Informationen


Süsterkirche

Süsterkirche

Süsterkirche von Westen: Turm (1860/61), Kirchenschiff (um 1500), Querschiff (1891/92)

Wir betreten die evangelisch-reformierte Kirche durch den Kirchturm, der 1860/61 erbaut worden ist, und steigen dann vier Stufen in das Kirchenschiff hinunter: Je Stufe gleichsam 100 Jahre in die Geschichte zurück. Wie ist es dazu gekommen?

Herzog Wilhelm IV. von Jülisch-Berg erlaubte 1491 zunächst "den Schwestern des St. Augustinus-Ordens, 12 Personen und zwei Mägden", ab 1503 dann 24 Nonnen, sich in Wilhelm Toppes, des Seligen, Hof in der Altstadt Bielefeld niederzulassen. Es gab also noch unbebautes Gelände, und die Schwestern (niederdeutsch "Sistern") haben sicher bald darauf ihre Kirche mit einigen anderen klösterlichen Gebäuden errichtet, die insgesamt als "Süsterhus" und "Kloster zum Mariental" bezeichnet wurden. Dies Kirchlein, 60 Fuß lang, 28 Fuß breit, 44 Fuß hoch, trug einen Dachreiter als Glockenstuhl, in dem eine Glocke mit der Jahreszahl 1514 hing, so dass bis dahin die Süsterkirche errichtet gewesen sein muss.

Die "Süstern" mit ihrem Schwesternhaus lebten nach der Regel der Augustinerinnen und wollten als Anhänger der von Holland ausgehenden spätmittelalterlichen Frömmigkeits-bewegung "Devotio Moderna" eine Reform der Kirche von innen heraus durch die Nachfolge Christi in Frömmigkeit, Eintracht und Leben in der Welt, also nicht hinter Klostermauern.

Der Bau der einschiffigen spätgotischen Hallenkirche mit ihren vier Jochen fiel ihren Idealen entsprechend schlicht aus. Ein im Kloster verwendetes, auch sehr einfaches Gebetbuch mit Psalmen und Mariengebeten befindet sich im Besitz des Stadtarchivs und ist wegen seiner mittelniederdeutschen Mundart als "Bielefelder Gebetbuch" in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen.

Die Reformation holte gleichsam die Schwestern in ihrem Reformbestreben ein und ergriff auch Bielefeld, wo 1542 die Reformation eingeführt wurde, und die Grafschaft Ravensberg: Das Süsterkloster verfiel. Im Jahre 1616 gab es nur noch zwei alte Schwestern. Die Kirche und die heute nicht mehr bestehenden Nebengebäude verfielen allmählich. Während diese bis lange nach dem Dreißigjährigen Krieg verschiedenen Zwecken dienten, u.a. in der Armenpflege, zeigte sich für die Süsterkirche eine neue Aufgabe.

Mittlerweile war die Grafschaft an das Haus Brandenburg gefallen, endgültig 1649. Schon Kurfürst Johann Sigismund war am Weihnachtsfest 1617 mit einer Abendmahlsfeier im Schloss zu Königsberg/Ostpreußen vom Luthertum zum Reformiertentum übergetreten. Sein Enkel, der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm I. (1620-1688), hing auch bewusst der calvinischen Richtung des Protestantismus an und nahm daher z.B. bereitwillig hugenottische Flüchtlinge als seine Konfessionsverwandten in seinen Landen auf. Er setzte nun auf seiner Sparrenburg 1657 Heinrich Luthmann (aus Bremen?) als reformierten Hof- und Garnisonsprediger ein. Sinnvollerweise trägt der Sockel seines am 6. August 1900 von Kaiser Wilhelm II. enthüllten Denkmals auf der Sparrenburg den von ihm als 14-jährigem Prinzen gewählten Wahlspruch aus Psalm 143, Vers 8: "Domine, fac me scire viam quam ambulem." ("Herr, tu mir kund den Weg, den ich gehen soll.") Er erteilte durch landesherrliche Verordnung den auf dem Schloss und in der Stadt wohnenden Reformierten die Erlaubnis, dort öffentlich Gottesdienst zu halten. Zugleich wurde Stadtrentmeister Johann Schröder in das Amt eines Vorstehers, heute würden wir ihn Presbyter oder Kirchenältesten nennen, berufen, typisch für eine reformierte Gemeinde im Sinne der Kirchenordnung Calvins.

Das vom Prediger Luthmann begonnene Kirchenbuch mit Eintragungen von Taufen, Copulationen (Trauungen) und später auch Bestattungen befindet sich im Archiv der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde. Für das erste Jahr sind 8 Taufen und 3 Trauungen eingetragen. Da die Kapellstube für die wachsende Zahl von Reformierten, besonders Soldaten und Verwaltungsbeamte mit ihren Familien, nicht ausreichte, ließ der Große Kurfürst eine Schlosskirche bauen, die am 30. November 1670 (mit einer Predigt über 1. Mose 28, 17+18) in Dienst gestellt wurde.

Reformierte aus der Stadt, denen der Weg zum Gottesdienst auf die damals außerhalb der Stadt liegende Sparrenburg zu beschwerlich war, baten den Kurfürsten um Überlassung der verfallenen Süsterkirche. Als Landesherr, der seine Untertanen nicht zum Konfessionswechsel zwang, aber seine Konfessionsverwandten doch besonders fördern wollte, gab er diesem Wunsch mit Schreiben (Rescript) vom 2. Oktober 1671 statt. Er musste sich allerdings gegen den Widerstand von Rat und lutherischer Geistlichkeit der Stadt energisch durchsetzen, so dass erst 1682 der erste reformierte Gottesdienst in der Süsterkirche stattfinden konnte. Prediger Luthmann war bis zu seinem Tode im Jahr 1680 auf der Sparrenburg wohnen geblieben. Der Droste Clamor von dem Busche übergab am 17. Januar 1682 den Reformierten die Kirche. Am 25. Januar hielt der neue Prediger Johann Christoph. Noltenius in ihr die erste Predigt über Psalm 132, 13+14: "Denn der Herr hat Zion erwählt und hat Lust, daselbst zu wohnen. Dies ist meine Ruhe ewiglich, hier will ich wohnen; denn es gefällt mir wohl." Der Presbyter und Stadtrentmeister Johann Schröder stiftete aus dem erfreulichen Anlass ein Kirchenbuch, auf dessen Titelblatt sich folgender Segenswunsch findet:

"Der liebe Gott wolle nun weiter Seine Gnade und göttlichen Segen darzu geben, daß die Reformierte Gemeinde diese Kirche geruhig und im Frieden bis an den lieben jüngsten Tag besitzen und ihren Gottesdienst nebst allem, waß deme anhengig, Solchergestalt darinnen haben und behalten möge, daß viele Seelen darinnen erbauet werden mögen."

Im Laufe des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Gemeindeglieder im Zuge der Industrialisierung Bielefelds und des Zuzugs vieler Reformierter aus dem Fürstentum Lippe gewaltig: Sie belief sich 1657 auf etwa 150 Mitglieder, 1800 auf rund 300, 1850 auf rund 500, 1880 auf 1.600, und dann 1890 bereits auf 2.500 und stieg über 4.000 in 1900 später bis auf 6.000 im Jahr 1920. Die Süsterkirche erwies sich als zu klein. Zunächst wurde 1860/61 der 28 Meter hohe Westturm mit Kreuz und Hahn errichtet, der Platz für drei Glocken bietet. Damit wurde der Eingang von der südlichen Seite des Langschiffes zum Westen verlegt. Da das Niveau der Stadt um die Kirche herum inzwischen, d.h. seit dem Bau der Kirche in Toppes Hof durch die "Süstern" vor fast 400 Jahren, um etwa einen Meter gestiegen war, mussten die oben erwähnten vier Stufen eingebaut werden. In den Jahren 1891/92 erfolgte dann die Erweiterung der Kirche um das Querschiff und den Chorraum, so dass jetzt eine Vierung mit einem schönen Netzgewölbe entstand sowie im Grundriss die Kreuzform. Kaiser Wilhelm II. schenkte der Gemeinde zur Einweihung am 30. Juni 1892 eine Bibel mit persönlicher Widmung; Pastor Vorster predigte über Hebräer 13,8: "Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit."

Der Chor befindet sich freilich wie das Kirchenschiff recht tief in der Erde mit feuchtem Untergrund. Im Pflaster des Süsterplatzes kann auch die Lage eines ehemaligen Brunnens nahe der Außenmauer entdeckt werden. Weil aufsteigende Feuchtigkeit den Verputz im Chorraum beschädigte, wurde dann 1929 das Glasmosaik angebracht, das vielen Besuchern der Kirche gleich beim Betreten als etwas Besonderes in die Augen fällt. Es imitiert einen schwarzen Samtvorhang, golddurchwirkt und mit Engelsköpfen am oberen Rand unter den Fenstern, entworfen von Victor Tuxhorn aus Sieker, evtl. angeregt durch 2. Mose 25f.
Dem aufmerksamen Beobachter können auch am Außenmauerwerk der Kirche die 400 Jahre auseinander liegenden Bauphasen auffallen: Ende des 15. Jahrhunderts wurden unbehauene Steine verwendet, Ende des 19. Jahrhunderts zur Erweiterung und zur Verstärkung der Seitenstreben des Langschiffes behauene Steine. Im Inneren fällt auf, dass der Sandstein aus einem Steinbruch in Gadderbaum im älteren Bauteil heller und weicher wirkt, während der später verwendete, aus einem Steinbruch in Ubbedissen, härter und mehr grau wirkt. Der für Entwurf und Bauleitung verantwortliche Baumeister Trappen hat den westfälischen spätgotischen Stil des Ursprungsbaus übernommen, so dass ein stilistisch einheitlicher Kirchenraum entstanden ist. Die Erweiterung kann nur als unwahrscheinlich gut gelungen bezeichnet werden.

Bemerkenswert sind in der Kirche die Schnitzereien an der Orgelempore und an den Schranken, die die Bankreihen des Längsschiffes zum Querschiff hin abschließen. Wir sehen im Renaissancestil gedrehte 89 cm hohe Säulen mit sehr fein gearbeiteten Kapitellen, darüber noch je einen Engelskopf, und mit ganz schlichten runden Säulenfüßen. Sie fassen Felder ein, deren Schnitzwerk eine Art Portal bildet. Alle diese wohl kostspieligen Schnitzereien stammen vermutlich aus einer anderen Kirche und sind für den Erweiterungsbau der Süsterkirche neu komponiert worden. Der nach Dehio "bemerkenswerte" Abendmahlstisch weist die Maße 93 cm hoch, 95 cm breit und 1,86 m lang auf, was darauf hinweist, dass er von vornherein als Abendmahlstisch gedacht war. Es soll sich um das Geschenk einer niederländischen reformierten Gemeinde handeln. Die Platte ruht auf bauchigen Säulen, die oben nicht verziert sind, so dass der Tisch eine weit überhängende Decke tragen muss. Unter den Fußzargen, die mit dicht aufliegenden Blüten- und Blattranken geschmückt sind, befinden sich Kugelfüße.

Die Kanzel ist 1891 aus alten Teilen neu zusammengesetzt worden. Über den gedrehten Säulen erkennen wir wieder Engelsköpfe, ebenso unter dem Kanzelpult und ganz deutlich am Schalldeckel.

Erst 1925 ersetzte der elektrifizierte Kronleuchter aus Messing mit 40 Kerzen, angeblich einem Leuchter aus einer Kirche in Amsterdam nachgebildet, den alten gusseisernen.

Süsterkirche

Taufschale

Das wertvollste Besitztum der Gemeinde und ein wahres Kleinod stellt die Taufschale dar. Die Kirche verfügt nicht über einen Taufstein oder ein mächtiges Taufbecken, sondern über dieses fein gestaltetes Gefäß, das nach reformierter Tradition einfach auf den Abendmahlstisch gestellt werden kann. Es ist wohl eine Schenkung aus Berlin (vom Hof?), eine Silberarbeit des Hannoverschen Hofsilberschmiedes Joachim Sander aus dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. Zwei pausbäckige, sich einander zugewandte Engelsköpfe mit dichtem Haarschopf umfassen mit ihren Flügeln das Gefäß, scheinen das Taufwasser aufzufangen und zu behüten. Die auf einer Außenwand eingravierte Darstellung der Taufe Jesu Christi durch Johannes im Jordan kennzeichnet zusammen mit den Worten "Ich tauffe mit Wasser" unter der Taube sowie mit einem Zitat aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 3, 15+16 dieses schüsselähnliche ovale Kunstwerk mit 9,5 cm Höhe als Taufgefäß. Zu beachten ist, dass das Engelsmotiv in den Schnitzereien vielfältig wiederkehrt und dann auch wieder in dem Mosaik im Chorraum.

Die besondere Rolle der einzigen reformierten Gemeinde in Bielefeld und Umgebung zeigen zwei Abendmahlsbrotteller (Patenen, Durchmesser 16 und 23 cm), die vom Bielefelder Goldschmied Johann George Gläntzer gearbeitet sind und die der Gemeinde 1750 geschenkt wurden. Auf ihrer Unterseite finden sich Gravuren. Die kleine Patene zeigt dort ein Wappen, umgeben von der zweizeiligen Inschrift, die der Rundung des Tellers folgt: "Die hochwohlgeborene und hochwürdigste Frau Frau Elisabeth Sybilla Maria Baronesse von Diepenbrock Pröbstin zu Schildesche hat dieses der reformierten Kirche zu Bielefeld verehret im Jahr 1750." Sie war 31 Jahre lang bis zu ihrem Tod am 21. Februar 1751 Pröbstin des Hochadligen Stifts in Schildesche, durfte jedoch als Reformierte damals nicht am Abendmahl in der lutherischen Stiftskirche Schildesche teilnehmen, sondern besuchte die reformierte Kirche in Bielefeld.

Süsterkirche

Ansicht der Kirche von Süden (Foto von 1925)

Erst im 19. Jahrhundert haben sich die kirchentrennenden Gegensätze durch die Bildung der Union in Preußen abgeschliffen. Bis dahin unterstand die reformierte Gemeinde unmittelbar dem kurfürstlichen, später königlichen Reformierten Kirchendirektorium in Berlin und gehörte erst seit 1815 zum Provinzialkonsistorium in Münster. Eine eigene, in einem ehemaligen Klostergebäude untergebrachte reformierte Schule wurde erst 1834 geschlossen. Heute zählt die Gemeinde etwa 3.000 Gemeindeglieder im gesamten Stadtbereich und darüber hinaus. Sie ist Mitgliedsgemeinde des evangelischen Kirchenkreises Bielefeld und der Evangelischen Kirche von Westfalen sowie Mitglied des Reformierten Bundes in Deutschland und dadurch weltweit verbunden mit den 75 Millionen im Reformierten Weltbund zusammengeschlossenen Reformierten, Presbyterianern und Kongregationalisten.

Süsterkirche

Das ausgebrannte Gemeindehaus in der Güsenstraße (Foto von 1960)

Durch die Bombardierung der Bielefelder Altstadt wurde die Süsterkirche am 30. September 1944 schwer beschädigt: Der gesamte Dachstuhl brannte aus, Regen und Schnee richteten große Schäden an. Durch tatkräftigen Einsatz der Pfarrer und Gemeindeglieder konnte die Kirche mit dem Konfirmationsgottesdienst am 21. März 1948 wieder in Gebrauch genommen werden. Eine neue einfache Verglasung mit schlichter Ornamentik und dezenter Farbgebung wurde 1950/51 vom Kunstmaler Hüffner in Wolbeck entworfen und durch die Glaswerkstätten Heberle in Hagen-Haspe ausgeführt. Die Kirche wurde mit dunklem Holz (Wandverkleidung 1956 und neues Gestühl1970/71) ausgestattet, 1961/62 an die Fernheizung angeschlossen und ihre ehemalige Ausmalung nicht wieder hergestellt. Damit ist ein typisch evangelisch-reformierter Kirchenraum entstanden, der einladend und anheimelnd wirkt und die Gemeinde auf das Geschehen um Wort und Sakramente hin konzentriert. Damit soll das 2. Gebot der Bibel, keine Bilder zu machen, um Gott anzubeten und zu dienen, beachtet werden. Auf dem Abendmahlstisch mit Tischdecke (also kein Altar!) liegt die aufgeschlagenen Bibel; Kreuz oder gar Kruzifix wie Kerzen und Blumen sind entbehrlich. Die drei Chorfenster zeigen in der Mitte Alpha und Omega, links einen Psalmvers und rechts ein Pauluswort. Erinnert das mittlere Fenster an die Offenbarung Johannes Kapitel 1, Vers 8: "Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht Gott der Herr, der da ist, und der da war, und der da kommt, der Allmächtige.", so steht im linken Fenster der Lobpreis aus Psalm 8, Vers 2: "Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, du, den man lobet im Himmel." und rechts 1. Korinther 1, Vers 30: "Jesus Christus ist uns von Gott gemacht zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung." Dieser Vers ist übrigens der 2. These der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen vom 31. Mai 1934 vorangestellt.

Weitere Informationen zur Orgel

Die heutige Orgel ist von der Orgelwerkstätte Detlef Kleuker in Brackwede 1971 als Schleifladenorgel mit zwei Manualen und zunächst 18 Registern errichtet und 1987 auf 25 Register mit 1654 Pfeifen erweitert worden. Sie stellt bereits die fünfte Orgel nach denen aus den Jahren 1703, 1861, 1913 und 1951 dar. Nachdem die Bronzeglocken im ersten Weltkrieg abgegeben werden mussten, hängen seit 1921 drei Gussstahlglocken von Lauchhammer in Torgau im Turm, die die sich ergänzenden Texte "Aus Sünde und Tod / aus Schande und Not / errett´ Herre Gott!" tragen und mit ihren Klängen fis, a und c abgestimmt waren auf das frühere Geläut der Altstädter Nicolaikirche. Durch eine Spende konnte im Jahr 2004 ein Yamaha-Flügel für die Kirche angeschafft werden, wodurch jetzt auch hochwertige Intrumentalkonzerte aufgeführt werden können. Für die nähere Zukunft wird eine Umgestaltung des Kircheninnenraums angestrebt, damit neben den Gottesdiensten weitere gemeindliche und auch öffentliche kulturelle Veranstaltungen dort stattfinden können. Damit würde das in der Unterhaltung teure große Gemeindehaus in der Güsenstraße, das am 9. Dezember 1962 als "Gemeindehaus mitten in der Stadt" in Gebrauch genommen wurde, entbehrlich.

Besonderes Interesse können die Gedenktafeln auf sich ziehen, die nach dem 2. Weltkrieg unter der Orgelempore angeordnet worden sind. Auf der Rückwand der Kirche finden sich 172 Namen von Gefallenen des 1. Weltkrieges in Stein verzeichnet. An der Südwand stehen 195 Namen der im 2. Weltkrieg getöteten Gemeindeglieder geschrieben, davon 43 durch Bomben. Unter ihnen befindet sich Rudolf Stapenhorst, der langjährige Oberbürgermeister sowie von 1897-1906 Repräsentant der Gemeinde und von 1906-1933 Presbyter, und - seine Frau. Überraschenderweise sind Namen von Soldaten, aber auch von Zivilisten und eben auch von 20 Frauen an der Südwand aufgeschrieben. Insofern scheinen der Stahlhelm über den Namen sowie die Worte "Starben für Volk und Vaterland" und das Eiserne Kreuz darunter deplaziert. Ein Wandel in der Erinnerung an Kriegstote deutet sich an: Bis zum 1. Weltkrieg waren dies fast nur Soldaten, die im Kampf Mann gegen Mann ums Leben kamen. Durch die Technisierung des Kriegs werden zunehmend Zivilisten Opfer militärischer Gewalt. Gegenüber auf der Nordseite befinden sich fünf kleinere Gedenktafeln, die ursprünglich auf die ganze Kirche verteilt waren. Vier sind Gefallenen der Kriege gegen Frankreich und Dänemark 1813/15, 1864/66 und 1870/71 gewidmet sowie eine Tafel für den Reiter Alfred Tiemann, der am 7. Juli 1905 im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika "für Kaiser und Reich" gefallen sei. Am 22. April 1884 geboren, in dieser Kirche am 8. April 1900 konfirmiert, stand er im Dienst des großmannssüchtigen deutschen Kaisers und seines völkermordenden Generals Lothar von Trotha und wurde auf Pferdewache von den Nama Issak Witboi und Elias bei Maltahöhe getötet.

Nachdenklich gestimmt müssen die vier Stufen zum Turmausgang überwunden werden, um draußen in der Gegenwart anzukommen. Vielleicht ist der Geist der Süstern über die Jahrhunderte hinweg noch lebendig und leitet auch moderne Menschen an, den christlichen Glauben in der Welt heute zu leben und an diesem Ort die Ausrichtung und Kraft dazu zu beziehen.

Dr. Karl-Christoph Flick

weitere Informationen zur Geschichte