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„Wir müssen für eine bessere Globalisierungsgestaltung werben!“

Schekker-Interview mit dem Mitglied des „Club of Rome“ Franz Josef Radermacher

Drei Wege führen in die Zukunft: Franz Josef Radermacher erklärt, warum die Chance einer Balance nur mit einem Modell der weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft besteht. Als Alternative drohen Chaos und Kollaps.

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Wirtschaft auf Kosten der Umwelt
Foto: Bilderbox

Schekker: Herr Radermacher, eines Ihrer Bücher trägt den Titel „Balance oder Zerstörung“. Gibt es Ihrer Meinung nach nur ein „Entweder – Oder“?
Radermacher: Das ist eine Frage der Begrifflichkeit. In meinem neuen Buch „Welt mit Zukunft – Überleben im 21. Jahrhundert“ werden die Möglichkeiten weiter ausdifferenziert. Einerseits die Chance einer Balance in Form einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft und andererseits der Fall der Zerstörung in zwei Ausprägungen: Entweder ökologischer Kollaps mit katastrophalen Folgen, beispielsweise für die Welternährung. Oder eine so genannte globale „Brasilianisierung“, inklusive der heute reichen und sozial ausgeglichenen Länder. Damit ist die Durchsetzung einer hohen sozialen Ungleichheit gemeint. Das ist eine Form der Zerstörung, die weniger katastrophal ist als ein ökologischer Kollaps, aber zum Beispiel in Terror oder Bürgerkrieg enden könnten.

Schekker: Das klingt aber düster! Befindet sich die Menschheit in der Sackgasse?
Radermacher: Nein, Sackgasse ist das falsche Bild. Wir befinden uns an den Verzweigungspunkten eines nah-chaotischen Systems im Sinne der Systemtheorie: Schon kleine Ereignisse können auf dramatische Weise beeinflussen, in welcher der drei genannten Zukunftsentwürfe wir uns wiederfinden werden: Ökokollaps, „Brasilianisierung“ oder Balance. Ich gebe der ersten Möglichkeit 15, der zweiten 50 und der dritten 35 Prozent. Mit 35 Prozent hat die Menschheit eine Zukunft, die besser ist als alles, was wir bisher erreicht haben. Das ist keine Sackgasse – das ist eine Chance! Aber dem stehen zwei desaströse Alternativen entgegen.

Schekker: Im Jahre 1972 wurde der erste alarmierende Bericht an den „Club of Rome“ mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht. Sind die Probleme mehr als dreißig Jahre später also noch größer geworden?
Radermacher: Die Situation hat sich gegenüber 1972 deutlich verschlechtert. Vor allem durch das rasante Wachstum der Weltbevölkerung, den gigantisch wachsenden Ressourcenverbrauch und durch die Klimaproblematik. Wir haben die Zeit nicht gut genutzt. Dies hat der Hauptautor des damaligen Berichts an den „Club of Rome“, Dennis Meadows, in dem 2004 erschienenen Buch „The Limits to Growth: The 30-Year Update” sehr genau herausgearbeitet.

Schekker: Stichwort Ressourcenverbrauch: Die reichen Länder besitzen vergleichsweise saubere Technologien und sind trotzdem die größten Umweltverschmutzer. Wie ist das möglich?
Radermacher: Mit diesen Technologien verbessern wir die Energie- und Ökoeffizienz in der Herstellung von Gütern und Services pro Wertschöpfungseinheit. Aber wir vergrößern durch das Wachstum die Anzahl der Wertschöpfungseinheiten schneller, als wir pro Einheit sauberer werden. So machen wir immer mehr Dreck und verbrauchen immer mehr Ressourcen mit den saubersten und effizientesten Technologien.

So wurde zum Beispiel das vermeintlich papierlose Büro zum Ort des größten Papierverbrauchs in der Geschichte der Menschheit. Wir haben mit immer mehr Elektronikschrott zu kämpfen je kleiner die Chips werden – nicht mit immer weniger, wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Hier wirkt der Bumerang-Effekt des technischen Fortschritts, dem wir nur mit Regulierung und adäquaten Preisstrukturen entgegen wirken können.

Schekker: Wo bleibt bei dieser Rechnung der berühmte „Faktor Vier“, also halbe Ressourcennutzung und doppeltes Wachstum? Die Theorie verspricht Glück und Wohlstand für alle. Wo ist der Haken an dieser Geschichte?
Radermacher: Glück und Wohlstand für alle sind möglich. Ich habe eine Zukunftsformel entwickelt, die in etwa 70 Jahren eine Welt für möglich hält, die zehnmal so reich ist wie heute. Trotzdem wird es nach dieser Rechnung einen vernünftigen weltweiten sozialen Ausgleich geben, der insbesondere die Armut überwindet und zugleich die Umwelt schützt.

Das Problem ist allerdings, dass diese Lösung unvermeidbar mit einem anderen Lebensstil verknüpft ist. Danach müsste die Ressourcennutzung durch die Menschen der reichen Länder deutlich reduziert werden, weil viele Milliarden weiterer Menschen aufholen und eingebunden werden müssen. Das wäre mit erheblichen Veränderungen der relativen Marktpositionen verbunden.

Die, die heute die Macht haben, wollen das alles nicht. Der Preis in Form von Machtverlust wäre zu hoch. Sie ziehen deshalb die „Brasilianisierung“ vor, die für bestimmte Eliten durch das de facto Aushebeln der Demokratie sogar interessante Zusatzpotenziale eröffnet.

Schekker: Als politischer Berater für die Bundesregierung haben Sie bestimmt ein paar konkrete Tipps für die nachhaltige Gestaltung unserer Zukunft.
Radermacher: Ich empfehle generell eine Doppelstrategie: So viel Umweltschutz und so viel sozialer Ausgleich in Deutschland und Europa, wie wir unter den heutigen Weltordnungsbedingungen ökonomisch durchhalten können. Außerdem müssen wir für eine bessere Globalisierungsgestaltung werben. Etwa in Form der verbindlichen Anreicherung der Regelwerke des Welthandelssystems (WTO) und des Weltfinanzsystems um soziale und ökologische Standards. Das würde zu einer besseren Governancestruktur auf diesem Globus führen und ist übrigens eine häufig erhobene Forderung der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung. Die USA sind in diesem Kontext zur Zeit eines der größten Hindernisse für Nachhaltigkeit weltweit. Hier ist viel Überzeugungsarbeit zu leisten, Europa hat in diesem Kontext eine große Verantwortung.

Schekker: Gibt es für Sie ein Menschenrecht, Dreck zu machen?
Radermacher: Ja, das gibt es. Denn alle Lebensvorgänge sind mit dem Verbrauch von Ressourcen und der Erzeugung von Umweltbelastungen verknüpft. Es gibt aber Grenzen für dieses Recht, und das sind die Rechte der anderen. Und dann gibt es eine Grenze, die die Physik beziehungsweise die Natur setzt: Die Summe des Drecks, den die Menschheit machen kann, ist nach oben gedeckelt durch das, was die Biosphäre aushält. Was der Einzelne an Belastungen erzeugen kann, ist in Wechselwirkung mit dem, was andere Menschen tun, also im Kontext einer Verteilungsfrage zu sehen. Diesen Aspekten gerecht zu werden, ist die zentrale Herausforderung der Governance für die Zukunft. Sonst drohen Kollaps, also Zusammenbruch der Biosphäre oder „Brasilianisierung“ beziehungsweise Ressourcendiktatur. Das bedeutet dann den Ausschluss der meisten Menschen von einer fairen Partizipation an dem Potenzial an Ressourcennutzung, das insgesamt vorhanden ist.

Schekker: Meadows sagte: Ich hoffe immer das Beste – und rechne mit dem Schlimmsten. Trifft das auch für Sie zu?
Radermacher: Ich finde diese Perspektive von Meadows sehr sympathisch. Ich drücke das manchmal so aus: „Life is a disaster“, aber es ist spannend, ein Desaster so zu managen, dass es nicht zum Kollaps kommt. Ein Journalist hat diese Haltung einmal als „optimistischen Pessimismus“ bezeichnet.

Schekker: Herr Radermacher, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!

Das Interview führte Kerstin Holzheu.

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Die deutsche Gesellschaft des „Club of Rome“ ist aktives Mitglied der Initiative „Global Marshall Plan“, die sich für eine bessere Gestaltung der Globalisierung einsetzt. Dabei kannst auch du mithelfen! Wie das geht, erfährst du hier!

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