Das Frühmittelalter im Überblick: Die iroschottische Mission am Beispiel Columbans

Gerhard Schmitz, Quellensammlung zur Vorlesung: Das Frühmittelalter im Überblick (Wintersemester 1997/98)
Die iroschottische Mission am Beispiel Columbans

a) Columban bei der Eremitin, Abschied von der Heimat:

Ionas, Vita Columbani c. 3

(MGH SS rer. Germ. [37], hg. von B. KRUSCH, 1905, S. 157, 4-18):

,Perge' inquid, ,o iuvenis, perge, evade ruinam, per quam multos conperis corruisse, declina viam, quae inferi ducit ad valvas'. Huius ergo dictis stimulatus aduliscens, et ultra quam aduliscentem terreri crederes, grates taliter increpanti refert, sodalibus vale dicens, iter arripit; materque eius dolore stimulata, precatur, ut se non relinquat. At ille ,Non' inquid, ,audisti: Qui amat patrem aut matrem plus quam me, non est me dignus?' Obstanti matri et limitem ostii inherenti postulat, ut se ire sinat. Illa eiulans et pavimento prostrata, denegat se permissuram; ille limitem matremque transilit poscitque matri, se laetam habeat: illum numquam deinceps in hac vita visurum, sed, quocumque salutis via iter pandat, se progressurum.



Übersetzung: Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe IVa: Quellen zur Geschichte des 7. und 8. Jahrhunderts, unter Leitung von Herwig WOLFRAM neu übertragen von Herbert HAUPT (1982) S. 413:

„Mach dich auf den Weg, junger Mann“, rief sie, „brich auf, flieh vor dem Verderben, das, wie du weißt, so viele bereits zugrunde gerichtet hat und geh nicht auf dem Wege, der zu den Pforten der Hölle führt!“ Ihre Worte beunruhigten und erschreckten den jungen Mann mehr als man hätte annehmen können. Er dankte ihr für die mahnenden Worte, verabschiedete sich von seinen Freunden und wollte sich auf den Weg machen. Seine Mutter war deshalb vom Schmerz aufgewühlt und bat ihn, sie doch nicht zu verlassen. Er aber antwortete ihr: „Kennst du nicht den Satz: ,Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert?“ Als sich die Mutter ihm in den Weg stellen wollte und die Tür nicht freigab, forderte er sie auf, ihn gehen zu lassen. Sie jammerte laut, warf sich auf den Boden und schrie, sie werde es niemals zulassen. Da stieg er über die Mutter und die Schwelle hinweg und forderte sie auf, sich zu freuen. Zwar werde sie ihn in diesem Leben niemals mehr wiedersehen, er aber werde aufbrechen, wohin auch immer ihn der Weg des Heiles führen sollte.



b) Columban und die Vogesenklöster:

(c. 6, S. 162f.):

Pervenit ergo fama Columbani Sigiberti regis ad aulam, qui eo tempore duobus regnis Austrasiorum Burgundionorumque inclitus regnabat Francis, quorum eximium nomen prae ceteris gentibus quae Gallias incolunt habetur. Ad quem cum vir sanctus cum suis accessisset, gratus regis et aulicis ob egregiae doctrinae copiam redditus. Coepit tandem ab eo rex querere, ut intra terminos Galliarum resederet nec eos ad alias gentes transiens se relinqueret; omnia quae eius voluntas poposcisset se paraturum. Tunc ille regi ait, non se aliorum opum fore ditaturum, sed euangelici praeconii, in quantum carnis fragilitas non obstabat, sectaturum exemplum: Qui vult, inquid, post me venire, abneget semet ipsum sibi, tollat crucem suam et sequatur me. Cui talia obicienti rex praebet responsa: ,Si Christi crucem tollere et ipsum sequi desideras, potioris heremi sectare quietem, tantum ne, nostrae ditionis solo relicto, ad vicinas pertranseas nationes, ut tui praemii augmentum et nostrae salutis provideas oportuna'. Data itaque obtione, obtemperavit regis persuasionibus, heremum petiit. Erat enim tunc vasta heremus Vosacus nomine, in qua castrum dirutum olim, quem antiquorum traditio Anagrates nuncupabant. Ad quem vir sanctus cum venisset, licet aspera vastitate solitudinis et scopulorum interpositione loca, ibi cum suis resedit, parvo alimentorum solamine contentus, memor illius verbi, non in solo pane hominem vivere, sed verbo vite satiatus, adfluenti dape habundare, quam quisquis sumptam esuriem nesciat in evum.



Übersetzung S. 421:

So gelangte der Ruf Columbans auch zum Hofe König Sigiberts, der damals über die beiden fränkischen Königreiche der Austrasier und der Burgunder geachtet herrschte. Ihr Name gilt für hochberühmt und vor allen übrigen Völkern, die in Gallien wohnen. Als der heilige Mann nun mit den Seinen zu ihm gekommen war, war er dem König und seinen Hofleuten wegen der Fülle seiner Gelehrsamkeit sehr lieb. Schließlich begann der König ihn zu bitten, er solle sich doch innerhalb der Grenzen der gallischen Länder niederlassen und sie nicht verlassen, indem er zu anderen Völkern weiterreise. Alles, was er sich wünsche, werde er ihm erfüllen. Darauf antwortete er dem König, er wolle sich nicht durch die Hilfe anderer bereichern, sondern, soweit es die Schwäche seines Fleisches zulasse, nach dem Beispiele jenes Wortes aus dem Evangelium leben: „Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ Auf diese Antwort erwiderte ihm der König: „Wenn es dein Wunsch ist, das Kreuz Christi auf dich zu nehmen und ihm zu folgen, dann suche dir am besten irgendeinen stillen, abgelegenen Ort. Sieh aber zu, daß du unser Herrschaftsgebiet nicht verläßt und nicht ins Gebiet unserer Nachbarn gelangst. So wirst du größeren Lohn für dich haben und für unser Heil sorgen“. Das versprach er ihm und suchte, so wie es ihm der König geraten hatte, einen unbewohnten Ort. Es gab damals aber ein großes unbewohntes Gebiet, das Vogesen heißt, in dem sich die Ruine eines alten Lagers befand, das nach alter Überlieferung den Namen Annegray trug. Als der heilige Mann dorthin gekommen war, ließ er sich mit den Seinen dort nieder, obwohl die ganze Gegend weithin unwegsam und sehr gebirgig war. Er aber war in seinen Ansprüchen an Nahrung sehr genügsam, eingedenk jenes Bibelwortes, daß der Mensch nicht allein vom Brote lebe, sondern vom Worte des Lebens satt werden müsse; nur so habe er Speise im Überfluß und wer einmal davon genossen habe, werde in Ewigkeit nicht mehr hungern.



c) Columban und heidnische Götter

(c. 27, S. 213, 8-214, 11):

Ad destinatum deinde perveniunt locum. Quem peragrans vir Dei non suis placere animis aiet, sed tamen ob fidem in gentibus serendam inibi paulisper moraturum se spondit. Sunt etenim inibi vicinae nationes Suaevorum. Quo cum moraretur et inter habitatores loci illius progrederetur, repperit eos sacrificium profanum litare velle, vasque magnum, quem vulgo cupam vocant, qui XX modia amplius minusve capiebat, cervisa plenum in medio positum. Ad quem vir Dei accessit sciscitaturque, quid de illo fieri vellint. Illi aiunt se Deo suo Vodano nomine, quem Mercurium, ut alii aiunt, autumant, velle litare. Ille pestiferum opus audiens, vas insufflat, miroque modo vas cum fragore dissolvitur et per frustra dividitur, visque rapida cum ligore cervisae prorumpit; manifesteque datur intellegi diabolum in eo vase fuisse occultatum, qui per profanum ligorem caperet animas sacrificantum. Videntes barbari, stupefacti aiunt magnum virum Dei habere anhelitum, qui sic possit dissolvere vas ligaminibus munitum, castigatusque euangelicis dictis, ut ab his segregarentur sacrificiis, domibus redire imperat. Multique eorum tunc per beati viri suasum vel doctrinam ad Christi fidem conversi, baptismum sunt consecuti; aliosque, quos iam lavacro ablutus error detinebat profanus, ad cultum euangelicae doctrinae monitis suis ut bonus pastor ecclesiae sinibus reducebat.



Übersetzung S. 483-485:

Hierauf gelangten sie an ihren Bestimmungsort. Als er ihn gesehen hatte, sagte der Mann Gottes, daß er seinen Vorstellungen zwar nicht entspreche, versprach aber trotzdem, einige Zeit hier zu verweilen, um den Heiden den Glauben in ihr Herz zu pflanzen. In der Nachbarschaft befanden sich dort nämlich die Völker der Sueben. Als er hier verweilte und sich bei den Bewohnern der Stadt aufhielt, bemerkte er, daß sie sich daranmachten, ein heidnisches Opfer darzubringen. Sie stellten nämlich ein großes Gefäß, das in ihrer Sprache Kufe heißt und ein Fassungsvermögen von etwa 20 Scheffel hat, angefüllt mit Bier in der Mitte des Ortes auf. Der Mann Gottes aber schritt auf diesen Krug zu und fragte, was mit ihm geschehen solle. Sie erwiderten, sie wollten ihrem Gotte namens Wodan, den sie, wie andere berichten, auch Merkur nannten, ein Opfer darbringen. Als jener von ihrem verderblichen Vorhaben hörte, blies er erzürnt auf das Gefäß, worauf dieses auf wunderbare Weise mit großem Lärm zerbrach und in Stücke barst. Das Bier aber strömte in raschem Fluß heraus. Daraus war klar zu ersehen, daß in diesem Gefäß der Teufel versteckt gewesen war, um durch den heidnischen Opfertrank die Seelen der Opfernden zu umgarnen. Als die Heiden das sahen, staunten sie und meinten, der Mann Gottes besitze einen gewaltigen Atem, mit dem er sogar dieses mit starken Verstrebungen zusammengehaltene Gefäß zerstören könnte. Er aber tadelte sie mit den Worten des Evangeliums, sie sollten solche Opfer in Zukunft unterlassen, und hieß sie dann nach Hause gehen. Viele von ihnen wurden hierauf, sei es durch die Überzeugungskraft oder durch die Lehre des heiligen Mannes zum Glauben an Christus bekehrt, und empfingen die Taufe. Andere hingegen, die zwar durch die Taufe schon gereinigt waren, aber dennoch an ihrem heidnischen Irrglauben festhielten, führte er wie ein guter Hirte zur Befolgung der Lehre des Evangeliums wieder in den Schoß der Kirche zurück.