GEO Magazin Nr. 6/07 - Der geplünderte Ozean Seite 1 von 4

Text von Lars Abromeit, Torsten Hampel und Katja Trippel

Welchen Fisch darf man noch essen?

In einer aufwändig recherchierten PDF-Tabelle empfiehlt GEO Fischarten für den ökologisch korrekten Einkauf. Und in einer Hintergrundreportage beleuchten Reporter die finstere Praxis des industriellen Fischfangs


Er ist auf dem Meer, elf Seemeilen westlich von Mauretanien, aber er nimmt es kaum wahr. Nikolai Iwanowitsch Budgewitsch, Kapitän der "Balandis", sieht keine Wellen und keine Gischt. Die Echolot- und Sonargeräte, die er überwacht, sollen ihn zu den Sardinen- und Makrelenschwärmen vor der Küste Mauretaniens führen. Hier sind diese Fische so zahlreich wie in kaum einem anderen Gewässer der Erde. In dieser Nacht aber ist das Netz bislang leer geblieben. Deshalb ist Budgewitsch so nervös, und deshalb beginnt er nun, die Fangschiffe der Konkurrenz zu beschimpfen.


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Würde er aus dem Fenster sehen, könnte er ihre Positionslichter erkennen. Das Leuchten von einigen der etwa 200 weiteren Industrie-Trawler, schwimmenden Fischfabriken, mit denen vor Westafrika gesucht wird, was in Europa schon nahezu ausgeschöpft ist: riesige silberne Fischschwärme, dazu Langusten, Kalmare, Seehecht und Thunfisch, die Schätze des Meeres. "Es wird Zeit, dass wir uns unsichtbar machen", sagt Kapitän Jøran Nøstvik. Schwarze Wellen brechen drei Meter hoch gegen den Bug des Patrouillenschiffs "Harstad"; er drückt ein paar Knöpfe am Steuerpult und meldet das Schiff der Küstenwache aus dem Satelliten-Identifikations-System ab, lässt es vom Kontrollschirm der anderen Schiffe verschwinden. Wie Kapitän Budgewitsch vor Westafrika ist auch Nøstvik auf Jagd. Nur sucht er keinen Fisch, sondern Fischer. Piratenfischer.



Bild von: Jean Gaumy/Magnum/Agentur Focus
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Mit Druckwasserschläuchen spülen die Deckarbeiter den Fisch aus dem Netz

"Das Meer ist geizig geworden"

In Guaca, einem 2300-Seelen-Dorf an der Nordostküste Venezuelas, hat es zu regnen begonnen; nur die verzweifeltsten Fischer sind an diesem Morgen aufs Meer gefahren. Cipriano Espinoza sitzt mit zwei Freunden am Hafen. Die drei alten Männer reparieren ein Netz. "Was sollen wir essen, wenn wir morgen wieder nichts fangen?", sagt Espinoza. "Eigentlich müssten die Schwärme seit Wochen schon hier sein. Aber das Meer ist zu geizig geworden." Dies ist das Drama, das Mauretanien und Litauen, Norwegen und Venezuela, Budgewitsch, Nøstvik und Espinoza verbindet: Der Ozean, größter Lebensraum des Planeten, ist ausgezehrt. In nur einer Generation hat der Mensch es geschafft, den Reichtum der Meere fast bis zur Neige zu plündern. Mehr als 100 Millionen Tonnen Garnelen und Muscheln, Dorade und Hoki, Hering, Seeteufel und zahllose andere ozeanische Gräten- und Krustentiere landen pro Jahr auf den Tellern der Welt. Über drei Viertel aller Bestände gelten nach neuesten FAO-Zahlen als vollständig ausgebeutet, übermäßig befischt oder schon erschöpft. Es sind die Wanderer und die großen Räuber des Ozeans, deren Bestände am stärksten gelitten haben: Thun- und Schwertfisch zum Beispiel, Heilbutt und Haie.



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Im Schichtwechsel arbeiten die Männer rund um die Uhr, wochenlang, 5000 Kilometer fernab ihrer Heimat

Im Schweinwerferlicht leuchten Hunderttausende reglose Fischkörper

Vor Westafrika, an Bord der "Balandis", ist es halb drei Uhr morgens. Seit einer halben Stunde sind die Bildschirme übersät mit roten Flecken, und der Offizier zögert zu reagieren. Ratlos klingelt er Kapitän Budgewitsch aus der Koje. Budgewitsch kommt, er sieht die leuchtenden Punkte, die Spur der Schwärme. "Eine halbe Stunde schon?", schreit er, "worauf wartest du denn, pennst du?" Das Netz muss an Bord geholt werden, sofort. Budgewitsch weckt den "Chief Trawl Man", den Herrn des Netzes unten an Deck, und setzt die Fangmaschinerie der "Balandis" in Gang. Am Heck des Schiffes springt eine der beiden Seilwinden an: Sie zerrt Eisenketten aus dem Wasser, dann folgen dicke Hanfseile, dann wieder Ketten mit tonnenschweren Stahlgewichten daran, die acht Stunden lang über den Meeresboden gepflügt sind, insgesamt 450 Meter Eisen und Hanf. Und dann erhebt sich das Netz aus der Gischt: am Ende ein gigantischer Schlauch, 50 Meter lang, bis vier Meter im Durchmesser, ein Wurm aus Kunstfasermaschen, vollgestopft mit einer silbernen Masse. Die Winden ziehen das Netz über die Heckrampe ein. Es schabt auf Eisen. Die Seile knarren, im Licht von Scheinwerfern leuchten Hunderttausende Sardinen, Makrelen, reglose Fischkörper.


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Die Schleppnetzte hinterlassen eine Spur der Vernichtung

Nur ein Prozent der weltweiten Flotte bringt die Hälfte all dessen an Land, was in den Meeren erbeutet wird. Es sind Supertrawler wie die "Balandis" mit ihren 109 Metern Länge und über 2000 Tonnen Ladekapazität, manch andere sind noch um ein Drittel größer: schwimmende Fischfabriken, die im Wettstreit um die schwindende Beute den Kleinen davoneilen. Es sind technisch perfektionierte Maschinen des Massenfangs. Mit Grundschleppnetzen von bis zu 100 Meter breiten Öffnungen zerpflügen Trawler den Seegrund. An Unterwassergebirgen, die als Oasen der Artenvielfalt gelten und noch so wenig erforscht sind, dass wir viele ihrer Geheimnisse vermutlich nie mehr kennenlernen werden. Denn die mit seitlichen Scherbrettern bestückten Schleppnetze hinterlassen eine Spur der Vernichtung. Sie reißen Korallenpolypen und ganze Riffe entzwei, zertrümmern die Refugien von Millionen von Jungfischen, verwandeln die Unterwasser-Gärten der Anemonen, Seescheiden und Haarsterne in finstere Wüsten.



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