurch immer mehr geistig durchdringen und bedingen, und Gott gleichzeitig Gesetzgeber und Gesetz für diese Schöpfung ist, so müssten wir annehmen, dass das Gesetz Gottes auch Teil unseres Menschseins ist. Wir unterliegen also nicht einem uns oftmals unverständlich agierenden Gesetzgeber, sondern dessen Gesetz ist Teil unseres Seins. Wo aber Gott Gesetzgeber UND Gesetz ist, ist Gesetz Freiheit, souveräne Freiheit – die Freiheit von Schöpfer und Geschöpf. Diese Freiheit nun, im Rahmen der ebenfalls irdischen und menschlichen Begrenzungen, beinhaltet auch die Freiheit, sich gegen oder für Gott und damit auch gegen oder für das in uns wohnende Gesetz zu entscheiden. Im einen Fall entfernen wir uns nicht nur vom Gesetzgeber, sondern auch vom Gesetz, im andern Fall, wo wir immer mehr eins werden mit dem Gesetzgeber, werden wir automatisch auch immer mehr eins werden mit Gott als Gesetz...

Wenn wir nun auch nicht wissen und es deswegen auch nicht verstehen – hier und da können wir es vielleicht ahnen – warum Gott als Gesetzgeber wie als Gesetz nicht seine Macht und Autorität und damit sein eingreifendes und alles Übel verhütendes Handeln zum tragenden Gesetz erkoren hatte, sondern die Freiheit der Liebe und des willkürlich scheinenden, weil verstehend begleitenden Entwickelns, so können wir doch hinter diesen letzteren Eigenschaften vermuten, dass eben diese Freiheit, die in Gott und durch Gott und mit Gott ist, als göttliche Eigenschaft, Gott keine andere Wahl ließ, als die Gefangenschaft des Eingreifens zugunsten der Freiheit einer souveränen Entwicklung für seine Geschöpfe zu bestimmen. Wessen Wesen Freiheit ist, der kann keine unfreien Geschöpfe schaffen, und sei es auch nur, indem er bereits VOR jedem Fehltritt – denn das müsste er logischerweise tun – und damit gleichzeitig vor der Bewusstwerdung der Falschheit menschlicher Gedanken, die so oft geforderte Bremse zöge, um jedes Unheil bereits im Keim zu ersticken. Der auch in Forenkreisen weithin bekannte neuapostolische Geistliche Will Andrich hatte bezüglich des Nichteingreifens Gottes einmal gesagt:

„Gott verhindert die Sünde nicht, weil Er die dem Menschen einmal geschenkte Freiheit achtet, aber er heilt den Sünder...“, und der Theologe Jürgen Spieß fügt dieser Sicht die weiterführende Erkenntnis hinzu, dass Gott sich nicht um die Folgen menschlicher Fehltritte etc., wohl aber um deren Ursachen kümmert, da Leid einerseits eine Signalwirkung hat, welche uns Menschen zur inneren Umkehr bewegen und wieder zurück zu Gott bringen sollte und andererseits, weil jede Bekämpfung oder Auflösung der Folgen nicht das eigentliche Problem zu ändern imstande wäre. Ungerechtigkeit, Lieblosigkeit, Leid und Tod weisen hin auf die Gottentfremdung des Menschen und werden so zu Gradmessern menschlicher Gottferne, die am allerwenigsten damit rückgängig zu machen ist, dass ihre Folgen mit himmlischer Wunderhand abgemildert oder gar verhindert werden. Göttliche Gesetzmäßigkeiten können Ursachen ändern helfen, aber keine Folgen verhindern – auch nicht für den unschuldig Leidenden.

Leid wird im Alten Testament als eine Folge des Sündenfalls verstanden, d.h. des Abfalls des Menschen von Gott. Gott ist der Schöpfer des Lebens, der Mensch hat sich selbst aus der Gemeinschaft mit Gott herausgesündigt. Die Folge dieser Trennung von Gott ist Leid und Tod. Der Mensch hat sich vom Leben selbst gelöst, er ist einen eigenen Weg gegangen und die Folge ist der Tod. Interessanterweise wird das Wort, das im Neuen Testament für ‚sündigen’ steht, von Homer oft für einen Bogenschützen, der am Ziel vorbeischießt, gebraucht. Sündigen heißt eigentlich, das Ziel verfehlen. Das Ziel, auf das hin der Mensch geschaffen ist, wird verfehlt. Nicht zufällig wird im AT zuerst vom religiösen Sündenfall (1. Mose 3) berichtet und dann erst vom sozialen, dem Brudermord (1. Mose 4). Der Brudermord ist eine Folge der Trennung von Gott. Zunächst einmal ist das Verhältnis zu Gott nicht in Ordnung, daraufhin geschehen die Dinge, die wir oft als Sünde sehen, die aber eigentlich nur eine Folge der Sünde sind. Leid und Tod sind eine Folge der Sünde. xii

Als Folge der Trennung von Gott zeigt der Brudermord aber ein weiteres auf, nämlich die gottgewollte Souveränität des Menschen, welche selbst solche Extrementscheidung zulässt, die unschuldig Blut vergießen. Sünde, als Ursache für Leid und Not, aus dieser Perspektive betrachtet, weist also hin auf einen Verstoß bzw. auf Widerstand gegen jene göttlichen Gesetzmäßigkeiten, deren Teil wir sind und deren Teil Gott ist. Die gottgewollte Freiheit des Menschen geht soweit, dass sie sich den göttlichen Gesetzmäßigkeiten – und damit letztlich auch Gott – entziehen und eigene „Gesetzmäßigkeiten“ ins Leben rufen kann. Dieser katholischerseits als Erbsünde deklarierte Zustand bezeichnet einen gottfernen Wesens- und Lebenszustand aber auch -bereich, der vordergründig zwar Freiheit verspricht, aber, weil nicht mehr unter dem Gesetz Gottes stehend, den Keim der Zerstörung in sich birgt. Zerstörung, die von einem – nach wie vor – freiheitlichen Schöpfungswesen Gottes ausgeht, kann deshalb auch keinen Halt machen vor Unschuldigen – dies ist der Preis für diese Freiheit, aber gleichzeitig auch der Preis für jenen notwendigen Lernprozess, der allein die Ursache beseitigen kann. Die Folgen wären von Gott sicherlich einzudämmen, aber nur um den Preis der menschlichen Freiheit. Die eigentlichen Ursachen müssen daher, weil unter gottgesetzlicher ‚Entwicklungsfreiheit’ stehend, geändert werden, damit keine Folgen mehr möglich sind. Es ist wie mit dem Unkraut; man kann es selbstverständlich herausreißen, aber damit es nicht mehr wiederkommt, müsste der Samenflug verhindert werden, der es verbreitet.

Dazu erzählt Jesus ein interessantes Gleichnis, dessen Quintessenz lautet: Lasst das Böse mit dem Guten wachsen, damit nicht das Gute mit dem Bösen zusammen herausgerissen würde! Gott will, so Jesus, dass alles die gleiche Chance hat, nämlich zu seiner jeweiligen Reife vorzudringen, entspricht es doch dem gottgesetzlichen Zusammenhang von Aussaat und Ernte, dass das eine ohne das andere nicht vorstellbar ist. Allein die Entfremdung von diesen auch im Menschen wirkenden Gottgesetzlichkeiten verhindert, dass heute dieser Zusammenhang noch erkannt wird. Gleichwohl entlässt es den Menschen nicht aus diesem Gesetz, das letztlich ebenso Teil des Menschen ist wie es Teil Gottes ist.

Aus diesem Grund will mir scheinen, dass mit ein Grund für vieles Leid und Unrecht der ist, dass Erkenntnis des Übels oder der Sünde und deren Folgen in vielen Fällen erst durch einen Reifungsprozess erreicht werden kann, der jene Perspektive weitet, welche die Gesetzmäßigkeit der Folgen betrifft. Sündenerkenntnis, als Voraussetzung zu wirklicher, weil ursachenbezogener Umkehr, scheint Teil dieses göttlichen Freiheitsgesetzes zu sein, da Freiheit ohne potenzielle Erkenntnis und Entscheidungsmöglichkeit zur Änderung, keine wirkliche Freiheit wäre.

Zu dieser meiner These, dass gottgewährte Freiheit unweigerlich auch die zur Entscheidung notwendigen Erkenntnisparameter beinhalten müsste, möchte ich ein paar Nahtod-Erlebnisse zitieren, welches diesbezüglich einen interessanten Aspekt beleuchten. Es geht dabei um die Frage, wie ein Mensch, der die Eingangspforte des Todes überschreitend nun als Geistwesen in der immateriell zeit- und raumlosen Welt angelangt ist, diesen rückwirkenden Erkenntnisprozess sieht. xiii Beim Eintreten in die Welt des Geistigen, welches in aller Regel als eine Art Zeitreise durch einen langen Tunnel erfahren wird, werden die ‚Experiencer’ (so nennt man Menschen, die Nahtoderlebnisse hatten) von einem Lichtwesen in Empfang genommen, welches ihnen zur Seite gestellt ist und sie gleich einer Zeitreise durch ihr Leben führt. In diesem Führen scheint das Lichtwesen den Experiencern zu helfen, ihre guten und vor allem ihre schlechten Handlungen zu verstehen und zu erkennen, welche Folgen das jeweilige Handeln für die Mitmenschen hatte. Dabei wird der Experiencer nicht durch das Lichtwesen sondern durch die Wahrheitserkenntnis, die ihn umfängt, ‚gerichtet’. Der bekannte Nahtodforscher Prof. Kenneth Ring lässt bezüglich unserer Frage nach der erkenntnisbedingten Wesensänderungsmöglichkeit drei Zeugen zu Wort kommen.

Zeuge 1: „Man bekommt sein Leben vor Augen geführt – und man urteilt über sich selbst. Hatte man getan, was man hätte tun sollen? … Man urteilt über sich selbst. Es sind einem alle Sünden vergeben worden, aber kann man sich selbst verzeihen, dass man etwas, das man hätte tun sollen, nicht getan hat und dass man manchmal kleine Gemeinheiten begangen hat? Kann man sich vergeben? Du selbst sprichst dein Urteil.“

Zeuge 2: „Während der Nahtoderfahrung fühlte ich mit aller Macht … wusste ich einfach: Da ist Gott! Aber es war nicht Gott, wie ich ihn mir immer als kleines Mädchen vorgestellt hatte … also ein alter Mann mit Bart … Ich sah niemanden … Aber ich würde alles, was ich besitze, dafür hergeben und wünschte nur, ich könnte beweisen, dass da etwas ganz Wunderbares bei mir war, einfach wunderbar. Eine allumfassende Kraft … Was immer dort bei mir war, es liebte mich so, wie ich war.“

Zeuge 3: „Die Lichtgestalt kannte ich nicht. Ich sagte zu ihr: ‚Ich weiß, was passiert ist, ich weiß dass ich gestorben bin.’ Worauf sie erwiderte: ‚Ja, aber du wirst nicht hier bleiben, denn deine Zeit ist noch nicht gekommen.’ Ich erwiderte: ‚Es ist alles so wunderschön hier, so vollkommen, aber was ist mit meinen Sünden?’ Sie antwortete: ‚Es gibt keine Sünden. Nicht so jedenfalls, wie ihr sie auf der Erde versteht. Das einzige, worauf es hier ankommt, ist, wie man denkt. Was ist in deinem Herzen?’, fragte sie mich. Und plötzlich konnte ich irgendwie in mein Inneres sehen, und ich sah, dass in meinem Herzen nur Liebe war. Ich verstand jetzt genau, was das Lichtwesen meinte und sagte: ‚Ja, natürlich.’ Und ich fühlte, dass ich es schon immer gewusst und nur vergessen hatte, bis ich daran erinnert wurde. Und dann fragte ich: ‚Da ich nicht bleiben kann und wieder zurück muss, möchte ich noch eins wissen. Kannst du mir sagen, was das alles zu bedeuten hat, mit anderen Worten, wie das alles funktioniert? Und das Lichtwesen antwortete mir in zwei, drei Sätzen und ich verstand sofort alles. Mir war irgendwie klar, dass dieses Wissen in mir war und ich es nur vergessen hatte. So fragte ich weiter: ‚Kann ich das alles mitnehmen und auf Erden erzählen?’ Sie sagte: ‚Die Antwort auf die Frage nach der Sünde wirst du mitnehmen, aber die Antwort auf deine zweite Frage wirst du vergessen haben.’ Das waren die letzten Worte bevor ich ins physische Leben zurückkehrte.
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Eine gewagte ‚These’…, werden manche eng kirchensozialisierten Gemüter sagen. Eine völlig neues, anderes Sündenverständnis. Eines, das augenscheinlich keinen Zusammenhang mehr lässt zwischen Sünde und Schuld, zwischen der Entfernung von Gott als Ursache für die Nähe von Übel, Elend, Leid und Tod. Aber Vorsicht! Es hat nicht geheißen, dass es in der Welt des Geistes das Phänomen Sünde nicht mehr gäbe. Aber die geänderte Definition von Sünde, im Sinne eines falschen Denken oder einer falschen Gesinnung, wirft die Frage auf, ob es den Akt des Sündigens dort noch gibt, und falls nicht, ob dies an dem jenseitigen Erkenntnisprozess läge, welcher im Prinzip keinen Irrtum und keine falsches Denken mehr zuließe? Letzteres hieße dann, dass Sündenbuße ein Erkenntnisprozess ist, der letztlich in die Versöhnung mündet und der sich vom Abtragen der Schuld fundamental unterscheidet. Da Sünde, oder welche Bezeichnung man auch immer dann dafür wählt, aus der Sicht der Welt des Geistes primär mit Denken zu tun hat und nicht mit der erfolgten Handlung (welche die Schuld generiert) und ihren Konsequenzen, ist die Überwindung von Sünde in erster Linie ein Erkenntnisprozess, welcher die Ursache von Schuld zu beseitigen trachtet, und keine Handlungsänderungsappell. In wie weit das einzelne offen ist bzw. sich öffnen kann für einen solchen Erkenntnisprozess, wäre dann die zweite, interessante Frage, die m.E. sehr viel mit Liebe zu tun hat, denn in nahezu allen Fällen einer innerlichen Verweigerung, in einen solchen Erkenntnisprozess hineinzugehen und ihn vollumfänglich zuzulassen, lag die Ursache in einem Mangel an Liebe und Vertrauen, oder noch schlimmer, im gänzlichen Fehlen einer Liebes- und Vertrauensfähigkeit.

Interessant ist in der Frage des erkenntnisorientierten Richtens, dass auch in der biblischen Bezeichnung des ‚gerechten Richters’ (der also nicht nach dem Augenschein richtet), Richten nicht nur im Sinne des Urteilfällens im juristischen Bereich gemeint ist, sondern im Sinne einer gerechten Urteilsfindung. Dabei findet das gesprochene Wort als geistgewirktes Wort letzten Endes kreative Funktion, welche die ungerechte Gewalt überwindet. Das ist die Form, wenn man so will, von ‚göttlicher Gewalt’, jene Potenz, jene Dynamik, die in der schöpferischen Kraft des Wortes liegt und falsche Einstellungen und Denkstrukturen aufbricht und verändert. Insofern geht es hier um die Inbegriffe göttlicher Rechtsordnung, sozusagen das, was der Geist Gottes wirkt, wenn er den Kosmos durchtränkt und beherrscht. Dann entsteht eine sinnvolle Lebenswelt. Das ist mit Richten und letztlich auch mit göttlichem Gericht gemeint, keineswegs eine juristische oder sonstige Auffassung von Gerechtigkeit, wie wir sie meist kultivieren. Gott als der Inbegriff der verstehenden und damit zugewandten Liebe (agape), die wir am besten mit Empathie übersetzen könnten, kann auch im Gericht nicht anders, als den Sünder zu verstehen trachten. Dieser göttliche Verständnis- und damit letztlich Erkenntnisprozess überträgt sich nun auf den Sünder, weil alleine er frei machen kann von Sünde und Schuld.

Falsche Einstellungen werden also durch neue Erkenntnisprozesse revidiert. Damit schließt sich der Kreis an dessen Beginn ich oft schon versucht hatte darauf hinzuweisen, dass nicht so sehr unsere menschlichen Fehler, Schwächen, Gebrechen oder unsere oftmals instinktgeleiteten Vergehen usw. das große und unüberwindbare Übel wären, sondern unsere Einstellungen, also das, was Jesus in seinem Gleichnis deutlich zu machen versuchte, in welchem er den reumütigen Zöllner, der erkannt hatte, dass er aus eigener Kraft vor Gott nicht würde bestehen können, dem gerechten Pharisäer gegenüberstellte, der der Auffassung (Einstellung) war, Sünde würde auf ihn nicht zutreffen. Es geht mit anderen Worten also um das, was wir in uns als unseren Charakter wachsen und wesensmäßig entwickeln ließen. Fehler lassen sich im Lauf der Zeit abstellen oder vermeiden lernen, Wesen hingegen zu ändern ist ungleich schwieriger, weil es letztlich auf inneren Überzeugungen aufbaut – wie die Unveränderbarkeit der endlosen Übel und offensichtlichen Gemeinheiten und Verstöße gegen göttliche und menschliche Gebote auf dieser Welt, trotz pausenloser Appelle und guter Vorsätze, überdeutlich macht. Jesu Aufruf zur Umkehr bezog sich deshalb auch nicht in erster Linie auf die Fehler seiner Zeitgenossen, die, das wusste auch er, sie als Menschen und Sünder allemal machen würden, sondern auf ihre irregeleiteten Überzeugungen, triebhaften Wesenszüge (Neid, Hader, Egoismen usw.) und falschen Gottesbilder (z.B. der Gesetzesgott der Pharisäer und Schriftgelehrten). Die Falschheit oder Irrtümlichkeit solcher Einstellungen und Überzeugungen aber kann nur durch gegenteilige Erkenntnisse erkannt und nachfolgend geändert werden. Von neuem geboren werden heißt neue Sehensweisen und neue Einstellungen gewinnen. Auch hier geht es also um Ursachen, nicht um die Folgen der falschen Einstellungen, denn Ursachenänderung ist die einzige Folgenvermeidungsstrategie.

Dadurch, dass viele der hier dargestellten Gedanken sich vorrangig auf die im Teil I angeschnittene Problematik von Leid und Anfechtung beziehen, mag es nun scheinen als wäre das christliche Gottesbild vorrangig oder gar ausschließlich ein Gottesbild, welches Erlösung durch Leiden propagierte. Dem ist nicht so, wie wir aus der Lebensgeschichte Jesu wissen. Erst die Kirchen haben seine Leidensgeschichte zu kirchlich steuer- und vermittelbaren Erlösungszwecken hochstilisiert. Der Mensch Jesus Christus hatte einen liebenden und fürsorgenden Vatergott vorgestellt, der sich um alle seine Geschöpfe kümmert, ja der, so Jesus, die Haare auf unserem Haupte gezählt hätte, mit anderen Worten, der uns und unsere menschlichen Bedürfnisse aber auch unsere Schwächen sehr wohl kennen würde. Gleichwohl hatte dieser Vatergott von Jesus Christus aber auch strafende Züge. Aber Strafe bedeutete nicht angstmachende oder gar willkürliche Zufügung von Schmerz und Leid, sondern liebesorientiert notwendige Lebenskorrekturen, die, je weiter der Mensch sich von Gott entfernt, diese Entfernung umso deutlicher würde spürbar werden lassen. Schmerz und Leid ihrerseits sind nur die Konsequenzen der Gottentfernung des Menschen. Aber da das göttliche Gesetz (oder Gott als Gesetz) die Sonne scheinen lässt über Gute und Böse und es regnen lässt über Gerechte und Ungerechte, müssen die Gerechten die Konsequenzen dieser Gottentfernung als oft himmelschreiende Ungerechtigkeit (mit)ertragen, während für jene, die gar nicht mehr nach Gott fragen, dieser Ungerechtigkeitsaspekt, ja oftmals die strafende Lebenskorrektur ganz entfällt.

Wie dem auch sei. Ziel dieser wenigen Erläuterungen war es sicherlich nicht, eine erschöpfende Erklärung oder gar Patentlösung anzubieten für die Vielzahl der hinter diesem wie hinter so manch anderen Gottesbildaspekten stehenden Fragen. Sie wollten lediglich Anregung bieten für eigene gedankliche Weiterführungen, nicht zuletzt in der Absicht, auch die im Teil I angeschnittene Problematik einmal unter anderen Blickwinkeln zu betrachten als jene, welche sich lediglich auf die Frage reduzieren, wo Gott geblieben wäre in allem Leid und in aller Ungerechtigkeit (geschweige denn wozu uns Gott solcherlei Anfechtungen oder gar Strafen auferlegen würde…) – so sehr dieses Warum unser ganzes Menschsein im Hier und im Heute natürlich betrifft. Aber auch wenn die Fortführung dieses Gedankengangs nun manches an Spannung verspräche, gerade weil an diesen Punkt nun die eschatologische Lebensrelevanz zur Sprache käme, wollen wir an dieser Stelle unseren Faden abbrechen, den wir zum Zwecke der Verständlichmachung dessen, was Gottesbilder implizieren können, in Richtung eines besseren Gottesverständnisses in der Frage von Leid und Anfechtung gesponnen haben.

Indem wir die Thematik bewusst für weiteres Nachdenken offen lassen – es gäbe noch manche Aspekte zu beleuchten und viele Fragen zu beantworten, dessen bin ich mir bewusst! –, wenden wir uns mit diesem nun doch ein wenig veränderten Verständnis ausgestattet der Heiligen Schrift zu um festzustellen, in wie weit die in der biblischen Tradition verborgenen Gotteserfahrungen das bisher Gesagte würden bestätigen und unterstützen können bzw. welchen unserer bisherigen Gedankengänge sie mittragen würde und welche nicht. Wir tun dies aber nicht zuletzt auch deshalb, weil umgekehrt unsere jeweiligen Gottesbilder auch unser Verständnis der biblischen Texte rückwirkend beeinflussen, denn jeder von uns liest immer auch vor dem Hintergrund der eigenen Gottes- und Menschenerfahrungen und den sich daraus ergebenden Verständnisperspektiven.

Indem wir im folgenden Teil III diesen Versuch unternehmen, wollen wir diese biblischen Gottesbilder, wie sie sich vor allem mit und durch Jesus im Neuen Testament entwickelten, auch vergleichen mit unseren heutigen – kirchlichen wie säkularen – Gottes- oder Götzenvorstellungen und die dabei auftretenden Unterschiede näherhin nach ihren jeweiligen Ursachen untersuchen. Dies alles geschieht letztlich aus dem Bewusstsein der Menschheitsgeschichte heraus, aus der wir die Erfahrung mitnehmen, wie wenig gott-, sehr wohl aber zeit-, kultur- und erkenntnisbedingt Gottesbilder oft waren und auch heute noch sind.


Ende Teil II


Copyright Rudolf Stiegelmeyr, 2007


i Näheres zur spezifischen Entwicklung der israelitischen Gottesbilder siehe Stichpunktartige Einführung in die Herkunft und Bedeutung der wichtigsten Gottesnamen des Alten Bundes oder der Thora
ii entnommen und adaptiert aus einem Kommentar von Roland Z. zum Thema Gottesbilder
iii Paradoxien sind der erste Schritt, um Gottesbilder nachhaltiger auf das hin orientieren zu können, was unsere Erfahrungen mit Gott oftmals verdunkelt. Die dreiwertige Logik der reflexionslogischen Perspektive wäre ein weiterer Schritt in diese Richtung. (siehe: Reflexionslogische Semiotik )
iv Herbert Vorgrimmler, Neues theologisches Lexikon, S. 248
v Joseph Ratzinger in: "Glaube, Wahrheit, Toleranz – das Christentum und die Weltreligionen", S.139f.
vi Wilhelm Köller, Perspektivität und Sprache, S. 801
vii Vgl. D.R. Hofstadter, Gödel, Escher, Bach, S. 274
viii Wilhelm Köller, Perspektivität und Sprache, S. 806
ix Joseph Ratzinger, Kleine Katholische Dogmatik: Eschatologie – Tod und ewiges Leben, S. 85f.
x Paul Tillich, Systematische Theologie, Band III
xi Joseph Ratzinger, Kleine Katholische Dogmatik: Eschatologie – Tod und ewiges Leben, S. 85f.
xii Jürgen Spieß, Leid und Tod – wo ist Gott?, S. 3
xiii Die Nahtodeserfahrung ist einzuordnen in der Transzendenz des menschlichen Geistes, wobei der Körper sich im Zustand des unmittelbar drohenden Todes, wenngleich immer noch im Stadium der Reanimationsmöglichkeit befindet.
xiv Beispiele entnommen aus: Evelyn Elsaesser Valarino, Erfahrungen an der Schwelle des Todes – Was erlebt ein sterbender Mensch? Wissenschaftler untersuchen das Nahtod-Phänomen. S. 37ff.




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