Victoria, die königliche Riesenseerose

Pflanzen, deren Lebensraum das Wasser ist, haben wichtige Wachstumsbedingungen, an denen es anderen mangelt, im Überfluß. Was im Wasser dagegen oft fehlt, ist das Sonnenlicht. Eine perfekte Strategie verfolgt hier die Riesenseerose. Sie läßt ihre Blätter einfach auf der Wasseroberfläche schwimmen. Freilich ist dieser Platz auch von anderen Gewächsen begehrt. Deswegen beginnt sie die Entfaltung des Blattes mit einer eingerollten, stachligen Kugel, die sich - sobald sie die Oberfläche erreicht - in kurzer Zeit entrollt und Platzkonkurrenten einfach überrollt. Der aufgebogene Rand des ausgewachsenen, fast 2 m breiten Blattes sichert auch weiterhin den errungenen Platz an der Sonne. Kräftige, stachlige Rippen mit Querstreben stellen den stabilen Unterbau für die schwimmende Blattfläche, deren zahlreiche Luftkammern das Blatt auch bei tropischen Regengüssen an der Oberfläche halten oder es möglich machen, Lasten bis 50 kg zu tragen.

Victoria, die königliche Riesenseerose
Foto: Botanischer Garten

Wenn auch ihrer Blüte etwas von der strahlenden Anmut der bekannten Seerosen fehlt, so ist es hier mehr die Größe, mit einem Durchmesser von bis zu 40 cm, die uns erstaunen läßt. Sie öffnet sich meist gegen Abend und zeigt im Abendlicht ihre äußeren, elfenbeinweiß schimmernden Blütenblätter. Am Nachmittag des zweiten Tages entfaltet sich die gleiche Blüte noch einmal im blassen Rosaton, bis sie sich endgültig schließt und in den folgenden Tagen den stacheligen Fruchtknoten ins tiefere Wasser neigt, wo die erbsengroßen Samen reifen. In ihrer Heimat locken die kräftigen Blütenduftstoffe und die weiße Blütenfarbe große Käfer an, die am zuckerhaltigen Blüteninneren mit solchem Appetit fressen, daß sie in der sich schließenden Blüte eingesperrt werden. Mit Pollen bestreut, können die Käfer erst entkommen, wenn sich die Blüte, nun errötet, ein zweites Mal öffnet. Die nächste weiße Blüte, die der Käfer besucht, gehört aber sicher zu einer anderen Pflanze, denn es blüht immer nur eine Blüte an einer Pflanze. So ist hier Fremdbestäubung gesichert.

Die Entdeckungsgeschichte der königlichen Seerose

Die Entdeckungsgeschichte der königlichen Seerose ist etwas verworren, sicher ist aber, daß Thaddäus Haenke sie bereits im Jahr 1801 fand. Er verstarb jedoch auf der Rückreise, und ein Teil seiner Forschungsberichte ging verloren; so hielt man die Schilderung für "Botanikerlatein".

Später, im Jahr 1819, war es der Begleiter Alexander von Humboldts, A.J. Alexandre Bonpland, ein französicher Arzt und Botaniker, der sie wiederentdeckte, und 1827 berichtete Alcide d'Orbigny. In seiner ausführlichen Reisebeschreibung lesen wir:

Schon seit 8 Monaten, an der Grenze von Paraguay, durchreiste ich nach allen Richtungen die Provinz Corrientes, bis ich Anfangs des Jahres 1827 auf einem zerbrechlichen Kahne, den majestätischen Paraná hinunterschiffte. Alles trägt hier den Stempel des Grandiosen und Imposanten. In dieser Einsamkeit, nur von zwei Guaranis-Indianern begleitet, konnte ich mich ungestört der stillen Bewunderung hingeben, welche mir diese wilde und herrliche Landschaft einflößte.

An dem Orte Arroyo de San José vermehrten ungeheure Sümpfe am südlichen Ufer die Ausdehnung der Gewässer und hier entdeckte ich, stets auf alles aufmerksam, schon von weitem eine grüne, schwimmende Oberfläche. Auf mein Befragen antworteten mir meine Guaranis, daß wir jetzt in die Nähe einer Pflanze kämen, die sie "Yrupe" (Wasserschüssel, plat d´eau) nennen; gleich darauf waren wir bei dieser reichen Vegetation, deren großartige Ankündigungen meine Erwartungen durch ihre volle Bestätigung weit übertrafen. Das Ganze bildete eine ungeheure schwimmende Fläche, auf der, immer in einiger Entfernung voneinander herrliche 30 - 35 Centimeters breite, weiße oder rosarote Blumen schimmerten, deren köstlicher Wohlgeruch die Lüfte erfüllte. In einem Augenblicke hatte ich meinen Nachen mit Blättern, Blumen und Früchten der Pflanze angefüllt!

In Corrientes angekommen, beeilte ich mich, diese schöne Pflanze zu zeichnen und sie den Einwohnern zu zeigen, welche mir sagten, daß der Samen eßbar sei und geröstet wie Mais schmecke, daher gaben die Spanier der Pflanze den Namen "Wassermais (mais del agua)". Ich konnte die Blätter, Blumen und Früchte in Weingeist bewahren und sandte am Endes des Jahrens 1827 alles nebst meinen anderen Sammlungen an das Naturhistorische Museum in Paris.

Erneut entdeckte die Riesenseerose der deutsche Geograph Robert H. Schomburgk. Dieser hatte schon viele Pflanzen aus Amazonien nach Europa gebracht und übergab diese meist einem englischen Botaniker zur Bestimmung, so auch die mitgebrachten Blätter und Blüten der Riesenseerose. Es war der berühmte Fachautor John Lindley, der erkannte, daß es sich um eine neue Gattung handelt, und diese 1837 beschrieb, wie es in der botanischen Namensgebung notwendig ist. So kam es, daß dieses einzigartige Gewächs aus Brasilien, sehr zum Verdruß seiner französischen und deutschen Entdecker, den Namen der Englischen Königin trug, eben "Victoria regia". Aber wie erst später bekannt wurde, hat der Leipziger Prof. Pöppig bereits fünf Jahre voher, 1832, diese Riesenseerose benannt und der Art den Namen ihrer Heimat Amazonien verliehen, und das ist nun nach den Nomenklaturregeln der gültige Name:

  • Victoria amazonica (POEPP.) SOWERBY (V. regia LINDL.) - 
    die Königliche Riesenseerose

    Heimat: Süd-Amerika von 4°N bis 15°S in ruhigen Gewässern und Landseen, besonders am Amazonas und Orinoco. Ihre Blätter sind bis 5 cm aufgebogen, die Unterseite purpurrot, wie auch die Außenseite der Kelchblätter

und als zweite bekannte Art, die nur wenig kleinere und weniger wärmebedürftige

  • Victoria cruziana ORB. - die Santa-Cruz-Riesenseerose, 
    im Paraná-Fluß und in stagnierenden, tieferen Gewässern des nördlichen Argentiniens vorkommend.
    Diese bei uns zu sehende Art hat grüne, bis über 10 cm hoch aufgebogene Blattränder wie Kuchenbleche, die Unterseite der ausgewachsenen Blätter, wie auch die Kelchblätter sind grün-bräunlich. Diese Art entdeckte d'Orbigny 1827 in Argentinien oberhalb Corrientes und benannte sie nach seinem Berater General Santa Cruz.

Seit 1801 der böhmische Botaniker Thaddäus Haenke dieses erstaunliche Gewächs im Mamoré-Fluß entdeckte, dauerte es fast 50 Jahre, bis ihre meterbreiten Blätter und ihre geheimnisvollen Blüten in Europa zu bestaunen waren. Nach zahlreichen Versuchen, importierte Samen zur Keimung zu bringen oder auch Pflanzen vom Naturstandort in Europa weiter zu kultivieren, gelang es endlich: 1846 öffnete in England die erste Victoria ihre Blütenknospe. Fünf Jahre später blühte sie auch im Berggarten in Hannover und nach weiteren 2 Jahren gedieh sie in jedem größeren Botanischen Garten.

Eigene Victoria-Gewächshäuser mit großen heizbaren Wasserbecken wurden gebaut, und oft war die kuppelförmige Dachkonstruktion der Nervatur und dem gitterartigen Bau der Blattspreite der Riesenseerose nachempfunden. Sogar für den legendären Londoner Kristallpalast bedient man sich des gleichen Konstruktionsprinzipes. Hat doch sein Architekt Josef Paxton eine besondere Nähe zur Victoriapflanze: Er war es, der sie in Chatsworth/England erstmalig zum Blühen brachte.

Die Riesenseerose in Erlangen

Obwohl nicht im feuchtwarmen Tropengewächshaus, sondern im Freien der mittelfränkischen Sommersonne ausgesetzt, gedeiht die Victoria hier in den meisten Jahren prächtig und ist der Publikumsliebling unter den Tropenpflanzen. Von der Aussaat im Februar wächst sie, mit temperiertem Wasser von 25° C versorgt, bis zum Riesenformat heran. Im Herbst mit Einsetzen der kühlen Nächte beginnt ihre Rückentwicklung. In dem Buch "Die Victoria Regia" von Wilhelm Hochstetter (1852) können wir lesen:

Gerade eben die Verfolgung der Geschichte dieser einzelnen Pflanze ist sehr geeignet, den Beweis zu liefern, mit welchen lokalen Schwierigkeiten, abschreckenden Mühen und großen Gefahren diese "Apostel der Pflanzenkunde" zu kämpfen und zu ringen hatten, bis ihnen endlich die so oft fehlgeschlagenen Versuche der Einführung jener Pflanze in Europa gelangen. Denn das schaulustige Publikum in den Botanischen Gewächshäusern unterschätzt und vergißt nur zu sehr, welch herbem Ungemach, welchen vorausgegangenen Opfern es seine Genüsse so leichtlich zu verdanken hat.

© Bot. G. ER, 1/98 J.St./H.B.


Claudia Arnold, E-Mail: fbge@gmx.de - Letzte Änderung: 14.10.2002