Die neuapostolische Kirche bewegt sich. Aber wohin?

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Gottesbilder und ihre Implikationen Teil I

So legitim und notwendig es ist, sich Gott in der grossen Vielfalt menschlicher Gotteserfahrungen bildhaft vorzustellen, so gefährlich ist es, mit Bildern Seiner habhaft werden zu wollen. Wir entwickeln dabei nämlich Bilder, die Gott vermenschlichen und ihn dabei nur zu oft auch berechenbar darstellen. Religiöse Institutionen definieren Gott sodann über solche Bilder und entwickeln formelhafte Aussagen darüber, wie Er zu sein hätte. Dadurch instrumentalisieren sie Ihn für ihre Zwecke und tabuisieren dafür andere Gottesvorstellungen, die diesen entgegenwirken. Welche Auswirkungen das auf unser Glaubens-, Lebens- und Weltbild hat, zeigt Rudolf Stiegelmeyr im Folgenden auf und führt die Leser zu einer nicht länger einseitig starren Vorstellung von Gott.

* * * * *

Vorwort

Als ich im Zusammenhang mit meiner Absicht, eine kleine, populärwissenschaftlich ausgerichtete Bibelkunde für die Leser von Mediasinres einzustellen, merkte, wie sehr alle Erklärungen immer wieder abhängen würden vom jeweiligen Gottesbild, welches in allen biblischen wie sonstigen religiösen Vorstellungen entscheidend mitschwingt, lag der Gedanke nahe, diesen wichtigen Punkt, ohne welchen keine biblische Hermeneutik auskommt, vor weiteren bibelexegetischen Problemstellungen vorzuziehen. Alle religiösen wie theologischen Parameter grundsätzlich betrachtet, ist er doch primär entscheidend in der Frage, wie in der jeweiligen hermeneutischen oder exegetischen Verfahrensweisen vorgegangen wird.

Hätte ich allerdings gewusst, als ich meine vorhandenen Gottesbilderuierungen zusammentrug, wie eins das andere ergebend die Thematik nun doch sehr komplex zu werden drohte, ich hätte das Thema wohl weiter hinausgeschoben. Aber offensichtlich sollte es nicht sein und so wollen wir nun gemeinsam versuchen, uns bewusst zu machen, was Gottesbilder sind, woher sie kommen und welche ungeahnten Auswirkungen sie haben können auf den Glauben und damit letztlich die gesamte Religiosität eines Menschen.

Trotz der etwas länger gewordenen Ausführungen habe ich aber auf alle Detailfragen und –zusammenhänge weitestgehend verzichtet und mich bemüht, nur das in den Vordergrund der Leserbetrachtung zu rücken, was unumgänglich notwendig ist in der Frage der neuapostolisch sozialisierten Gottesbilder und ihrer Implikationen. Zu diesem Zweck habe ich diesen Aufsatz in mehrere Teile untergliedert:


Kurzübersicht zum Gesamtaufsatz:



1. Worum es geht…

Der Ausdruck Gottesbild kommt im theologischen Sprachgebrauch in unterschiedlichen Bedeutungen vor. Wir wollen ihn hier hauptsächlich verwenden als die Summe der Vorstellungsinhalte für das Wort Gott, wie sie jeweils in den christlichen Traditionen, Epochen und Kulturen gegeben sind; von daher ist dann letztlich auch die Rede vom normativen Gottesbild der Heiligen Schrift im Unterschied zu den Gottesbildern der Religionen, Philosophien, Sekten usw. zu verstehen.

Aus der Vielzahl der Denk-, Sehens-, Aspektualisierungs- und Perspektivierungsmöglichkeiten von Gottesbildern – ihre Erarbeitung (geschweige denn Ausarbeitung) würde Bücher füllen – seien ein paar wichtige Punkte ganz gezielt herausgehoben, die, wie mir scheinen möchte, gerade die Thematik dieses Forums betreffen. Dabei wurde nicht Wert auf Vollständigkeit der gewählten Aspekte gelegt, sondern es wurden im Gegenteil Einzelaspekte und –themen (beispielsweise das in diesem ersten Teil beschriebene Dilemma eines als gottgewollte Anfechtung interpretierten Leides bewusst unabgeschlossen gehalten, um Nahrung zum persönlichen Nachdenken wie zur weiteren Verfolgung der Thematik zu geben.

Gottesbilder sind nicht einfach Vorstellungen von oder über Gott, die beliebig, weil individuell sozialisiert oder projiziert, angenommen, vertreten, gepredigt und als gegebene und nicht mehr veränderbare Größe verkauft werden könnten. Ihre jeweilige Ausbildung (oder Aufoktroyierung) hat im Gegenteil nicht nur Auswirkungen auf die Religiosität (oder A-Religiosität) eines Menschen oder einer Glaubensgemeinschaft, sondern die durch sie geprägten Sozialisationsmuster bestimmen darüber, wie ihre zukünftige individuelle Aneignung und weiterführende Ausbildung vor sich gehen wird, was letztlich erhebliche Auswirkung auf das Lebens-, Welt- und Glaubensbild eines Menschen haben wird. „Psychologisch gesehen, sind Gottesbilder nämlich wirkmächtige Symbole, die sich im Zusammenhang mit der frühkindlichen Subjekt-Objekt-Differenzierung bilden und von da an entwickeln. Dabei können Symbole von Vater und Mutter das Gottessymbol vorstrukturieren. In einer positiven Konstellation können Gottesbilder Reifungsprozesse herausfordern und unterstützen. Wenn Kinder aber in einer neurotisierenden Umgebung aufwachsen, entstehen leicht eindimensionale und starre Gottesbilder, die Entwicklungen blockieren.i

Nicht nur positive Entwicklungen können dabei blockiert, sondern negative Entwicklungen bis hin zu Neurosen können entfacht und/oder verstärkt werden. Dabei kann es sich beispielsweise um Angstzustände handeln hinsichtlich eines Nicht-mitgenommen-Werdens an einem bestimmten eschatologischen Verfallstag oder allgemeiner eines Nichtangenommenseins bei Gott (wann und wo auch immer) etc., z.B. aus Gründen mangelnder Bereitschaft, in blindem Führerglauben einer Kirche und ihren Funktionären oder traditionellen Bekenntnissen in der Weise nachzufolgen, wie diese es vorschreiben. Schon der Nichtbesuch des Gottesdienstes – die universale Allumfassenheit und Allgegenwart Gottes, so wie Jesus seinen Vater vorgestellt hatte, wird hier begrenzt auf die bekenntniskonforme kirchliche Predigt – kann, als kirchenverordnetes Drohpotenzial inhaliert, derartige traumatische Pathologien auslösen, dass sich sogar in Träumen scheinbar Seelen aus dem Jenseits mit dem Horrorbild eines Richtergottes zeigen, der all jenen, die ‚mutwillig’ einen Gottesdienst – will heißen die kirchliche Selbstdarstellung bestimmter Glaubensgemeinschaften – versäumten, in der jenseitigen Welt dafür endlose Reuequalen garantiert. ii

Machen wir uns nichts vor: Die Gottesbilder einer tauschgeschäftartigen Opfer-Theologie, die einer angeblich heilsabhängigen Nachfolgedoktrin, die eines exklusivistischen Apostelheils, die Glaubensdoktrin von Gnadenaltar und Gotteskindschaft, von neuapostolischer Auslesebraut und Bräutigam, von Welt versus wir und von Werk Gottes versus andere Kirchen, von als angeblich gottgewollter kindlicher Glaube getarnter religiöser Infantilismus, von Verwerfungen von Denken und Vernunft zugunsten von Glaubensgehorsam, usw., all diese Gottesbilder bzw. aus Gottesbildern entstandenen Lehren und Dogmen, begleiten und beeinflussen unser Lebens- und Glaubensverständnis auf unterschiedliche Art und Weise, je nachdem ob wir sie unreflektiert-wörtlich oder reflektiert-symbolisch wahrnehmen.

Einer der häufigsten und interessantesten Folgeschäden von fehlgeleiteten Gottesbildern etwa ist der naive Verteidigungszwang von Vorstellungen, deren angeprangerter Nichtstichhaltigkeit begegnet wird mit Hinweisen wie „aber Gott kann dies oder jenes doch machen, er ist doch allmächtig, das sollten wir doch nicht vergessen etc. etc.!“, ohne zu reflektieren, dass solches weder in der jeweiligen Kritik verneint worden war noch das eigentliche Problem löst, nämlich mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die jeweilige Vorstellung bewahrheiten bzw. legitimieren ließe. So wird beispielsweise das Gottesbild einer Wörtlichnahme der biblischen Schöpfungsgeschichte damit verteidigt, dass Gott es doch erstens so gemacht haben könnte und zweitens, dass ja doch keiner von uns dabei gewesen wäre – ein Totschlagargument, mit dem ebenso glänzend wie argumentativ unerreichbar die eigenen Irritation hinsichtlich der wissenschaftlichen Unmöglichkeit eines solches Gottesbildes beschwichtigt werden. Auch das unlängst erwähnte kirchennormative Strafbild der Hiobgeschichte fällt in diese Kategorie der missverstandenen Götter, welche sich ganz schnell verselbständigen und im Gefolge jede Menge Aberglauben produzieren können.

Überhaupt zählen die Ängste, die sich aus den Schwarz-weiß-Bildern eines scheinbar gerechten Vergeltungs- und gestrengen Erziehergottes ergeben, mit zu dem Schlimmsten, was die menschliche Lebenskraft dezimieren kann. Jede Form von Schicksalsschlag, Krankheit und Not wird automatisch zum Zuchtbesen göttlichen Strafgerichts umfunktioniert, was die Folgen als unausweichliches Schicksal geduldig tragen lässt, aber auch die menschliche Gegensteuerungskraft als unnütze Reaktion jeder Berechtigung enthebt.

Auch das Gottesbild des ‚Wir (Auserwählten) hier und dort draußen die (verlorene) Welt’ kann fatale Folgen zeitigen. So ist es eines der hervorstechendsten Sektenmerkmale, wenn Mitglieder einer Gemeinschaft diejenigen meiden und teilweise brandmarken, die dieser Gemeinschaft kritisch gegenüberstehen, selbst wenn sie sich zuvor menschlich gut verstanden hatten. Kein halbwegs intelligentes Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche würde einen guten Bekannten oder gar persönlichen Freund meiden, nur weil er sich als Kritiker der jeweiligen Kirche outet. Die persönliche Beziehung steht hier immer über dem Kirchen- oder Parteibuch bzw. dem persönlichen Glaubensverständnis. Ganz anders ist dies bei Gemeinschaften, deren Gottesbilder ihre Mitglieder zum Denken in Freund- und Feindbildern erzogen haben. Hier gilt der Satz: Willst du nicht mein (meiner Kirche) Glaubensbruder sein, so ...

Es kann sich aber auch um enttäuschungsbedingte Angstzustände handeln, welche sich erst später aufgrund fehlgedeuteter Gottesbilder und nachfolgend falscher Erwartungen einstellen, beispielsweise wenn Gott als Lückenbüßergott für eigenes Fehlverhalten oder als Feuerwehrgott, der sofort kommt, wenn’s wo brennt, sozialisiert wurde (siehe nachfolgende Punkte) und man dann feststellt, dass das gar nicht (oder nur in Ausnahmefällen) funktioniert. Dabei kann es sich um so triviale Angelegenheiten handeln wie Enttäuschungen hinsichtlich eines fehlenden Nachtschlafes, z.B. aufgrund zu üppiger Abendmahlzeiten, trotz der Tatsache, dass man bei Gott für eine gute Nachtruhe gebetet hatte. Diese Art von irregeleitetem Gottesverständnis kann allerdings auch schwere und schwerste Krankheiten o.ä. betreffen, die man sich aufgrund langjährigen falscher Lebensweise ‚angezüchtet’ hat und wo man nun glaubt, Gott hätte einen verlassen, wenn Gebete um Heilung nicht (sofort) Gehör finden. Das allerschlimmste bei diesen Gottesbildern eines immer in die Bresche springenden und sich immer und überall verantwortlich zeichnenden ‚Feuerwehrgottes’ ist die zunehmende eigene Verantwortungs- und damit Handlungsunfähigkeit. Das Abstumpfen der eigenen Handlungsimpulse oder Abwehrkräfte zugunsten eines immer und überall einspringenden Gottesbildes. Dies führt zu Handlungsblockaden und der so Glaubende verhält sich dann zunehmend lethargisch, oder – im Angstfall – wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.

Einem ähnlichen gelagerten, wenn auch sich anders auswirkenden Missbildnis Gottes entspricht das jedes falsche Verhalten ausbügelnde Gottesbild des völlig inkonsequenten Mode-Papis oder des flockigen Kumpelgottes, der im gnädigen Gießkannenprinzip irgendwann sein Heil auf jeden Fall schenken würde – auch ohne dass man dafür etwas tun oder vor allem sich ändern müsste. Gottes grenzenlose Liebe bügelt alle menschlichen Unzulänglichkeiten schon irgendwann aus, so diese gängige Gottesdoktrin, und auf diesem Ruhekissen schläft sich’s ganz famos, enthebt sie doch den einzelnen aus der Verantwortung und dem, was sich aus dieser Verantwortung als Konsequenzen ergibt. Diese und viele andere anerzogenen Gottesvorstellungen können im Extremfall ein Menschenleben völlig zerstören.

Einer der Gründe für ein solches Zerstören liegt beispielsweise in dem sich unweigerlich einstellenden inneren Zwiespalt, zwischen einem wahren und einem falschen Gott(esbild) entscheiden zu müssen. Diesen Zwang des Entscheidenmüssens, zwischen einem strafenden und einem versöhnlichen Gott(esbild), einem nachtragenden und einem in jeder Hinsicht verzeihenden, einem hebräisch theozentrischen und einem christologisch anthropomorphen, löste weder die Bibel noch die Kirche auf. Wenn Jürgen Ebach in seinem Artikel "Der Teufel in der Bibel" (in Musik und Kirche März/April 2006, S.83) diesen Zwiespalt wenigstens zu glätten sucht, indem er die Frage nach der göttlichen Versuchung, mithin auch die von der NAK gerne in den Mittelpunkt gerückte Anfechtung, nicht im dualistischen Spiel der Kräfte zwischen Gott und Teufel (wie dies die alten Juden beispielsweise bei Hiob dachten), sondern als alleinige Wesenteile der Gottheit selber zu beantworten trachtet, bleibt nach wie vor der innere Unsicherheitsfaktor, im persönlichen Tal der Angst um die Frage nach Warum und Wohin zwischen der Strafe eines alttestamentlich vergeltenden Gerechtigkeitsgottes und der gnädigen Annahme eines jesuanisch vergebenden Gnadengottes mutmaßen zu müssen – ein Ratespiel, dessen Unsicherheitsfaktor letztendlich all jene in die Verzweiflung führen muss, die den beschriebenen Kirchenglauben ernst nehmen und sich gleichzeitig nicht davon abhalten lassen, seine Konsequenzen bis zum Ende durchzudenken. Denn worin läge die Garantie, wie Abraham vom Sohnesopfer abgehalten zu werden und nicht wie Jesus, und mit ihm Millionen anderer, umsonst auf zeitlich-irdische Hilfe gehofft zu haben?

Der sich hier zeigende Dualismus der Gottesbilder von alttestamentlichem Gerechtigkeitsgott und neutestamentlichem Gnadengott hat aber noch weitere Implikationen, die letztlich in der Frage gipfeln: Falls ersterer zugunsten des letzteren aufgegeben werden müsste, hieße dies, dass ernstzunehmende Gerechtigkeitskriterien nun ebenfalls aufgegeben werden müssten? Dass Liebe und Verständnis ungerechtes oder irriges Handeln überdecken würden? Dass göttliche Gnade, die sich nurmehr an Einsicht und Umkehr orientiert, letztlich gerade jener zeitgeistigen Haltung Vorschub leisten könnte, welche die Relativität des "anything-goes" zum Maßstab menschlichen Handelns werden ließ? Im anderen Fall, und das beschreibt trefflich dieses Gedankendilemma, bliebe uns allerdings nur der alte unnahbare Gerechtigkeitsgott, bei dem wir dann allerdings mit allem zu rechnen haben würden.

Das Spannungsverhältnis dieser ‚inneren Realität’, lässt sich weder wegdiskutieren noch verniedlichen, noch relativieren und schon gar nicht unter den Teppich unsinniger predikaler Erklärungen kehren. Und weil dies so ist, stellt sich irgendwann doch die Gretchenfrage, ob uns wohl nichts anderes übrig bliebe, als in diesem Spannungsverhältnis zwischen Hoffen oder Bangen, ewigem Heil und irdischem Unglück (oder umgekehrt), jenseitiger Annahme mit diesseitigem Verworfenwerden (und umgekehrt) usw., auszuharren…?

Dies wiederum führt nun letztendlich zu jenem in der Psychologie ausführlich beschriebenen Phänomen der ’zunehmenden inneren Entfernung’, wo geistig-seelische Bedürfnisse übersehen oder negiert werden mit dem Ergebnis, dass das Betroffene sich immer weiter abkapselt, sich in die letzte Zuflucht ihres Schneckenhauses zurückzieht. Dieses Phänomen gilt nun nicht nur in der Beziehung von Mensch zu Mensch, sondern – sogar noch verstärkt – in der Beziehung von Mensch zu Gott. Wo erzeugter Anspruch und Realität von Gottesbildern nicht mehr miteinander kompatibel sind, wo Hoffnungen enttäuscht und Liebesbedürftigkeit negiert wurden, setzen unweigerlich, und in dieser Reihenfolge, Desinteresse, Apathie, Trotz und u.U. Hassgefühle ein.

Aus diesem Grunde „…ist es insbesondere die Aufgabe der Katechese und des Religionsunterrichts, die oft unbewussten Gottesbilder zu erhellen und einem klärenden Gespräch zugänglich zu machen. In diesem Prozess sind Gottesbilder legitim und notwendig, die noch infantile Züge tragen. In der Auseinandersetzung mit kulturell geprägten Gottesbildern (Bibel, Kunst, Literatur, Musik) können diese subjektiven Bilder von Gott erweitert und angereichert werden. Es geht ja darum, jene Psychodynamik zu begünstigen oder wieder in Gang zu bringen, in der sich Gottesbild und Selbstbild dialektisch durchdringen und aneinander reifen.

Solche Reifungsprozesse sind oft nur möglich in der Kommunikation mit einer Person, die selbst den Weg zu reiferen Gottesbildern gefunden hat und so Wegbegleiter sein kann. Da Gottesbilder aber stärker als theoretische Gottesvorstellungen im Unbewussten beheimatet sind, ist ihre Weiterentwicklung nämlich auf affektive Klärungs- und Lernprozesse angewiesen, denn erst in dem Maße, in dem Menschen fähig werden, auch die dunklen Seiten der überlagerten Gottesbilder zu akzeptieren, werden sie zugleich fähig, mit der Ambivalenz des eigenen Selbst annehmend umzugehen. In den entsprechenden Reifungsprozessen entsteht dann die Chance, neue Gottesbilder zu entwickeln, die stimmig sind zur Dynamik des eigenen Lebens und die schließlich dazu ermutigen, auf Gott jenseits aller Bilder – als aller inhaltlichen Vorstellungen und Bestimmungen – zu vertrauen.
iii

Anhand des häufig kurzgeschlossenen Zusammenhangs von Anfechtung und Leid, wie er sich leider immer noch in vielen Glaubensgemeinschaften darstellt, wollen wir im folgenden ersten Teil einige der erwähnten Problemzusammenhänge und Implikationen von Gottesbildern in den Mittelpunkt stellen, weil die Art, wie sie sich auswirken und welche – irrtumsbedingten – Problemfelder sich durch sie eröffnen, deutlich macht, ob und in wie weit sie sich von biblischen Vorbildern entfernt bzw. diese missverstanden haben. Bereits hier entscheidet sich nämlich, ob wir letztlich in der Lage sein würden, im Glauben Gottesdienste zu feiern oder im Aberglauben Götzendienste zu verherrlichen.


2. Das Dilemma von Leid und Anfechtung iv

Zumindest als ältere neuapostolisch sozialisierte Menschen sind wir gewohnt, Leid und Kummer, Krankheit und Misserfolg als göttliche Zulassung zu betrachten, sei es als Strafe für Gott nicht wohlgefälliges Verhalten, was – wenn auch meist nur indirekt impliziert – einem Segensentzug zugeschrieben wurde, dessen Omen sich erst wieder zum besseren wenden würde, wenn entsprechende Buße geleistet wurde, sei es als Anfechtung, um den rechten Grad der Würdigkeit – was häufig mit kirchlicher Stromlinienförmigkeit und pflegeleichter (Gehirn)Waschbarkeit gleichzusetzen ist – zu erreichen. Sätze wie

„Denen, die Gott lieb hat, müssen alle Dinge zum besten dienen…“

Wen Gott lieb hat, den straft und züchtigt er…

„Kein Ungeprüfter kommt ins Himmelreich…

Lerne im Diesseits zu meiden, was du im Jenseits nicht fortsetzen kannst...

Gott lässt wohl fallen, aber er lässt nicht ertrinken...

Wen Gott liebt, dem müssen alle Dinge zum besten dienen...

Mit Gottes Wort (gemeint ist die kirchliche Predigt) ist nicht zu scherzen, es findet sich doch zuletzt!

Gehabte Leiden hab ich gern“ (dieser Ap. Schall zugesprochene Ausspruch wird meist benutzt, um das reale Elendpotenzial von Leiden als doch ‚nur’ zeitliches Übel zu bagatellisieren)

usw.,

gehörten zum Standardrepertoire neuapostolischer Seelsorge. Wo notwendig, gesellt sich dazu das Gottesbild der ach so milden Jesugesinnung im Erdulden von scheinbar unumgänglichen, weil gottgesteuerten Unrecht – eine kismethafte Haltung, die, wenn auch aus anderen Gründen, nicht erst den Juden des 3. Reiches zum Verhängnis geworden ist. Diese und viele andere Stillhaltemechanismen zeugen von einem despotischen Gottesbild, welches – wörtlich aus der heiligen Schrift herausgelesen oder unwissend hineininterpretiert – das ebenso gestrenge wie häufig völlig unverständliche Vaterbild Gottes prägte.

Dies war auch nur natürlich, strafte doch auch der irdische Vater seine Kinder für oftmals sogar kleinste Vergehen und auch die Pädagogik des leistungsbezogenen Liebeserwerbs oder das Verständnis von Prüfungen als Mittel zum Erwerb von Fähigkeiten waren gängige Denkmuster in der Erziehung von Kindern bis weit in die Nachkriegszeit. Es war dies somit kein spezifisch neuapostolisches Denken. Es war übernommen worden vor allem aus dem Pietismus, dem die NAK ja entstammte, und auch der hatte es nicht erfunden, sondern – in der einen oder anderen Form – geisterte dieses Gottesbild durch das Christentum aller Zeiten. Der ‚Gott der Ordnung’ – dieser Art von Ordnung – war ausschließlich resultats- und nicht auch ursacheorientiertes v pädagogisches Vorbild und Erziehungsideal für Jahrhunderte vor und nach den Bildungserkenntnissen der griechischen und teilweise römischen Antike. Vorher, weil unter dem Einfluss von eifersüchtig-rachelustigen Götterbildern stehend, nachher, weil als heidnisches Überbleibsel von einer Kirche aufgegriffen und (irrtümlich) weiterentwickelt, der es um die Legitimation von Ordnungsmitteln und -maßnahmen ging, die ihr das Überleben, ja sogar ihre Macht sichern sollten. Doch alles der Reihe nach:

Im Prinzip gibt es drei religiöse Vorstellungsspektren und daraus entwickelnd Traditionsstränge, anhand derer sich das christliche Gottesbild formte und die kirchlichen Lehren prägt. Ihre Inhalte überschneiden sich in vielen Fällen und lassen sich demnach nicht immer monokausaul zuordnen:


Ist diese umständehalber etwas simplifizierte Unterteilung bereits aus religionshistorischen wie auch aus soziologischen Gründen recht interessant, so wird sie geradezu zum Eckstein, an dessen Kanten sich die Geister scheiden, wenn es zur Begründung menschlichen Leid und Elends kommt, sind doch die hier gerne verwendeten begriffliche Erklärungsmodelle von Anfechtung oder Versuchung, wenn und indem sie als gottgelenkte Ereignisse verstanden werden, direkt abhängig vom kulturell sozialisierten und/oder ekklesiologisierten Gottesbild: Rachegott, Herrschergott, Vatergott, stummer Ignorantengott, Gott der Kirchenzucht usw. – die schier unerschöpfliche Vielfalt der unterschiedlichsten Begründungen für Krieg oder Frieden, Leid oder Freud, Pech oder Glück in der Menschheitsgeschichte geben hiervon beredt Zeugnis.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund teilweise verheerender Strafgerichte Gottes im Alten Testament, ja gar des kompletten Entzugs jeglicher Beziehungsbereitschaft Gottes zum Menschen, erheben sich eine ganze Reihe von Fragestellungen, die jedoch alle eines zum Ausdruck zu bringen trachten: Welche Verlässlichkeitsparameter können über die Kluft hinweghelfen, welche die Unterschiedlichkeit der biblischen Gottesbilder (siehe Teil III) und der mit ihnen gelebten realen Lebenserfahrungen in Bezug auf den Sinn von Anfechtung vor dem Hintergrund von Gottes Liebe und Treue reißt? Denn:

Wer definiert Anfechtung einschließlich deren Ursachen und Konsequenzen und womit? Wo sind ihre Grenzen, wo geht sie über in nicht erklärbares Unglück oder göttliches Strafgericht, und nicht zu vergessen, worin unterscheidet sie sich von Strafe und der gerechtigkeitsorientierten Heimsuchung alttestamentlicher Gotteserfahrungen?

Die deutsche Sprache unterscheidet in diesbezüglich unterschiedliche Ursachen, Grade, Ausmaße und Zusammenhänge usw., wenn sie von Anfechtung, Versuchung, Schicksal, Geschick, Unglück, Omen, Prüfung, Vorsehung, etc. spricht. Alle damit verbundenen Vorstellungen werden nun in ungefährer Analogie zu obig beschriebenen Gottesbild-Kategorien drei großen Ideenbündeln zugeordnet: dasjenige der göttlichen Verordnungen, jenes der göttlichen Zulassungen und als drittes dasjenige, welches im Prinzip die Abwesenheit und/oder Ignoranz Gottes zum Ausdruck bringt. Damit wird dann eingeteilt in aktives göttliches Eingreifen in die Schicksale der Geschichte, passives Gewährenlassen (aus welchen Gründen auch immer) und scheinbar ignorantes Desinteresse in Bezug auf die menschlichen Lebenszu- und -umstände. Bereits hier erhebt sich die Frage, welcher Bündelung obige Anfechtungsvorstellungen zuzuordnen wären und vor allem, warum? Gleichzeitig aber stellt sich die Problematik, ob diese sprachlich so ausdifferenzierten Unterschiede auch von Gott so gesehen bzw. getroffen würden und falls ja, welches ’Schicksalsspektrum’ dann die biblische und welches die in der NAK gerne theologisierte und als notwendiges Würdigkeitselement interpretierte Anfechtung abdeckt?

Wenn wir bei diesem Bild bleiben und, der Einfachheit halber alle Gott unterstellten oder auf ihn evtl. rückführbaren Anfechtungsvorstellungen in einer griffigen Begrifflichkeit zusammenfassen (z.B. ‚endzeitlich orientiertes Reich-Gottes-Qualifying’ [im folgenden RGQ genannt] als summarischer Begriff für alle Arten eschatologische Würdigkeit heischender göttlicher Verordnungen und/oder Zulassungen), so können wir im weiteren zu problematisieren trachten, in wie weit solcherlei Spielchen einer nachvollziehbaren Gottgesetzlichkeit oder nur Auswüchsen menschlicher Gottesbilder – also Ideen und Vorstellungen, wie Gott evtl. sein oder reagieren würde – entsprechen könnten.


3. Unterscheidungsproblematik

Womit rechtfertigt sich nämlich jene leider so häufig erfahrbare unmenschliche Grausamkeit der diversen RGQs, deren kirchlich versichertes Tugendhaftigkeits-, ja sogar Würdigkeitspotenzial die Realität häufiger als uns lieb ist Lügen straft?

Wer rechtfertigt, vor dem Hintergrund eines als gerecht zu empfindenden Gottes(bildes), geschweige denn Vaterbildes, die extrem unterschiedlichen Arten und daraus resultierend die Unberechbarkeit und Implausibilität dieser RGQs?

Aus welchem kulturellen Umfeld und/oder theologischen Erwägungen heraus stammen die Erklärungsmodelle für die angebliche Notwendigkeit solcher RGQs?

Welchen Sinn liefert beispielsweise die in diesem Zusammenhang ungeheuer wichtige bibl. Aussage, dass Gott keinen Menschen über sein Vermögen und seine Kraft versuchen würde (aus dem Stehgreif zitiert nach 1.Kor 10,13)?

Wer definiert hier "über unser Vermögen/unsere Kraft"? Gibt es Fälle, in denen diese elementare Einschränkung (in anderen Ausgaben übersetzt mit: "dass ihr's könntet ertragen") nur als euphemistische Variante des allbekannten Trostversuches zu werten ist: Keine Sorge, das Leben geht weiter? Falls ja, kann solcherlei Zynismus schnell in jähen Skeptizimus umschlagen, denn, übertragen wir solcherlei Binsenweisheiten einmal auf das geschilderte Schicksal der täglich hunderten von Opfern im Irak, so hieße es im Klartext: Keine Sorge liebe Bombenopfer-Hinterbliebenen, das Leben geht auch ohne eure Lieben weiter, die nun ebenso sinnlos wie gottlos verbraten wurden..., ein pietät- wie liebloser Wahrheitsgrad, dessen verblüffende Unbestechlichkeit jedes weitere Denken nachhaltig ausschließen dürfte.

Sollte solcherlei Geschick auch unter himmelsprüfender Anfechtung oder Versuchung subsumiert werden, dann geschieht dies zumindest nicht auf einem Gottesbild, das auch nur geringste Ähnlichkeit hat mit dem in uns allen erzeugten Gott-Vater-Bild unserer Kindertage. Und dabei ist noch nicht einmal die Frage gestellt nach der angeblich würdigkeitsorientierten Notwendigkeit und/oder Sinnfälligkeit des Ertragensollens?

Was ist mit all jenen, die solch anfechtbare ‚Glaubensprüfungen’ nicht ertragen konnten, ihnen vielmehr schmählich erliegen mussten – nicht mehr recyclebarer Jenseitsmüll? Abgeschrieben als gottesunwürdige ‚Loser’? Suizidale Verlierer? Pechvögel der Geschichte? Was ist andererseits mit all denen, die für kein solches ewigkeitslohnendes RGQ gewürdigt schienen? Gnade der späten oder der frühen Geburt, oder eher historisches Pech, weil zu nichts Höherem berufen? Wie kann Gerechtigkeit bestehen vor der Tatsache, dass beispielsweise ein Mensch X aufgrund seiner kirchlichen und/oder bildungsmäßigen Sozialisation die Kraft aufbringen konnte, ein bestimmtes RGQ x1 ohne Glaubensverlust siegreich zu bestehen, während ein anderer Mensch Y, aufgrund einer anderen Sozialisation etc., eine leichtere RGQ y1 nicht bestehen konnte? Wer entscheidet darüber, mit wieviel wegsteckender ‚Duldungstoleranz’ der eine oder andere haushalten muss? Geht es dabei ausschließlich um das Bestandenhaben oder auch um das Zusammenwirken von RGQ-Trainingsgraden im Sinne eines "RGQ-Überwindungsaufwandes", und falls letzteres, woher stammen die unterschiedlichen Aufwendungskräfte und damit Erfolgs- oder Misserfolgsgarantien und ob bzw. wie finden sie gerechte Berücksichtigung im Wust der so unsinnig unterschiedlichen Anfechtungs- und mit ihnen Duldungsmuster?

Fällt es auch unter die Gnade der späten Geburt, dass unsere Generationen nicht die mörderische Kälte Stalingrads oder die seelenmordende Ungerechtigkeit in den KZs oder die Tötungsmaschinerie der Schützengräben von Verdun usw., usw. (Millionen anderer schicksalhafter Ungerechtigkeiten könnten aufgezählt werden), mitmachen musste, oder müssen wir es eher als himmlisches Pech ansehen, weil wir damit kein ausreichendes RGQ (im Sinne einer vorbereitenden Hochzeitswürdigkeit) hatten, in dem wir uns als zukünftige Regentschaft bewähren, qualifizieren und damit heute schon legitimieren könnten, quasi mangels ausreichender Trainingsgelegenheiten...? Um gleich einem bekannten Gegenargument den Wind aus den Startsegeln zu nehmen: Auch wenn viele dieser Tragödien menschliche Ursachen haben, so leiden doch meist die Falschen darunter, und um deren Leiden geht es in unserer Fragestellung!

Wie rechtfertigt sich überhaupt die extrem unterschiedliche Art des alle Kräfte verschleißenden Ertragenmüssens von Leid und Elend? Wozu soll es dienen? Wie verträgt es sich mit einem Gottesbild, das einen liebenden Vatergott als Erklärungsmodell vorstellt? Müssen wir heute von diesem Gottesbild eines liebenden Vatergottes, „...der nicht Gedanken des Leides, sondern des Friedens hat...“ (Jer 29,11), Abstand nehmen, weil kein irdischer Vater heute jemals auch nur annähernd solche unmenschlichen, ja menschen-unwürdigen RGQ-Trainingsstrategien und Prüfungsqualen auch nur erdenken könnte?

Wie vereinbaren sich solcherlei RGQ-Trainingskriterien für höhere Himmelsbildung mit dem dabei anfallenden ‚zufälligen Beteiligungsausstoß’? Kollateralschäden oder Marionetten, die quasi als Prüfungsstaffage für die echten Kinder Gottes herhalten müssen? Welches ‚Mitspracherecht’ hatten nicht-christliche oder nicht-neuapostolische Opfer, welche als Trainingspartner für das ehrenwerte RGQ-Training der Leidenserwählten herhalten mussten, damit Gott deren Würdigkeitsgrad recht würde einschätzen können? Moderne Isaaks, die aus Glaubensgehorsamsgründen ihrer Väter auf Morija geopfert werden, um ein Gottesbild zu verherrlichen, das scheinbar nur über den Infantizid oder Familienkannibalismus vom angeblich so glaubenskräftigen Kadavergehorsam seiner Getreuen zu überzeugen sein würde?

Genau das nämlich ist das Problem solcher laienhaft kirchlicher und biblisch missverstandener Gottesbilder, die unbesehen in eine Zeit und Erkenntnisstufe transferiert wurden, in der sie plötzlich und vielleicht auch unvorhergesehen ganz andere Implikationen, zumindest jedoch unsinnige Fragestellungen zeitigen würden. Denn mal ehrlich, wenn das ein Beispiel dafür ist, wieviel wir Menschen als ertragungs- oder duldungswürdig auferlegt bekommen können, wieviel uns Gott, bzw. ein grausiges Zerrbild eines liebenden Vatergottes, auferlegen kann, damit wir ‚bewährt würden’, wie viele pfeifen dann nicht auf Himmelskrone und Hochzeitswürdigkeit und Zukunft mit einem Bräutigam, dessen personengleicher Vater offensichtlich keine andere Aufnahmekriterien für das Zusammensein mit seinem Sprößling einfallen, als unschuldige Menschen aus Glaubens- oder Würdigkeitstestzwecken o.ä. zu quälen und zu terrorisieren, und dessen mörderische Spielchen dann als angeblich ‚glaubensnotwendige Anfechtung/Versuchung o.ä. für Himmelreich und Krone’ ekklesiologisiert werden.

Ja, ein Hiob kommt in den Sinn. Es hatte ihn nie wirklich gegeben, aber er steht chiffrenhaft als theologisierendes Erklärungsmodell für Menschen, deren Bildung und Kultur (noch) keine anderen Erklärungsmodelle zuließ. Nur so glaubten die alten Juden, Hoffnung zu finden oder zu geben in Lebenssituationen, in denen keine reale Hoffnung mehr Bestand hatte, Trost mitzunehmen, wo es real an Trost an allen Enden gebricht. Nur, was als Trost für die Einfachheit eines bäuerlichen Halbnomadenvolkes gilt, muss nicht notwendigerweise geeignet sein, um als theologisch gereiftes Erklärungsmodell – denn nur ein solches könnte uns heutigen Menschen wenigstens ansatzweise Trost verschaffen – für postaufklärerische philosophische und theologische Hochkulturen zu dienen.

Selbst wenn, und gerade auch hier liegt der Bezug zu Hiob, alles wieder ins Reine käme, ja aller potenziell verloren gegangener Gerechtigkeit mehr als Genüge getan würde, wäre uns kindhaft ekklesiologisiertes Gottesbild doch für immer und alle Zeiten zerstört. Solche Spielchen rauben nicht nur Lebenssinn, nein, sie rauben vor allem Vertrauen in die Integrität Gottes, der jahrelang als ein liebevoller Vater in die Seele gepflegt worden war, und nähren dafür einen Skeptizismus, der – selbst wenn er meist nur unterschwellig schlummert, bereit, immer dann aufzutauchen, wenn die Aktualität des Schmerzes die Erinnerung an die alten Wunden aufreißt – genügend traumatisiertes Denken an die Oberfläche spült, um Vertrauen langfristig im Keim zu ersticken. Denn, und dieses eingepflanzte ‚Erwartungsgift’ kann nicht genug betont werden, wer Jahrzehnte lang Gottesbilder in die Köpfe und Herzen der Gläubigen predigt, die eine liebende Vater-Kind-Beziehung zwischen Gott und dem jeweiligen Gläubigen suggerierten, der wird sich auch daran messen lassen müssen, dass Gott in seinen Handlungsweisen an denen eines liebevoll sorgenden irdischen Vaters gemessen wird. Die Frage stellt sich: Hätte unser irdischer Vater uns solcherlei Prüfungsspielchen auferlegt, um uns seiner o.ä. würdig zu erweisen etc., bei Gott, die meisten von uns hätten ihn wohl zum Teufel gejagt, bzw. noch wahrscheinlicher, hätte das Elternhaus umgehend verlassen und zwar für alle Zeiten.


4. Das Problem des heutigen Alltagsbezugs

Doch auch hier dürfen die Folgeüberlegungen noch nicht abbrechen. Vergegenwärtigen wir uns einmal ganz realistisch, welche Diskrepanz solche Gottesbilder entstehen lassen zwischen (kirchlichem) Anspruch und (alltäglicher) Wirklichkeit! Gemäß unserer kulturellen wie religiösen Erziehung sind wir sozialisiert worden, dass so, wie der Vater auf das Rufen des Kindes verfügbar ist, unser Gott auch für uns verfügbar wäre, wenn wir ihn nur ausreichend riefen. Das aber hat Konsequenzen. Wo beispielsweise ein irdischer Vater die Unfähigkeiten oder Schwachheiten seines Kindes überdeckend für dieses Kind in ALLEN seinen Befindlichkeiten sorgen würde, indem er für das Kind z.B. schnellstmöglich all jene Probleme regelt, die das Kind nicht selber regeln kann und deren Bestand auch keinerlei pädagogische Notwendigkeit für eine sinnvolle Entwicklung des Kindes zeitigt, wird dieser Anspruch automatisch auch an Gott gerichtet werden. Regelt Gott im Sinne eines Vater-Gottesbildes nun unsere Belange, Sorgen, Wünsche und Bedürfnisse nicht in der einem Allmachtswesen diesbezüglich angemessenen Art, sind Enttäuschungen, Frustration, und letztendlich schwelender Defätismus die nur allzu logische Folge. Und das betrifft nicht nur uns ganz persönlich, sondern mit argwöhnischem Blick sehen wir auch, wie dieser Vatergott sich in unserer Umwelt zeigt, geben diese Hinweise doch reflexiven Aufschluss darüber, was wir unter Umständen selber zu erwarten haben würden. Erklärungen, die auf angeblich notwendigen RGQ-Trainingseinheiten und Prüfungen basieren und dazu dienen sollen, dass das Gottvertrauen gestärkt und die Tragkraft erhöht würden, oder Verweise auf die Stärkung der eigenen Abwehrkräfte etc., werden am übermächtigen Elend des anderen schnell als billige Ausreden empfunden für etwas, was im Prinzip nur einer altbackenen Erklärungsnotdurft entspricht und in Wirklichkeit keine Analogie zulässt zu den Erfahrungswerten einer irdischen Alltagsrealität.

Damit aber, und das sollte weder verniedlicht noch anderweitig glaubensmäßig zubetoniert werden, ist Verständnislosigkeit und nachfolgend zunehmend Skepsis und Misstrauen nicht nur programmiert, nein, sie werden geradezu gezüchtet. Denn wo immer Anspruch und Wirklichkeit, Bedürfnis und Befriedigung, gezüchtete Erwartung und nicht entsprechend geschenkte Hilfe, usw. nicht in einem plausibel sinnvollen Verhältnis zueinander stehen, sondern mehr und mehr auseinander klaffen, mehr und mehr Diskrepanzen aufweisen – nicht nur im Detail! –, sind Enttäuschungen und Frust ob der Sinnlosigkeit des so auferlegten Glaubens"ziels" die logische Folge.

Mit anderen Worten: Ein unreflektiert-kindhafter Gott-Vater-Glaube, der Gott nicht sozialisationsbedingt in der Rolle eines zeit- und kulturrelevanten guten irdischen Vaters wiederfindet, wirkt langfristig ebenso kontraproduktiv und verhindert jede Art von Vertrauenswachstum Gott gegenüber wie das Gottesbild eines gestrengen Straf- oder gar Despotengottes.

Ganz nebenbei, dies betrifft auch die heute gängigen kirchlichen Vorstellungen der Märtyrerrolle im Urchristentum. Sie musste aus kirchensystemischen Gründen in Heiligkeitsrollen hinein- und darinnen dann hochgespielt werden, denn wie anders sollte man die Unsinnigkeit ihres Glaubens, Leidens und Sterbens sinnvoll für die kirchliche Nachwelt vermitteln? Kein Gott trat in den Riss, keine Engel stieg herab wie weiland in der Legende von Abraham auf Morija, um das glaubensgehorsamsbedingte Unrecht zu verhindern. Es blieb nur eins, die Leiden und Ungerechtigkeiten dieser Zeit im Ausgleich einer über alle Maßen größeren jenseitigen Herrlichkeit zu legitimieren und jedes weitere, vor allem kritische Nachdenken, an der Schranke gottgedanklicher Unerreichbarkeit abprallen zu lassen. Nur, so einfach funktioniert das heute – Gott sei dank – nicht mehr.

Ich nahm vor Jahren an einer diesbezügl. aufschlussreichen Diskussion teil aus der heraus sich mir letztlich die ganze Tragweite dieser Problematik in der Fragestellung zu gipfeln schien: "Bonhoeffer oder Einstein"? Bonhoeffer ließ sich, so drastisch muss man es fast sagen, als gläubiger Christ aus Solidaritätsgründen von den Nazis umbringen, obwohl er, mehrmals zwischen Amerika und Deutschland hin und her pendelnd, die gleiche Möglichkeit gehabt hätte wie Einstein, nämlich gänzlich zu emigrieren, um im fernen Amerika so viel wie möglich für die Verfolgten zu tun, u.a., indem er ihnen, wie Einstein, z.B. Einreisevisas beschaffen und sie in Stiftungen befreundeter Gönner oder in der Kirche hätte unterbringen können. Bonhoeffer jedoch meinte, sein Gewissen dadurch besser entlasten zu können, dass er sich nicht feig aus dem Staube machte, während seine Mitbrüder und –schwestern leiden mussten. Doch die Frage muss gestellt werden dürfen: Wer hat hier letztendlich mehr Hilfe und damit göttlichen Segen gewirkt (ohne das Verdienst von Bonhoeffer auch nur im Geringsten schmälern zu wollen!)?

Ist es, und damit komme ich auf einen weiteren scheinbaren Nebenaspekt dieser Tragödie, nicht häufiger als uns lieb sein kann ein Armutszeugnis für einen Vatergott, dass Leid und Elend lieber als gottgewolltes und deshalb nicht weiter hinterfragbares irdisches RGQ-Training weginterpretiert werden als sich einzugestehen wagen, dass dieses Gottesbild so nicht würde echte Überzeugungskraft entwickeln können, jedenfalls nicht auf Dauer? Denn was ist von einem Vater-Gott zu halten, in dessen Schöpfungshistorie mehr Willkür und lebensverneinende und -ignorierende Elemente und Erfahrungen zu finden sind als lebensbejahende Vaterliebe und situativ notwendige Unterstützung?

Das auf den ersten Blick vielleicht nur theoretische Glaubensszenario der dahinter liegenden Theodizeefrage hat nun aber gerade vor dem Hintergrund der so interpretierten und geschilderten Anfechtungsgründe ganz praktische Auswirkungen. Indem wir gelehrt wurden, selbst für die Luft, die wir atmen, noch dankbar zu sein, wurden alle unbeantwortbaren Fragen göttlicher Alltagsabwesenheit verniedlicht, da es selbst im unschuldigen Tod noch Grund gäbe zur Dankbarkeit. Ja selbst Missgeschicke und die aberwitzigsten RGQ-Trainingsvorstellungen wären Grund zur Dankbarkeit. Nun denn, dann drehen wir den Spieß für dieses Gottesbild doch einmal herum und sagen: Gut, wenn das so ist, dann muss uns Gott eben in Liebe annehmen, auch ohne dass wir ständig in die Kirche rennen (geschweige denn, uns einer völlig abartigen Menschennachfolge verschreiben), Gutes tun, Liebe üben, den täglichen Kampf auf uns nehmen, um unsere Schwächen, Egoismen und Gebrechen zu überwinden und anderen zu helfen suchen usw. usw. Schließlich hat er (dieses Gottesbild) uns ja nicht nur geschaffen, wie wir sind, sondern auch noch in so ein gottmotivationsfeindliches Umfeld hineingesetzt und uns mit Genen, Kräften und Triebstrukturen ausgestattet, die eben nur so und nicht anders zu laufen scheinen...

Hier ein paar völlig unvollkommen geschaffene und dem religiös formulierten Geistersturm oft wehrlos ausgelieferte kleine Menschlein in einer feindlich geschaffenen und sich entsprechend negativ fortentwickelten Welt und dort der große und meist unnahbare Zampano (wohlgemerkt, es geht hier um die Diskrepanzen vermeintlicher Gottesbilder, nicht um Gott, dessen Integrität allein schon aus mangelnden Durchdringungsgründen für uns nicht vollumfänglich zur Debatte steht), der als Beweis unseres Vertrauens auf die abartigsten und unmenschlichsten Spielchen verfällt, um sich damit sozusagen eine denk- und kritikfreie Roboterelite heranzuzüchten, die – wen würde es wundern – möglicherweise für allerlei seltsame jenseitigen Zukunftseroberungen parat zu stehen haben würde ..., mit anderen, nein, mit einem Wort:

Wenn Vertrauen schon eine menschliche Bringschuld Gott gegenüber sein soll, dann muss Vertrauenswürdigkeit auch eine menschlich verstehbare Bringschuld Gottes uns Menschen gegenüber sein, und genau da hapert es bei diesen so viele Fragen aufwerfenden Gottesbildern. Und das hat weitreichende Konsequenzen, denn Vertrauenswürdigkeit setzt, auf Gottes Allmacht bezogen, absolute Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und verstehbare Plausibilität voraus, vorauslaufende Parameter, die ganz offensichtlich nicht gegeben sind, wenn jede diesbezügl. ‚Ungereimtheit’ so leicht mit der Vorstellung von eben notwendiger RGQ-Trainingseinheiten abgetan werden kann. Dieser Trick ist einfach zu durchschaubar, um noch Wirkung zu zeigen, geschweige denn Sinn zu machen.

Warum, seien wir einmal ehrlich, versichern wir uns gegen Tod und Teufel, zahlen sündteure Prämien an Gesellschaften, deren allseits bekannte, mafiöse Strukturen und kriminelle Energien uns nachweislich mehr ausbeuten als absichern, wenn nicht deshalb, weil wir in den Engelschutz und das göttliche Steuern noch nicht einmal in Zeiten innerer Zufriedenheit, Sicherheit und ungestört ruhiger Lebenslagen das Vertrauen aufbringen können, welches nun ausgerechnet im RGQ-Training und damit in der potenziell größten Kraftlosigkeit zum höchsten Gebot erhoben wird?

Interessanterweise ließe sich das gleiche Szenario innerhalb der NAK anhand des grundsätzlich verweigerten Mitsprachrechts zeichnen, wo die Kirchenleitung dem Geist Gottes in ihren geistgetauften Gotteskindern so wenig vertraut, dass die Gläubigen in nahezu allem bevormundet werden müssen: keine Ämterwahlen, keinerlei Mitspracherechte in Dingen, die das Lebens- und Glaubensumfeld der Gläubigen betreffen. Man könnte jetzt endlos fortfahren, aber auch so sollte das Vertrauensdilemma aus dieser und vielen anderen Perspektiven klar geworden sein. Und dabei ist noch nicht einmal die in diesen Zusammenhängen ja eminent wichtige Grundsatzfrage tangiert, in wie weit bzw. ab wann die Eigeninitiative unserer Verantwortung einzusetzen hätte. Wann und in welchem Umfang handelt Gott in Tagen von Ungerechtigkeit und Unglück und ab wann und zu welchem Grad erwartet Er unser inneres, mündiges und selbstverantwortliches Aufbäumen und unsere eigeninitiative Gegenwehr?

Und auch deshalb die viel tiefer schürfende Frage hinsichtlich potenzieller Alternativen:

Allein die Möglichkeit der Ausflucht in göttliche Anfechtungsprüfungen sowie die Unsicherheit in Bezug auf unser Verhalten – Situationen, in denen dann plötzlich ganz andere Spielregeln gelten –, verhindert doch gerade das, was in den Lebens- und Glaubensprüfungen, sollte diese Vorstellung tatsächlich einer vertretbaren Wirklichkeit entsprechen, gerade so notwendig wäre! Wäre es da nicht angezeigter, redlicher und plausibler, anstatt ständig die Ausflucht in die Heilsnotwendigkeit von RGQ-Anfechtung oder -Glaubenprüfung zu nehmen, einfach festzustellen, dass Gott auch die, welche ihm vertrauen und ihn lieben, nicht von seinen oft unverständlich harschen und willkürlich erscheinenden irdischen Gesetzmäßigkeiten freistellen könnte/wollte, und mit dieser gottesbildlichen Umdeutung, Vertrauen (inkl. nachfolgenden Glauben) und gottwohlgefälliges Leben zu entkoppeln von dem Paradoxon, dass einerseits denjenigen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen müssen, womit die Gesetzmäßigkeit von Aussaat und Ernte im Sinne einer investiven Werkgerechtigkeitsrendite, ja fast schon einer ‚käuflichen Liebe’, interpretiert werden (je mehr Liebe desto besser sorge ich für dich), und andererseits aber keine Verifikationsmöglichkeit gegeben ist, womit dieses ‚Zum-besten-Dienen’ überhaupt feststellbar und, im Fall von Missionierungszwecken, für andere zumindest im Nachhinein nachweisbar wäre?

Mehr noch, wer mit dem unbestechlichen und meist gnadenlos heimzahlenden alttestamentlichen Rachegott ekklesiologisiert wurde (wenn du nicht ... dann!), der tut sich verständlicherweise schwer in der Feststellung, ob es sich beim Durchschreiten einer Talsohle oder dem Kampf gegen Windmühlen oder einem anderen seelischen Trauma um ein ‚himmelspädagogisch orientiertes RGQ-Training’ eines liebenden, immer vergebenden und das Beste im Sinn habenden Vater-Gottes oder nicht vielleicht doch um die vermeintliche Strafaktion für Zweifel, Hader, Unglauben oder sonstige kirchlichen Vergehen eines der mittelalterlichen Hau- und Stock-Pädagogik verhafteten Gerechtigkeits-, Willkür- oder gar Rache-Gottes geht. Je länger das Geduld zerreißende Elend solch einer Talsohle andauert, je mehr sie an tugend- oder gar heldenhafter Sinnlosigkeit leidet, je mehr ihr all jene Kriterien abgehen, welche eine zielführend plausible Sinnstiftung versprechen, desto wahrscheinlicher wird automatisch das Strafszenario mit ungewissem, ja möglicherweise grausamem Ausgang.

Damit aber erlischt sofort jedes noch so glaubensstarke Durchhaltevermögen, da das RGQ ja nun nicht mehr pädagogischen Zwecken wie beispielsweise innerer Reife dient, sondern lediglich Ausfluss für die verletzten Gefühle eines anthropomorphen Rachegottes zu sein scheint. Die Frage stellt sich also unweigerlich auch aus dieser Perspektive: Vor dem Hintergrund welchen Gottesbildes wollen unsere ‚RGQ-Trainingslager’ welchem Zweck dienen?

Vor allem aber: Gäbe es, gemäß heutiger entwicklungspsychologischer Erziehungs- und Bildungskenntnisse, Spiel- und Lerntheorien, nicht wesentlich sinnvollere ‚Reifungsmechanismen’ als ausgerechnet solche archaischen Gottesbildern verhafteten Holzhackertrainingsvorstellungen? Was, so stellt sich summarisch die unausweichliche Frage, sind das für Gottesvorstellungen? Welche Strukturen liegen diesen Gottesbildern zugrunde? Was ist ihre historische, was ihre geistige Grundlage?
Dieser Artikel ist der 1. Teil des Gesamt-Gottesbildaufsatzes unseres Autors Rudolf Stiegelmeyr.
Die weiterführenden Teile II und III finden Sie unter:
- Gottesbilder und ihre Implikationen Teil II
- Gottesbilder und ihre Implikationen Teil III
Copyright Rudolf Stiegelmeyr, 2007


i Lexikon für Theologie und Kirche, Band 4 (Fr-He) S. 887f.
ii Träume, Visionen oder Gesichte etc. dieser Art wurden beispielsweise in einem Erlebnisband zusammengestellt, der im Eigenverlag vom Bez.Ält. G.W. Holweg i.R. gesammelt, geschrieben und an ‚besondere Geschwister’ verteilt wurde. Ohne näher auf die sicherlich nicht einfache Problematik solcher Erfahrungen einzugehen, sei wenigstens angemerkt, dass es sicherlich viele solcher Erlebnisse gibt, nicht nur in der neuapostolischen Gemeinschaft, und dass sie im Prinzip alle hinweisen auf ein – meist in jungen Jahren – traumatisch gestörtes oder fehlentwickeltes Gottesbild, welches, so hat es zumindest den Anschein, Seelen auch mit ins Jenseits nehmen können, um es dort weiter zu pflegen bzw. zu verbreiten.
iii Lexikon für Theologie und Kirche, Band 4 (Fr-He) S. 887f.
iv Die typische Verquickung von Leid und Anfechtung kam besonders deutlich zum Tragen in der Ostermundigenpredigt von W. Leber vom 19. März 2006
v Resultatsorientiert im Sinne eines nur auf das Ergebnis einer Fehlhandlung etc. blickend, ohne deren Ursachen ins Blickfeld zu nehmen; man wurde für die Folgen einer Handlung bestraft, ohne dass deren Ursachen gebührend erörtert worden wären



Drucken  27.09.2007 09:00

Lesen Sie dazu auch die Kommentare unserer Leser:

Gerlinde Bodtke am 27.09.2007 12:36

Zerrbilder Gottes

Ein sehr langer, anspruchsvoller Artikel und man darf auf die folgenden Teile sehr gespannt sein.

Wer, wie viele von uns, in ein dogmatisches Kirchensystem hineingeboren wurde, kennt diese Zerrbilder Gottes. Einerseits der helfende Vatergott, dann wieder der unbarmherzig strafende Richtergott. Welches ist der Richtige? Wem kann man vertrauen?

Viele Gläubige, nicht nur Kritiker und 'Aussteiger', leiden unter psychischen Problemen, hervorgerufen durch solche kirchliche Gottesbilder. Mich ließ es schliesslich zur Einstellung gelangen: Ich glaube an Gott (so gut es geht), aber nicht an die Kirche(n).

Obwohl es eigentlich der Auftrag der Kirche(n) wäre, Gott den Menschen näher zu bringen, begreifbar zu machen, den Glauben zu fördern, so hat sie sehr oft das genaue Gegenteil bewirkt. Die Menschen wenden sich enttäuscht von ihrer Kirche ab, weil sie den Gott, den die Kirche vorzeichnet, so nicht erleben können und merken, dass, so wie es die Kirche lehrt, ER nicht sein kann. Manche haben wegen diesem starren, dogmatischen Lehrgebäude sogar den Glauben an Gott ganz verloren.

Als neuapostolische Christin hörte ich schon als Kind immer den Satz:" Hilft Gott nicht zu jeder Frist, so doch wenn es nötig ist." Ein glasklares Versprechen der Kirche an die Gläubigen: So verhält sich Gott, darauf könnt ihr bauen! Tatsächlich?

Wer hat nicht auch schon gehofft und gebetet, wenn bei einem lieben Verwandten eine schwere Krankheit diagnostiziert wurde? So habe auch ich als kleines Mädchen, gemeinsam mit der übrigen Familie, die Hände gefaltet, gebetet und gehofft, dass Gott eingreift und Gesundheit schafft, wenn`s nötig ist. Wir sollten nur Geduld haben, so wurde uns gesagt, denn die wird von Gott ebenfalls geprüft. Und dann war ich gerade mal sieben Jahre alt, als Mutter trotz aller Gebete, trotz all unserem Flehen um Hilfe starb, weil Gott nicht half, als es nötig war!

Was nun folgte, war der Gipfel eines, wie ich heute finde, falschen Gottesbildes: Die kirchliche Lehrmeinung sah für diesen Fall vor, uns Hinterbliebenen Trost zu spenden, indem sie sich nicht scheute, zu behaupten, dass der allmächtige Gott meine Mutter zur Missionierung im Jenseits unbedingt bräuchte. Als Siebenjährige glaubte ich noch daran. Den Irrsinn eines solchen "Kirchen-Trostes" realisierte ich erst als Jugendliche: Dieser grosse Gott war also mehr auf die Hilfe eines Menschen angewiesen, als die kleine, siebenjährige Tochter, die nun ohne Mutter aufwachsen musste! Kann man einen solchen Gott noch lieben? Und noch eine quälende Frage stellte ich mir jahrelang: Wäre meine Mutter vielleicht nicht so früh gestorben, wenn sie/wir nicht neuapostolisch gewesen wäre? Wir wurden doch schließlich gelehrt, dass Gott nur uns, seine Auserwählten, zum Zeugnisbringen in der Ewigkeit gebrauchen kann. Mittlerweile kann ich den Irrsinn dieser "Logik" erkennen - aber verantwortlich für diese quälenden Gedanken sind die, die uns solche Gottesbilder ins Herz gelegt haben.

In der Folgezeit und durch viele andere Erlebnisse bedingt, bekam ich immer mehr Angst vor diesem Gott. Bis ich Jahrzehnte später erkannte, dass man mir damals ein völlig falsches Gottesbild vermittelt hatte. Gott ist nun mal nicht berechenbar. Weder zum Vorteil, noch zum Nachteil. Und nun versuche ich, den Gott zu finden, der nicht mehr in solchen kirchlichen Zerrbildern gefangen ist.

Sandro K. am 29.09.2007 06:27

Ich bin da, als der ich da sein werde.

Der Autor und auch meine Vorschreiberin haben deutlich gezeigt, wie menschen- und gottverachtend derartige kirchlichen Gottesbilder sind. Wieviele Probleme von Menschen haben ihre Ursache wohl in solchen fixen und meist völlig falschen oder nur zu einem ganz kleien Teil passenden Gottesbildern? Ich habe mich zum Beispiel sehr erschrocken, als ich vor einigen Jahren sogar auf neuapostolischen Homepages las, dass der schreckliche Tsunami in Südostasien eine Strafe Gottes gewesen sei für die vielen "Ungläubigen" dort und Gott ein Zeichen für die baldige Wiederkunft seines Sohnes gegeben habe. Was für ein eingeschränktes Gottesbild müssen solche Menschen haben, damit sie so etwas schreiben?

Ich hatte als Kind oft unbeschreibliche Angst, wenn ich nach der Schule nach Hause kam und niemand war daheim. Ist nun Jesus gekommen und hat meine Mutter mitgenommen und mich nicht? Oder als ich bereits als Erwachsener an einem anderen Ort am Sonntagmorgen vor der Kirche stand und niemand war da, war der Schrecken gross. Das sind Ängste, die sich tief einprägen und das Bild oder vielmehr die Angst, zurückgelassen zu werden, hat mich auch als Erwachsener lange begleitet und tut es sicher immer noch irgendwo im Verborgenen.

Wenn wir Bilder brauchen, um uns etwas vorzustellen, dürfen wir keine fixen Bilder von Gott mit uns tragen und uns vorstellen, so oder so und nicht anders ist er. Schon die Bibel zeigt uns einen Gott, der immer wieder anders ist, einen Gott, den man nicht mit ein paar dogmatischen Worten beschreiben und festlegen und "berechnen" kann. Auch das sind nur Bilder, wie die Menschen von damals Gott ihn in ihrer damaligen Realität erlebten, also auch persönliche Gottesbilder der damaligen Menschen unter Einfluss ihrer damaligen Zeit und damaligen Kultur.

Mich hat beeindruckt, was Eugen Drewermann in "Zehn Gebote" über den Gott schreibt, der in Exodus 3 Moses im brennenden Busch erscheint. Moses fragt ihn, wie er denn heisse und Gott antwortet ihm:

ICH BIN DA, ALS DER ICH DA SEIN WERDE.

Drewermann schreibt dazu, was Gott Moses damit wirklich sagen will: "Du musst mich nicht verstehen. Du wirst nie wissen, wer ich bin. Eben darin, dass ich ein Geheimnis bin, zeigt sich meine Göttlichkeit. Du musst deine Angst niemals damit beruhigen, dass du vorgibst, etwas von mir zu wissen. Aber ich gebe Dir eine Versicherung: Ich werde immer da sein, wo du sein wirst. Meinen Beistand kannst du spüren, der dich begleitet, so unsichtbar wie die Luft, wie der Atem in deinem eigenen Mund, wie der Schlag deines Herzens, das du nur von innen fühlst. Du musst nicht wissen, wer Gott ist, aber du kannst ihm vertrauen. Ich bin eine Wirklichkeit, die alles andere relativiert, indem sie dich beschützt, indem sie mit dir geht."

Auch wenn Drewermann damit seine Vorstellung von Gott entwickelt, dann zwängt sie Gott nicht auf menschliche Grenzen ein. Sie lässt Gott die eigene Grösse, in der er eben da sein wird, als der er dann (jetzt, morgen, in zwei Wochen) da sein wird und wie ich ihn dann (jetzt, morgen, in zwei Wochen) erleben kann. Dazu muss ich aufmerksam bleiben. Gott erschien dem Elia auch nicht wie ein zerstörerisches Erdbeben, ein wütender Orkan oder ein brennendes Feuer. Elia war aufmerksam, obwohl er sich in einem seelischen Tief befand und bestimmt an Gott und seiner Hilfe zweifelte:

Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen.
Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde.
Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer.
Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.
Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm ...

Seien wir offen dafür, wenn er sein wird wie er sein wird und vielleicht nur ist wie ein Windhauch.

Uli am 05.12.2007 10:23

Vorzug dem vertrauensvollen Verzicht?

Lieber Rudi,

gleich zu Beginn, in deinem Vorwort, stehen wir vor einer entscheidenden Erkenntnis und Fragestellung:

[i]"... wie sehr alle Erklärungen immer wieder abhängen würden vom jeweiligen Gottesbild, ...diesen wichtigen Punkt, ohne welchen keine biblische Hermeneutik auskommt ..."[/i]

Deine daran anknüpfenden Gedanken, schliessen offensichtlich eine ganz bestimmte, wie ich meine legitime, Alternative aus, nämlich den ganz bewussten, demütigen und "gottesfürchtigen" [b]Verzicht[/b] auf jegliches Gottesbild, das ja letztlich nur unseren menschlichen(!) Vorstellungen enstammen kann (eine göttliche Offenbarung, die hier als Einwand angeführt werden könnte, würde wiederum ein entsprechendes Gottesbild voraussetzen, womit wir uns auf einen klassischen Zirkelschluss berufen würden).

Ein solcher Verzicht aber, würde die ganze nachfolgende "Hermeneutik" ad absurdum führen, da - siehe das einleitende Vorwort - die notwendige Grundlage entzogen wäre. Einen Vorteil hätte dieser Verzicht deshalb unbestreitbar vorzuweisen, denn die komplexe Aufgabenstellung hätte niemals die wertvolle Zeit des Verfassers in Anspruch nehmen müssen.

Somit stellt sich die Frage, ob einer wirklichen Religiosität (im Sinne einer ganz persönlichen, inneren), die komplexe und in erster Linie intellektuelle Sprechweise theologischer "Hermeneutik" oder (dogmatische!) "Exegese" angetan werden darf? Der bewusste Verzicht würde jedenfalls jeglicher Blasphemie (du sollst dir kein Bild machen) vorbeugen.

Doch wo "Hermeneutik" ad absurdum geführt worden ist, wo bleibt da noch die Legitimation der traditionellen Kirche? Sind Hermeneutik und Exegese also lediglich dem Erhalt der Kirche zweckdienlich, weniger aber einem lebendigen Glauben - als einer höchst persönlichen und zuerst inneren Erfahrung des individuellen Gläubigen, der sich immer Teile seiner eigenen und intimen Erfahrung beraubt sehen wird, wenn die Einpassung in die "Erkenntnisse" theologischer Weisheiten gefordert ist, um dem kirchlichen Bekenntnis nicht widersprechen zu müssen?

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