JUMA 01/1979

Zorro in weiß

Um zwölf Uhr mittags ist die Ruhe vorbei. In Scharen kommen sie herein: 50 hungrige Jungen und Mädchen im Alter zwischen 8 und 18 Jahren. Lärmend und lachend machen sie die Sporthalle und die Nebenräume zu ihrem Zuhause. Sie essen dort, machen ihre Schularbeiten - und vor allem: Sie fechten. Tauberbischofsheim ist eine kleine fränkische Kreisstadt bei Würzburg. Von hier aus zog eine Sportlegende um die Welt. Das "Teilinternat" (die Schüler sind nur einen halben Tag lang hier) wurde der Geburtsort für viele internationale Siege.

Es begann vor fünfundzwanzig Jahren: Der Friseur-Lehrling Emil Beck sah im Kino einen Film über das Fechten. Er war fasziniert, und er begann sofort, es selbst zu lernen. Heute - nach jahrelanger Arbeit - ist er einer der berühmtesten und vor allem einer der erfolgreichsten Fechttrainer der Welt. Emil Beck machte aus seinen Schülern Olympiasieger und Weltmeister, Europapokalgewinner und deutsche Meister aller Kategorien und Altersklassen. Sein "Talentschuppen", sein Vorrat an begabten Schülern, scheint unerschöpflich zu sein. Viele wollen bei dem Supertrainer Emil Beck und seinen Helfern fechten lernen. Zu viele: Sie müssen sich auf Wartelisten eintragen und lange warten.

Dreimal, viermal oder fünfmal pro Woche kommen Jungen und Mädchen aus Tauberbischofsheim in dieses "Teilinternat". Zwischen 70 und 110 Mark im Monat zahlen ihre Eltern dafür. Die Schüler erhalten außer dem Fechtunterricht ein Mittagessen, zwei Stunden Nachhilfeunterricht und Hilfe bei den Hausaufgaben.

Ihre Freizeit ist hier gut angelegt: Sport und Schule sind Partner. Das ist besonders wichtig für die Mittelmäßigen. Sie sind in der Schule nicht besonders gut, weil sie viel Sport treiben. Und sie sind im Sport nicht besonders gut, weil sie viel für die Schule arbeiten müssen. Auf der Fechtbahn sagt Emil Beck seinen Schülern manchmal ein strenges Wort, wenn sie in der Schule schlechter werden. Aber sie bekommen von ihm auch die nötige Hilfe. Emil Beck ist oft ein "Seelsorger".

Zwei Lehrer sind jeden Tag für die Schüler da. Zusätzlich achten zehn Betreuer darauf, dass neben der Arbeit mit Florett oder Degen auch die Mathematik, die Grammatik, chemische Formeln und Biologie zu ihrem Recht kommen. Doch das "Fechtwunder" von Tauberbischofsheim kommt nicht nur von der besonders guten Betreuung und Hilfe. - Vorbilder sind hier genauso wichtig. Der berühmte Fechter Jürgen Hehn zum Beispiel trainierte den Degen-Weltmeister von heute, Alexander Pusch. Damals war "Alexander der Große" noch klein. Er konnte nicht sehr oft mit Emil Beck trainieren.

Heute ist diese Art der Ausbildung ein System: Jeder größere Fechter hat seinen Schüler. Er ist für ihn verantwortlich, und er hilft ihm. Schon hier entsteht eine enge Kameradschaft. Später, in Mannschaftskämpfen, ist sie sehr wichtig. Deshalb lernen schon die Jüngsten Verantwortung zu tragen. Dazu kommt der ständige Kontakt mit den Meisterfechtern. Die jungen Sportler sehen: Auch die Meister müssen hart an sich arbeiten, ehe sie Medaillen gewinnen. Das große Vorbild treibt die Schüler an. Sie wollen genauso sein. Und mancher Schüler ist plötzlich noch besser als sein Meister. Das freut dann besonders den Meister.

 

Fechten gehört zu den ältesten Sportarten. Früher war es allerdings kein richtiger Sport. Es gehörte zur Erziehung der vornehmen Leute. Der Säbel, der Degen oder das Florett waren Waffen für den Kampf. Später war das Fechten vor allem ein Sport für Studenten. Aber mit dieser Art von Fechten hat der Sport von heute nichts mehr zu tun. Es fließt auch kein Blut mehr, sondern nur elektrischer Strom: Er zeigt die Treffer an. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Fechten eine der kleinsten Sportarten, aber auch eine der stärksten, erfolgreichsten. Die großen Vorbilder vom Fechtclub Tauberbischofsheim locken immer mehr Jugendliche an. Die Fecht-Clubs haben rund 21 000 Mitglieder. Fast 13 000 davon sind Jugendliche bis zu 18 Jahren. Manche fangen schon im Alter von 6 Jahren mit dem Fechten an.

Das Florett ist eine Stoß- oder Stichwaffe. Es wiegt 500 Gramm und ist 110 Zentimeter lang. Die Klinge allein ist 90 Zentimeter lang. Eine Glocke (Durchmesser maximal 12 Zentimeter) schützt die Hand. Männer fechten Florett ebenso wie Frauen. Die Trefferfläche ist begrenzt (Oberkörper ohne Arme und Kopf). Die Treffer werden nur mit der stumpfen Spitze angebracht. Wer zuerst fünf Treffer in einer reinen Kampfzeit von maximal 6 Minuten gesetzt hat, ist Sieger.

Der Degen ist auch eine Stoß- und Stichwaffe. Er ist 770 Gramm schwer und 110 Zentimeter lang. (Klinge 90 Zentimeter). Die Glocke hat höchstens 15 cm Durchmesser. Nur Männer fechten Degen. Trefferfläche ist der ganze Körper. Die reine Kampfzeit beträgt 6 Minuten bei 5 Treffern.

Der Säbel ist eine Hieb- und Stichwaffe. Er wiegt 325 bis 500 Gramm und ist 105 Zentimeter lang (Klinge 88 Zentimeter). Die Glocke geht fast um die ganze Hand herum und ist 15 cm lang und 14 cm breit. Beim Säbelfechten (nur für Männer) gelten außer Stichen auch Hiebe als Treffer. Die Trefferfläche ist begrenzt (Oberkörper mit Arme und Kopf).