Die Weltwoche   Ausgabe 39/07  


Aus Ausgabe 33/02 |   Das Weltwoche-Gespräch

Interview

«Man will, dass ich mich schuldig fühle – man will, dass ich tot bin»

Von André Müller

Leni Riefenstahl, Hitlers geniale Filmemacherin, wehrt sich noch mit hundert Jahren an allen Fronten, sogar gegen ihre Verteidiger.

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Wie führt man ein Interview mit einer lebenden Legende, die über das, was sie zur Legende gemacht hat, nicht sprechen will? Leni Riefenstahl hat zum Gespräch in ihr Haus in Pöcking nahe München gebeten, wo sie mit ihrem vierzig Jahre jüngeren Lebensgefährten und Mitarbeiter Horst Kettner wohnt. Die mitgebrachten Blumen nimmt sie mit Routine entgegen. Dass sie fast hundert ist, will man nicht glauben. Jugendlich blond, rosig geschminkt, nimmt sie auf einem Sofa Platz, nippt an dem Vitamingetränk, das ihre Sekretärin ihr hingestellt hat, und fragt: «Was wollen Sie wissen?»

Vieles geht einem da durch den Kopf. Man würde die alte Dame gern zum Denken verführen.

Warum beteuert sie denn bei jeder Gelegenheit, sie habe dem Hitler-Staat unfreiwillig gedient, obwohl sie doch auf ihre Willensstärke so stolz ist? Warum begreift sie nicht, dass das unvereinbar ist? Man will im Grunde nur diese eine Frage stellen.

Man hat aber gehört, dass sie Journalisten, die sie nach ihrer Vergangenheit im Dritten Reich befragen, zur Tür hinauswerfen lässt. Vielleicht sollte man sich zuerst nach ihrem Befinden erkundigen. Aber sie hat, sagt sie, an diesem Nachmittag noch einen Arzttermin. Man will keine Zeit verschwenden. Man hat gelesen, sie redet gern über ihr Leben bei den Nuba in Afrika. Dort sei sie glücklich gewesen. Dort habe sich niemand für ihre Vergangenheit interessiert.

Aber auch die Nuba, die sie in ihrer urwüchsigen Nacktheit filmte, haben sie bald enttäuscht. Beim zweiten Besuch trugen sie Hosen und um den Hals Plastikflaschen. Besser, man fragt sie nach ihrem Glück unter Wasser. Mit siebzig hat sie das Tauchen gelernt. In den Korallengärten der Südsee fand sie ihr Paradies. So schön kann nur noch der Tod sein, auf den sie sich, wie sie in einem früheren Interview eingestand, freut. Mit dem Tod also kann man beginnen.

Zweimal kommt während des Gesprächs die Sekretärin ins Zimmer und macht diskret auf den Arzttermin aufmerksam. Leni Riefenstahl aber winkt ab und bleibt sitzen. Sie ist an diesem Nachmittag zum Durchhalten aufgelegt. Sie macht dem Interviewer beim Abschied sogar das Kompliment, es sei, obwohl er zu viel Zeit mit dem Hitler-Thema vergeudet habe, ein interessantes Gespräch gewesen.

Sie werden am 22. August hundert Jahre alt. Der Tod, sagen Sie, wird für Sie eine Erlösung sein.
Ja, eine Erlösung von den Schmerzen, nicht vom sonstigen Leben. Es geht mir sehr schlecht zurzeit. Ich bin sehr krank und sehr müde.

Man sieht es Ihnen nicht an.
Es ist aber so. Ich muss sehr starke Mittel nehmen...

Morphium.
Ja, Morphium. Aber das macht mir den Kopf kaputt. Da passiert es mir, dass ich manche Dinge vergesse. Das kann mir auch in diesem Interview leicht passieren.

Das Vergessen kann auch eine Gnade sein.
Ich weiss, was Sie meinen.

Sie waren im NS-Staat eine der prominentesten Künstlerinnen. Sie haben nie abgestritten, dass Sie Hitler verfallen waren. Sie haben für ihn den Film «Triumph des Willens» über den Reichsparteitag gedreht...
Ich bereue zutiefst, diesen Film gemacht zu haben.

Er ist Ihr Meisterwerk.
Ja, aber ich werde wegen dieses Meisterwerks seit Jahrzehnten bespuckt und beleidigt. Man hat mich als Nazi und Antisemitin beschimpft. Man hat geschrieben, ich hätte vor Hitler Nackttänze aufgeführt. Man behauptet, ich hätte gesehen, wie Juden erschossen wurden. Ich habe zehn eidesstattliche Erklärungen, dass das nicht stimmt. Ich habe über fünfzig Prozesse geführt und habe sie alle gewonnen. Aber man glaubt mir nicht. Man will, dass ich sage, ich hätte gewusst, was in den Konzentrationslagern geschah. Aber ich habe es nicht gewusst.

Sie haben erst nach dem Krieg davon erfahren.
Ja, ich bin doch fast wahnsinnig geworden, als ich davon erfuhr.

Sie zitieren in Ihren Memoiren einen Brief, den Sie 1949 einem jüdischen Freund, dem Journalisten Manfred George schrieben, der vor den Nazis nach Amerika geflohen war...
Das ist interessant, dass Sie das hier erwähnen.

Da heisst es: «Nie habe ich bestritten, dass ich der Persönlichkeit Hitlers verfallen war. Dass ich das Dämonische zu spät in ihm erkannt habe, ist zweifellos Schuld oder Verblendung...»
Ja, ich habe in dieser Zeit gelebt, aber ich habe von dem Schrecklichen nichts gewusst.

Sie haben weggesehen.
Nein, ich habe nicht weggesehen. Ich war eine Gutgläubige. Ich habe an das Positive geglaubt. Ich habe geglaubt, dass Hitler Gutes tut, und er hat ja auch Gutes getan. Es ist ihm gelungen, in zwei Jahren sechs Millionen Arbeitslosen Arbeit zu geben. Das hat mich beeindruckt, weil auch meine Familie davon betroffen war. Mein Vater hatte in seiner Firma ein paar hundert Arbeiter gehabt, die alle arbeitslos waren. Aber als Hitler kam, hatten die wieder Arbeit.

Nach dem Krieg haben Sie sich schrecklich betrogen gefühlt.
Ja, ganz richtig. Denn ich hatte ja Ideale.

Die waren zerstört.
Ja, vollkommen. Hätten Sie mir während des Dritten Reiches gesagt, dass Hitler Konzentrationslager errichtet und da Menschen umgebracht werden, hätte ich geantwortet, Sie können mir beide Hände abschneiden, ich glaube es nicht. Ich habe furchtbar gelitten, als man mir 1945 die Bilder zeigte, auf denen man sah, was geschehen war. Das ist etwas, das man nie wegwischen kann. Das ist in mir eingebrannt wie ein Tattoo. Das geht nicht weg.

Sie haben Hitler 1932, noch vor der Machtergreifung, kennen gelernt. Sie hatten ihn im Berliner Sportpalast reden gehört und waren hingerissen.
Ich war fasziniert von der Wirkung, die er auf so viele Menschen hatte.

Sie haben ihm einen Brief geschrieben.
Ja, weil ich neugierig war. Ich wollte sehen, was für ein Mensch das ist. Ich war an seiner Person interessiert, wie viele an Hitler interessiert sind, bis heute. Ich wollte wissen: Wie ist der eigentlich? Ist das ein Teufel oder ein guter Mensch? Aber ich bin zu keinem Ergebnis gekommen. Ich habe in ihm immer beides gesehen. Ich hatte ständig das Gefühl, dass er zwei Seiten hat. Aber die böse Seite habe ich nicht wahrgenommen.

Sie haben sie nicht wahrnehmen wollen.
Nein, nein, das stimmt nicht!

Sie fühlten sich durch die Komplimente, die er Ihnen machte, geschmeichelt.
Komplimente bekam ich damals von allen Seiten. Das war nichts Besonderes. Er hatte meinen Film «Das blaue Licht» gesehen, und er bewunderte, dass ich es geschafft hatte, mich ohne eigene Mittel als Frau durchzuringen. Das hat ihm imponiert. Der Film war ja ein Welterfolg. Ich bekam Telegramme von Chaplin und Douglas Fairbanks. Hitler hat das übernommen.

Sie meinen, er war von Ihrem Erfolg beeindruckt?
Ja, auch. Er schätzte mich als erfolgreiche Künstlerin.

Kannten Sie damals schon seine Ansichten über die Rolle der Frau, die sich dem Mann unterordnen und der Nation Kinder gebären sollte?
Ja, ich hatte das ja in «Mein Kampf» gelesen. Also das wusste ich schon. Aber es hat mich nicht interessiert.

In einer Rede, die Hitler 1934 vor der nationalsozialistischen Frauenschaft hielt, sagte er: «Was der Mann einsetzt an Heldenmut auf dem Schlachtfeld, setzt die Frau ein in ewig geduldiger Hingabe, in ewig geduldigem Leid und Ertragen. Jedes Kind, das sie zur Welt bringt, ist eine Schlacht, die sie besteht für das Sein oder Nichtsein des Volkes.»
Ich kannte seine Ansichten. Aber ich hätte mich dem nie fügen können. Einer seiner Adjutanten hat mir einmal gesagt, dass er mich für eine grosse Ausnahme halte.

Haben Sie versucht, ihm seine Ideen auszureden?
Ja, das habe ich ja beschrieben. Seinen Rassismus habe ich vollkommen abgelehnt. Doch als ich merkte, dass es zwecklos war, mit ihm darüber zu sprechen, habe ich aufgegeben. Er hat das mit einer solchen Absolutheit vom Tisch gewischt. Er hat seinen Adjutanten gerufen und mich hinausgeschickt. Ich musste gehen, und ich habe dann auch von anderen gehört, dass es ganz hoffnungslos war. Wer versuchte, mit ihm über das Judenproblem zu sprechen, den hat er nie wieder getroffen. Es ist ein Wunder, dass er mich überhaupt noch sehen wollte, obwohl er spürte, dass ich in diesem Punkt nicht konform ging mit ihm.

Kam Ihnen nie der Gedanke, Hitlers Judenhass könnte Folgen haben?
Ich wusste, dass er durch und durch antisemitisch war, und ich erkannte, dass er einen so starken Willen hatte, dass man dagegen nichts machen konnte.

Waren Sie nicht alarmiert, als Sie sahen, dass Ihre jüdischen Freunde Deutschland verlassen mussten?
Ich dachte, dass sie das freiwillig taten. Ich habe nie erlebt, dass ein Jude weggebracht wurde. Ich habe ein Schreiben bekommen, dass wir nicht in jüdischen Geschäften einkaufen sollten. Aber darum habe ich mich nicht gekümmert. Ich habe in jüdischen Geschäften bis zum Schluss eingekauft.

Was dachten Sie, als Sie in «Mein Kampf» lasen, die Juden seien moralisch minderwertig und eine «geistige Pestilenz», die man ausrotten müsse?
Ich fand das schrecklich. Ich habe ja dieses Buch nur zum Teil bejaht und habe mir Randnotizen gemacht, die Hitler, als er mich einmal besuchte, gesehen hat. Da stand dann «schlimm» oder «nein, stimmt nicht». Gefallen haben mir nur seine sozialen Ideen. Da habe ich «ja» an den Rand geschrieben.

Wie reagierte Hitler, als er diese Notizen las?
Er fand das humorvoll. Das Buch war zufällig auf meinem Schreibtisch gelegen. Er hat darin herumgeblättert. Aber er war in keiner Weise pikiert.

Er hat Sie nicht ernst genommen.
Sagen wir mal, er hat von Anfang an gespürt, dass ich nie in die Partei eintreten würde. Ich war ja an Politik überhaupt nicht interessiert, weil ich von Politik nichts verstanden habe. Er war auch nicht pikiert, als ich ihm während eines Spaziergangs sagte, ich könnte für ihn keine Filme machen.

Trotzdem haben Sie den Parteitagsfilm für ihn gemacht.
Ja, aber unfreiwillig. Ich hatte ganz andere Pläne. Ich wollte die «Penthesilea» von Kleist verfilmen. Auf das Stück war ich 1925 durch Max Reinhardt gestossen, der in mir die ideale Besetzung für diese Rolle sah. Als ich es las, war ich sofort begeistert. Ich habe Hitlers Auftrag als eine Katastrophe empfunden und den Regisseur Walther Ruttmann, mit dem ich befreundet war, vorgeschlagen. Hitler sagte: «Es sind doch nur sechs Tage, die Sie mir schenken sollen. Nach diesem Film können Sie alle Filme machen, die Sie sich wünschen.»

Aber im Jahr darauf haben Sie einen weiteren Film für ihn gemacht, den Dokumentarfilm «Tag der Freiheit» über die deutsche Wehrmacht.
Das musste ich tun, weil sich die Generäle bei ihm beschwert hatten, dass im «Triumph des Willens» die Reichswehr nicht vorkam.

Sie drehten einen Film über das Militär, obwohl Ihnen alles Militärische zutiefst zuwider war.
Ja, was hätte ich tun sollen? Ich habe das hingenommen. Mir waren Uniformen, wenn ich das hier sagen darf, immer unsympathisch. Ich habe das hingenommen, wie ich die Bäume hinnehme oder ein Haus.

In Ihren Memoiren schreiben Sie: «Krieg war für mich der Inbegriff des Schrecklichen...»
Ja, ich hatte ja als Kind den Ersten Weltkrieg noch miterlebt.

Der Satz geht weiter: «...und übertriebene Nationalgefühle konnten schuld daran sein, dass es Krieg überhaupt gab.»
Ich weiss nicht mehr, was ich da alles geschrieben habe.

Ich kann nicht verstehen, wie Sie einem so rabiaten Nationalisten wie Hitler vertrauen konnten.
Schaun Sie, um mich zu verstehen, um zu verstehen, wie ich gedacht und gefühlt und wie ich das aufgenommen habe, müssten Sie jemand sein, der sehr sensibel ist und die Fähigkeit hat, sich in einen schizophrenen Charakter, wie es Hitler war, hineinzuversetzen. Nur jemand, der ohne Vorurteile bereit ist, etwas zu erfahren, jemand, der sich öffnet, der neugierig ist, kann mich vielleicht begreifen.

Vorurteile habe ich keine. Ich zitiere nur, was Sie geschrieben haben.
Dagegen habe ich nichts.

Als Sie mit fünf Jahren eine Aufführung des Märchens «Schneewittchen» sahen, haben Sie vor allem die bösen Figuren interessiert.
Ja, das Böse hat mich immer furchtbar gequält. Ich kann mich an eine ganz groteske Szene erinnern, ich weiss nicht, ob ich sie in den Memoiren beschrieben habe. Da bin ich aus einer «Othello»-Vorstellung schreiend hinausgerannt, weil ich die Intrigen des Jago nicht länger ertragen konnte. Ich sass in der Mitte der Reihe und bin an den Leuten vorbei, die geschimpft haben, weil ich ihnen die Sicht nahm, hinausgelaufen. So sehr hat mich das aufgeregt.

Wie alt waren Sie da?
Das war schon während des Dritten Reiches. Da muss ich so fünfunddreissig gewesen sein.

Vom Gemüt her waren Sie noch ganz kindlich.
Ja, ich war sehr lange naiv. Als ich nach dem Krieg den Film «Rififi» sah, in dem zwanzig Minuten lang gezeigt wird, wie man einen Banküberfall vorbereitet, habe ich im Kino laut protestiert.

Sie wollen sich Ihren Glauben an eine heile Welt bewahren.
Ja, finden Sie es so etwas Besonderes, wenn man eine Abwehr hat gegen das Schreckliche? Ich schliesse sogar die Augen, wenn ich im Fernsehen etwas Abstossendes sehe, oder ich schalte ab, weil mich das verletzt, weil ich körperlich darunter leide. Es tut mir weh.

Ein Künstler muss das ertragen. Er darf vor dem Bösen nicht die Augen verschliessen. Er muss auch das Unschöne gestalten.
Das habe ich nie getan. Mich zieht nur das Schöne an. Wenn ich tauche, und ich sehe unter Wasser, da liegen Blechdosen herum, denke ich gar nicht daran, die zu fotografieren, weil ich das scheusslich finde. Ich nehme die Dosen weg. Was ich nicht sehen mag, das will ich auch nicht gestalten.

Das ist es, was ich Ihnen zum Vorwurf mache.
Ja, aber so bin ich. Sie werden mich nicht verändern können. Ich gehe dem Hässlichen aus dem Weg. Das ist meine Veranlagung, vielleicht meine Schwäche.

Kennen Sie das Buch «Männerphantasien» von Klaus Theweleit?
Nein.

Theweleit schreibt, Sie hätten in Ihrem Film «Triumph des Willens», ohne es zu wollen, das Wesen des Faschismus entlarvt.
Das ist mir ganz neu.

Sie wollten das Schöne sehen und haben unbewusst das Böse gezeigt.
Welches Böse?

Das Gespenstische eines Führerkults, der sich als Ersatzreligion offenbart.
Dass von Hitler etwas Diabolisches ausging, habe ich schon gespürt.

Die Menschen waren ihm hörig.
Ja, aber dass er das schaffte, habe ich eben an ihm so bewundert. Das kann man mir vorwerfen. Aber er wurde ja von allen vergöttert, die um ihn waren. Man hat in ihm einen Gott gesehen, einen guten Gott. Wie das passieren konnte, ist mir ganz unbegreiflich. Die Frage wurde schon tausendmal gestellt, und keiner hat sie beantworten können.

Was würden Sie einem jungen Menschen raten, damit er der Verführung durch das Böse entgeht?
Das weiss ich nicht. Er müsste ja zuerst einmal wissen, ob das überhaupt eine Verführung ist. Das weiss man ja in dem Moment, da es geschieht, noch nicht.

Das heisst, es gibt keine Chance?
Kaum.

Wie kann man mit diesem Gedanken leben?
Man muss damit leben. Ich stelle mir das Leben mit all seinen Problemen als ein Gepäck vor, das der Mensch auf dem Rücken trägt. Er kann damit so lange gehen, bis er zusammenbricht. Wenn es zu viel wird, klappt er zusammen. Dann ist es aus. Dann wird er krank oder verrückt, oder er wird zum Selbstmord getrieben. Nur wer einen starken Willen hat, erträgt ein schweres Gewicht. Ich bin jemand, der viel ertragen kann. Es hat harte Eingriffe gegeben, aber ich habe mich immer wieder erholt wie eine Pflanze, die fast verdurstet und dann plötzlich Wasser bekommt und wieder aufblühen kann... Aber jetzt muss ich leider aufhören, Herr Müller, weil ich meine Medikamente einnehmen und mich hinlegen muss.

Kann es sein, dass Sie Hitler vertrauten, weil Sie eine gewisse Seelenverwandtschaft mit ihm empfanden?
Sagen wir mal, ich habe bei ihm eine grosse Willensstärke, die ich auch habe, gesehen. Ohne meine Willenskraft, die ich von meinem Vater geerbt habe, wäre ich an den Verfolgungen, die ich erleiden musste, kaputtgegangen.

Sie werden nicht nur verfolgt. Sie werden von vielen bewundert.
Ja, man hat geschrieben: Sollen wir sie heilig sprechen oder verbrennen? Ich frage mich, warum man mich nicht endlich in Ruhe lässt. Man will, dass ich mich schuldig fühle. Man will, dass ich tot bin. Man hat geschrieben, man hätte mich in Nürnberg als Kriegsverbrecherin anklagen und aufhängen sollen. Aber was habe ich denn verbrochen? Was habe ich denn getan, dass ich so viele Gegner habe? Die Leute sollen mich alle in Ruhe lassen.

Auch die Bewunderer?
Ja, alle. Ich will meine Ruhe haben, und ich verabschiede mich jetzt, Herr Müller. Es tut mir Leid, dass ein so intelligenter Mann wie Sie die ganze Zeit mit diesem blöden Hitler verplempert hat. Ich wollte darüber eigentlich gar nicht sprechen. Ich muss Ihnen sagen, mich kotzt das an.

Worüber hätten Sie denn mit mir sprechen wollen?
Es gibt doch viel interessantere Themen. Wir hätten über Kunst und Gestaltung und über Kreativität und wie das alles zustande kommt, sprechen können.

Das haben wir doch getan.
Ich möchte jetzt das Hitler-Thema beenden. Ich habe sehr starke Schmerzen. Ich gebe Ihnen noch zehn Minuten, um Ihre Fragen zu stellen.

Haben Sie das Theaterstück «Marleni» von Thea Dorn gesehen?
Ich habe es nicht gesehen, aber ich glaube, das gibt es als Buch. Ich habe es nur gelesen.

Hat es Ihnen gefallen?
Ich fand es ganz lustig.

Sie treffen in diesem Stück mit Marlene Dietrich zusammen, die als das völlige Gegenteil von Ihnen beschrieben wird.
Na ja, ich war mehr das Naturkind, während Marlene eher ein Typ war, der das Sexuelle betonte. Sie sah ja ganz anders aus, wunderschön, wie eine Sphinx. Ich mochte sie sehr, und ich verehre sie. In meinem Leben spielte der Sex keine so grosse Rolle.

Alice Schwarzer führt das darauf zurück, dass der erste Mann, den Sie liebten, Sie vergewaltigt hat.
Das ist wieder so eine Fantasie. So war es nicht.

Sie haben diese Vergewaltigung selbst beschrieben.
Ja, aber...

Das muss doch ein prägendes Erlebnis für Sie gewesen sein.
Ja, aber nicht in dem Sinne, wie Sie es sagen. Es war in dem Sinne prägend, dass es mich Männern gegenüber vorsichtiger machte. Ich hatte ja viele Verehrer, und ich bin durch dieses Erlebnis, sagen wir mal, kühler geworden, zurückhaltender, unnahbarer. Ich mochte zum Beispiel keine Flirts. Wenn ich lese, wie sich Frauen bemühen, den Männern zu gefallen, denke ich immer, bei mir war es umgekehrt. Mir war es sehr unangenehm, wenn sich die Männer in mich verliebten, denn es hat doch nur Ärger gebracht, wenn ich das nicht erwidern konnte.

Einer Ihrer hartnäckigsten Verehrer war Joseph Goebbels.
Ja, aber der Goebbels hat mich sowieso abgestossen.

Sie schreiben, er habe sich schluchzend vor Ihnen auf dem Boden gewälzt und Ihnen während einer Opernaufführung unter den Rock gegriffen.
Goebbels hat mich mehr gehasst als geliebt. Er hat mir dann grosse Schwierigkeiten bereitet. Ich hatte, als ich 1936 den Film über die Olympiade drehte, von Hitler den Auftrag, ihn aufzunehmen, wie er die Spiele eröffnet, und das konnte ich nur aus der Nähe tun. Die Loge, in der er sass, unterstand aber dem Dr. Goebbels, und da Goebbels kein Freund von mir war, hat er versucht, das zu verhindern. Da stand ich also zwischen zwei Aufträgen...

Um Ihr Ziel zu erreichen, brachen Sie auf der Tribüne in Tränen aus.
Nein, ich habe das nicht getan, um ein Ziel zu erreichen. Ich habe aus Wut geweint. Das hat der Göring gesehen und gesagt: «Lass das Mädchen doch ruhig ihre Sachen machen.»

Bei Hitler fühlten Sie sich sicher, weil er Sie nicht als Frau begehrte.
Der Hitler hatte auf mich als Mann überhaupt keine Wirkung.

Ihr erstes Zusammentreffen haben Sie so beschrieben: «Wir gingen stumm nebeneinander. Nach einer längeren Pause blieb er stehen, sah mich lange an, legte langsam seine Arme um mich und zog mich an sich...»
Das war in Horumersiel, einem kleinen Fischerort an der Nordsee. Er hatte mich zu einem Spaziergang am Strand eingeladen.

Als Sie seinen Annäherungsversuch abgewehrt hatten, hob er die Hände und sagte: «Ich darf keine Frau lieben, bis ich mein Werk nicht vollendet habe.»
Ja, aber später, als ich ihn in seiner Münchner Wohnung besuchte, erzählte er mir, er habe in seinem Leben nur eine Frau wirklich geliebt. Das war seine Nichte, Geli Raubal, die sich erschossen hatte.

Hat es Sie berührt, dass Ihnen Hitler sein Privatestes anvertraute?
Mir wäre lieber, ich hätte ihn nie kennen gelernt. Denn dann hätte ich nicht diesen schrecklichen Ärger, unter dem ich bis heute leiden muss.

Sie hätten auch vieles andere nicht. Es würde sich zum Beispiel kein Journalist für Sie interessieren.
Ja, glauben Sie, es ist für mich ein Geschenk, von Ihnen befragt zu werden? Es liegt mir nichts daran, mich beliebt zu machen. Ich spreche mit Ihnen, obwohl ich in grosser Zeitnot bin und eigentlich hätte absagen müssen.

Warum haben Sie dieses Interview trotzdem gewährt?
Weil ich wissen wollte, ob sich die Weltwoche, die seinerzeit einen Bericht über mich veröffentlicht hatte, der voller Lügen war, zum Guten verändert hat.

Sie spielen auf einen Artikel aus dem Jahr 1937 an...
Ja, ich habe ihn mir für unser Gespräch kopieren lassen. Da stand, ich sei bei Hitler in Ungnade gefallen, nachdem Dr. Goebbels behauptet habe, dass ich jüdische Vorfahren hätte. Die Überschrift lautete: «Der gefallene Engel des Dritten Reiches». Das wurde von der ganzen Welt übernommen.

Hitler war empört.
Ja, er rief mich zu sich und schlug vor, mich mit Dr. Goebbels und dem Fotografen Hoffmann in meinem Haus zu besuchen, um die Lügen durch ein aktuelles Foto, auf dem ich mit ihm und Goebbels abgebildet war, zu entkräften.

Es war berichtet worden, Sie seien in der Schweiz untergetaucht.
Ja, aber das war alles erfunden. Es hat nichts gestimmt.

Ich kann Sie beruhigen. Ich werde nichts erfinden.
Vor Jahren kam ein italienischer Journalist zu mir. Ich führte ihn in den Garten und zeigte mit dem linken Arm auf die alte Eiche, die dort steht. In diesem Moment wurde ich fotografiert.
Das Foto erschien dann seitenverkehrt, und darunter stand: «Leni Riefenstahl verabschiedet sich mit dem Hitlergruss.»

Nein!
Doch, so war es. Ich muss immer damit rechnen, dass ich verleumdet werde.

Glauben Sie, die Angriffe gegen Sie haben auch damit zu tun, dass Sie eine Frau sind?
Ich habe gehört, dass man das sagt. Man sagt, andere hätten sich an der Leni entnazifizieren wollen.

Männer, die den Nazis zu Diensten waren, haben nach dem Krieg sehr schnell wieder arbeiten können, Gustav Ucicky, Wolfgang Liebeneiner, Veit Harlan, der den antisemitischen Hetzfilm «Jud Süss» gedreht hatte.
Ich habe das nie verstanden. Sie werden in meinem Leben kein einziges antisemitisches Wort finden können, in keinem Film, keinem Buch, keinem Brief. Wäre ich auch nur eine Spur nationalsozialistisch gewesen, hätte ich mich doch nicht, während andere für Reich und Vaterland nationale Filme machten, für einen Stoff wie «Penthesilea» interessiert oder einen so vollkommen unpolitischen Film wie «Tiefland» gedreht.

Es gibt Leute, die Ihren Film «Tiefland» sehr wohl für politisch halten.
So?

Die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms und auch Thea Dorn sehen darin eine verborgene Kritik am NS-Regime.
Davon weiss ich nichts.

Die Hauptfigur, die Sie spielen, ist eine Frau, die dem Mann, dem sie verfallen ist, das Verderben wünscht.
Ja, aber dahinter verbirgt sich nichts. Man hat in mich so viel hineingedichtet. Ich habe diesen Film eigentlich nur als Notnagel gesehen, um keinen Propagandafilm machen zu müssen. Es ist albern, darin etwas Kritisches zu vermuten.

Das Sympathische an Ihnen ist, dass Sie sich sogar gegen Ihre Verteidiger wehren.
Ja, weil es nicht stimmt, was da behauptet wird... Aber jetzt, lieber Herr Müller, überlegen Sie sich noch zwei Fragen, die Ihnen am Herzen liegen, weil ich dann aufhören muss.

Was betrachten Sie als Ihre wichtigste Lebensleistung?
Dass es mir gelungen ist, die Filme «Triumph des Willens» und «Olympia» so zu gestalten, wie sie geworden sind.

Sie widersprechen sich.
Wieso denn? Ich kann doch einen Film, obwohl er mir Unglück gebracht hat, für eine grosse Leistung halten.

Und was bedauern Sie?
Dass ich die «Penthesilea» nicht habe verwirklichen können. Ich habe mein Leben lang davon geträumt, diesen Film zu machen.

Der Krieg hat es verhindert.
Ja, ich war schon in den Vorbereitungen. Das Drehbuch war fertig. Ich hatte den ganzen Film schon im Kopf. Die Schlachtszenen wollte ich in der Libyschen Wüste drehen. Wir hatten schon ein paar hundert Mädchen für das Amazonenheer engagiert. Der italienische Generalgouverneur in Libyen hatte mir tausend weisse Pferde versprochen. Ich kann mich erinnern, dass ich mich auf die Insel Sylt zurückgezogen hatte, um das Reiten ohne Sattel zu üben. Den so genannten Todeszug, in dem Penthesilea den Achill besiegt, wollte ich vor dem Hintergrund drohender Wolken in den Dünen von Sylt aufnehmen. Ich war voller Ideen. Ich kann Ihnen eine ganze Mappe mit Zeichnungen zeigen, auf denen Sie sehen, wie ich den Film gestaltet hätte. Alles sollte stilisiert, ins Künstlerische erhöht erscheinen. Das wären ganz neue Wege gewesen. Es hätte ein so wunderbarer Film werden können, und es ist ein Jammer, dass daraus nichts geworden ist.

Der wirkliche Krieg hat Ihren Filmkrieg ver-hindert.
Ja, der Krieg hat mir alles kaputtgemacht.

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