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GEWERKSCHAFTEN



Wieso die UPS den Streik gewann

Vor vier Wochen endete der grösste US-amerikanische Arbeitskampf seit zwanzig Jahren mit einem Sieg der Beschäftigten. Unter Führung der Transportarbeitergewerkschaft «International Brotherhood of Teamsters» erkämpften die ArbeiterInnen des Paketpostriesen «United Parcel Service» UPS in einem zweiwöchigen landesweiten Streik höhere Löhne, mehr Vollzeitstellen und bessere Arbeitsbedingungen.

Der spektakuläre Erfolg der als konservativ und korrupt geltenden Teamster-Gewerkschaft erklärt sich aus dem hierzulande kaum wahrgenommenen innergewerkschaftlichen Reformprozess, der vor allem mit der Person des Teamster-Präsidenten Ron Carey verbunden ist. Carey wiederum ist aufgrund von Korruptionsvorwürfen inzwischen selbst ins Zwielicht geraten. Zur Entwicklung der Teamster-Gewerkschaft und Perspektiven nach dem Streik befragten Claudia Schuller und Martin Höxtermann den kalifornischen Journalisten David Bacon, der zwanzig Jahre lang als UPS-Fahrer gearbeitet hat und heute als Redaktor beim Freien Radio KPFA in Berkeley arbeitet.

Wie hoch ist der Organisationsgrad, wie ist die soziale Zusammensetzung der Organisation?
Die Teamsters sind in den USA und Kanada mit etwa 1,4 Millionen beitragszahlenden Mitgliedern und 400'000 RentnerInnen eine der grössten Einzelgewerkschaften der Welt. Das ist etwas weniger als der Höchststand, den die Gewerkschaft zu ihren Spitzenzeiten in den siebziger Jahren hatte, als etwa 1,8 Millionen Menschen zu den Teamstern gehörten. Wie alle US-Gewerkschaften hatten auch die Teamsters mit einem Rückgang zu kämpfen, bedingt durch die fortschreitende Rationalisierung, den Abbau von Arbeitsplätzen und die Verlagerung von Produktion ins Ausland. Anfangs waren die Teamsters die Gewerkschaft für Lastwagenfahrer, mit den Jahren expandierten die Teamsters, wurden zur allgemeinen Transportarbeitergewerkschaft und auch im Nahrungsmittelbereich aktiv.

Der Ökonom Stephen Roach malte die Wiederkehr der Inflation an die Wand und fürchtet, die Arbeiterklasse könne nun beginnen, nach Jahren der Stagnation ihren Anteil am Boom der US-Wirtschaft einzufordern. Welche Bedeutung hat dieser Meinung nach der Streik?
Tatsächlich ist die Inflation in den USA momentan niedrig. Ich denke, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass der UPS-Abschluss zu einem Preisanstieg führt. Aber er hat doch einen grossen Einfluss auf andere ArbeiterInnen. Es gibt viele Millionen von TeilzeitarbeiterInnen in den USA. In ihren Augen ging es bei dem UPS-Streik um die gleichen Probleme, die sie selbst auch haben. Man könnte also sagen, dass die Teamsters auch für sie gekämpft haben. Das machte den Streik so populär. Umfragen während des Streiks ergaben, dass eine Mehrheit von 55 bis 60 Prozent der Menschen den Streik unterstützten. Diese Umfragen wurden von den kommerziellen Medien durchgeführt, die nun wirklich nicht gewerkschaftsnah sind. Nur eine Minderheit nahm die Position von UPS ein. Ich denke, dass auch andere Gewerkschaften den Streik beobachtet haben, sie ziehen Schlüsse aus dem Teamsters-Erfolg, und eine wichtige Lektion ist, dass es in den USA immer noch möglich ist, einen Streik zu gewinnen. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren wurden die Gewerkschaften hier zu sehr vielen grossen Streiks gezwungen, die sie führen mussten und sich nicht selbst ausgewählt haben. Die Firmen stellten einfach so unglaubliche Forderungen, dass es keine Alternative zum Streik gabe. In diesen Situationen waren die Arbeitgeber auf Streiks sehr gut vorbereitet, sie hatten Ersatzleute zur Verführung, Streikbrecher standen bereit, ebenso natürlich die Polizei und Regierungsleute, um gegen die Streikenden zu wettern und die Firmen zu unterstützen. Und das war alles bestens organisiert, ehe ein Streik überhaupt begonnen hatte. Ganz anders im Fall von UPS. Auf diesen Streik war die Gewerkschaft viel besser vorbereitet als die Firmenleitung. Sie hatte ihre Reihen fest geschlossen, die Menschen wussten Bescheid und allen war sehr klar, wofür sie kämpften. Auch die Öffentlichkeitsarbeit während des Streiks war gut durchdacht. Das ist die grosse Bedeutung dieses Streiks.

Latino-Power

Die LatinoarbeiterInnen hatten eine tragende Bedeutung in diesem Streik. Welche Rolle haben sie gespielt?
Von diesem neuen Latino-Power haben die Teamsters wirklich sehr profitiert. Früher, als die United Farm Workers, die Latino-Gewerkschaft unter Cesar Chavez, neu war, wurden die Teamsters von den Arbeitgebern dazu missbraucht, die United Farm Workers zu bekämpfen. In den letzten fünf Jahren hat sich das aber mit der neuen Reformspitze und Verwaltung der Teamsters geändert. Seit Ron Carey Teamster-Präsident ist, arbeiten alle Teamsters mit der United Farm Workers zusammen. Gemeinsam versuchen sie, in der Tradition des Cesar Chavez, Erdbeerpflücker in Kalifornien und Apfelpflücker in Washington State zu organisieren. Es gibt also eine neue Einigkeit zwischen den beiden Gewerkschaften, eine verbesserte Zusammenarbeit, und daran hatten die Latinos grossen Anteil mit ihren Kämpfen und ihrer neuen Militanz. Sie sind sehr aktiv in der Teamster-Gewerkschaft, vor allem im Westen der USA und stellen einen grossen Teil der Mitglieder. Sie spielten eine aktive Rolle, als es darum ging, demokratische Strukturen innerhalb der Gewerkschaft durchzusetzen. Weil sie die unterste Schicht stellen, sind sie es, die am häufigsten in diesen Teilzeit-Jobs arbeiten. Es ist vor allem ihr Beitrag, dass dieser Streik militanter war als frühere, dass es ein Streik war, der eher für die untersten Gesellschaftsschichten geführt wurde als für die oberen Gehaltsklassen.

Der frühere UPS-Fahrer Ron Carey gewann 1991 als Reformkandidat die Direktwahl zum Teamsters-Präsidenten. Er entmachtete viele korrupte Funktionäre und schaffte viele Privilegien der Gewerkschaftsbürokraten ab. Nach seiner Wiederwahl im Herbst 1996 wurden gegen ihn selbst Korruptionsvorwürfe erhoben. Was wirft man ihm vor ?
Ron Carey wird nicht direkt angegriffen und der Korruption beschuldigt. Er wurde im Dezember für weitere fünf Jahre wiedergewählt. Er war gegen James Hoffa Junior angetreten, den Sohn von Jim Hoffa, der früher jahrelang Gewerkschaftspräsident war und heute tot ist. Hoffa war bekanntermassen ein Unterstützer der Mafia und verstrickt ins organisierte Verbrechen. Ron Carey gewann mit nur drei Prozent Vorsprung ganz knapp gegen Hoffa Junior, denn der rechte bzw. konservative Flügel der Teamsters ist immer noch sehr stark. Nach der Wahl wurde bekannt, dass Careys Wahlkampagne zum Teil illegal finanziert worden war. Geld war von Leuten in seine Kampagne geflossen, die sie nicht legal unterstützen dürfen, weil sie keine Teamster-Mitglieder sind. Aufgrund dieser Anschuldigungen wurde die Wahl nun aufgehoben und Carey muss im Dezember nochmals gegen Jim Hoffa antreten. Die Wahl muss komplett wiederholt werden. Die politischen Strömungen in der Teamster-Gewerkschaft sind sehr verwirrend und kompliziert. Ron Carey wurde ja eigentlich als Reformkandidat gewählt und hatte die Unterstützung des linken und progressiven Teils der Gewerkschaft, des Teils, der interne demokratische Reformen will. Das waren die «Teamsters for a Democratic Union». Diese Organisation blickt zurück auf eine lange Geschichte von zwanzig Jahren und mehr und war lange Zeit die einzige Stimme, die sich gegen die Korruption erhob. Die Tatsache, dass Ron Carey gewählt wurde, ist der Existenz dieser Organisation zu verdanken. In seinem Wahlkampf vor einem Jahr ging es dann aber mehr um Professionalität, Verwaltung und Found-Rising, weniger um die Basis und ihre Bedürfnisse. Carey war sehr abhängig von seinen Beratern. Und schliesslich waren es all diese Berater und Geldbeschaffer, die die Hauptverantwortlichen dafür waren, dass illegales Geld in die Wahlkampfkasse floss. Es war also ein Problem, das hauptsächlich dadurch entstand, dass man sich von der Basis entfernte, die hinter Carey stand und ihn eigentlich wählte. Trotzdem ist klar, dass Carey weiter der Kandidat bleibt, die die Gewerkschaft reformieren kann, der sie progressiver und demokratischer macht. Er steht an der Spitze der Erneuerungsbewegung. Seine Opposition besteht nach wie vor aus Leuten, die mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeiten oder es zumindest früher getan haben und ausserdem die Gewerkschaft in einem sehr undemokratischen Stil geleitet haben. Vor allem aber halten diese Leute nichts vom militanten Kampf gegen die Arbeitgeber. Jimmy Hoffa Juniors Kommentar zum UPS-Streik und seine Kritik an Carey sprechen Bände. Er sagte, wenn er die Gewerkschaft geleitet hätte, hätte er auch alles erreicht, was die Teamsters nun erkämpft haben, aber ohne dafür streiken zu müssen. Das ist die typische Ansicht der alten Garde bei den Teamsters. Sie halten nichts davon, militant gegen Arbeitgeber vorzugehen und für eigene Rechte zu kämpfen. Das also ist die rechte Opposition, der Carey gegenübersteht. Carey dagegen, das sei zu seiner Ehre gesagt, war immer der Meinung, dass bei UPS gestreikt werden müsse, um den Arbeitgebern Konzessionen abzuringen. Das gibt wohl ein ziemlich klares politisches Bild davon, welche Richtung Carey vertritt und wohin die Opposition der Teamsters steuert.

Ist das nun so zu verstehen, dass Carey als progressiver Kandidat ausgeschaltet werden sollte oder ist er im Prinzip auch so korrupt wie die Hoffas ?
Ich denke, dass Korruption natürlich ein wichtiges Thema ist. Es ist wichtig, Regelungen und Gesetze zu finden, die sicherstellen, dass Gewerkschaftskampagnen und Aktionen auch von den Mitgliedern selbst finanziert werden und die illegale Aktivitäten verhindern. Wenn Ron Carey von Leuten Geld erhalten hat, die seine Kampagne legalerweise nicht unterstützen dürften, dann sollte dieses Geld natürlich zurückgezahlt werden, und er muss sich der Wahl erneut stellen. Aber es ist wichtig, eins zu betonen. Die Summe, um die es hier ging, waren etwa 200'000 Dollar. Sie standen in keinem Zusammenhang mit der Mafia oder dem organisierten Verbrechen. Die Korruption in der Teamster-Gewerkschaft war aber früher einmal auf einem ganz anderen Niveau, das diese Ereignisse wie Peanuts wirken lässt. Der Pensionsfonds der Teamsters wurde früher regelrecht als Geldwaschanlage oder Kapital für das organisierte Verbrechen benutzt. Die grossen Casinos in Las Vegas zum Beispiel wurden mit Teamster-Geldern aus der Rentenkasse der Mitglieder gebaut. Es handelte sich damals um ein Korruptionsniveau mit vielen Millionen Dollar. Das wurde von Carey weitgehend gestoppt.

Interview: Claudia Schuller/Martin Höxtermann

Blairs blasser Auftritt

Auf der Konferenz des britischen Gewerkschaftsdachverbands TUC gab es in diesem Jahr eine Neuheit. Seit fast zwei Jahrzehnten sprach erstmals wieder ein Premierminister. Ein bittersüsser Besuch, denn Tony Blair belehrte die Gewerkschaften, sie sollten sich «modernisieren». In sarkastischer Anspielung auf das kommunistische Manifest sagte er: «Wir haben nichts zu verlieren als unsere Dogmen».

Blair betonte die Notwendigkeit von Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und rief zum «Kreuzzug zur Gewinnung des Wettbewerbs» auf. Seine Rede fand nur mässige Begeisterung, im starken Kontrast zu der eines anderen prominenten Redners, dem Erzbischof von Canterbury, der zum erstenmal auf einem TUC-Kongress sprach. Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche unterstütze die kollektiven Ideale der Gewerkschaften und argumentierte gegen Individualismus und freien Markt. John Monks, TUC-Generalsekretär und überzeugter Verfechter von Blairs Politik, kündigte eine neue Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaften, Regierung und Unternehmern an. «Die Tage, wo die Gewerkschaften eine oppositionelle Kraft in der Industrie bildeten, sind vorbei», sagte er. Sein Ziel ist, durch eine solche Partnerschaft, den Arbeitern mehr Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten. Immerhin ist Britannien fast das einzige Land in der industriellen Welt, in dem die Unternehmer unter keinem legalen Zwang stehen, Gewerkschaften anzuerkennen. Und ein im Wahlkampf versprochenes Gesetz, wonach eine Gewerkschaften anerkannt werden muss, wenn sie in einem Unternehmen mehr als 50 Prozent Mitglieder hat, ist weit von seiner Realisierung entfernt. Die Delegierten verabschiedeten relativ bescheidene Beschlüsse, so die Forderung nach Arbeitsrechten vom ersten Tag des Arbeitsverhältnis an (in Britannien bekommt man solchen Rechtsschutz erst nach zwei Jahren), das Recht auf Solidaritätsstreiks und auf Wiedereinstellung von Streikenden. Doch die Blair-Regierung wird diesen Forderungen kaum nachgeben, solange sie von den Unternehmern nicht akzeptiert werden. Es gab keine hitzigen Debatten in diesem Jahr. Strittige Themen wie z. B.: die Festlegung eines Mindestlohns, waren von der Tagesordnung gestrichen worden, um die Regierung nicht unnötig in Verlegenheit zu bringen. Die Mehrheit der Gewerkschaften scheint sich auch mit den lähmenden Antigewerkschafts-Gesetzen abgefunden zu haben und gibt sich zufrieden mit kleineren Geschenken der Regierung, wie die Unterzeichnung des europäischen Sozialkapitels und die Aufnahme eines Dialog zwischen TUC und Regierung. Trotz des Widerstands von einigen grossen Gewerkschaften bleibt John Monks überzeugter Verfechter der Währungsunion. Er hofft, durch eine Art Osmose die Rechte und die Anerkennung, die Gewerkschaften in anderen EU-Ländern geniessen, zu erhalten. Die eigentliche Frage, ob sich eine Sozialpartnerschaft in Britannien verwirklichen lässt, wird aber nicht auf der europäischen Bühne entschieden, sondern in den täglichen Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern und inwieweit Arbeitsplatzsicherung und Arbeitsbedingungen verbessert werden.

Brunhild de la Motte, London


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