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„Ein kleines bisschen klüger“
„Lasst uns Probleme lösen, die wir lösen können.“ (Lomborger Credo)
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brand eins 10/2005
„Ein kleines bisschen klüger“

Der dänische Politikwissenschaftler und Öko-Schreck Bjørn Lomborg über Hilfe, die den Namen verdient.
Text: Michael Miersch Foto: Oliver Helbig

 „Halleluja!“ Als wir vor seinem Apartment im Herzen von Kopenhagen stehen, hören wir ihn singen. Er sitzt gern am Flügel und schmettert Gospels.


Bjørn Lomborg, 40, öffnet und strahlt. In einem „Charming-Boy-Contest“ könnte er ohne weiteres Robbie Williams ausstechen. Beim Begrüßen erzählt er, dass er soeben zu einem der 20 wichtigsten Intellektuellen der Welt gekürt wurde (Platz 14). 20 000 Leser angelsächsischer Politikzeitschriften hatten sich an der Wahl der klügsten Köpfe beteiligt. Er sagt das mit kindlichem Stolz und ohne Alpha-Männchen-Pose. Bjørn Lomborg ist nett, unkompliziert und hoch professionell.


Und er ist ein globaler Großdenker.


Lomborg wurde bereits vom »Time Magazine« zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt erklärt. Ähnliche Ehrungen erfuhr er von etlichen Zeitschriften und erlesenen Clubs.


Als junger Professor lehrte er Politikwissenschaft in Aarhus, leitete später das dänische Environmental Assessment Institute (Institut für Umweltfolgenabschätzung) und unterrichtet heute als außerordentlicher Professor an der Copenhagen Business School, wenn er nicht gerade auf einer Konferenz, in einem Fernsehstudio oder im Flugzeug sitzt.


Ins Licht der Weltöffentlichkeit trat Lomborg im Jahr 2001 mit einem Paukenschlag.


Damals erschien sein Buch „The Skeptical Environmentalist“ auf Englisch (deutscher Titel: Apocalypse No!), eine Bilanz der Umweltlage des Planeten, jenseits grüner Apokalyptik.


Seine üppig mit Fußnoten, Statistiken und Primärquellen unterfütterte Diagnose lautete: In vielen Bereichen sieht es besser aus, als die Öko-Lobby und die Massenmedien uns glauben machen wollen. Einige Themen seien pure Hypes. Andererseits würden ernste, aber medial unspektakuläre Umweltprobleme unterschätzt. Greenpeace und Co. schäumten vor Wut, konnten ihm aber keine falsche Tatsachenbehauptung nachweisen.


Drei Jahre später landete der Mythenkiller einen zweiten Coup.


Er lud acht weltweit führende Wirtschaftswissenschaftler nach Kopenhagen ein, darunter drei Nobelpreisträger (ein weiterer seiner Gäste hat ihn gerade bekommen: Thomas C. Schelling). Diesem Team wurden alle verfügbaren Informationen zu 30 drängenden globalen Problemen geliefert. Nach Klärung der Sachlage sollten sie entscheiden, wie man einen fiktiven Betrag von 50 Milliarden Dollar so investieren könnte, dass damit den meisten Menschen geholfen würde.


Die Ökonomen einigten sich auf den Copenhagen Consensus.


Und wieder grollte die Öko-Gemeinde. Denn ihr Lieblingsthema, der Klimaschutz, landete ganz weit hinten.


Auf den vorderen Plätzen rangierten der Kampf gegen Aids und Malaria, die Prävention von Mangelerkrankungen (zum Beispiel durch Vitaminpräparate) und die Abschaffung von Handelsschranken aufseiten der reichen Industrieländer. Die Verbesserung von Agrartechniken, Sanierung des Trinkwassers und des Abwassers rangierten ebenfalls weit vorn.


Erst auf Platz 15 (von 17 Maßnahmen) tauchte der erste Vorschlag zur Klimapolitik auf.


Es sei sinnvoller, sich um die Gefahren zu kümmern, die hier und heute ganz konkret Menschenleben kosten, argumentierten die Ökonomen. Eine Reduktion des Kohlendioxids trüge, wenn überhaupt, dagegen nur sehr langfristig Früchte.


Michael Miersch sprach mit Bjørn Lomborg über die richtigen Prioritäten beim Helfen.



brandeins: Herr Lomborg, spenden Sie für wohltätige Zwecke?


Lomborg: Ja, für das Rote Kreuz.


Haben Sie schon mal Hilfe von anderen bekommen?


Jede Menge. Ich bekam eine gute Ausbildung, hatte wunderbare Lehrer, die mir sehr geholfen haben. Und überhaupt: Nur ein winziger Teil meiner Argumente stammt von mir. Fast alles, was ich weiß und denke, wurde von anderen vor mir erforscht und gedacht. Das ist eine enorme Hilfe.


Sie nennen sich einen skeptischen Umweltschützer. Was ist das?


Das ist einer, dem Umwelt und Natur am Herzen liegen. Der aber nicht in emotionsgetriebenen Aktionismus verfällt, sondern vorher den Verstand einschaltet. Ein skeptischer Umweltschützer vergleicht Methoden und versucht, die beste herauszufinden. Er nimmt die historische Entwicklung wahr und verlässt sich lieber auf messbare Daten als auf die gefühlte Gewissheit, dass alles immer schlimmer wird.


Warum wollen Sie den Leuten ausreden, auf ihr Gefühl zu hören?


Ich komme aus der Umweltbewegung und habe früher Greenpeace unterstützt. Mit der Zeit kamen mir Zweifel, ob es richtig ist, dass wir unsere Energie immer auf die Felder lenken, die im Fernsehen besonders dramatisch aussehen. Vielleicht gibt es viel wichtigere Aufgaben, die nicht so gute Fernsehbilder erzeugen. Prioritäten sind wichtig, in vielen Bereichen. Nehmen Sie das Thema Gesundheit. Es gab eine gewaltige Aufregung um BSE. Doch von BSE geht nur eine sehr geringe Gefahr für die menschliche Gesundheit aus. An den Folgen von Salmonellen-Infektionen dagegen sterben sehr viele Menschen. Aber das scheint irgendwie langweilig. Wir müssen uns um die richtigen Probleme Sorgen machen!


Der Copenhagen Consensus soll die Probleme sortieren?


Ich will die Frage auf der Agenda haben: Wo können wir am besten und effizientesten Gutes tun? Was sollen wir anpacken?


Warum haben Sie dann nur Ökonomen eingeladen? Warumkeine Biologen, Mediziner oder Klimaforscher?


Wir haben lange darüber nachgedacht. Wenn Sie etwas übers Klima erfahren wollen, fragen Sie Klimatologen. Wenn Sie mehr über Malaria wissen wollen, fragen Sie Tropenmediziner. Aber Sie können die beiden nicht fragen, welches das wichtigste globale Problem ist. Der Klimatologe wird sagen, das Klima, und der Arzt Malaria. Wir alle halten unser Thema für das wichtigste. Außerdem haben diese Spezialisten keine wissenschaftlichen Werkzeuge, um ihr Problemfeld gegen ein anderes abzuwägen. Ökonomen aber besitzen genau diese Werkzeuge: Ihr Job ist, herauszufinden, wie man so investiert, dass möglichst viel dabei herauskommt. Wir brauchen den Input der Experten für die verschiedenen Fachgebiete. Sie können einem die Dimension der Herausforderung erklären und was es ungefähr kosten würde, sie zu meistern. Aber um abzuwägen, welches Problem Priorität besitzt, sind Ökonomen am besten geeignet.


Warum soll man nicht alle globalen Probleme gleichzeitig angehen und parallel lösen?


Ich kann diesen Wunsch gut verstehen. Man fühlt sich unwohl, wenn man Prioritäten setzt. Aber die reale Welt ist nicht so. Wir tun nicht alles auf einmal. Unbewusst setzen wir immer Prioritäten. Nehmen Sie nur das Beispiel Grippe-Impfung. Es wäre sicherlich optimal, wenn alle Menschen geimpft werden. Aber wir impfen überwiegend die Alten, weil die am stärksten gefährdet sind. Bei jeder Grippe-Epidemie sterben dann auch ein paar junge, kräftige Menschen. Das nehmen wir stillschweigend in Kauf, weil der Auf-wand einer generellen Impfung so immens wäre. Wir sollten uns die Vielzahl solcher mehr oder weniger unbewussten Prioritäten bewusst machen. Dann können wir vernünftiger entscheiden. Ich sage: Es ist moralischer, die richtigen Prioritäten zu setzen.


Warum ist Malaria-Bekämpfung zum Beispiel so viel wichtiger als die Reduktion von Kohlendioxid zum Schutz des Klimas?


Weil Sie mit Malaria-Bekämpfung mehr Menschen helfen können, ihnen besser helfen können und für die gleiche Geldsumme viel mehr Menschenleben retten.


Gibt es auch ein Beispiel für rationale Prioritätensetzung in reichen Industrieländern, die im Copenhagen Consensus vorkommt?


Die Methode lässt sich auf alles anwenden. Wenn wir Umweltschutz in Europa nehmen, wäre es sicher nicht sehr klug, den Schwerpunkt auf die Pestizidbelastung zu legen, da eine sehr geringe Gefahr davon ausgeht. Feinstaub dagegen ist ein ernstes Problem, er belastet die Gesundheit vieler Menschen. Also wäre es vernünftig, sich vorrangig um die Reduktion des Feinstaubs zu kümmern.


Konnten Sie einen Politiker von Ihrem Ansatz überzeugen?


Politiker hören mir schon zu. Und einige nehmen meine Argumente sogar auf. Es ist für Politiker aber sehr schwer, klare Prioritäten zu setzen. Ist doch klar: Zehn Lobby-Gruppen wollen Geld. Wenn ein Politiker sagen würde, ich habe mir alle Argumente genau besehen, die Gruppen eins, zwei und drei haben tatsächlich ein wichtiges Anliegen, die anderen machen nur Lärm, ich gebe das Geld an diese drei – dann haben Sie sieben Lobby-Gruppen gegen sich. Schlecht für einen Politiker. Also nimmt er lieber die Gießkanne.


Am stärksten haben sich die Klima-Aktivisten über Ihre Prioritätenliste aufgeregt. Warum ist deren Anliegen auf einem der hinteren Plätze gelandet? Ist das so unwichtig?


Wir könnten mit relativ wenig Geld jetzt, hier und heute, Kinder retten, die an Mangelernährung, Malaria oder schmutzigem Wasser sterben. Wenn wir heute viel Geld in die Reduktion von Kohlendioxid stecken, hätte dies möglicherweise einen Effekt in hundert Jahren. Aber bis dahin werden die Küstenbewohner in heutigen Entwicklungsländern so reich sein wie wir Europäer heute, alle Prognosen und alle historische Erfahrung sprechen dafür. Würden sie verstehen, dass wir uns, die wir heute Politik machen, mehr um sie sorgten als um ihre Urgroßeltern, die tatsächlich im Elend lebten? Das ist doch sehr unwahrscheinlich. Das Geld, das wir heute ausgeben, sollte Menschen zugute kommen, denen es heute dreckig geht, nicht potenziellen Flutopfern in hundert Jahren. Diese Priorität ist logisch: Wohlhabende Menschen können sich vor steigendem Wasserstand schützen. Schauen Sie sich die Niederländer an, die leben in Wohlstand tief unter dem Meeresspiegel der Nordsee und regeln das Problem mit Deichen.


Sie denken also nicht, dass Wohlstand schlecht für die Umwelt ist?


Wenn Leute zu etwas Geld kommen, setzen sie erst mal andere Prioritäten. Sie geben ihren Kindern mehr zu essen, schicken sie in die Schule und bringen sie zum Arzt. Sie fangen an, Dinge zu kaufen, die sie sich schon lange wünschen. Mehr Konsum hat zweifellos zunächst negative Auswirkungen auf die Umwelt: mehr Energieverbrauch, mehr Müll, mehr Verschmutzung. Aber: Wenn die Menschen erst ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht haben, fangen sie an, sich andere Sorgen zu machen. Das lässt sich an Schwellenländern wie Chile und Mexiko gut nachweisen. Und es war in Europa genauso. Erst kümmert man sich darum, dass die eigenen Kinder nicht sterben, und dann um das Fischsterben im Rhein. Mit wachsendem Wohlstand verschwinden einige der schlimmsten Probleme, zum Beispiel verschmutztes Trinkwasser oder die starke Belastung durch offene Feuerstellen in Hütten. Die Weltgesundheitsorganisation sagt, 2,8 Millionen Menschen sterben jährlich daran, dass sie den Qualm von brennendem Holz, Dung, Pappe oder Plastikmüll einatmen müssen. Wir vergessen oft die Umweltverschmutzung durch Armut.


Glauben Sie, dass Hunger und extreme Armut in absehbarerZeit verschwunden sein werden?


Ja. Die historische Erfahrung und alle UN-Statistiken sprechen dafür. Von Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts sank die Zahl der Unterernährten in den Entwicklungsländern von 50 auf 17 Prozent. Der Prozentsatz der Menschen, die mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen müssen, hat sich halbiert. Die pessimistischste UN-Prognose nimmt an, dass die heutigen Dritte-Welt-Bewohner im Jahr 2100 so reich sein werden wie wir Europäer heute. Wahrscheinlicher ist, dass sie reicher sein werden.


Welche Rolle spielt die Freiheit? Der Ökonomie-Nobelpreisträger Amartya Sen sagt, Demokratie ist das beste Mittel gegen Armut?


Fast jeder ist für Demokratie, gegen Korruption und für Good Governance. Das Problem ist nur: Wir wissen nicht, wie wir diese Dinge herbeizaubern. Deshalb ist es besser, sich um die Dinge zu kümmern, von denen man – zumindest halbwegs – weiß, wie man sie zu Stande bringt. Wir wissen, wie man Aids verhindern kann, wir wissen, wie man Malaria bekämpfen kann, wir wissen, wie man die Märkte in Europa öffnen kann. Wir wissen nicht, wie man Good Governance in Afrika zum Durchbruch verhilft.


Wir könnten zum Beispiel damit aufhören, schlechte Regierungen zu unterstützen.


Natürlich. Aber leider gibt es keinen Weg zu sagen: Hier ist Geld, regiert nun bitte besser. Wir können aber sagen: Hier ist Geld, verteilt dafür Kondome.


Geht das so einfach? Kann Hilfe überhaupt funktionieren, wenndie Empfänger nicht bereit sind, etwas daraus zu machen?


Der Copenhagen Consensus stellte sich die Frage: Was können wir mit Geld erreichen? Geld ist wichtig, aber es ist nicht das einzig Wichtige. Wir können mit Geld nicht die Einstellung der Menschen verändern. Man kann mit Geld nicht den Gebrauch von Kondomen auf 100 Prozent steigern. Da spielen religiöse Vorbehalte, Konventionen, sexuelle Rollenmuster und vieles andere eine Rolle. Aber man kann den Gebrauch vielleicht von 30 auf 60 Prozent heben. Und das ist auch schon viel.


Es gibt Länder, deren Regierungen sich gegen solche Hilfe sträuben würden.


Dann sollten wir bei denen anfangen, die Hilfe willkommen heißen. Man muss die Welt nehmen, wie sie ist, und fragen: Wo können wir Gutes tun?


Prioritäten setzen muss man auch bei den Empfängerländern?


Ja. Wir sollten unser Geld dahin geben, wo es am meisten Gutes bewirkt.


Die Nummer eins auf der Prioritätenliste beim Copenhagen Consensus wurde die Aids-Bekämpfung. Nun gibt es kritische Stimmen, wie die des kenianischen Ökonomen James Shikwati, der sagt, das Aids-Problem werde von korrupten Regierungen übertrieben, um Hilfsgelder in die eigene Tasche zu stecken.


Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ohne Zweifel ist unsere Informationsgrundlage niemals perfekt. Wir haben die härtesten Informationen genutzt, die damals bekannt waren. Für 2008 wollen wir den nächsten Consensus organisieren. Bis dahin sammeln wir aktuelle und möglichst noch besser gesicherte Informationen. Man kommt einer exakten Realitätsbeschreibung immer nur schrittchenweise näher und wird sie nie ganz erreichen. Wir haben nicht den absoluten Gipfel des Wissens erklommen, sondern versucht, die Probleme etwas weniger unwissend zu betrachten als zuvor.


Ihre Gegner haben Sie nicht nur kritisiert, sondern sehr persönlich angegriffen. Wie erklären Sie sich, dass Öko-Aktivisten so wütend auf Sie sind?


Nun, wenn jemand mit einer als neu empfundenen Sichtweise antritt, reagieren manche Menschen mit Abwehr. Das ist immer so. Die Reaktion zeigt, dass ich offensichtlich ein paar empfindliche Punkte erwischt habe, wo etwas nicht stimmt. Wenn ich mir einbilde, jeden überzeugen zu können, dann hätte ich schon verloren. So funktioniert Demokratie nicht. Und das ist auch gut so. Ich bin glücklich, wenn möglichst viele Menschen anfangen, ein kleines bisschen genauer zu denken, etwas rationaler zu entscheiden.


Und haben Sie Erfolg damit?


Wir haben parallel zum Copenhagen Consensus 80 junge Studenten aus aller Welt eingeladen. Sie sträubten sich gegen den Gedanken einer Prioritätenliste. Als wir nicht lockerließen und sie fast zwangen, es doch zu tun, kam beinahe die gleiche Reihenfolge wie bei den Ökonomen heraus.


Ist Ökologismus eine neue Religion?


Ich versuche eher die positiven Seiten der heutigen Öko-Sensibilität zu sehen, die in den siebziger Jahren aufkam. Es ist doch sehr erfreulich, dass die Menschen heute die Natur nicht mehr nur als Ressource ansehen, die man beliebig plündern kann. Wir versu-chen mittlerweile sogar, Tiger zu retten, und lassen die Wölfe dorthin zurückkehren, wo sie einst ausgerottet waren. Das sind Zeichen eines zivilisatorischen Fortschrittes, der durch wachsenden Wohlstand möglich wurde.


Viele Nichtregierungsorganisationen, die falsche Prioritätensetzen, werden von Politikern und Konzernmanagern hofiert. Wie erklären Sie sich das?
Verschiedene Perspektiven an den Tisch zu bringen ist grundsätzlich nichts Falsches. Und natürlich möchten auch Konzerne und Politiker gern als Unterstützer des Guten betrachtet werden. Das ist ein gutes Zeichen. Aber am Ende müssen wir uns alle fragen: Was ist wirklich gut? Wir können nicht alles gleich gut tun. Wir müssen Prioritäten setzen. Das ist ein rationaler Ansatz, der Bauchweh bereitet, weil er impliziert, dass man manche gute Tat als weniger dringlich betrachtet. Das wollen Politiker und Konzerne natürlich nicht, weil es auf den ersten Blick kaltherzig wirkt.


Warum sind Mythen und Symbole so viel stärker als Fakten?


Es hat keinen Sinn, das zu bejammern. Die Welt ist so. Auch Sie und ich entscheiden nicht immer rational, sondern oft nach dem Gefühl. Wir werden von Bildern oder Gerüchen verführt. Wir wollen ein gutes Image haben. Politikern und Konzernbossen geht es genauso. Das muss man anerkennen. So ist die Welt. Ich bilde mir nicht ein, dass ich die Erde in ein Paradies der Vernunft verwandeln kann. Es geht mir schlicht und einfach darum, dass Entscheidungen ein kleines bisschen klüger werden. Eine kleine Verschiebung in Richtung Rationalität.


Sie sind immer so verständnisvoll. Werden Sie nie zornig? Wasist, wenn Sie lesen, dass die Kampagne von Öko-Aktivisten  gegen DDT – das den Malaria-Überträger, die Anopheles-Mücke, vernichtet – Millionen von Menschenleben kostet? Falsche Prioritäten töten. Kriegen Sie da keine Wut?


Nun, das Fiese an Schach ist, dass der Gegner auch Schachfiguren hat. Wenn Sie einen Zug machen, macht der auch einen Zug. Es gibt so viele Menschen, die eine Idee haben, wie man die Welt verbessern könnte. Ich glaube natürlich, dass ich die beste habe. Aber wenn ich meine allen aufzwingen dürfte, wäre dies das Ende der Demokratie. Das wäre furchtbar. Es ist also gut, dass ein ständiger Kampf um den richtigen Weg stattfindet.


Was ist mit den Medien? Haben Sie Hoffnung, dass die Medienvernünftiger werden könnten und weniger auf Skandalisierung von Nichtigkeiten und Hypes setzen?


Ja, weil wir gerade dieses Interview machen. –


 


Zum Autor: Michael Miersch, ehemaliger Redakteur des Magazins »Natur«, gehört mit seinem Kollegen Dirk Maxeiner zu den Pionieren des kritischen Umweltjournalismus in Deutschland. Bereits 1998 erschien der Bestseller des Autorenduos „Lexikon der Öko-Irrtümer“ (Eichborn Verlag)