Das Mühltal im Odenwald

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Stand: 15.07.2007






























Sagen und Geschichten

Nach Pfarrer Scriba
(Nieder-Beerbach) 1893

Ritter Georg und der Lindwurm





Zur Geschichte von Burg und Herrschaft Frankenstein:





www.sagen.at

enthält eine große Sammlung deutschsprachiger Sagen, darunter die vom

Lindwurm auf dem Frankenstein

nach Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853







Ritter Georg vom Frankenstein (gestorben 1531), Grabmal in der Nieder-Beerbacher Kirche.

Einst hauste im Katzenborn unter dem Frankenstein über Nieder-Beerbach ein grausamer Lindwurm. Der Brunnen wurde dem Untier bald zu eng, so daß er aus der Tiefe aufstieg und die Beerbacher in Angst und Schrecken versetzte, indem er alles Lebende, ob Mensch oder Tier, in unersättlicher Gier verschlang. Besonders begierig war er nach dem Fleisch junger Mädchen – und nur nach deren Verzehr zog er sich für geraume Zeit auf sein Lager am Katzenborn zurück

Damit die Beerbacher von dem Lindwurm unbehelligt auf ihre Felder und zum Brunnen gehen konnten, erlitt täglich eine der schönen Beerbacherinnen einen grausamen Tod, die die Menschen im Dorf dem grausamen Drachen zum Fraße überlassen mußten – bis endlich ein Bursche dagegen aufbegehrte.

Zu dieser Zeit wohnte im Haus nahe der Linde in der Dorfmitte die schöne Annemarie, die Tochter eines verarmten Ritters, der den Herren vom Frankenstein als Knappe und Ritter diente. Die schöne Annemarie, die Rose im Tal, und Junker Georg vom Frankenstein hatten zarte Bande geknüpft, die aber vor den jeweiligen Vätern ein Geheimnis bleiben mußten. Annemariechen zeigte deshalb stets mit drei kleinen Lichtlein hinter ihrem Fenster dem Angebeteten an, wenn der Förster aus dem Hause war und Gelegenheit zum Treffen unter der Linde bestand.

Einmal war der Junker Georg in Begleitung seines Lehrmeisters, Mariechens Vater, auf Fahrt, vor deren Aufbruch Georg ihr bei allen Heiligen gelobte, sie nach seiner Rückkahr als seine traute Gemahlin heimzuführen.

Doch der fürchterliche Lindwurm forderte Opfer um Opfer, immer grimmiger stieg sein Heißhunger auf Jungmädchenfleisch. Da nahm das vor Angst und Schrecken verzweifelte Volk Zuflucht zur alten Ursula, welche alleine draußen vor dem Dorfe auf dem damals noch ungewohnten Pechkopf hauste und mit den Kräften der Natur und den Geheimnissen der Zukunft wohl vertraut ihre mächtigen Zaubertränke braute und ihren Günstlingen prophezeite. „Nur wenn ihr dem Wurm das Schönste und Liebste, das euer Tal besitzt, opfert, nur dann wird sein Heißhunter gestillt werden, und er wird wieder in den Born zurückkehren, der ihn gezeugt hat,“ war die niederschmetternde Voraussage.

O weh, Annemariechen! Das Schönste und Liebste des Dorfes, der Stolz und die Freude des Tales! Am Advents-Sonntag sollte sie dem Wurm geopfert werden, wie die Menschen in ihrer Ausweglosigkeit beschlossen. „Da lag sie, die einem so schrecklichen Tode Geweihte am Vorabend des Festes so händeringend vor dem Bilde des Gekreuzigten, heiße Gebete zu ihm hinaufsendend, und zu der heiligen Jungfrau, deren Namen sie trug.

Doch siehe, da ward es plötzlich hell um sie; drei Lichtlein glänzten freundlich von dem Frankenstein durch die düsteren Scheiben ihres Stübchens herein. Der Geliebte war angekommen, und andere drei Lichtlein strahlten, von ihr entzündet, zu ihm hinauf, hilferufend gegen die drohende Gefahr. Und die Liebe glaubt ja alles, hofft ja alles. Darum erwartete sie nun gefaßter den schrecklichen Tag.

.Die schöne Jungfrau sah sich in ihrer Hoffnung nicht getäuscht. Denn kaum hatte die Sonne ihre ersten Strahlen über den Breitenlohberg gesandt, da stand auch schon der nunmehrige Ritter Georg von und zu Frankenstein, wohl gepanzert und mit Schwert und Streithammer ausgerüstet, am Katzenborn dem Ungetüm gegenüber. Sein erster Gruß, den er der Geliebten zum fröhlichen Wiedersehen bringen wollte, sollte die Kunde von ihrer Rettung sein“, so wörtlich Nieder-Beerbachs Pfarrer Scriba in seiner Erzählung aus dem Jahr 1893, einer der am anschaulichsten und dramatischsten, die überliefert sind.

Und weiter: „Schrecklich war der Kampf, der sich dort entspann, denn der Wurm spie Gift und Geifer rings um sich her, und mächtige Buchen fielen gleich schwachen Röhren von den gewaltigen Schlägen seines Schweifes. Doch mit dem Ritter kämpfte ein gewaltiger Gott, der Fürst des Lebens: Die Liebe! Wie auch der Wurm wüten mochte: Nach einem halbstündigen Kampfe lag er, tödlich in seinen weichen Seiten verwundet, besiegt vor des Ritters Füßen. Doch ach, war es in seinem unseligen Siegestaumel oder um so besser den letzten Streich zu führen, der dem Scheusal den Garaus machen sollte: Der Ritter setzte seinen linken Fuß auf des Überwundenen Rücken, während aber der Wurm noch einmal seine letzte Kraft zusammenraffte, mit seinem gekrümmten Schweif des Ritters Bein umringelte und mit dessen spitzem Ende an der geöffneten Knieschiene sein tödliches Gift in dessen Blut spritzte.“

Sterbend wußte Ritter Georg von der Rettung seines geliebten Annemariechens und des ganzen Tales. Die Menschen im Dorf und im Tal bejubelten die mutige Rettungstat des toten Helden. Aber in der Stube im Haus an der Linde sank eine liebende Jungfrau in lebenslange Trauer.

Noch einmal Pfarrer Scriba: „Doch so oft in den Wechseln der Jahre bis zur neuesten Zeit der heilige Advents-Sonntag erschien, glänzten jene drei Lichtlein in den Fenstern jenes Hauses auf, und hinter ihnen erschien Annemariechens bleiches Antlitz, wie es bittend und flehend zum Frankenstein hinaufschaut und wie sich jung und alt im Dorfe unter der Linde sammelt, um die Zeichen treuer Liebe zu sehen und sich die Mär zu erzählen, wie sie von den Vätern auf sie gekommen war.

Das einst so klare und helle, vom Katzenborn herkommende Bächlein, welches jetzt nur langsam und träge, von dem Blute des Wurmes geschwärzt und verdickt durch die Klinge in das Dorf herabläuft, trägt seit dieser Zeit den Namen Dunkelbach. Und auf dem Pechkopfe, wo einst die alte Ursula hauste – glaubt es, denn es ist wahr wie diese Geschichte – ist es bis zur Stunde noch nicht geheuer.“

In Dankbarkeit – so aber nur die Sage! – setzten die Nieder-Beerbacher ihrem Retter ein Denkmal in ihrer Kirche. Auf seinem Grabmal heißt es in Stein gemeißelt: „Anno domini 1531 uff Ludia tag ist in gott verschieden der edel und ehrnfeste Georg zu Frankenstein, den gott genad.“ Der Stein zeigt ihn geharnischt mit Schwert und Streithammer, seinen Fuß siegreich auf den Lindwurm gesetzt, der seinen Schweif mit dem giftigen Stachel um das linke Bein des Ritters bis zur Kniekehle windet.

Zur „Ernüchterung“: Das Grabmal ist älter als die Sage, die sich aber trefflich von der symbolhaften Darstellung des Steinmetzmeisters ableiten ließ.