Die neuapostolische Kirche bewegt sich. Aber wohin?

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Gottesbilder und ihre Implikationen Teil III

In den beiden bisherigen Teilen von ‚Gottesbilder und ihre Implikationen’i versuchten wir uns in wenigen grundsätzlichen Zügen bewusst zu machen: Was bedeuten Gottesbilder? Was können sie mit ihrer jeweiligen Bedeutung bewirken? Woher kommen sie? Worauf sollten wir im Umgang mit ihnen achten? In diesem dritten Teil geht es nun vorrangig darum, die bisherigen Erkenntnisse mit beispielhaften Aussagen der Heiligen Schrift zu bestätigen und dabei vielleicht mit der einen oder anderen neuen Betrachtungsweise ein klareres Bild darzustellen. Wir tun dies nicht zuletzt deshalb, weil ohne ein offenes Bewusstsein für die Vielfalt der unterschiedlichen Gottesbilder im Prinzip weder eine sinnvolle Predigtarbeit noch eine überzeugende Seelsorge geleistet werden können.

Dabei muss uns immer bewusst bleiben, dass hier eine Wechselwirkung vorliegt: Ebenso wie unser Vorverständnis von Gott unsere Betrachtungsweise der Heiligen Schrift beeinflusst, haben auch die Texte dieser Schrift unsere religiöse Sozialisation und damit unser Gottverständnis beeinflusst und werden es weiter tun. Präzisierend sei hier noch angefügt: Genau genommen sind es nicht die Texte selber, die uns beeinflussen, sondern die Art, wie wir sie wahrnehmen und interpretieren.
Dieser Artikel ist der 3. Teil des Gottesbildaufsatzes unseres Autors Rudolf Stiegelmeyr. Die beiden vorangehenden Beiträge finden Sie unter:
Gottesbilder und ihre Implikationen Teil I
Gottesbilder und ihre Implikationen Teil II

11. Der Gott der Heiligen Schriften

Leider ist es im Rahmen einer relativ kurzen Web-Darstellung nicht möglich, die ganze Heilige Schrift nach ihren Gottesbildern und deren geschichtlichen wie kulturellen oder theologisch bedingten Entwicklungsfaktoren, geschweige denn nach ihren jeweils wechselseitigen Beeinflussungen und deren Folgen durchzusehen. Nicht einmal das Neue Testament kann auch nur annähernd einem solchen Unterfangen dienen. Das ist aber auch gar nicht nötig. Entscheidend ist, dass einige zentrale Aussagen der Heiligen Schriften uns bereits eindeutig und sehr stringent Aspekte jenes Gottesbildes zeigen, welches mit Jesus Christus in großer Tiefenschärfe und aufregend menschlich in unsere Vorstellungswelt gekommen ist und in dessen Perspektivierung sich die Selbstdarstellung Gottes, wie ‚christuszentrierte Christen’ ii sie heute verstehen, manifestiert.

Selbstdarstellung Gottes in der Unmittelbarkeit, in der Jesus Christus diesen Gott vorstellte, kann aber nicht gedacht werden ohne den menschlichen Bezugspunkt, der nicht nur im Glauben an den geistig weiter lebenden Christus, sondern gerade im und durch den Glauben in der mannigfaltigen Wahrnehmung Gottes jene Verifikation erfährt, die aus der alttestamentlichen Bildhaftigkeit in die jesuanische Beziehungshaftigkeit Gottes führt. Damit ist im Prinzip schon der Weg gewiesen im oftmals engstirnigen Deutungswirrwarr der Kirchen und Bekenntnisgemeinschaften und der Vielzahl ihrer oft gegensätzlichen Lehrauffassung, was dieses Gottesbild und seine unterschiedlichen Wahrnehmungsparameter betrifft. Als bisherige Quintessenz können wir vielleicht festhalten, dass es - wie so oft im Leben - neben vielen falschen Perspektiven auch viele richtige gibt und dass keine von sich behaupten kann, den ‚Gegenstand’ Gott (geschweige denn das ‚Sein’ Gottes) vollumfassend zu erkennen, da wir Menschen eben nur zu einer perspektivischen Sicht von Gegenständen in der Lage sind - holistische Sehensweisen können wir nicht erfassen.

Was wir indes tun können, ist das in der Gesamtheit aller gültigen Perspektiven Erkannte als immer neu erweiterbare Annäherung an das Gesamtbild Gottes dergestalt zusammenzufügen, dass die Züge dieses Bildes deutlicher erkennbar und besser verstehbar werden. Dazu gehört auch die historische Dimension, die uns die Heiligen Schriften als Vermächtnis menschlicher Gotteserfahrung zu überliefern trachten und mit dem der erste grundlegende Unterschied, nämlich zwischen dem (vermeintlichen) ‚Gegenstand’ Gott in all den möglichen Bildnissen, welche sich Menschen von ihm gemacht haben, und dem (wahren) ‚Sein’ Gottes, erst richtig bewusst werden kann. Beginnen wir deshalb bei den ersten Entwicklungsschritten, mit denen unser christliches Gottesbild diese Welt verändern sollte.

Die Entwicklung von den polytheistischen Gottesbildern der Ur- und Schöpfungsgeschichten hin zum monotheistischen Jahwe-Bild des alttestamentlichen Israel begann in der Geschichte der Patriarchen, nach deren Vorstellung Gott sich ein Volk - das spätere Bundesvolk - ausersehen und mit welchem er die Heilsgeschichte des Menschengeschlechts einläuten würde. Die Worte Gottes durch den Engel auf Morija an Abraham gerichtet: „Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der HERR: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, will ich dein Geschlecht segnen und mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen; und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast“ (1.Mose 22,15-19), sind und bleiben für Israel Erwählung und Verheißung zugleich.

Hier war ein Mensch zu einem ‚Freund Gottes’ geworden, weil er im übermenschlichen Gottvertrauen die Kräfte des Himmels in Bewegung gesetzt hatte, weshalb Gott - so die Vorstellung der damaligen Menschen - seinen Nachkommen der alleinige, einzige und alles umfassende Gott sein wollte. In dieser Zeit entwickeln sich die Vorstellungen Gottes hin zu einem Volks- und Sippengott, der die Seinen aus der Knechtschaft befreit hatte und - das war der eigentliche Anlass der viel später aufgeschriebenen Geschichte - wieder befreien würde.

So erlebten und verehrten die aus Ägypten Geflohenen Jahwe als ihren persönlichen Gott. Er kümmert sich um die Belange der Sippe bzw. des Stammes, rettet, führt, gibt Lebensraum, erteilt Anweisung, verlangt Gehorsam, schützt. Er ‚ist da’, wie er selbst sagt (Ex 3,14) in Deutung des Jahwe-Namens, ist mit den Seinen.

Die Mosegruppe vermittelte nach der Landgabe durch ihren Gott ihre Gottes-Erfahrungen den Sippen und Verbänden, die bereits in Kanaan waren oder neu hinzustießen und ebenso bedrängt Hilfe erwarteten; unter der Verehrung des befreienden und erlösenden Gottes schlossen sie sich zu dem Volk zusammen, das schließlich Israel hieß. Beim Rückblick in die Zeit der Väter gewann man, als Jahwe schon Staatsgott war, die Überzeugung, dass er in Wirklichkeit bereits der Gott der Väter war (Gen 12-50).
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Auf diese Weise wurde das noch keineswegs einheitliche Gottesbild der Väter allein aus der Überlieferung im Nachhinein festgelegt und als einiger Gott eines kleinen und von vielen Feinden umgebenen Halbnomadenvolkes verehrt. Dies hatte Konsequenzen. Ein Gottesbild, welches in souveräner Wahlfreiheit und Machtausübung sich für ein ganz bestimmtes Volk entscheidet, schien sich - so der allgemeine Volksglaube - automatisch gegen alle übrigen Völker entschieden zu haben. Auch unter Berücksichtigung einer völkischen Wahlschaft, die sich selber zunehmend als zum Heil aller Menschen gesetzt sehen, erscheint die Zuneigung zu einem Volk gleichzeitig eine Abneigung gegen, zumindest aber ein benachteiligendes Hintenanstellen aller anderen Völkern zu sein - so jedenfalls glaubten diese einfachen Menschen dies.

Bereits in diesen ersten Entwicklungsphasen des monotheistischen Gottesbildes können wir festhalten, dass sich hier ein Gottesbild herauskristallisieren sollte, welches für die Zukunft ein enormes Maß an Sprengkraft entwickeln würde: „Ich bin der Herr dein Gott und will keine anderen Götter neben mir haben…“ wird zur gewollten oder ungewollten Kampfansage an alle anderen Götter und Gottheiten. Die Worte des Propheten Micha: „Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich! “ (Micha 4,5) bezeugen nicht nur die Unterschiedlichkeit dieser Gottesvorstellungen, sondern die klare Eindeutigkeit, mit der hier dem Gott Isaaks und Jakobs eine Sonderstellung unter allen Göttern beigemessen wird.

So weit, so gut. Nun aber trifft die göttliche Erwählung auf die evolutiv-menschlichen Attribute von Machtgier und Geltungsbedürfnis in Verbindung mit egoistischer Selbstgerechtigkeit und daraus sich entwickelnd Größenwahn. Die eigentliche Sprengkraft eines solch exklusiven Gottglaubens liegt nämlich in der Versuchung, welche mit einer solchen Vorstellung unweigerlich verbunden zu sein scheint: Erwählung im Sinne einer Bevorzugung und damit verbunden elitären Sonderstellung. Was hier - damals wie heute - missverstanden oder erst gar nicht erkannt wird, ist der für viele offensichtlich unscheinbare Unterschied, dass der obig zitierte Satz des Propheten Micha auf die Exklusivität des von ihm erkannten Jahwe-Gottes verweist, woraus sich aber KEINE Exklusivität von Menschen (und ihren Organisationen etc.) ableiten lässt, wie zugehörig sie sich ihm - diesem Gott - auch fühlen oder gar wissen mögen!

Wie schnell das Volk Israel dieser Versuchung einer scheinbar logischen, exklusiven Schutz- und Rechteübertragung erlegen war, wie schnell sich ihr Gottesbild in einen befremdend willkürlichen, weil im Grund nun parteiischen Gott wandelte, zeigt bereits das sog. Zehngebot vom Sinai, in welchem Gott sein Volk zu schützen versprach, während er gleichzeitig alle anderen, so sie sich gegen die Ausbreitung dieses Gottesvolkes zu stellen wagten, vernichtend schlagen würde. Ein nicht mehr unvoreingenommenes, geschweige denn ein gerechtes oder gar liebendes Gottesbild, wie wir heute unumwunden zugeben müssten. Für das Volk Israel aber schienen zunehmend Erwählung und Sonderstellung unter anderen Völkern, Ein-Gott-Glaube und elitäres Exklusivbewusstsein usw., synonym zu stehen - eine vermenschlichte Gottesvorstellung, die sie über Jahrhunderte hinweg würden büßen müssen. Da halfen auch keine noch so wortgewaltigen Versuche, die Geschichte geradebiegen zu wollen…

Exilsche (prophetische und deuteronomische) Theologie versteht unter dem Eindruck der Tatsache, dass er sein Volk preisgeben kann, ohne zu unterliegen, den zweiten Teil des deuteronomischen Grundwortes so: Er ist der einzige Gott, ‚der Gott; kein anderer ist außer ihm’ (Dtn 4,35; Jes 44,6). Nun können Aussagen auf ihn übertragen werden, die im polytheistischen Raum zuhause sind, jetzt aber die Größe des einzigen Gottes herausstellen: König der Götter (Ps 95,3), der Höchste Gott (Gen 14,19), der ewige Gott, der allmächtige Gott. Der Gott aller Mächte und Gewalten erhält nun einen neuen Klang. Der eine ist kein einsamer Gott. In apokalyptischer Schau ist er nun mit Scharen von Engeln umgeben. Er bleibt auch auf seine Schöpfung bezogen, die durch ihn besteht. Nun kann man aber in Leid, in Sünde, aus dem Bösen nicht mehr zu einem anderen Gott flüchten. Doch da der Eine dem Tun-Ergehens-Zusammenhang nicht unterworfen, sondern ganz frei ist (Ijob 38ff.), vermag er auch verschuldetes Leid zu heilen und das Böse zu überwinden, die Sünde zu vergeben. iv

Die einseitige Bevorzugung eines ‚auserwählten Volkes’ geht hier bereits über die Vorstellung eines den Sippen- oder Familienklan und das Volk schützenden Gottes hinaus und zeichnet ein Gottesbild, welches die Sünde menschlichen Fehlverhaltens bei seinen Auserwählten würde ungeschehen machen und die Schuld und das verbundene Leid würde mindern können - während alle anderen Völker in ihren Sünden zu sterben hätten. Das dem Menschen wohlgesonnene göttliche Allmachtswesen hatte sich rückentwickelt in jenen parteiischen Willkürgott, in welchem die typisch menschlichen Eigenschaften zum Tragen kamen, die uns auch heute noch von Gott trennen.

Hier nun greift Jesus in die Vorstellungen seiner Zeitgenossen ganz gewaltig ein, indem er ein Gottesbild zeichnet, das einen völlig anderen Erwählungsbegriff und ein gänzlich anderes Auserwähltsein vorstellt. Einerseits können wir im Übergang von alttestamentlich-prophetischer zu neutestamentlich-jesuanischer Gottesvorstellung zwar nicht direkt von einem Bruch der Gottesvorstellungen sprechen. Der Gott Israels (Mt 15,31), der Gott der Väter (Apg 3,13), und der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (Mk 12,26) sind alttestamentliche Gottesvorstellungen, die nahtlos fortgeführt werden, nicht zuletzt, da es für gläubige Juden keine Unterteilung gibt zwischen einem alten und einem neuen Testament.

Judentum und Urchristentum hatten in der Erstphase ihrer gemeinsamen Wanderschaft bezüglich der grundsätzlichen Gottesbildhaftigkeit keine unterschiedliche Gottesvorstellung. Andererseits aber ist der Gottesbegriff Jesu nicht mehr ausgerichtet an partikularistisch völkischen, sondern nun an universal ‚menschlichen’ Parametern schlechthin. Nicht mehr die Erwählung oder göttliche Einladung ist plötzlich ausschlaggebend, sondern - wie zu Zeiten der Urväter, als Gott all jenen zur Seite stand, die nach ihm fragten - die Annahme der Gottesbeziehung des Einzelnen. So konnte Petrus seine Gotteserfahrung im Zusammenhang mit der Geistestaufe des heidnischen Hauptmanns Kornelius letztlich in die Worte kleiden: „Nun erfahre ich in Wahrheit, daß Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm. Er hat das Wort dem Volk Israel gesandt und Frieden verkündigt durch Jesus Christus, welcher ist Herr über alle.“ (Apg 10,34-36)

11.1. Vom völkischen Jahwe-Gott zum persönlichen Abba-Gott

Monotheismus setzt Eingottglauben voraus. Ohne einen solchen Eingottglauben wäre eine Entwicklung hin zu einem Vater-Gott-Verständnis undenkbar. Der Abba-Gott Jesu Christi war damit im Prinzip der Kulminationspunkt einer langen Entwicklung, welche beginnend mit den Urgöttern der alten Nomadenvölker mit Jesus Christus ihren Abschluss fand. Denn auch wenn die Urkirche das Gottesbild Jesu noch weiter ausgemalt und ihren jeweiligen Bedürfnissen so versucht hat anzupassen, wie sie geglaubt hat, Jesus würde es der jeweiligen Situation angepasst haben - beispielsweise Paulus weist bei seinen Missionspredigten bereits auf eine natürliche Erkennbarkeit Gottes hin, sowohl aus der Ordnung der Schöpfung (Röm 1,18-22) als auch aus der Stimme des Gewissens (Röm 2,14-16) -, so hat sie doch in Jesu Selbstoffenbarung und in ihrem Glauben an den erhöhten Herrn versucht, jesuanisches Wesen und Denken, und damit zum großen Teil noch jüdisches Denken, in ihren Gemeinden zu etablieren und das Gottesbild Jesu in die Herzen der Gläubigen zu pflanzen.

Wenn dies auch unter unterschiedlicher Gewichtung und verschiedenartiger Perspektivierung geschieht - während die Gottesvorstellung des Paulus geprägt ist durch Kreuz und Auferstehung und der Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben ist das Gottesbild der judenchristlichen Apostel, allen voran Jakobus, geprägt durch ihre jüdische Gesetzesbezogenheit -, so überwiegt doch die messianische Vorstellung vom Herr der Heerscharen (JHWH sebaot), dessen anbrechendes Gottesreich die Theologie und damit den Glauben des jakobinischen wie des frühpaulinischen Urchristentums prägte.

Jesu Belehrung über den Vater und seine Gebetsunterweisung hatten die Urchristen im geisterfüllten Abba-Rufen befolgt und darin zugleich die Freiheit der Kinder Gottes erfahren (Gal 4,6f.; Röm 8,15f.) Der durch Jesu verkündigte barmherzige, Erlösung schaffende Gott wurde ihr im Glauben an die Auferstehung Christi und die Macht dieses neuen Lebens im Heiligen Geist zu froher Gewissheit. […] Gottes ewiger Heilsplan, der in der Erlösung durch Jesus Christus zur zeitlichen Ausführung kam, lag vor der Christusgemeinde nun offen und überschaubar ausgebreitet als Zeugnis seiner unbegreiflichen Weisheit und Güte.

Tief ergriffen rühmt Paulus die unerforschlichen Heilswege Gottes (Röm 11,33-36) und erkennt Johannes als tiefsten Grund des Handelns Gottes seine zuvorkommende, ihm und ihm allein wesensgemäße Liebe. Dieser Gott gab auch den Heiden ‚die Umkehr zum Leben’ (Apg 11,18) und seine Gnade wurde heilbringend für ALLE Menschen (Tit 2,11). Dieser Gott verdient weit mehr als all die damaligen Herrscher und Kaiser den Titel ‚Soter’ (Heiland), da seine Güte und Menschenfreundlichkeit in Jesus Christus erschien (Tit 3,4). Dieses Gott-Verständnis hat auch das tiefe Sehnen der griechischen Welt nach Überwindung der Vergänglichkeit und ‚Teilhabe an der göttlichen Natur’ gestillt (Petr 1,4). So mag es viele Götter und Herren geben, die damals verehrt wurden; für die Christen(wie für die Juden) aber gibt es, wie eine alte Formel sagt, ‚nur einen Gott, den Vater, von dem das All stammt und auf den hin wir geschaffen sind, und nur einen Herrn, Jesus Christus, durch den das All wurde und durch den wir sind’ (1 Kor 8,6).
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Deutlich wird hier wie im ganzen NT das Ziel aller Gottesbetrachtung: eine lebendige, persönliche, auf der Vorstellung eines Vater-Kind-Verhältnisses aufbauende und damit immanent werdende Gemeinschaft mit einem Gott, der aber zunehmend seine unmittelbare Wundertäterfunktion verliert, da das endgültig erwartet Heil immer weniger einer unmittelbar-zeitlichen Feuerwehrrolle Gottes entsprach, sondern vielmehr einer endzeitlichen Herrschaftsvorstellung, in der dieser Gott würde wieder wie am Anfang alles ins allem sein.

Dabei ist, wie im Teil II bereits angedeutet, anstelle einer ausschließlich transzendenten Sicht eines in den Himmeln thronenden Gottes ein Gottesbild vorzuziehen, in welchem Gott und Mensch sich gegenseitig bedingend durchdringen und so eine schöpferische Einheit bilden, welche die kurz angeschnittene Theodizeefrage in einem durchaus anderen Licht erscheinen lässt. Gerade über das Gebet wird diese Sicht auch in den Erfahrungen der biblischen Kulturen bestätigt.

Hier nun zeigt uns die im zweiten Teil thematisch kurz angeschnitte Subjekt-Objekt-Verschmelzung Gottes als Gesetzgeber und gleichzeitig Gesetz, in welchem die ‚normalen’ Relationen aufgehoben sind, dass Gott den Menschen nicht nur als Schöpfergott geschaffen hat, sondern dass er in und mit seiner Schöpfung mitlebt - also lebender und leidender Teil von ihr ist. Diese Erkenntnis führt uns dann folgerichtig zur Vermutung, dass damit auch eine Immanenz-Transzendenz-Verschmelzung einhergeht, mit anderen Worten, dass Gott sowohl der außer uns Seiende und Wirkende als auch der in uns Wohnende und Schaffende ist. Wenn und indem wir demütig in uns gehen, gehen wir gleichsam auf Gott zu und indem wir innerlich auf Gott zugehen, kommt sein Geist in uns zum Wirken. Diese Immanenz-Transzendenz-Verschmelzung Gottes merken wir zuvorderst im innigen, ungestörten, und alles in die Waagschale werfenden Gebet. Wie sehr diese Gottessicht gerade auf biblischen Gotteserkennungen aufbaut, zeigt uns der Jesuitentheologe Josef Sudbrack:

Die Anliegen der ‚Charismatischen (Gemeinde-)Erneuerung’ in der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, als da wären Begeisterung, Glaubensfreude, missionarischer Elan der Geist-Erfahrung usw., dokumentiert gleichsam das Sichtbarwerden dieser ‚Immanenz Gottes’. […]

Einmal aufmerksam geworden, entdeckt man eine breite biblische Basis, die Gottes Immanenz in seiner Schöpfung lehrt. Schon im Neuen Testament vertieft sie sich zu einer Dichte, vor der das pantheistische Seinserleben der Moderne blass erscheint. Im Römerbrief (8, 5.23.26) und besonders im Galaterbrief (4, 6) identifiziert Paulus das eigene, betende Ich mit Gottes Geist:

’Weil ihr aber Söhne (und Töchter) seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater.’

Solche Sätze sind keine heidnischen Relikte, wie die ‚Religionsgeschichtliche Schule’ der evangelischen Theologie um 1900 analysierte; sie dürfen nicht verharmlost werden zum Echo irgendwelcher ekstatischen Erfahrungen (E. Käsemann); aber noch weniger dürfen sie esoterisch umgebogen werden zu einem ‚kollektiven Tiefenselbst’, das hinter dem individuellen Ich vernehmbar wird. Paulus meint offensichtlich: Im individuellsten Vollzug des Menschen, der ihn erst zur vollen Person macht, in seinem Abba-Vater-Rufen zu Gott, lebt und betet Gottes Geist. Weder wird die Individualität des Menschen noch wird der Geistesbeistand moralisiert zu einem nur-Helfen und nur-Beistehen. Paulus meint es seinshaft und wesentlich: Gottes Geist ist so schöpferisch-stark, dass er im Betenden voll und ganz gegenwärtig und wirkend ist, dass das Gebet ganz von ihm kommt und gerade deshalb das persönlichste, individuellste Rufen des Menschen zu Gott, dem Vater, ist.

Man muss diese Einheit von Gottes Geist und menschlicher Mitte in dem logisch unauflösbaren Paradox stehen lassen. Dann darf man daran erinnern, dass insbesondere in der Mystik eines Meister Eckhart ähnliche Aussagen als häretisch verurteilt wurden (Denzinger Nr. 977): ‚Es ist etwas in der Seele, das unerschaffen und unerschaffbar ist; wenn die ganze Seele solcherart wäre, so wäre sie unerschaffen und unerschaffbar.’ Im Lichte einer Sophia- und Geist-Theologie bekommt die Mystik Eckharts neuen Sinn. Noch der Reformator Martin Luther umschrieb das bekannte Gebet von Augustinus, dass Gott zugleich das Innerste des Inneren und das Höchste des Höchsten im Menschen sei: Gott lebe in der Kreatur ’…tiefer, innerlicher, gegenwärtiger denn die Kreatur ihr selbst ist, und doch wiederum nirgend und in keiner, so dass er wohl alle Dinge umfängt und drinnen ist, aber keines ihn umfängt und in ihm ist’.

Diese Immanenz Gottes hat ihre dichteste Gegenwart im Gebet, im Wichtigsten, was ein Mensch tun kann. Von dort aus gehend, wird seine Immanenz auch in der anderen geschaffenen Wirklichkeit verständlich. Sie hat — in ihrer jeweiligen Existenzweise — teil an der Kraft des Geistes Gottes.

— Nur so kann man das Seufzen der Kreatur verstehen, von dem der Römerbrief (8, 22f.26) weiß, dass es dem Seufzen des Menschen entspricht, also dem inneren Gebet, das Gottes Geist selbst in uns spricht: ’Der Geist selbst tritt für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können.’

— Nur so bekommt die Areopag-Rede des Paulus in ihrer heidenmissionarischen Vorbildlichkeit Sinn (Apg 17,28): ’In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.’

— Nur so wird der Ps 139 aus einer reinen Erbaulichkeit in lebendige, seinsberührende Erfahrung überführt: ’Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich…; steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen. Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt. Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge —, du, Herr, kennst es bereits.’

— Nur so ist der Johannes-Prolog voll verständlich: ’Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.’ Und in anderer Punktierung:‚„...was geworden ist - in ihm war [er] das Leben.’

— Nur so leuchtet die Wahrheit des Kolosserhymnus (1,16) auf: ’Denn in ihm wurde alles erschaffen, alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.’
vi

11.2. Voraussetzungen einer wesenhaften Vater-Gott-Beziehung

In der Wende vom externen gegenständlichen Gott des AT zum sein- und damit wesenhaft innewohnenden Gott Jesu Christi wandelt sich auch die Vorstellung vom Beten. Gebet wird jetzt nicht mehr als Notrufsäule begriffen, welche, wenn alle menschlichen Willens- und Verfahrensstricke gerissen sind, einen Feuerwehrgott herbeizuholen hofft, wenn und wann man ihn gerade braucht. Gebet ist nicht mehr der virtuelle Reparaturbetrieb, der immer nur das zu kitten hätte, was wir Menschen mit unserem Eigenwillen in uns wie um uns verbockt haben und was uns nun zunehmend zu erdrücken droht.

Gebet steht hier vielmehr synonym für lebendige Gottesbeziehung, die wie jede Beziehung aufgebaut und gepflegt werden muss. Gebet ist damit auch nicht mehr in erster Linie Wunschzettel, sondern erscheint jetzt in geradezu überwältigender Analogie zu Jürgen Spieß Erkenntnis, dass Gott sich nicht um die Folgen menschlicher Fehltritte usw., wohl aber um deren Ursachen kümmern würde: Gebet, als täglich sich weiterentwickelnde Gottesbeziehung, die - wie Jesus es vorgelebt hatte - in allem ZUERST nach dem Willen Gottes fragt und ihn zu erfüllen trachtet, ist Vorsorge, welche die Ursachen menschlichen Fehlverhaltens zu verhindern sucht und nicht Nachsorge, welche sich lediglich immer neu um die Folgen zu kümmern hätte.

Gerade die jüngere deutsche wie die neuapostolische Geschichte mit einerseits mehr als einem Dutzend seltsam missglückter Attentate auf den Diktator Adolf Hitler (zur Verhinderung weiterer und größerer Übel) und andererseits die ebenfalls ungebremsten Auswüchse der Bischoff-Botschaft haben uns allen mit sehr eindringlicher Nachhaltigkeit vor Augen geführt, dass Gott viel mehr an Ursachen- denn an Folgenbekämpfung interessiert zu sein scheint. Dies aber setzt Bußfertigkeit auf allen Ebenen voraus. Ist sie nicht gegeben, hält Gott weder den Lauf des einzelnen Menschen noch den der Geschichte an.

So kann Metanoia im jesuanischen Sinn auch immer nur innere und damit persönliche Umkehr im Sinne einer individuell- persönlichen Ursachenänderung sein, nicht im Sinne einer spezifischen oder gar allgemeinen Folgenvermeidung. Nicht einem vermeintlichen Gottesbild zu entsprechen, sondern göttlichen Willen ZUERST zu erforschen trachten und DANN entsprechend zu handeln war schon gelebte Alltagspraxis beim Psalmisten: „Weise mir, HERR, deinen Weg, daß ich wandle in deiner Wahrheit; erhalte mein Herz bei dem einen, daß ich deinen Namen fürchte. “ (Psalm 86,11) Der Theologe und Strategieberater Wolfgang Simson hat diese Erkenntnis in den ungeheuer zeitnahen und gerade hinsichtlich der im Teil I aufgeworfenen Gottesbild-Problematik vielsagenden Aphorismus gekleidet: „Christen müssen aufhören, Gott darum zu bitten, zu segnen, was sie tun, und anfangen zu tun, was Gott segnet“ (zitiert nach Apostel Knauth/VAG in seiner Einlassung zum Bußgebet, nachzulesen bei CiD) .

Dabei - und diese Aussage kann gar nicht überbewertet werden - hat das Fragen nach dem göttlichen Willen relativ wenig zu tun mit einem blindflughaften Glaubens- oder Nachfolge-Gehabe und ebenso wenig mit einer esoterischen Augen-zu-und-durch-Mentalität in der Akzeptanz kirchlicher Heils- und Erlösungsdoktrine, sondern ist vielmehr bestrebt, in einem fortwährenden aufrichtigen Suchen nach und persönlichen Ergründen von und Leben in der Wahrheit (vgl. 1.Joh.3,19-23), in zunehmend höhere Erkenntnis zu gelangen und damit Gott immer besser verstehen zu können. Erst so kann sich ein wahrhaft überzeugter, weil überzeugender Glauben einstellen, weshalb erst dann von einer wirklichen Gottesbeziehung gesprochen werden sollte, welche den Menschen in ein aufrichtiges und nicht zuletzt authentisches Kindschaftsverhältnis zu einem Abba-Vater-Gott stellen kann. Eine Beziehung, deren vielfältige Perspektivierung diese Abba-Vater-Rolle Gottes in einem immer neuen Licht erscheinen lässt und deren Vaterbezeichnung nun erst die Konturen gewinnt, welche Gott als fürsorgenden und liebenden Vater erlebbar werden lassen.

Die heute übliche, egozentrisch fordernde Haltung in der gängigen ‚Vatervorstellung’, nach der sich ein Vater schon von Rechts wegen gefälligst um seine Kinder zu kümmern hätte - unabhängig vom Verhalten, der Einstellung oder der Lebensentscheidung dieser Kinder! - und die sich weiterentwickelnd in der volkstümlichen Redewendung niedergeschlagen hat „Der Mensch denkt sich seinen Weg und Gott gibt, dass er fortgehe...“ vii , wird durch diese biblisch begründete Gebetsvorstellung wieder zurecht gerückt, damit ebenfalls zurechtgerückt werden aber auch die Relationen zwischen dem Mensch als Kind Gottes und Gott als dem allmächtigen Vater.

In dieser Relation darf nämlich "Das Bewusstsein für den Sitz im Leben der Schriften" nicht übersehen werden: Die biblisch-jüdische Vatervorstellung Jesu Christi hat mit der postmodernen abendländischen Vatervorstellung, die eher einem gesetzlich einklagbaren Versorgerbetrieb gleicht, kaum etwas gemein. Hier stellt sich nicht die heute so gerne verfochtene Rolle des kumpelhaften Spiel- und Spaß-Papis, eine autoritäts- und damit wertefreie Vaterrolle, welche dem Kind trotz völlig ungleicher Erkenntnisvoraussetzungen und damit Pflichtenverteilungen im Prinzip gleiche Rechte einzuräumen bereit ist, ja das Kind - wie dies in vielen Fällen heutigentags so üblich ist - zum Zentrum allen Denkens der Eltern hochstilisiert.

Im Judentum der damaligen Zeit und Welt gab es ganz eindeutige und nicht überschreitbare Grenzen in den Rollenverteilungen und Pflichtenkataloge, die - durchaus auch aus gesamtgesellschaftlichen Interessen - nicht nach Lust oder Laune (oder Schwäche der Eltern…) uminterpretiert werden konnten. Die Vorstellung einer gleichberechtigten und jede Art von Autorität ablehnenden Kinderrolle, wie sie in unseren permissiv-egalitären westlichen Überfluss-Gesellschaften üblich geworden ist, war den damaligen Menschen nicht nur völlig fremd - sie hätten sie sogar vehement abgelehnt. viii Väterliche Zuwendung und mütterliche Liebe waren vielmehr immer an den Gehorsam des Kindes gebunden und in diesem Wechselspiel zwischen kindlichem Gehorsam und elterlicher Fürsorge spiegelte sich das von Jesus vorgestellte Vaterbild Gottes für die damaligen Menschen. Damit war der göttliche Beistand immer gebunden an die Bereitschaft des Menschen, sich einer göttlichen Autorität und damit selbstredend dem Willen Gottes zu unterwerfen, jesuanisch geprägte, gelebte und geforderte Axiome, welche unabhängig zeitgeistiger, kultureller oder politischer Correctness immer christliche Grundeigenschaften bleiben werden.

Allerdings wollen diese keiner gestischen oder kultischen Form entsprechen, sondern einer alltäglich praktizierten und immer neu zu übenden Willensbekundung, wie Jesus, in allen Lebenslagen zuerst nach dem göttlichen Willen zu fragen und dann entsprechend zu handeln. Geschah solches nicht, war zwar kein göttlicher Beistand zu erwarten, aber auch kein ‚unmittelbares Verdammt- oder Verlorensein’, wie dies vor allem Sekten ihren Mitgliedern so gerne glauben machen wollen. Verdammt werden konnte der Mensch ohnehin nur durch ein endzeitig verstandenes Verharren in seiner jeweils falschen Einstellung, welche sich wesenhaft in ihm verfestigen könnte (vgl. Ijob 15,6/Mt.12,33-37/Lk 6,37 u. 45/Röm 10,10/1.Kor.11,27-32 usw.), aber selbst hier gilt noch, dass so sehr wie die Folgen menschlichen Ungehorsams Gott gegenüber die Folgen eines kindlichen Ungehorsams seinen Eltern gegenüber übersteigen würde, so viel größer auch die Möglichkeiten göttlicher Erziehung sind, um den Menschen auch nach langen Umwegen wieder auf den einen Weg zu bringen, der zurück ins Vaterhaus führen würde. Jegliche Verdammungsprognosen sind damit für einen Christen fehl am Platz.

Denn: Der Gott Jesu will, dass allen Menschen geholfen werde. Diese Hilfe geschieht schrittweise und ist in ihren individuellen Entwicklungsschritten gebunden an die situative Willensbereitschaft des einzelnen, sich helfen zu lassen. Das Angebot der Hilfe bleibt davon aber unberührt. Die erdenzeitliche Terminierung einer ‚Gnadenzeit’, deren Verstreichen bestenfalls noch einen Rettungsweg zweiter Klasse offen ließe, entspricht weder dem Gottesbild Jesu Christi noch seiner eschatologischen Vorstellung vom Reiche Gottes. So ist beispielsweise der Schluss mancher Glaubenslehren, Menschen wie der nicht heilsverlangende Schächer am Kreuz oder Judas Iskariot usw., hätten ihr Heil ein für alle mal verspielt, völlig unzulässig, wie das Bild vom ‚Verlorenen Sohn’ uns in aller Klarheit zeigt.

Warum manche Menschen oft lange (Um-)Wege gehen müssen, um das Heil Gottes zu erkennen und umzukehren, hängt von vielen Faktoren des Menschseins ab, aber Gott wäre kein Gott, würde er diesen Faktoren nicht auf seiner allwissenden und gerade deshalb liebenden und verstehenden Art und Weise Rechnung tragen. Dies schließt zwar, nicht zuletzt bedingt durch die auf Erden herrschenden Kausalverhältnisse, keine unmittelbaren und temporären ‚wenn … dann-Konditionen’ aus, lässt aber in keiner Weise Rückschlüsse zu auf eine irreversible Verdammnis eines nullsummenspielgleichen Heils- und Erlösungsplanes noch eines endzeitlichen Aschenputtel-Szenarios, wie manche Kirchenfürsten oder pietistisch geprägten Glaubensgemeinschaften dies so gerne als ihre Heils- und Erlösungs-Szenarien verkauft haben würden.

11.3. Gottes-Splitting und Gottes-Kindschaft

In ihren oft pharisäerhaften Reglementierungen und Glaubensdogmen durchdringen sich nicht nur Gottesbilder und Menschenbilder, sondern die so gewirkten Gottesbilder nehmen selber Einfluss auf die mystischen oder sakralen Vorstellungen der Kirchen. So wurde, zuerst aus Mangel an geistig geführter Vorstellungskraft und dann aus kirchenpolitischen Gründen, in der post-neutestamentlichen Zeit der Kirchenväter ein dreipersonenhafter Gott geschaffen, dessen multiple Subjekthaftigkeit - trotz der vielen Ungereimtheiten, beispielsweise in der kirchlichen Abendmahls- und damit auch Opferlehre - ohne mit der Wimper zu zucken und ohne christliche Sinnfälligkeit zur bekenntnisorientierten Glaubensbedingung mutierte. Dabei hätte schon ein einziger kurzer Gedankengang gereicht um festzustellen, dass jede personale Gottesvorstellung immer nur ein menschlicher Verständnisanker sein könnte für etwas, was sich weder personal noch apersonal, weder subjekt- noch objekthaft denken lässt.

Beide christlichen Gottesausprägungen, Jesus Christus, als körperlich materialisierter Teil der Gottheit (auch wir Menschen sind im Prinzip ja nur materialisierte Wellenbündel) und der Heilige Geist als Ausdruck ihrer Kraft, waren für die Urchristen keine eigenständigen Gottheiten, sondern viel eher wirkmächtige Äußerungsformen ein und desselben Gottwesens, das - wenn wir die modernen Naturwissenschaften bemühen wollten - wir heute wohl mehr mit einem Strahlungsbündel spiritueller Urinformation assoziieren würden, denn mit einem personifizierten Geistwesen. Wie sonst hätte der Mensch Jesus Christus jene göttlichen Kraftquellen erschließen können als in der Geistverbindung mit seiner eigenen ursprünglichen Natur. Unwillkürlich kommen die Worte des Evangelisten in die Erinnerung nach denen Gott Geist sei und als solcher auch nur im Geist (eben seiner Wesenhaftigkeit) und in der Wahrheit (diejenige Erscheinungsform Gottes, welche seine Allmacht wohl am besten skizziert) angebetet werden könnte, womit wir wieder beim althebräischen Gottesbild des ‚ruach’ sind, der als Wind weder erkennbaren Grenzen noch einer wahrnehmbaren Bestimmung unterlag. Diese ursprüngliche, unpersönliche Lebenskraft hat im heutigen christlichen Gottesbild nur noch eine schwache Erinnerung in der Form des Heiligen Geistes.

Aus demselben Grund lässt sich auch die begriffliche Vorstellung einer ‚Gotteskindschaft’ nicht als personale Wesenhaftigkeit, sondern ebenfalls nur als wesensgleiche Beziehung zu Gott deuten. Und auch hier irrten die Kirchendoktrine, denn im Gegensatz zu ihrer oft exklusivistischen Macht- und Mitgliedschaftspolitik, beschreibt der Begriff der Gotteskindschaft eben gerade keine bekenntnisorientierte oder unter kirchlicher Nachfolgeverpflichtung stehende Eigenschaft noch steht er unter einer solchen voraussetzenden Mitgliedschaft, sondern er macht eine Aussage über das grundsätzliche Vertrauensverhältnis Gottes zum Menschen. Noch für Paulus ist die Gotteskindschaft allen Glaubenden - also all jenen, die Gott vertrauen - zugedacht (Gal 3,26ff.), denn alle, die der Geist Gottes treibt (die ihm Raum geben), sind Kinder Gottes. Die falsche Behauptung, erst durch die Taufe würden die Menschen zu Kindern Gottes gemacht, rührt von einem kirchlich geprägten Gottesbild, nachdem die Beziehung zwischen Gott und Mensch erst durch kirchliche Sakramente vollumfänglich ermöglicht würde, was dann u.a. zur Gnadenlehre (i.d. kath. Kirche) oder zur Vorstellungen einer eschatologisch notwendigen Geistesversiegelung führte. (siehe u.a. Herbert Vorgrimmler, Neues theolog. Wörterbuch, S.261)

Ganz im Gegensatz zum oft kirchlich vertretenen Gottesbild ist das Gottesbild der jüdisch-christlichen Tradition das Bild eines „real daseienden, sich selber offenbarenden Woraufhin menschlicher Transzendenz, welches sich gleichzeitig als universal zugängliches, väterliches ‚Zu-uns-hin’ personifizierte. Diese Transzendenzerfahrung hat viele immanente ‚Orte’ im Leben eines Menschen: in der Helle geistiger Erkenntnis, in der Erfahrung radikaler Fragwürdigkeit, im fundamentalen Impuls der Gewissensverpflichtung, in Angst, Freude u. Hoffnung, in der Erfahrung des Todes. In unzähligen Alltagsvollzügen (die darum besser nicht ‚Grenzerfahrungen’ genannt werden) ist der Grund von allem gegenwärtig, ohne daß ein Mensch ihn durchschauen, sich seiner bemächtigen könnte. ix

Das Gottesbild der Kirchen andererseits konterkariert häufiger als manche dies wahrhaben wollen diesen allumfassenden, grenzenlosen Gott des Neuen Testaments, der nicht nach der Kirchenzugehörigkeit urteilt, sondern nach der Herzenszugehörigkeit, und von dem Paulus deshalb bezeugen kann:

Da sind die einen, die das Gesetz Gottes nicht kennen: Wenn sie Unrecht tun, werden sie auch ohne dieses Gesetz verloren gehen. Und da sind die anderen, denen Gott sein Gesetz schriftlich gegeben hat: Wenn sie Unrecht tun, werden sie aufgrund eben dieses Gesetzes verurteilt werden. Denn es genügt nicht, das Gesetz zu hören, um vor Gott als gerecht bestehen zu können. Nur wer auch tut, was das Gesetz verlangt, wird bei Gott Anerkennung finden. Auch wenn die anderen Völker das Gesetz Gottes nicht haben, gibt es unter ihnen doch Menschen, die aus natürlichem Empfinden heraus tun, was das Gesetz verlangt. Ohne das Gesetz zu kennen, tragen sie es also in sich selbst. Ihr Verhalten beweist, dass ihnen die Forderungen des Gesetzes ins Herz geschrieben sind, und das zeigt sich auch an der Stimme ihres Gewissens und an den Gedanken, die sich gegenseitig anklagen oder auch verteidigen. Dies alles kommt ans Licht, wenn Gott durch Jesus Christus Gericht halten und das Innerste der Menschen aufdecken wird. So bezeugt es die Gute Nachricht, die mir anvertraut ist. “ (Röm 2,12-16, GNB)

Diesen Gedanken aufnehmend kommt Karl Rahner für seine katholische Kirche zu der Begrifflichkeit des ‚anonymen Christentums’, das er in einem Interview mit dem evangelischen Theologen Meinhold Krauss auf den einfachen aber klaren Punkt bringt:

Krauss: „Vor einigen Jahren hat Ihre Definition vom anonymen Christentum viel Aufregung hervorgebracht. Was ist eigentlich unter einem anonymen Christen zu verstehen?“

Rahner: „Sehen Sie, das ist eine furchtbar einfache und simple Sache, ob man das Gemeinte so nennt oder nicht, darüber kann man sich streiten. Nämlich, dass jemand, der seinem eigenen Gewissen folgt, ob er nun meint, Christ oder Nichtchrist sein zu müssen, ob er meint, Atheist sein zu müssen oder das Gegenteil sein zu müssen, dass ein solcher vor Gott und von Gott akzeptiert ist und das ewige Leben erreichen kann, das wir als das Ziel aller in unserem christlichen Glauben bekennen. Mit anderen Worten: Gnade und Rechtfertigung, Einheit und Verbundenheit mit Gott, Möglichkeit der Erlangung des ewigen Lebens hat nur am bösen Gewissen eines Menschen eine Grenze. Und das ist eigentlich das, was mit ‚anonymem Christentum’ gesagt sein soll.“

Krauss: „Ist mit dieser Definition vom anonymen Christentum nicht der Absolutheitsanspruch des Christentums in Frage gestellt?“

Rahner: „Um diesen Absolutheitsanspruch des Christentums aufrechtzuerhalten, der durchaus berechtigt ist, und auch um manches, was auch im Neuen Testament bezüglich der Notwendigkeit der Taufe und des christlichen Glaubens gesagt wird, mit dieser Lehre vom anonymen Christen zu vereinigen, muss man sich natürlich einiges einfallen lassen. Aber das kann man. Man kann den Anspruch des Christentums, die höchste Aufgipfelung auf verbaler und institutioneller Art des gnadenhaften Verhältnisses des Menschen zu Gott aufrechterhalten, ohne deswegen die Lehre zu verleugnen, dass jeder in der Liebe Gottes und in seinem Heil geborgen ist, der nicht in eigener, persönlicher, schwerer Schuld sich Gott verschließt.
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Dieses paulinische Gottesbild, das der Theologe K. Rahner hier ebenso offen wie undogmatisch weiterführt, impliziert ein ebenso grundsätzliches (a-priori) wie universales Angenommensein bei Gott und bezeugt damit einen Gott (ein Gottesbild) der Allmacht, welcher in der Lage ist, die eigentlichen Ursachen des Menschseins und der menschlichen Willensbekundungen in einen Verstehenszusammenhang zu stellen, den die Kirchen immer und immer wieder verstellt haben: Hier steht ein Gott, dessen Allmacht sich in Verstehen und Verständnisbereitschaft - agape - äußert, unabhängig der unmittelbaren und von vielen Faktoren abhängigen Fähigkeit oder Unfähigkeit des Menschen, sich zu Gott zu bekehren (was ohnehin meistens nur ein Erkenntnisproblem ist).

11.4. Der mitleidende Vater-Gott

Selbstverständlich zeigt uns die Heilige Schrift auch den zornigen, eifernden Gott, aber es ist dies ein Gottesbild, welches um seiner Liebe zu den Menschen willen, sich gegen jene ereifert, welche das Heil seiner guten Schöpfung und damit alle Zukunftshoffnung zerstören wollen, nicht um eines religiösen Selbstzweckes oder gar bekenntnisorientierten Exklusivismus willen, bei dem das Bodenpersonal bestimmt, wie dieses Bild auszusehen und vor allem, wie es zu reagieren hätte. Paulus weist die Römer denn auch gleich zu Beginn seines zweiten Verteidigungsbriefes (nach dem Korintherbrief) auf diesen Gott hin: „Denn Gottes Zorn wird fort und fort vom Himmel offenbar über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit solcher Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit zu unterdrücken suchen. “ (Röm 1,18, Albrecht-Bibel) Wer sich der Gerechtigkeit verschrieben hat, der kann bei Ungerechtigkeit nicht schweigen, dies ist das Gottesbild, das uns Paulus hier offenbart - ein Gottesbild der liebenden Fürsorge für alle jene, die sich vertrauensvoll an ihn wenden und denen er seine Hilfe verspricht.

Nun gab es auch zu Paulus Zeiten keinen Gott, der unmittelbar vom Himmel herunter die Bösen sofort bekämpft und die Guten gerettet hätte. Auch zu Paulus Zeiten galt, wie heute, dass das Böse scheinbarer Sieger bliebe und dass es keinen Gott gäbe, der helfend und steuernd eingreifen würde. Wie kann Paulus also schreiben, dass der Zorn Gottes ohne Unterlass gegen alles gottlose und ungerechte Wesen stehen würde? Die Gerechtigkeit, die zuerst als Eigenschaft Gottes erscheint (3,5), dann als Eigenschaft Christi (5,21), wird schließlich zur Eigenschaft der Glaubenden. Ganz in seiner jüdischen Tradition denkend, in der nur der Gerechte zum unmittelbaren Leben in Gott gelangen würde (vgl. Hab 2,4), weist Paulus damit hin auf ein Eingreifen Gottes, welches zwar erst zu ‚Seiner Zeit’ würde endgültig die Spreu vom Weizen trennen, welches aber gleichwohl schon hier wirkmächtig denen zur Seiten stehen sollte, welche um der Ungerechtigkeit willen leiden müssten auf eine ewige Herrlichkeit hin. Im Prinzip vollzieht Paulus hier den Lebens- und Leidensweg Jesu Christi, der ja auch wenig ruhmvoll und scheinbar völlig ohne göttliches Eingreifen geendet hatte, am Beispiel des Leidens der Gläubigen.

So wenig Gott unmittelbar in die Willensfreiheit des ‚Verlorenen Sohnes’ eingegriffen hatte, als dieser dem Elternhaushaus den Rücken kehrte und das Erbe seines Vater verprasste, so wenig können wir erwarten, dass Gott in den Willen derer eingreift, unter deren Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit andere Menschen zu leiden haben würden, sei es aus Gründen einer relativen Willensfreiheit, die er dem Menschen gewährt, sei es aus Gründen einer Leidenswahrnehmung, welche unter anderen Gesetzmäßigkeiten stünde als jene des momentanen Er-Leidens.

Jesus selber bat seinen Vater im Angesicht all dieses Übels sogar: „Vater, ich bitte dich nicht: Nimm sie aus dieser Welt, bewahre sie vielmehr, dass sie nicht in des Bösen Macht geraten! Sie gehören nicht zur Welt, wie auch ich nicht zur Welt gehöre. Weihe sie vielmehr mit deiner Wahrheit, denn dein Wort ist ja die Wahrheit. “ (Joh 17,15-17) Der Gott Jesu Christi will also keine Jokerkarte und auch keine ‚Ausnahmelösung’ für jene, die offen sind für seinen Willen, da dieses Offensein sonst kein Offensein mehr wäre. Er will sie nicht allmachtorientiert für die Welt bewahren, sondern scheinbar ohnmacht-orientiert auf sein Reich hin.

Damit ist das Gottesbild Jesu Christi zum überzeugendsten Gottesbild der Geschichte geworden, weil es gerade die Antithese dessen ist, was diese Welt regiert und immer mehr in den Abgrund stürzen wird. Nicht Allmachtsgebaren noch vorteilsorientiertes Mäzentum, nicht modischer Werbefeldzug noch exklusivistische Vetternwirtschaft, nicht gnädiges Almosen noch clevere Bauernfängerei, nichts, was in dieser Welt weiter brächte oder groß angesehen wäre, sondern das krasse Gegenteil davon ist das, was den Gott Jesu Christi ausmacht. Warum?

Alles, was der ‚Weltengeist’ hervorbrachte und hervorbringt, zeugt zu einem mehr oder minder hohen Grad von eigeninteressebehaftetem Selbstkalkül. Der Mensch steht im Mittelpunkt allen Denkens und Trachtens und nicht mehr Gott. Zuerst das Kirchenbild und seine Machenschaften und dann das Menschenbild und seine Bedürfnisse haben das Gottesbild der Bibel ab- und schließlich aufgelöst. Wo in grauer Vorzeit die Gottesbilder die Instinkthaftigkeit des Menschen in all ihrer grausamen Willkür spiegelten und Gott oder die Götter meist nicht mehr waren als Schreckensgestalten, die durch ebenso zahl- wie sinnlose Opfer beruhigt werden mussten, führt das andere Extrem heute in die Gottesbilder des toten Gottes, eines Gottes, der bestenfalls an den Rand des menschlichen Alltags gedrängt ein Jammerdasein fristet und so zu einem Statistengott mutierte, der eigentlich nichts mehr zu sagen hat.

So sehr und so weit die Extreme auseinander klaffen, so sehr treffen sie sich doch in jenem Denken, welches die Bildhaftigkeit Gottes missbrauchend das eigene Bild und Denken - sei es als Mensch oder als Organisation - in den Mittelpunkt rücken möchte. Jene uralte Warnung, keine anderen Götter neben diesen einen Abba-Vater-Gott Jesu zu stellen, wurde und wird täglich missachtet - sei es im Irrtum falscher Gotteslehren oder im mangelnden Bewusstsein, was damit verloren ging.

11.5. Vater-Gott und Götzen-Gott

Wiederum ist es der katholische Theologe Karl Rahner, ein derartiges kirchlich aufoktroyiertes Götzentum mit den deutlichen Worten geisselt:

Es ist etwas Merkwürdiges: Wir Menschen erkennen die Fehler bei anderen, ihre Dummheit, ihre Borniertheit, ihre Feigheit, ihre Enge, ihre Sentimentalität, ihre Traumata, ihre verklemmten Affekte, ihre Minderwertigkeitskomplexe. Wie schwer gelingt es uns, uns zu sagen: So wie ich es an den anderen erkenne, muß es vermutlich auch bei mir sein; genausowenig wie dieser andere, dessen Brüchigkeit, dessen Komplexe, dessen Endlichkeit ich erkenne, sich selber in Wirklichkeit erkennt und sich dieser Brüchigkeit seines Wesens stellt, genauso wenig werde ich es vermutlich selber tun.

Diese Feststellung gilt auch hinsichtlich der engen, verengten, unwahren und vorläufigen Gottesbilder, die die Menschen immer bis zu einem gewissen Grad als Götzenbilder aufstellen und so den namenlosen, in Figur und Gestalt, im Bild nicht einfach fangbaren Gott verdrängen. Der Gott eines fixen Begriffs - entschuldigen Sie die harte Formulierung -, der Gott der Pfaffen, ist ein Gott, den es nicht gibt. Aber ist nicht dort zu oft ein Götzenbild, und wird es nicht dort angebetet, wo man die Religion, den Glauben, die Kirche, die Botschaft Jesu Christi, wie es natürlich sein muß, zum Beruf gemacht hat? Dann identifiziert man im Grunde sich und die Welt, die man selber aufrechterhalten und verteidigen will, mit Gott. Dann ist Gott im Grunde immer nur das erhabene Wort, hinter dem man sich selbst versteckt. Der Gott des fixen Begriffs gegenüber dem Gott der stets wachsenden Erfahrung als einer lebendigen, unendlichen, unbegreiflichen, unsagbaren Wirklichkeit und Person, dieser Gott des fixen Begriffs ist eines dieser Götzenbilder, das wir vermutlich immer wieder auch bei uns entdecken können.

Der süße Gott des Kindes - ist ein weiteres. Der enge Gott des bloß gesetzestreuen (Pharisäers) - ist ein anderes. Der gewußte Gott im Gegensatz zum Gott der unbegreiflichen Liebe, die hart ist, die töten kann; der selbstverständliche Gott der sogenannten ›guten Christen‹, die so tun, als könnten sie die bekümmerten Atheisten nicht begreifen und als seien diese anderen Menschen nur dumm oder böswillig, auch dieser selbstverständliche Gott der guten Christen ist ein Götzenbild, vor dem wir uns hüten müssen.

[...] Wenn wir meinen, es müsse alles sinnvoll und begreifbar sein; wenn wir meinen, es müsse uns gut gehen, wir müßten immer Klarheit in unserem Leben haben; wenn wir meinen, wir könnten mit einem Handbuch der Moral oder mit irgendwelchen anderen, noch so wahren, noch so richtigen Begriffen, Normen, Prinzipien unser Dasein so gestalten, daß es reibungslos in sich abläuft; wenn wir meinen, wenn und weil wir Gott dienen, müsse er uns zu Diensten sein; wenn wir es nicht in Ordnung finden, daß es uns schlecht geht - überall steht hinter diesen Täuschungen unseres Lebens unser falsches Gottesbild, dem wir dienen. Wenn diese Bilder zertrümmert werden durch Gott und sein Leben, seine Führung und Fügung selbst, dann sollten wir uns immer von vornherein klar sein: Es verschwindet nicht Gott, sondern ein Götzenbild.
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Einige solcher Götzenbilder, welche den menschlichen Bedürfnissen so viel mehr gerecht zu werden scheinen, wollen wir uns im folgenden beispielhaft ansehen, um dann, hinter den Kulissen von Redaktion, Translation und Kirchenmanipulation, den Gott Jesu Christi wieder ein wenig in den Vordergrund zu rücken.

12. Der eigentliche Unterschied: Götzenbilder oder Gottesbilder

Die Ausbildung des monotheistischen Gottglaubens noch in vorexil. Zeit musste zwangsläufig in die kontrastive Bewertung aller anderen (alten) Götter oder Gottheiten als Götzen führen, die damit dem Vorhaben des einen Gottes Jahwe gegenüber als abträglich erachtet wurden. Deren Verehrung wird von da an als Götzendienst bezeichnet, im Unterschied zum Gottesdienst der alleinigen Anbetung Jahwes. Durch die abfällige Bezeichnung ‚Götzen’ sollte diesen Göttern die göttliche Dignität und Allmacht aberkannt werden, weswegen sich in der hebräischen Bibel viele Spottbezeichnungen finden, aber kein abstrahierender Götzenbegriff selber.

Auch die ältere Forschung erklärte das Problem des Götzendienstes im allgemeinen mit dem Verfallensein Israels an die Götter des Landes Kanaan oder mit der Beeinflussung durch die Götterwelt der jeweiligen Großmächte, wobei der Maßstab des 1. Gebots als von Israels Anfängen an vorgegeben galt. Gegenwärtig wird diskutiert, in welchem Ausmaß die biblische Götzenkritik in früheren Epochen der Geschichte Israels rückprojiziert wurde. […] Auch wenn mit einer bereits alten Tradition des bilderlosen JHWH-Kultes und evtl. schon frühen monolatrischen Tendenzen der JHWH-Verehrung gerechnet werden muss, so scheinen diese Voraussetzungen bzw. Tendenzen doch erst zu einer Zeit als unterscheidende Kennzeichen des JHWH-Glaubens auf den Begriff gebracht worden zu sein, da Israel zunehmend um innere Festigung, nicht zuletzt mit Hilfe der Abgrenzung nach außen, rang. Dies trifft für die spätvorexil., die exil. und besonders die nachexil. Zeit zu. […]

Im Neuen Testament begegnet uns das griech. Wort für Götze, Götzenbild und Götzendienst (Idolatrie) im Zusammenhang mit dem 1. und 2. Dekaloggebot, als ein den Monotheismus voraussetzender, frühjüdischer und christlich gebildeter, gegen den Polytheismus gerichteter Begriff der urchristlichen Missionspredigt. Das die Gottheit repräsentierende heidnische Götterbild repräsentiert vom Standpunkt des Monotheismus aus nichts als sich selbst, und damit einen Götzen. Das deutsche Wort Götze ist erstmals 1376 in Frankfurt mit dem Begriff ‚gotzendreger’ belegt, der einen Heiligenbilder anbietenden Straßenhändler bezeichnet, und bedeutet etymologisch ursprünglich Bildwerk. […] Nach Röm 1,18-32 ist Götzendienst Gottlosigkeit, Ungerechtigkeit, Lüge und die Wurzel allen Übels. Götzendienst ist mithin die Weigerung, Gott anzuerkennen.
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Aus der Weigerung, Gott anzuerkennen, entstehen - so die Paulinischen Briefe - die sog. Lasterkataloge, welche diejenigen Eigenschaften des Menschen aufzählen, die ihn von Gott entfremden. Von Gott entfremden aber kann den Menschen nur, wenn der das, was vom Menschen ausgeht, vergöttlicht oder als Gottes Willen deklariert, mit anderen Worten, wenn er Gott durch Menschenbild und -vorstellung hindurch vermenschlicht. Hier ist der Ankerpunkt für unsere weiteren Überlegungen hinsichtlich der Frage, ob die Gottesbilder der Kirchen nicht viel häufiger Götzenbilder menschlicher Interessen sind?

12.1. Götzenbilder aus dem Alten Testament

Dies beginnt schon mit dem Sintflutbericht, den uns die Kirchen Jahrhunderte lang als Sündenflut im Sinne eines göttlichen Strafgerichts an der verderbten, weil ungehorsamen Menschheit verkauften. Unterschlagen wurde in diesem Gottesbild nicht nur, dass der Begriff ‚Sintflut’ nichts mit Sünde, sondern mit groß, also mit großer Flut zu tun hat, sondern auch, dass, wenn man beide Sintflutberichte aufmerksam liest und miteinander vergleicht, man zu der Einsicht kommen muss, dass hier zwar auch von einem zürnenden, aber weit mehr von einem errettenden Gott der Liebe die Rede ist, der - selbst auf die Erkenntnis hin, dass sich trotz dieser Flut nichts am menschlichen Sinnen und Trachten geändert hatte - den Regenbogen als Zeichen schenkt, dass nie wieder eine solch verheerende Flut über die Menschheit kommen würde.

Unabhängig des dadurch entstehenden göttlichen Irrtumseingeständnisses, was den Sintflutbericht eher seiner menschlichen Urheberschaft als einer göttlichen (Über)reaktion überführt, die in der anthropomorphen Redeweise von Jahwes Herz zum Ausdruck kommt, dient dies der Demonstration von Jahwes Bedachtsamkeit auf den bleibenden Bestand des Lebens und der Schöpfung. Also kein rachedurstiger strafexpeditionsorientierter Himmelsdespot, der nur Zuckerbrot und Peitsche, gnädige Duldung oder Strafgericht kennt, sondern ein Gott der geduldigen Zugewandtheit zum Menschen, trotz dessen Fehler und Schwachheiten. Worum es diesem Gott in der Sintfluterzählung nämlich geht, ist allein die Wiederherstellung seiner Gesetzmäßigkeiten, welche die Menschen über Bord geworfen hatten. Ein Neuanfang, der all jenen galt, die sich zu Gott bekehren und wieder in seinen Gesetzen wandeln würden. Deutlich macht dies der zweiteilige priesterschriftliche Epilog, der zunächst auf die Regelungen und Gebote Gottes eingeht (9,1-7), mit denen die Gefahr der Gewaltausübung am Menschen eingedämmt wird. Sodann zeichnet der Epilog in 9,8-17 Gottes Errichtung seines ewigen Bundes mit allen Lebewesen und der Schöpfung nach, ein Bund, der das Fundament des neu ermöglichten Lebens auf dieser Erde symbolisiert.

Auch wenn die Sintflutgeschichte keinen Kuschelgott offenbart, der in geduldiger Schwäche würde den Menschen alles durchgehen lassen, ging es dabei also keineswegs um eine straf- oder gar rachebedingte Ausrottung der Menschheit. Darüber hinaus müssen wir auch die Relationen im Auge behalten. Alle, der uns bekannten archaischen Sintfluten - der biblische Sintflutbericht ist ja nur einer von vielen Sintfluttraditionen - waren sehr begrenzte Flutkatastrophen, denen schlimmstenfalls ein paar hundert Quadratkilometer Land zum Opfer fielen bei einer Besiedelungsdichte, die wohl kaum mehr als einige wenige Tausend Opfer gekostet haben dürfte. Ob das Zweistromland oder die fruchtbare Nilebene, sie alle hatten ihre Flutkatastrophen, die mit schöner Regelmäßigkeit das umgebende Land verwüsteten und, wie damals üblich und zu Beginn des zweiten Teils auch erwähnt wurde, im Geist und Denken der damaligen Zeit als Strafgericht der Götter gedeutet wurden . Die damaligen Menschen kannten noch keine monotheistische Vaterkultur Gottes, die andere Deutungen zugelassen hätte; auch der Sintflutbericht der Bibel entstammt jener Zeit und wurde nur rückwirkend unter die Deutungsgewalt Jahwes gestellt. Die Frage stellt sich, warum dies die Kirchen nicht beachteten und mutwillig Götzen aufbauten, welche Strafgerichte als Mittel zur Ordnung brauchten…?

Dem missgedeuteten Sintflutbericht folgt die Wüstenwanderung des Volkes Israel, welche sich infolge ihres Ungehorsams Mose und damit Gott gegenüber von angeblich 40 Tagen auf 40 Jahre ausdehnte. Gerne verweisen die Kirchen auf solche oder ähnliche Folgen von Ungehorsam (die theologisch orientierte Strafgerichtslegende der Rotte Korah oder der orientalisch weit verbreitete Mythos der ehernen Schlange kommen stellvertretend in den Sinn, die vor allem in pietistischen Sondergemeinschaften bis zur Unkenntlichkeit ausgeschlachtet wurden, weil sie den meist sektiererischen Interessen dienen musste), welche einen rachesüchtigen Gott vorstellen, dessen beleidigte Persönlichkeit nun mit eisernem Besen Ordnung schaffen müsste. Auch hier mischen sich Realität und traditionsbezogener Mythos in der Deutung dessen, was dem jeweiligen Gottesbild in die Schuhe schieben zu müssen geglaubt wird und es dabei letztendlich zum - scheinbar pädagogischen - Götzen einer Gemeinschaft macht.

In umgekehrter Intention wurden die biblischen Wunder-Gottheiten benutzt, um den eigenen Glaubenswert als alleinig richtig und besonders beachtenswert hochhalten zu können. Dies geht so weit, dass sogar die Vorstellungen eines skrupellosen Wunderhelfers, zum Beispiel in Form eines posaunenbewehrten Akustik-Tsunamies, der den unverschämten und gegen alle Menschenrechte verstoßenden Überfall auf ein anderes Stammesgebiet siegbringend unterstützt, ausreicht, um das eigene wunschdenkenbehaftete Gottesbild zu befriedigen. Dass solcherlei Gottheiten schon vor Tausenden von Jahren dem Wunschdenken einfacher Nomadenvölker dienen mussten, nur damit deren oft unmenschliche Interessen legitimiert werden konnten, wird geflissentlich negiert. Aber es stünde doch alles in der Heiligen Schrift, wird dann in kindlicher Unschuld gerne eingeworfen…

Nun, für viele Völkerschaften der Antike war dies nicht nur eine durchaus glaubhafte Geschichte, sondern eine ganz legitime Vorgehensweise. So ging beispielsweise Platon davon aus (Platon, Der Staat 3), dass Musik die Macht zum Töten von Menschen sowie zum politischen Umsturz besitzen würde und weil sie dies tat, dem Menschen seitens der Götter auch zu diesem Zweck gegeben wäre. Niemand nahm in jener Zeit Anstoß daran, dass ein Gottesbild, das zum Vorteil des eigenen Volkes oder der eigenen Interessen andere Menschen vernichten (lassen) würde, einen Despotenherrscher symbolisierte, der noch immer verhaftet war mit archetypischen Göttervorstellungen von parteiischen Willkürgottheiten, die sich, wo nötig, sogar mit diversen Opfergaben bestechen ließen.

Die Frage muss gestellt werden, wie oft wir heute mit Gottesvorstellungen spielen, die im Prinzip Überbleibsel einer voreingenommenen, berechnenden und bestechlichen Götterwelt entstammen. Geschichten, in denen Gott den Menschen einer anderen Gemeinschaft sterben lässt, damit das Mitglied der eigenen Glaubensgemeinschaft einen Arbeitsplatz fände, oder tödliche Unfälle, mit denen Gott seine Kinder vor größerem Seelenschaden (meist als Abfall von der hauseigenen Gemeinschaft gedeutet) bewahrte, und zahllose weiter Horrorgeschichten dieser Art mussten alle dazu dienen, ein Götzenbild zu zeichnen, welches den dezidierten Interessen der spezifischen Gemeinschaft zu dienen hatte.

12.2. Götzendienstmöglichkeiten im Neuen Testament

Aber auch das Neue Testament lässt sich für götzendienstliche Zwecke instrumentalisieren. Nicht zufällig wurde beispielsweise die sog. ‚Sünde wider den Heiligen Geist’ (Mt 12,31f.), die ja letztlich eine Sünde wider Gott wäre und weder in dieser noch in jener Welt Vergebung finden könnte, sehr schnell kirchlich mit dem Wort der Predigt und den Anordnungen der Kirche - die ja im Namen und Auftrag Gottes handeln würde - analogisiert.

Wie sehr diese Götzenopfer bis heute nachwirken, lässt sich recht schnell zeigen. Nachdem die neuapostolische Kirche die Sünde wider den Geist als Lästerung wider die Apostel und die von ihnen gesandten Boten definiert hatte, schwang sich Stammapostel Bischoff sogar zu der Behauptung auf, dass wer seine Privatbotschaft nicht im Glaubensgehorsam befolgen würde, keinerlei Vergebung finden könnte - weder am Tag des Herrn noch am Jüngsten Gericht. xiii

Welch ein Gottesbild wird da gezeichnet? Ein mimosenhaft reagierender, brutaler Diktatoren-Gott, der wie alle Diktatoren Kritik und Zweifel immer persönlich nimmt und daraufhin einen Rachefeldzug bzw. ein ewiges Strafgericht startet, welches alle menschlichen Abarten bei weitem übertreffen.

Was aber meint die Bibel vor dem Hintergrund ihrer Zeit und der jüdischen Kultur und Religionssymbolik? Wenn wir die Vorstellung einer Sünde wider den Geist Gottes als authentische Jesusvorstellung übernehmen und nicht, was wahrscheinlicher ist, als Konstrukt einer ganz bestimmten post-österlichen Gemeindetheologie verstehen wollen, dann müssen wir sie im Prinzip als die bewusste, willentliche und entscheidungsfreie Nichtbeachtung gottesgeistlicher Anregungen, Hinweise, Erleuchtungen und mithin auch nachfolgenden Auswirkungen auffassen. In dieser Vorstellung geht es nämlich nicht um irgendeine Blasphemie oder gar kirchliche ‚Amts-, Status- oder gar Sendungsverleugnung’ - etwas, was gerade Jesus am meisten betrieben hatte, war er doch der größte und unbarmherzigste Kritiker seiner religiösen Obrigkeit -, sondern um menschlich-sture Ignoranz und uneinsichtiges Besserwissen, welche den Weg in das Reich Gottes versperren (siehe u.a. Matt. 11,20-24).

In wie weit diese Verstockung nicht mehr abänderbar wäre, das entzieht sich jeder menschlichen Kenntnis. Gleichwohl dürfen wir schlussfolgernd mutmaßen, dass jede Art von Verstockung (vor allem aber leid- und ungerechtigkeitsbedingte usw. Verstockungen oder Herzensverhärtungen) in erster Linie ein Erkenntnisproblem sein würden, weswegen sie nicht von ewiger Dauer sein könnten, da dies implizieren würde, dass Gott keine Mittel hätte, um über die Erkenntnis Verstockungen abzubauen - eine Vorstellung, die mithin absurd ist. Auch die angedeuteten Nahtoderlebnisse weisen hier in eine ganz andere Richtung.

Mit diesen Gedanken wollen wir abschließend überleiten zu einigen Gottesbild-Beispielen, wie sie einerseits die Heiligen Schriften uns als jesuanische Gottesbilder übermitteln und wie sie andererseits von den Kirchen an deren jeweilige Bedürfnisse ‚angepasst’ wurden. Dabei geht es uns um jene grundsätzlichen Aspekte, welche das Gottesbild der Heiligen Schriften zeichnen, allen voran der Aspekt der sog. ‚Göttlichen Ordnungen’, ist es doch gerade dieser, welcher das Gottesbild Jesu in oft unverantwortlicher Weise in das Gottesbild der Kirchen verzerrt und aus Gottesbildern letztlich Götzenbilder gemacht hatte.

13. Fehlgedeutete Gottesbilder verselbständigen sich schnell zu (kirchlichen) Götzenbildern

Bild 1: Göttliche und menschliche Maßstäbe und Ordnungen xiv

Wie oft wird in kirchlicher Predigt das Gottesbild eine strengen Ordnungstäter-Gottes gezeichnet, eines Schreibtischgottes, der jede Missachtung von angeblich ihm zuzuschreibenden Ordnungen gnadenlos ahndet, womit gleichzeitig jede Kritik dieser angeblich göttlichen Ordnungen zum selbstzerstörerischen Sakrileg erklärt wird. Sehen wir jedoch in die Heilige Schrift, so entdecken wir eine gänzlich andere Art von Ordnung. Während sich die Vorstellung sog. göttlicher Ordnungen im Alten Testament in den gesetzlichen Vorstellungen für Liturgie, rituelle Reglementierung und religiöse Alltagsordnungen verliert, die keinen Bezug aufweisen zu sakramentalen Heils- und Erlösungsbedingungen, sondern als postexilsche Neuordnungen für den innervölkisch-religiösen Wiederaufbau standen (nachzulesen in den Büchern Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium), finden sich im Neuen Testament überhaupt keiner spezifisch göttlichen Ordnungsanweisungen.

Indirekte göttliche Ordnungsvorstellungen lassen sich zwar durchaus den Worten Jesu entnehmen, aber diese zeigen einen gänzlich anderen Gott als die meist aufgepfropften Haus- oder Putzordnungsgötter der Kirche. So deuten die Aussagen Jesus auf beispielsweise die göttlichen Ordnungen bezügl. der Frage, welche hierarchischen Kriterien im Reiche Gottes Gültigkeit hätten, in eine ganz andere Richtung, die er deshalb auch ganz ungewöhnlich vehement vorbringt:

Um diese Zeit kamen die Jünger zu Jesus und fragten ihn: »Wer ist in der neuen Welt Gottes der Größte?« Da rief Jesus ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: »Ich versichere euch: Wenn ihr euch nicht ändert und den Kindern gleich werdet, dann könnt ihr in Gottes neue Welt überhaupt nicht hineinkommen. Wer es auf sich nimmt, vor den Menschen so klein und unbedeutend dazustehen wie dieses Kind, ist in der neuen Welt Gottes der Größte. Und wer einen solchen Menschen in meinem Namen aufnimmt, nimmt mich auf. Wer dagegen einen dieser kleinen, unbedeutenden Menschen, die zu mir halten und mir vertrauen, an mir irrewerden lässt, käme noch gut weg, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im Meer versenkt würde, dort, wo es am tiefsten ist. Wehe der Welt, in der Menschen an mir irrewerden. Das muss zwar so kommen; aber wehe dem, der dazu beiträgt! Wenn deine Hand oder dein Fuß dich zur Sünde verführen, dann hau sie ab und wirf sie weg. Es ist besser für dich, mit nur einer Hand oder einem Fuß ewig bei Gott zu leben, als mit beiden Händen und Füßen ins ewige Feuer geworfen zu werden. Und wenn dich dein Auge zur Sünde verführt, dann reiß es aus und wirf es weg. Es ist besser für dich, mit nur einem Auge ewig bei Gott zu leben, als mit beiden Augen in das Feuer der Hölle geworfen zu werden.« “ (Mt 18,1-10 GNB)

Es gibt wohl keine Bibelstelle, in der Jesus so drastisch und scheinbar unjesuanisch unnachgiebig die ‚Spielregeln’ des Gottesreiches skizziert und dabei diejenigen verdammt, welche diese Spielregeln außer Kraft zu setzen bzw. zu unterminieren trachten. Göttliche Ordnungen und kirchliche Ordnungen könnten, zumindest in großen Teilen, nicht unvereinbarer sein. Dem menschlichen Statusdenken, Geltungsdrang und Machtstreben - Eigenschaften, die Jesus als das Urübel im Menschen erkannte - wird hier die authentische Ungekünsteltheit, unverdorbene Aufrichtigkeit und (für uns Erwachsene) oftmals entwaffnende, ja bisweilen peinliche Offenheit (Stichwort: Enfant terrible) der Kinder gegenübergestellt. Diese letzteren Eigenschaften würden den Ordnungsvorstellungen des Reiches Gottes vom Prinzip her viel eher gerecht werden können, nicht aber die Unzahl der gesellschaftlich angelernten Praktiken und Taktiken, welche in vielen Fällen letztlich doch wieder nur dem eigenen Ansehen und der Ehre (Status) bei den Menschen zu dienen haben.

Gleichzeitig wird uns dabei in schonungsloser Offenheit vor Augen geführt, welche Werte im Reiche Gottes Gültigkeit haben würden und was die von Jesus beschworene Umkehr praktisch beinhalten würde. Und wiederum sehen wir, dass nicht die Schwächen oder Fehler des Menschen im Mittelpunkt der Warnung stehen, sondern seine Einstellungen. Ebenso klar wird allerdings auch, dass Verstöße gegen menschliche (kirchliche) Ordnungen nicht den Stellenwert vor Gott haben, der ihnen gemeinhin zugemessen wird.

Aus dem Gleichnis Jesus vom Barmherzigen Samariter entnehmen wir denselben Aspekt göttlicher Ordnung. Nicht Rang und Namen oder gesellschaftlicher Status haben in Gottes Augen einen Wert an sich, sondern ein liebendes, hilfsbereites Herze, welchem jeder in Not geratene Mitmensch der ’Nächste’ ist. So wie diese Sehensweise Gottes nicht nur für alle irdischen Angelegenheiten sondern auch für das Gottesreich selber Geltung beansprucht, wird sie auch und gerade Geltung beanspruchen in kirchlich-sakramentalen Dingen. Hier wird ein eindeutiges Votum für eine universale Herzensökumene und gegen jeden bekenntnishaften Partikularismus eingelegt, da nicht das Glaubenshemd des Predigers ausschlaggebend ist für göttlich gewirktes Heil und auch nicht Amt, Rang und Namen, sondern das liebende Herz. Nicht das katholische oder protestantische Bischofsamt oder das neuapostolische Apostelamt usw. sind ausschlaggebend für göttliche Zuwendung, Erlösung und göttliches Heil, sondern die Herzenseigenschaft des Menschen in Bezug auf Gott und den Nächsten, weshalb jeder gläubige Mensch, der sich und andere auf Jesus ausrichten und an seinem Lebensbeispiel lernen möchte, ein Apostel - ein Jünger oder Nachfolger - Jesu ist und damit automatisch in der Gesandtschaft Christi steht.

Aber auch die materielle Mittelzuwendung, wie sie Jesus dem Reichen jungen Mann gegenüber dargestellt hatte, lässt einen schönen Aspekt jener göttlichen Ordnungsgerechtigkeit aufleuchten, die so ganz anders ist als so manche der sonderkirchlichen Scheinkausalitäten von Opfer/Gehorsam = Segen = Wohlstand: „Verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen“, heißt im Klartext und völlig gegen das damals gültige (kirchliche) Gesetz: Keine weiteren ‚Almosen’ an die herrschende Geistlichkeit - die haben genug; es geht Gott in erster Linie um Solidarität mit den Armen!!! (Mk 10,17-31 u. Mt 19,16-25; siehe auch 1.Joh 3,14-18)

Wie sehr gegen jede göttliche Ordnung der uralte und leider noch viel zu häufige Verstehenszusammenhang von Gehorsam = Wohlstand bzw. Ungehorsam = Krankheit/Leid steht, zeigt die folgende Aussage Jesu, die ein besonders hartnäckiges Beispiel, wie Kirchen die althergebrachte Furcht des Menschen vor göttlicher Strafe oder gar Rache als angeblich göttliche Ordnung auszunützen wussten, gerade rückt. Geradezu kirchentypisch erscheint in der Frage der Jünger an Jesu nach der Krankheitsursache eines Mannes, der von Geburt an blind war, dieser angenommene Kausalitätszusammenhang der verdeutlicht, dass die Jünger aus ihrer Tradition heraus die Blindheit des Mannes als göttliche Strafe auffassten für ein Vergehen, welches die Eltern des Blinden oder dieser selber begangen hätte. Wie so oft musste Jesus auch hier diesem kaum auszurottenden, angstmachenden Götzengeist mit deutlichen Worten entgegentreten und seinen Jüngern klar machen, dass des Menschen Schicksal nichts mit göttlicher Strafe zu tun hätte, sondern anderen Gesetzmäßigkeiten unterläge. (Joh 9, 1-5)

Noch deutlicher zeigen sich die Unterschiede zwischen göttlichen und menschlichen Ordnungsvorstellungen - damaliger wie heutiger Zeit - an den Beispielen der Unterscheidungsnotwendigkeit zwischen Vergebung von Sünde (vertikale Vergebung) und Vergebung von Schuld (horizontale Wiedergutmachung), eine göttliche Ordnung, deren Rangfolge und unterschiedliche Gewichtung gerade in Sondergemeinschaften immer wieder missverstanden wird. Ebenso bemessen die vorlaufenden Beispiele Jesu die häufige menschliche Unterscheidungsunfähigkeit zwischen Beurteilen und Verurteilen, nach viel differenzierteren Kriterien der ‚Agape-Losigkeit’ (fehlende Bereitsschaft zum liebenden Verstehen), als wir dies im juristischen Sinne tun. (Mt 5,21-26)

Der Judaist und Neutestamentler, Pinchas Lapide, spricht denn auch von jener besseren Gerechtigkeit, welche nicht nach dem Gesetz des Buchstabens zu erfüllen ist, sondern nur nach dem Gesetz der Liebe. „Weder ‚billige Gnadenliebe’, wie es Dietrich Bonhoeffer nennt, will unser Gott, noch abstrakte ‚Fernstenliebe’, sondern ‚Zedeka’, welche die Güte und das Recht-Schaffen zur höheren Einheit verschmilzt. Nur diese Harmonie der beiden entspricht dem jüdischen Weltbild eines gerechten, mitmenschlichen Daseins auf Erden und einer mündigen Menschheit. [...] Damit entspricht die Zedeka weder der griechischen ‚dikaiosyne’ noch der römischen ‚Justitia’, welche eher eine Kategorie der juridischen Abwägung von Soll und Haben ist, so dass aus der ethischen Bewährung der Hebräer eine richterliche Gerechtigkeit erdeutet wird. Was bei der Übersetzung in den deutschen Rechtsbegriff nämlich verloren ging, war der Ruf der Propheten nach Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Zedeka bezeichnet daher all unser gutes Tun, vom Almosengeben über den Krankenbesuch bis hin zur Fürsorge für die Randsiedler der Gesellschaft, dem Nächsten zuliebe, der vor Gott unser Bruder und unsere Schwester ist, wobei erst das ganz reale Tun des Guten die ‚bessere Gerechtigkeit’ zur Geltung bringt. xv

Nur wenige Verse weiter wird die, vor allem heute gültige, menschliche ‚Ordnungsvorstellung’ vollends auf den Kopf gestellt. Nicht der Ehebruch der Tat ist erst als Ehebruch zu verurteilen, sondern bereits der Ehebruch im Herzen (Mt 5,27-28). Der biblischen Aussage, „wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch begangen “, sollte allerdings gleichberechtigt entgegen gehalten werden dürfen, dass auch wer dazu verführt, eine Frau lüstern anzusehen - und sei dies auch nur dadurch, dass Körperteile mit evolutiv-erotischer Signalwirkung bewusst betont oder lasziv zur Schau gestellt werden - den gleichen Kriterien unterliegt...! Verführung und Prostitution beginnen nicht erst im Zurschaustellen des käuflichen Gewerbes, sondern im Kopf, und Liebe und verständnisvolle Rücksichtnahme ebenso. (siehe auch: Röm 14,13-21)

Mit einer letzten Perspektive wollen wir das hier angesprochene Gottesbild der göttlichen Ordnung beenden. Als eines der schönsten Gottesbilder der Bibel zeigt es uns in einer geradezu großartigen Perspektive eine bis heute unübertroffene ‚Ordnungsvorstellung’, nämlich die Ordnungswirklichkeit göttlicher Zugewandtheit und Barmherzigkeit dem Menschen gegenüber, welche - unabhängig der situativen Handlungsweise des Menschen - sich im Bild vom ‚Verlorenen Sohn’, der sich sein Geld auszahlen ließ und in die Fremde ging, um das Leben zu genießen, auf unvergleichlich fürsorgende Art und Weise manifestiert. Dieser Sohn hat, so würden wir heute sagen, mit dem Erbe des Vaters ‚die Sau rausgelassen’ und bei den Schweinen, aus deren Trögen er am Ende mitessen musste, ist er gelandet. Nun aber kommt der entscheidende Punkt: Er geht in sich, besinnt und erinnert sich, wie es war in seines Vaters Haus und er hört auf die Stimme in seinem Inneren, die ihn mit dem Herzen seines Vaters verband und die in ihm in Erinnerung ruft, was er dort alles erlebt hatte, und das änderte seine Einstellung. Nun konnte er sagen:

Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen und ich komme hier vor Hunger um. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner. “ (Lk 15,11-24)

Und jetzt kommt ein ganz helles Stück jener göttlichen Ordnungswirklichkeit, die uns Menschen, so wir nur gewillt sind umzukehren und zum Vater zurückzugehen, mit einem Schlag heilt: „Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. “ (Lk 15,20)

Das war es, was Jesus uns von seinem Vater und der ‚Ordnungswirklichkeit des Reiches Gottes’ mitteilen wollte: Wenn wir unsere oft so hochmütige und eigendünkelbehaftete Einstellung änderten, innerlich umkehren und uns in Demut auf Gottes Gnade und Barmherzig verließen, es wäre egal, was wir falsch gemacht hätten. Der Vater würde uns entgegenkommen, im doppelten Wortsinn, er, der in uns wohnende Vater-Gott selber, würde sich aufschürzen und uns zur Hilfe eilen. Uns entgegen eilen und uns zeigen, wie sehr wir seine Kinder sind...; das ist jene Ordnungswirklichkeit Gottes, die mit keiner menschlichen Ordnung einzufangen ist. Das ist jene geistige Wirklichkeit, die nur die sehen, die darum ringen, in der Wahrheit und Aufrichtigkeit eines Kindes zu leben - das jeweilige Gelingen ist letztlich dann allemal die Sache Gottes. Die Frage stellt sich nun vor allem für unsere Kirche: Wie ist dann göttliche Mittlerschaft in den Aposteln Jesu Christi zu sehen?

Bild 2: Gottes Ordnungen in göttlicher Mittlerschaft

In Kirchen, bei denen Besuchszwang von Gottesdiensten besteht, wird neben vielen anderen Gründen für diesen Zwang gerne hingewiesen auf das Pauluszitat, dass der Glaube aus der Predigt käme. Meist fällt der Nachsatz dabei schon unter den Tisch, dass diese Predigt nämlich das Wort Gottes zu sein hätte, dass also Menschenweisheit auch als beste Predigt getarnt keinen Glauben erzeugen könnte. Dies zeugt wie viele andere Beispiele davon, wie tief manche Kirchen verstrickt sind in ihrem systemischen Macht- und Heilsverwaltungsdenken.

Selbstverständlich geht es dem Juden und Rabbiner Paulus, wann immer er den Begriff ‚Glauben’ gebraucht, um dessen jüdische Verständnissymbolik, nicht um einen Kirchen- oder Bekenntnisglauben, welcher sich in aufgesagten Lehrsätzen und blinder Menschennachfolge zu zeitigen hätte. Glauben im jüdischen Sinn, jene Fähigkeit des vertrauensvollen Sich-fallen-lassen-Könnens in Gottes gnädige Hände, soll erzeugt werden durch die Predigt, und jetzt wird auch klar, warum diese Offenbarungen und Erkenntnisse im Wehen des Geisteswindes zeitigen muss, um den Begriff ‚Wort Gottes’ zu verdienen.

Wer immer sich einmal von göttlichem Geist ganz persönlich und ganz direkt angesprochen fühlte, wessen Bewusstsein schon einmal die Höhen der göttlichen Weisheit und Wahrheit ein ganz klein wenig vor sich ausgebreitet sah, der kann verstehen, warum jenes bedingungslose Gottvertrauen, das wir im Deutschen viel zu unscharf mit dem längst manipulierten und instrumentalisierten Begriff ‚Glauben’ wiederzugeben gewohnt sind, tatsächlich und ausschließlich das Ergebnis einer göttlichen Offenbarungserfahrung sein muss. Der weiß nämlich auch ganz intuitiv, dass er nicht von Menschenwort berührt wurde, auch wenn menschlicher Mund es ausgesprochen hatte, sondern dass Gottes Geist in berühren konnte.

Das scheint mir der Hintergrund zu sein, aus dem diese prophetische Verbindung von Wort und Geist stammt, die Erkenntnis, dass schon im Kosmos die Kraft des vitalen Gottesgeistes mit der Kraft des göttlichen Wortes zusammenhängt. Was also hier beim Propheten geschieht, ist lediglich eine Entsprechung zu dem, was schon auf der Ebene des Kosmos passiert. Der Prophet, der aus dem Geist Gottes heraus spricht, ist gewissermaßen der irdische Stellvertreter, ja geradezu das herausgestellte ‚Bild’ seines Gottes, dessen Geist eben auch mit dem göttlichen Schöpferwort liiert ist. Dieser kosmische Zusammenhang, der seinerseits in der Mythologie seinen Ausdruck findet wir haben die Bilder noch vor Augen , dieser kosmische Bezug zwischen dem Gottesgeist und dem Gottesbild hat also seine Entsprechung, sein Analogon, im Auftreten des Propheten, und ich denke, dass damit eine schöpferische Funktion des prophetischen Auftritts ausgesagt ist, die ebenso Ordnung stiften, Sinn stiften soll, wie dies Gott selber für sich in Anspruch nimmt am Anfang der Zeit und wie er es dem Menschen zur Aufgabe macht.

Daher rührt auch die Berechtigung des Ausdrucks Neuschöpfung. Es wird zwar mit gutem Grund gesagt, dass das Alte Testament den Gedanken der Neuschöpfung kennt nicht nur der erstmaligen und einmaligen Schöpfung. Ich denke aber, dass Neuschöpfung insbesondere dort geschieht, wo das Wort des Propheten, angeregt durch den Geist Gottes, Veränderung schafft. Und eine solche Perspektive wird dann für die nachexilsche Zeit besonders wichtig. Sie wird für die Konstitution von Gemeinschaften relevant, in denen die Bindung an den Geist Gottes reflektiert wird, in den Gemeinschaften der Prophetenjünger, aber vor allen Dingen in den späten Kultgemeinschaften bis hin zu dem, was wir Kirche nennen.

Menschliche Mittler göttlicher Geistesoffenbarung sind einerseits sicherlich ganz normale Menschen. Andererseits aber haben sie gewisse Befähigungen - Eigenschaften und Phänomene, die wir aus jedem Bereich menschlichen Wissens und irdischer Erkenntnisgewinnung kennen und überall dort auch ganz natürlich empfinden -, welche sie in die Lage versetzen, dem Geist Gottes besondere Offenbarungsgefäße zu sein. Wenn im Alten Testament das bevorzugte Wort für Geist ‚ruach’ ist, dem die Erfahrung des Atmens, Aushauchens und des Windes zugrunde liegt, so kommt darin die Vorstellung zum Ausdruck von Lebenskraft und Dynamik (siehe Vorgrimler S. 498ff.), oder, im Bild des Adlers (2. Mose 19,4 und Jes. 40,31), der sich ohne flügelschlagenden Aufwand in die Höhe tragen lässt, das Bild des göttlichen Geisteswindes als nach oben tragende Kraft des Aufwindes.

Wo sprechender Mund und hörendes Ohr göttlicher Offenbarung in nach Wahrheit suchender Art sich dem Wortes Gottes gegenüber öffnen, wird keiner in ständiger eigener Anstrengung flattern müssen, um sich ein wenig absetzen und geistig gesprochen ‚Höhe und damit Abstand gewinnen zu können’. Um wirkliche Höhe des Geistes zu gewinnen reicht es aus, die seelischen Schwingen auszubreiten und sich dann von der Kraft Gottes empor tragen zu lassen. Dies setzt allerdings, vom Mittler wie vom Zuhörer gleichermaßen, die Bereitschaft voraus, göttlichen Willen erkennen und - auch einmal gegen eigenes (oder kirchliches, sic!) Wunschdenken - anerkennen zu wollen. Dann nämlich kann der Geist Gottes wehen, wohin er den Zuhörer tragen muss und will. Dazu sind seitens des Predigers dann auch nicht in erster Linie rhetorische Fähigkeiten - wie sehr diese das Zuhören und Verstehen auch erleichtern mögen! - vonnöten, sondern eine ausschließlich auf Gott hin orientierte, innere geistige Ausrichtung, welche wie seinerzeit bei Mose schon (2.Mose 33,7-11) für die Gläubigen nach außen hin erkennbar ist. Jeder Gläubige, der mit solchermaßen suchendem Herzen unter wahrhafte Gottesoffenbarung kommt, wird dann auch im Herzen sagen können: Ziehe deine Schuhe aus, denn hier ist ein Heiliger Ort!

Bild 3: Die innere Ausrichtung auf den Geist der Wahrheit, Weisheit und der Gottesfurcht …

Auf der einen Seite haben die Kirchen über Jahrhunderte hinweg diese und ähnliche Begrifflichkeiten für ihre kirchen- und machtpolitischen Zwecke missbraucht und sie über die unterschiedlichsten Auswüchse ihrer Drohpädagogik zur Machtausübung über die Gläubigen instrumentalisiert. Dabei ist, und das müssen die Kirchen allesamt noch einsehen lernen, viel Porzellan zerbrochen und jede Menge Unkrautsamen von Misstrauen und Glaubwürdigkeitsverlust gesät worden. Aus der jesuanischen Frohbotschaft wurde häufig die amtskirchliche Drohbotschaft, die ein dämonisches ‚Ordnungsbild’ Gottes zeichnend die Gläubigen alleine über den Angstfaktor bei der Stange zu halten suchte. Dieser Samen ist aufgegangen und hat sich als zeitgeistige oder geschichtliche Gegenreaktion in einer nie für möglich gehaltenen Art vermehrt.

Da verhallen dann andererseits verständlicherweise die mittlerweile wieder häufiger zu hörenden Warnungen von Geistlichen der unterschiedlichsten christlichen Gemeinschaften, die im Angesicht einer immer permissiveren, werte- und wahrheitsloseren Gesellschaft zurecht darauf hinweisen, dass Wertvorstellungen wie Weisheit des Alters, Verbindlichkeit von Wahrheit und Autorität, Achtung und Ehrfurcht, und daraus abgeleitet Gottesfurcht, in großen Teilen überhaupt nicht mehr zum Vokabular und damit zum geistigen Gedankengut des materialistisch und relativistisch orientierten Wohlstandsmenschen gehören. Beide Teilbegrifflichkeiten beispielsweise, die Ehre und die Furcht, haben aus den verschiedensten Gründen heraus ausgedient und scheinen nicht mehr dem modernen Menschenbild zu entsprechen, das auf bedingungsloser Gleichheit, verabsolutierter Freiheit und enthemmter Machbarkeit aufgebaut sein möchte. Wo Gleichheit, Freiheit und Machbarkeit indes zum verabsolutierten Dogma postuliert werden, haben Ehrerbietung, Achtung, Selbstbescheidung und Wertschätzung - sei es vor der höheren Leistung, Erkenntnis oder vor der lebenserfahrenen Weisheit des anderen - keinen Platz im so manipulierten Einsichtsvermögen aber auch Gewissen des postmodernen Menschen.

Nicht mehr erkannt allerdings wird dabei leider auch, dass Lebenswissen und -erfahrung ohne Weisheit und Gottesfurcht ihren eigentlichen Wert verlieren. So ist schon bezeichnend, dass gerade diese Phänomene im Alten Testament an den Anfang gesetzt werden und damit zugleich das, was zur Erfüllung und zur Realisierung der Tora wichtig ist, zur Geltung kommt: „So allein kann man Gott begegnen, wenn man sich in der Weisheit und in der Einsicht stark machen lässt. Dem entsprechen die beiden weiteren Kennzeichen: der Geist des Rates und der Stärke. Das sind die Elemente, die in der rabbinischen Weisheitsschule als Auszeichnung der Schüler gelten: dass man durch Lebenswissen und die begleitende Inspiration Gottes stark wird. So ergibt sich der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht, wobei Erkenntnis immer auch Anerkenntnis Gottes ist und Gottesfurcht die klassische Beschreibung des Verhaltens eines weisheitlichen Menschen, wobei wir diesen Ausdruck Gottesfurcht von jeder Ängstlichkeit frei halten dürfen.

Gottesfurcht ist im Sinne der älteren Weisheit das unbedingte Sich Verlassen auf Gott, was gerade Furchtlosigkeit zur Folge hat: Gott allein die Ehre geben, sich ihm überantworten, aber auch im umfassenden Sinn ehrfürchtig sein, was ja etwas anderes ist als Furcht haben. Ich würde letzteres nicht ausschließen aus diesem grundlegenden Gottesverhältnis, das vor der Heiligkeit Gottes in die Knie geht ein wenig wird das ja in moderner Theologie etwas ausgeklammert, wo man ‚nur’ den zuvorkommenden und den Menschen annehmenden Gott vermitteln möchte. Natürlich ist das ein attraktiver Gedanke, den man zudem immer wieder gerne nur für das Neue Testament reklamieren möchte, was jedoch völlig falsch ist. Das Alte Testament kennt sowohl den sich außerordentlich nahe zum Menschen hin bewegenden Gott wie den Gott, der an den Menschen Forderungen stellt und ihn auch herausfordert durch seine Heiligkeit. Diese beiden Aspekte dürfen wir nie auseinanderdividieren oder gar einen von beiden leugnen. Das meint also Gottesfurcht: sich einlassen auf diesen Gott, der durchaus fremdartig und als der ganz Andere erscheinen kann.

Eine der spätesten Weisheitsschriften, das Buch Kohelet, das Buch des Predigers, verwendet den Ausdruck Gottesfurcht in einem bezeichnenden Sinn: Es ist eine Haltung, die fast schon ein numinoses ‚Sich Anbinden’ an jenen Gott, den rätselhaften Gott, darstellt. Kohelet nennt ja seinen Gott überhaupt nicht mehr beim Namen, weil er aller überkommenen Reden von Gott überdrüssig geworden ist und weil sie ihm rätselhaft geworden sind. Er sucht nach einem ganz neuen Gottesverständnis. Für ihn besteht Ehrfurcht darin, sich diesem Gott, der das Flüchtige akzeptiert (Koh 3,15), zu widmen, und diesem Gott, der selbst für den Augenblick noch etwas übrig hat, anzuhangen das ist Ehrfurcht. Und das bedeutet auch, dass man den Augenblick, den gegenwärtigen, den vorübergehenden Augenblick, respektiert und hineingreift in das, was das Leben im Moment zu bieten hat. Das ist die ganz ‚moderne’ Devise des Predigers Kohelet, und nach ihm besteht Gottesfurcht gerade im Ergreifen des Augenblicks und dieses Momentes, ohne langwieriges Nachdenken über das, was war und was kommen wird. Das ist eine ganz eigentümliche und eben auch im Alten Testament verankerte Sichtweise der Lebensbewältigung, die man wohl problemlos in unsere Zeit hineintragen kann.
xvi

Bei Trägern dieser genannten oder ähnlicher auf Gott hin orientierter Eigenschaften lässt es sich m.E. durchaus von menschlichen Mittlern göttlicher Willenskundgebungen und Offenbarungen sprechen. Ihre Aufgabe war es zu allen Zeiten, göttlichem Geist jenen Raum zu verschaffen, der nötig ist, um fortschreitend in weitere Wahrheiten und Erkenntnisse geführt werden zu können.

Aber es ist nicht immer einfach, die Kraft göttlichen Geistes vom Menschengeist gelenkten Wunschdenken u.ä. zu trennen, nicht zuletzt, da vor allem sonderkirchliche Glaubensgemeinschaften dem usurpatorischen Drang zu unterliegen scheinen, sich des göttlichen Geistes ekklesiologisch und sakramental zu bemächtigen. Sie suchten und suchen immer noch nach Wegen, wie sie ihn in das Prokrustesbett ihrer, meist völlig untheologischen, religiösen Vorstellungen zwängen können, um sich so seiner Dienste zu versichern, was sich nicht nur ausgezeichnet als Legitimation einfachen Gläubigen gegenüber eignet, sondern darüber hinaus auch jenes Stückchen Ansehen und Macht verschafft, ohne welche viele Zeitgenossen, und leider auch das System Kirche, nicht auszukommen scheinen - ohne dabei der wirklichen göttlichen Ordnungen gewahr zu werden, nach denen gerade dieses Streben, wie wir gesehen haben, keinen göttlichen Beifall finden würde.

Göttliche Unterscheidungs- und damit Ordnungskriterien - die Aussagen Jesu zeigen sie uns ebenso eindeutig wie stringent auch in den Gegenüberstellungen von denjenigen, die angenommen werden und jenen, die verlassen werden (Mt. 24,40-41) oder auch am Beispiel der beiden Übeltäter, die mit Jesu gekreuzigt wurden usw. - orientierten sich immer an der jeweiligen menschlich gewachsenen Herzenseinstellung und nicht am Status oder den äußeren Formen, Förmchen und sonstigen Förmlichkeiten der jeweiligen kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit, die weder Einfluss auf die innere Einstellung des Menschen haben noch diese notwendigerweise und automatisch zum Ausdruck bringen müssen.

Die Problematik in der Wahrnehmung und im Verständnis dessen, was für den Gottesbegriff gilt, gilt analog auch für die begriffliche Vorstellung des Teufels. So wie Gottesbilder zu Götzenbildern werden, die letztlich in die Irre führen müssen, wenn oder indem der Anteil des Menschlichen darinnen nicht erkannt wird, haben auch vermenschlichte Teufels- und Dämonenbilder den Menschen in seiner Wahrnehmung des Bösen häufig in die Irre geführt. Doch das wäre jetzt ein völlig neues Thema (siehe Endnote 1).

Sicherlich gäbe es vor dem Hintergrund einer überwältigenden Menge an Gotteserfahrungen, welche sich in der Heiligen Schrift niederschlugen, noch viel aufzuzählen, denn die dargestellten Gottesbilder können und wollen in keiner Weise Anspruch erheben auf eine alles einbeziehende oder gar erschöpfende Ausarbeitung. Viele Beispiele und Gleichnisse aus den Schriften würden die hier skizzierten Unterschiede zwischen Gottesbild und Götzenbildern sicherlich weiter untermauern und erweiternd bestätigen können. Andere würden vielleicht neue Fragen aufwerfen. Aber die Länge des Geschriebenen und die Möglichkeiten eines Webmagazins setzen hier einfach Grenzen.

Wenn deshalb bei weitem nicht alle Facetten dessen aufgezeigt werden konnten, was den Begriff Gottesbild ausmacht, was er impliziert und evoziert, so hoffe ich doch, dass der geneigte Leser einerseits für die im Teil I aufgeworfenen bzw. sich aufwerfenden Fragen eine ganze Reihe hilfreicher Verständnisansätze in den Teilen II und III findet, und sich im Großen und Ganzen ihm/ihr genügend Anregung zu eigenständigem Weiterdenken eröffnete. Im Bewusstsein dessen, was diese Triologie ausmacht, nämlich dass Erkenntnisgewinnung eines der wegweisendsten Gottesbilder im Leben von uns Menschen ausmachen sollte, weil das Gegenteil unserer gottgeschenkten Vernunft die Gottlosigkeit der Hölle ist, würde es mich freuen, wenn der eine oder andere dieser Gedanken im Laufe der Zeit mit allen Lesern geteilt würde.


Rudolf Stiegelmeyr, Copyright 2007


i Bei Mediasinres als kostenfreie „Erst-Veröffentlichung“ eingestellter Gesamtaufsatz in 3 oder 4 Teilen, der in erweiterter und modifizierter Buchform (wahrscheinlich unter dem Titel „Götter-, Götzen und Gottesbilder … aber nur ein Teufel?“) in näherer Zukunft zu veröffentlichen beabsichtigt wird, Copyright Rudolf Stiegelmeyr, 2007
ii Genau genommen sind nur jene Menschen Christen im vollen Wortsinn, die sich ganz und gar und unwiderruflich auf Christus beziehen und von ihm geleitet und auf ihn allein ausgerichtet wissen, aber da für viele Menschen ein leiblich nicht mehr existierender Christus einen Verifikationspunkt in menschlicher Mittlerschaft braucht, sei der weiter gefassten Begriff Christen auch hier akzeptiert.
iii Lexikon für Theologie und Kirche, Band 4 (Fra-Her), Sp. 857f.
iv Ebd.
v Bauer, biblisches-theologisches Wörterbuch, S. 278.
vi Josef Sudbrack, Gottes Geist ist konkret - Spiritualität im christlichen Kontext, S. 260 ff.
vii Diese Sehensweise führt dann fast zwangsläufig in das selbst durch die Naturwissenschaften selber schon teilweise als überholt anerkannte Denken in naiven positivistischen Allmachtspostulaten, was mit der Grund ist für die derzeitige Atheismuswelle, die deshalb nicht überbewertet werden sollte, zumal sie kaum wirklich relevante theologische Positionen an sich an- und aufgreift, sondern sich in ihrer Mission, Gott für überflüssig erklären zu müssen, meist der Hinterfragung theologisch ohnehin schon fragwürdiger, evangelikaler und anderweitig sektenhafter Gottesbilder verschrieben zu haben scheint (wie beispielsweise Richard Dawkins „Gotteswahn“, ein Buchtitel, der eigentlich besser mit ‚Götzenillusionen’ hätte übersetzt werden sollen, deutlich macht).
viii In unserer Gesellschaft wird der Autoritätsverlust gerne mit dem Missbrauch von Autorität legitimiert, was natürlich nie ganz in Abrede zu stellen sein wird. Zum undifferenzierten Totschlagargument allerdings wird dieser Einwand dann, wo er - mangels der notwendigen Fähigkeit, wahre von falschen Autoritäten zu unterschieden - einen grundsätzlichen Verzicht von Autorität zum Ziel hat, da dessen Folgen ungleich schwerwiegender in der gesellschaftlichen Entwicklung eines Gemeinschaftswesens sind als das Risiko, u.U. einmal persönlich ausgenutzt zu werden, was ohnehin noch andere Ursachen hat. Hier wie überall gilt es, sich von Extrempositionen, und seien sie emotional noch so verständlich, fernzuhalten, denn weder die anti-autoritäre Schiene noch Autoritätshörigkeit sind Positionen, welche offen sind für göttliche Wahrheit.
ix Herbert Vorgrimmler, Neues theologisches Wörterbuch, S. 248ff.
x Karl Rahner, Erinnerungen, Topos 2001
xi Karl Rahner, zitiert nach einem vorgestellten Auszug von ‚Bedenkenträger’ auf gk
xii Lexikon für Theologie und Kirche, Band 4 (Fra-Her), Sp. 960ff.
xiii Zitiert aus einem von Stap. Bischoff gehaltenen Ämterdienst. Abschrift in Besitz des Autors.
xiv (Stichwort „Göttliche Ordnungen“ siehe auch http://www.geocities.com/stiegelmeyr/Essay_FAQ.htm#P26 )
xv Pinchas Lapide, Jesus, das Geld und der Weltfrieden, S. 24ff.
xvi Auszug aus einem Internetaufsatz oder -kommentar (?), dessen Autor mir nicht mehr in Erinnerung ist.



Drucken  25.11.2007 18:30

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