Glossar zur Einführung Mittelalter
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Ministerialer
"Ministerialis" bezeichnet den Mann im Dienst eines beliebigen Herrn,
adliger Grundherr, Fürst, Bischof oder König/Kaiser, und zwar in einer spezialisierteren
und herausgehobeneren Funktion als derjenigen des landbearbeitenden Bauern. Solche
herausgehobenen Funktionen waren z. B. die Überwachung und Organisation von Rodungsarbeiten,
die Eintreibung von Abgaben (für die "Kammer", daher Kämmerer), die Obhut über
Reitpferde, Lasttiere und Waffen (der "Mährenschalk", daher Marschall), die Fürsorge
und Logistik für die Speisen (Seneschall oder Truchsess) und für die Getränke des Herrn
(Mundschenk oder Butigler). Ihre Funktion machte es nötig, dass derlei Bedienstete
beritten waren und somit auch als militärische Begleiter des Herrn eingesetzt werden
konnten. Ministeriale als Inhaber der vier eben genannten "Ämter" sind uns für
Bischöfe, Fürsten und Könige bezeugt. Die "Reichsministerialen" (oder Königsministerialen)
stiegen seit der
Salierzeit auch sozial auf. Verantwortungsvoller Königsdienst und damit verbundene
häufige Königsnähe, Ausstattung mit beträchtlichem Amtsgut, militärische Leistung
im berittenen Königsdienst führten zu einer Annäherung der Lebensweise der
Reichsministerialen an diejenige der Adligen, bald (unter Heinrich IV.) aber auch
zu Rivalitäten zwischen geburtsständischen Adligen und diesen "Emporkömmlingen".
Die Angleichung in der Lebensweise zwischen Adligen und Reichsministerialen wurde
durch Konzept und Riten des von beiden Gruppen praktizierten Rittertums seit dem
12. Jh. begünstigt, doch ging das Bewusstsein von der ursprünglich knechtischen
Herkunft der Reichsministerialen beim Adel nie verloren, auch wenn in der Stauferzeit
einige Reichsministeriale nicht nur reicher und einflussreicher waren als viele
Hochadlige, sondern auch mit hohen Reichsämtern betraut wurden (z. B. Markward von
Annweiler als Markgraf von Ancona). Mit dem Ende der Stauferzeit (Mitte 13. Jh.)
endete auch die Glanzzeit der Reichsministerialen. Nur wenige konnten ihren Status
(als Reichsritter) selbständig halten; manche traten in die Führungsgruppen der
Reichsstädte ein.
Mission
Die Verbreitung des christlichen Glaubens wurde und wird auf der
Grundlage von Matthäus 28, 19f. von den christlichen Kirchen als Auftrag ("missio")
verstanden und betrieben; die gleiche Evangelienstelle benennt als Ziel und Merkmal
der "conversio", der Übernahme des neuen Glaubens, die Taufe. Predigt mit dem Ziel,
bisherige Nicht-Christen zu taufen, wurde im frühen MA von geweihten Geistlichen
betrieben, Priestern, Bischöfen, Mönchen. Durch ihre Tätigkeit fasste das Christentum
in der Völkerwanderungszeit schrittweise bei den Germanen Fuß. Dabei erwies es sich
wegen der Stammes- und Gefolgschaftsstruktur dieser Völker als förderlich, wenn
zunächst der Anführer, der Herr, für den neuen Glauben gewonnen wurde. Seine "conversio"
zog dann die seiner Stammesangehörigen oder Gefolgsmänner nach sich. Da Religion
("religio"=Bindung) bei den verschiedenen germanischen Gruppen auch in vorchristlicher
Zeit ein wichtiges Bindemittel war, setzte die neue Religion des getauften Anführers
diese tradierte Funktion fort. Das Verständnis christlichen Königtums als Auftrag
verstärkte diese Grundfunktion von Religion (Sachseneroberung parallel zu Sachsentaufen
unter Karl d. Gr.!). Die Mission im frühen MA erfolgte nach Möglichkeit "von oben
nach unten", d. h. erst Taufe des Königs/Anführers dann der anderen. Eine besondere
Schwierigkeit stellte die Vorstellung dar, dass der neue Gott (wie die Vielzahl der
vorchristlichen Götter) Stärke beweisen musste, um glaubwürdig zu sein, und dass die
relative Schwäche der früheren Götter von den Missionaren erwiesen werden musste:
Der Frankenkönig Chlodwig vollzieht nach Aussage Gregors von Tours (6. Jh.) die
"conversio" zum Christengott, nachdem dieser ihm auf eindringliche Bitte während einer
fast verlorenen Schlacht den Sieg verleiht (Vorbild: Konstantin!). Bonifatius fällt
die Donareiche, die Franken zerstören die Irminsul, beides Heiligtümer der Sachsen,
und erweisen damit die Nicht-Existenz der germanischen Götter. Die Christianisierung
"von oben nach unten" hat viele Beispiele: die Taufe des Sachsenführers Widukind
785, die Taufe des Polenfürsten Miesco 966/67 und des Russenfürsten
Wladimir (von Byzanz vermittelt) 988/87, um nur einige zu nennen. Dass Mönche für die
Mission eine große Rolle spielten, hing damit zusammen, dass sie nicht wie Priester
oder Bischöfe Aufgaben in den Ortskirchen zu erfüllen hatten, sicher auch mit der
von ihnen gelebten Askese und zumindest im frühen MA auch mit dem praktizierten
Ideal der "peregrinatio", der Heimatlosigkeit, im iro-schottischen Mönchtum. Im
Spätmittelalter spielen die sogenannten Bettelorden, Franziskaner und Dominikaner,
eine besondere Rolle, sowohl für die Wiedergewinnung von Häretikern als auch für
die Außenmission. Franziskanische Missionare kamen im 13. Jh. bis nach China.
Mönchtum
Beide Formen des Mönchtums, das eremitische (asketisches und Gott
zugewandtes Leben eines Einzelnen) und das zönobitische (das Entsprechende für eine
Gemeinschaft von Gleichgesinnten) kennen wir aus mehreren Religionen. Hier soll vom
Mönchtum der christlichen Kirche die Rede sein. Es erscheint zunächst seit dem 3. Jh.
in der eremitischen Form in Ägypten. Um einige der vorbildlich asketisch lebenden Männer
sammeln sich Anhänger, deren sich formende Gemeinschaften praktische Probleme des
Unterhalts, der Unterbringung und der inneren Ordnung aufwerfen. Erste Regeln dieser
zönobitischen Gemeinschaften wurden im oströmischen Reich von Pachomios und Basileios
entwickelt (beide 4. Jh.). Auf den Grundsätzen (nicht eine eigentliche Regel)
des Basileios basiert das Mönchtum der byzantinischen Kirche. Für den Westen wurden
die Vorschriften des Benedikt von Nursia (1. Hälfte 6. Jh.) grundlegend. In mehreren
Schüben ausgestaltet und schriftlich fixiert, verdrängten sie ältere Regeln (z. B.
Caesarius von Arles, Columban) und wurden nicht zuletzt durch die Bemühungen der
Geistlichen um Karl d. Gr. zur verbindlichen Klosterregel der folgenden Jahrhunderte.
Schon zu Benedikts Zeit bestand außer der mönchischen Männergemeinschaft (Monte
Cassino) eine gesonderte Frauengemeinschaft auf Initiative seiner Schwester Scholastica.
Grundsätze des benediktinischen Mönchtums waren Askese, Armut im Sinn der Besitzlosigkeit
des Einzelnen, Keuschheit, lebenslange Einordnung in die Gemeinschaft, Gehorsam
gegenüber Gott und dem Abt, ein kontemplatives, durch feste Gebetszeiten reguliertes
Leben, das zugleich durch Arbeit den Unterhalt der Gemeinschaft gewährleisten sollte.
Der einzelne Mönch/die einzelne Nonne legt nach längerer Probezeit ein Gelübde
auf diese Grundsätze ab, das ihn/sie an ein bestimmtes Kloster bindet ("stabilitas loci").
Reisen bzw. Verlassen des Klosters bedarf der Zustimmung des Abtes/der Äbtissin.
Die Anlage von Bibliotheken, Scriptorien und Schulen diente dem Eigenbedarf, öffnete
die Benediktinerklöster zugleich aber auch der "Welt".
Da die vollständige Loslösung aus weltlichen Belangen schon deswegen nicht möglich war,
weil die Benediktinerklöster Grundbesitz für Gebäude und Unterhalt, also adlige
Schenker, brauchten, denen sie umgekehrt verpflichtet waren, stellten sich immer wieder
Verfallserscheinungen ein, die Reformen nötig machten. Die Reformklöster des Benedikt
von Aniane in der ersten Hälfte des 9. Jh., die von Cluny ausgehende Reform im 10. Jh.,
die verschiedenen lothringischen Reformmodelle (vor allem Gorze) im 10./11. Jh.,
die Reform von Fruttuaria/Italien im 11. Jh., um nur die wichtigsten zu nennen,
realisierten solche Ansätze. Dabei bestanden die Besonderheiten Clunys darin, dass
die Weihegewalt des Diözesanbischofs eingeschränkt (Exemtion) und das Kloster direkt
dem Papst unterstellt wurde, und dass die Äbte von Cluny mit der Verbreitung ihrer
Reform einen mächtigen Klosterverband aufbauten. Cluny wurde direkt oder indirekt
Vorbild für die späteren Reformen von Fruttuaria, Hirsau, Siegburg. Einen radikaleren
Neuansatz initiierten im 12. Jh. die Zisterzienser und Prämonstratenser, beide von
Frankreich (Cîteaux und Prémontré) ausgehend, nicht nur wegen ihrer Verbandsstruktur,
sondern vor allem wegen der stärkeren Einbindung von Laien (Konversen), wegen der
wirtschaftlichen Aktivitäten (u.a. Rodung) und bei den Zisterziensern der Einrichtung
von regelmäßigen Generalkapiteln als oberster Entscheidungsinstanz. Wiederum um dem
vernachlässigten Armutsgebot stärkeres Gewicht zu geben, schufen Franz von Assisi
und Dominicus im 13. Jh. die sog. Minoritenorden der Franziskaner und Dominikaner,
die im SpätMA vornehmlich die Bekämpfung der Häresien, die Mission in Richtung Asien,
die Armen- und Krankenfürsorge übernahmen.
Mündigkeitsalter
Der moderne Rechtsbegriff "Mündigkeit" ist auf die rechtlichen
und gesellschaftlichen Verhältnisse des Mittelalters nur bedingt anwendbar. Mündig
im Sinne einer uneingeschränkten Rechts- und Handlungsfähigkeit war im MA nur der
freie Mann, der über ein "Haus" (Eigentum, Familie, Gesinde) Schutz ("Munt" s. dort)
ausübte. Daraus ergibt sich, dass z. B. weder der erwachsene Sohn eines Freien im
modernen Sinn mündig war, so lange er im Haus des Vaters lebte, noch der Unfreie
einer Grundherrschaft, auch wenn er ein eigenes Haus und eine Familie hatte, weil
er prinzipiell dem Schutz des Herrn unterstand. Frauen, auch die freien, waren
eigentlich nie im modernen Sinn mündig, da sie entweder dem Schutz des Vaters,
oder wenn dieser verstorben war eines Bruders, und nach der Heirat dem Schutz
des Ehemannes unterstanden; eine relative Rechtsfähigkeit hatten sie nur,
wenn nach dem Tod des Vaters kein Bruder vorhanden war (aber dann übte meist
ein anderer männlicher Verwandter den Schutz über sie aus) oder am ehesten als
Witwen. Freilich darf man nicht unterschätzen, dass der Verlust des Schutzes
für die Frauen auch erhebliche Unsicherheit bedeutete, denn waffenfähig
waren sie keinesfalls. Nicht zuletzt auf diesem Hintergrund erklärt sich die Bedeutung
kirchlicher Institutionen, Klöster und Stifte, für die Frauen. Mittelalterliche
Mündigkeit als Schutzfähigkeit hatte mit Waffenfähigkeit zu tun und Waffenfähigkeit
wiederum mit Gerichtsfähigkeit und politischer Mitwirkung. Das Waffenfähigkeitsalter
der freien (Jung)Männer wird in den Volks- oder Stammesrechten festgelegt. Es variiert
im frühen MA je nach Recht zwischen 12 und 15 Jahren. Die Regelungen der norditalienischen
Städte des 12. Jh. binden die Bürgerrechte und -pflichten (Verteidigung!) an die
Waffenfähigkeit und begrenzen sie auf die Altersspanne zwischen 16-18
und 70 Jahre bei den Männern. Das frühe Wehrhaftigkeitsalter der frühmittelalterlichen
Volks- oder Stammesrechte orientiert sich offenbar an der Geschlechtsreife.
Diese bestimmte auch das Heiratsfähigkeitsalter und damit - für die Männer - den
Zeitpunkt, zu dem sie ein eigenes "Haus" gründen konnten. Eheschließungen erfolgten
im MA oft früh; 16 Jahre bei Männern, 14 Jahre bei Frauen sind keine Seltenheit.
Das MA ist eine "junge Zeit" - geringes Heiratsalter, zahlreiche Kinder, geringe
Lebenserwartung.
Munt
Wort germanischer Herkunft, lateinisch "mundeburdium", erhalten
in unserem Wort "Vormund" u. ä. bedeutet Schutz, rechtliche Vertretung. Munt kennzeichnet
das intensive Schutzverhältnis, das eine herrschaftsfähige Person über andere
Personen oder Institutionen ausübt, der Hausvater über Ehefrau, Kinder, Gesinde,
der Herrscher über geistliche Personen, die in seinem Auftrag handeln (Karl Martell
über Bonifatius!) oder über von ihm gestiftete Klöster. Dabei gehören Schutz und
Herrschaft zusammen. Während im Fall der Munt über Personen beim Tod des Muntherrn
die Munt neu geregelt werden muss, tritt im Fall kirchlicher Institutionen normalerweise
der Erbe des Muntherrn in dessen Schutzpflichten ein. So entstehen längerfristige
Bindungen besonders von Klöstern an eine Familie (Königsklöster, Reichsklöster, Adelsklöster).
Pfalz
Das deutsche Wort leitet sich vom lateinischen "palatium" her und
bezeichnet einen abgesicherten herrschaftlichen Gebäudekomplex mit Wohnbereich, repräsentativen
Versammlungsräumen für größere Gruppen, Wirtschafts- und Vorratsräumen für die
Versorgung des Herrn und seines Gefolges und (nicht immer) Kirchenräumen (Kapelle).
Im Unterschied zu Burgen sind Pfalzen, sowohl was die Gebäude als auch was den dazu
gehörigen Rechtsbezirk angeht, ausgedehnter.
Wir kennen Königs-, Bischofs- und Fürstenpfalzen. Könige, Bischöfe und Fürsten besaßen
außer Pfalzen auch Burgen und (unbefestigte) Höfe. Pfalzen werden durch schriftliche
Quellen bezeugt und sind teilweise archäologisch ergraben worden. Beispiele für
Königspfalzen wären Aachen, Ingelheim, Compiègne (Frankenreich), Gelnhausen (Stauferzeit);
für Bischofspfalzen Hamburg, für Fürstenpfalzen Dankwarderode (Heinrich der Löwe).
Um den gesicherten Pfalzbereich herum entstehen zunächst unbefestigte Ansiedlungen
von Zulieferern, Handwerkern und Kaufleuten ("suburbium"), die sich zu ihrer
Sicherheit hölzerne Einfriedungen, später auch Steinmauern schaffen, mit oder ohne
Unterstützung des Pfalzherrn. Dies leitet die Entwicklung zu Pfalzstädten ein.
Während Bischofspfalzen als dauerhafte Residenzen geplant waren - jenseits der Grenzen
des Römischen Reiches war die alte Kirchenrechtsbestimmung, dass Bischofssitze in
"civitates" (Städten) einzurichten seien, nicht einzuhalten -, waren die Königspfalzen
nur für vorübergehende Aufenthalte des Hofes vorgesehen. Einzelne Herrscher hatten
Lieblingspfalzen (z. B. Karl der Große in seinen späteren Jahren Aachen wegen der
warmen Quellen) oder bevorzugten gewisse Pfalzen für besondere Gelegenheiten (z. B.
"Jagdpfalzen" in wildreichen Waldgebieten im Spätherbst). Die Versorgung des vorübergehend
in einer Pfalz residierenden Königshofes wurde durch die dortigen Lagerbestände und
durch dann anfallende zusätzliche Lieferungen von Leistungspflichtigen, z. B. Königsklöstern
gewährleistet (z. B. Lieferungen des Klosters Prüm nach Aachen bei dortiger
Anwesenheit des Königs). Feste Residenzen gab es für die Könige/Kaiser in Deutschland
im Mittelalter nicht, in England erst seit dem Spätmittelalter; in Frankreich hat
Paris seit dem 13. Jh. Hauptstadtcharakter.
Regnum
Bezeichnung für den Herrschaftsbereich eines "rex" in der
Völkerwanderungszeit zunächst über eine Gefolgschaft von Stammesangehörigen (z. B.
"rex Langobardorum", "rex Francorum"), dann erweitert auf die über die Gefolgschaft
hinausgehende Herrschaft über Krieger unterschiedlicher Herkunft und ihre Familien
(das "regnum Francorum" des 7. Jh. umfasste Franken, Gallorömer, Burgunder, Bayern,
Alemannen). Neben der personalen Herrschaft wurde mit zunehmender Sesshaftigkeit
der Völkerwanderungsstämme der räumliche Herrschaftsbereich mit verstanden. "Regnum"
bezeichnet aber auch (zahlreiche Belege im 9. Jh.) die regionalen Siedlungsräume
der "Stämme" (z. B. "regnum Baiovariorum") oder das Herrschaftsgebiet eines Hochadligen,
dessen Geschlossenheit und Zusammenhalt sich über einen längeren Zeitraum gehalten
hat (z. B. im Westfrankenreich, das "Stämme", "gentes", im ostfränkischen Sinn kaum
- Ausnahme die Bretonen - kannte).
Reichsgut
Von den modernen Verfassungshistorikern gebrauchter Begriff
für den Grundbesitz und die mit ihm verbundenen Rechte, die "zum Reich gehören", d. h.
unabhängig von dynastischen Wechseln die materielle Grundlage der Königsherrschaft
bilden. Merowingisches Königsgut wurde ganz selbstverständlich von den Karolingern
übernommen. Konrad I. übernahm Karolingergut, das in seinen Urkunden als "res regni"
oder (häufiger) "res iuris nostri" bezeichnet wird - charakteristisch, dass weder bei ihm
noch bei seinen Nachfolgern im 10. Jh. das Reich als unabhängig von der Person des
Königs existierend gedacht wird. Dieses (neuere) Konzept wird sich erst seit der Salierzeit
allmählich durchsetzen. Zum Reichsgut gehören die Pfalzbezirke, die zahlreichen Königshöfe,
die Zollstellen, an denen im Auftrag des Königs der Reichszoll erhoben wird. Reichsgut
wächst an durch Konfiszierungen und durch Zugewinn von Eigengut erlöschender
Dynastien (Ottonengut wird unter den Saliern zu Reichsgut), kann aber auch vergeben
werden (vornehmlich an Klöster und Bischofskirchen), auch an Laien, die die
Könige als Anhänger gewinnen wollen, aber in diesem Fall vornehmlich als Lehen.
Seit den Saliern wird die Verwaltung des Reichsguts "Reichsministerialen" übertragen,
die für ihre Dienste mit Teilen des Reichsguts als Lehen entlohnt werden. Seit den
Thronstreitwirren (1198-1218) nach dem Tod des Staufers Heinrich VI. geht der größte
Teil des Reichsguts in Deutschland verloren (verschenkt an oder okkupiert von Fürsten).
Versuche des Königs Rudolf von Habsburg (1273-1291), das Reichsgut zurückzufordern
(sog. Revindikationen) waren kaum erfolgreich, so dass im Spätmittelalter die Könige
im wesentlichen auf ihr Hausgut (ererbtes und angeheiratetes Familiengut sowie traditionell
ihnen überkommene Lehnsfürstentümer) als Machtgrundlage angewiesen waren. - Auch in
Italien gab es Reichsgut (aus langobardischem, dann karolingischem Erbe), das von
Otto I. bis zu Heinrich III. bei den Italienzügen genutzt wurde, im sog. Investiturstreit
weitgehend verloren ging und auch von den Staufern nur teilweise und vorübergehend
restituiert werden konnte.
Reichstag
In Abgrenzung zu den Hoftagen (s. dort) des hohen MA bezeichnet
man die Versammlungen der Reichsstände seit der Zeit Ludwigs des Bayern (1314-1347)
als Reichstage, um zu verdeutlichen, dass sie zur Vertretung eigener Ständeinteressen
und nicht auf Geheiß des Königs zusammentraten. Reichsstände waren diejenigen, die
direkt dem König unterstanden, Reichsfürsten (unter ihnen auch die Kurfürsten, die
Reichsbischöfe und Äbte der im Königsschutz stehenden Abteien), Reichsstädte (die
ihren Rechtsstatus ursprünglich als königliches Privileg erhalten hatten) und
Reichsritter (frühere Reichsministeriale). Jedoch hatten die Reichsritter keine
"Reichsstandschaft" (d. h. konstituierten keinen eigenen Stand auf den Reichstagen).
Die spätmittelalterlichen Reichstage waren also Tagungen der Fürsten und der
Vertreter der Reichsstädte, auf eigene Initiative oder auf Initiative des Königs vom Mainzer
Erzbischof als Erzkanzler des Reichs einberufen. Es gab weder einen festen Rhythmus
der Einberufung, noch Abstimmungsregulative, noch einen festen Tagungsort oder eine
festgelegte Dauer. Als Tagungsorte kamen aus logistischen Gründen üblicherweise nur
Reichsstädte in Frage. Erst im 15. Jh. festigte sich die Gliederung des RT in drei
Kurien oder Kollegien (die der Kurfürsten, Reichsfürsten und Reichsstädte), die
zunächst gesondert berieten und deren Ziel eine einvernehmliche Lösung war (deswegen
keine Abstimmungsregeln). Der König blieb "draußen", doch suchten die Reichsstände,
mit ihm zu einem Konsens zu kommen; erst dann hatte ein "Reichsabschied" Aussicht
auf Durchsetzung, wobei er allerdings in den Territorien noch der zusätzlichen Zustimmung
der "Landstände" bedurfte. Das schwerfällige Verfahren sollte die Berücksichtigung
aller Interessen der Stände garantieren. Es verwundert nicht, dass es eine Flut von
Reichstagsakten aber nur wenige Reichsabschiede gibt. Die Besonderheit dieser zentralen
Ständevertretung im Reich im Vergleich etwa mit Frankreich ist, dass die geistlichen
Fürsten keine gesonderte Kurie bildeten, sondern Teil der Kurie entweder der Kurfürsten
oder der Reichsfürsten waren. Die Sonderung der Kurfürstenkurie aus der Gesamtheit der
Reichsfürsten war eine Folge ihrer Sonderinteressen gegenüber dem König (s. Kurfürst).
Erst nach dem 30-jährigen Krieg wurde seit 1653 der "Immerwährende Reichstag" in
Regensburg eingerichtet, als permanenter Gesandtenkongress der Fürstengesandten und
der Beauftragten
der Reichsstädte; seine Effizienz verbesserte diese Neuerung nicht, da fortan die
Reichsstände nicht mehr selbst miteinander berieten, sondern zeitaufwendige
Rückkoppelungen ihrer Gesandten nötig wurden.
Rittertum
Der "Ritter", lat. "miles", ist der zu Pferd kämpfende Krieger. Diese
Funktion setzt im MA den Status der Freiheit (Waffenrecht) und eines gewissen Reichtums
voraus, mit dem Erwerb und Unterhalt von Streitross und Waffen, sowie der Rüstung für Mann und Pferd
bewerkstelligt werden konnten. Außerdem gehörte Dienstpersonal, das den Ritter im
Kampf unterstützte und für den Unterhalt von Pferd und Waffen Sorge trug, zu den
Voraussetzungen, im Kriegsfall auch Pack- und Lasttiere, sowie Ersatzrösser. Der Ritter
musste auch wirtschaftlich in der Lage sein, seine Zeit der Vorbereitung und Übung
des Kampfes zu widmen. Ein hochmittelalterlicher Ritter (12. Jh.) hatte im Schnitt
drei dienstleistende "Knappen". Kampfübungen, wie das bewaffnete Reiten und das
"Lanzenstechen", gehörten zu seinem Leben und wurden in überregionalen Turnieren
(seit dem 12. Jh. bezeugt), die festen Regeln gehorchten, eingeübt. Kampfübungen und
Turniere hatten zugleich auch gesellige Funktion und wirkten sozialbindend sowie
standes- und identitätsstiftend. In den Stadtkommunen Italiens stellten die "milites"
die berittenen Kontingente der Stadt und gehörten der höchsten Schicht der "cives"
an. Seit der 2. Hälfte des 11. Jh. entwickelte sich nach und nach, nicht unbeeinflusst
von der Gottesfriedensbewegung, den Kreuzzügen und der theologischen Diskussion um
den "gerechten Krieg" (s. Krieg), zuerst in Frankreich und im anglo-normannischen
England, dann auch im übrigen Mittel- und Westeuropa das Ethos und die Rituale des
Ritterstandes, die uns aus der volkssprachlichen Literatur seit der 2. Hälfte des
12. Jh. bekannt sind. Zum Ethos gehört der Einsatz für Gott und Kirche und für die
"Schwachen", speziell die Frauen (Kirche und Frauen bedürfen des bewaffneten Schutzes!),
Treue und Waffenhilfe gegenüber dem Herrn (aus dem Lehnswesen). Beide Elemente werden
im Ideal der (unerfüllten) Liebe zur Herrin ("Minne") verschmolzen. Ethos und Kampfpraxis
bedürfen der Einübung, einer Art jahrelanger "Lehre" bei einem Herrn, die durch den
"Ritterschlag", ein feierliches, quasi-religiöses Ritual, abgeschlossen wird. Der
fertige Ritter bleibt selten bei seinem bisherigen Herr, sondern sucht sich in der Regel einen neuen.
Diese Suche kann längere Zeit beanspruchen ("fahrende Ritter"). Antritt eines
(adligen) Erbes, Kampferfolge und die daraus resultierende Beute, sowie Preise bei
Turniergewinnen können es ihm auch ermöglichen, selbst einen Hausstand zu begründen
und als "Herr" andere Ritter um sich zu versammeln. Die Mutation vom Rittertum als
Stand (frei, waffenfähig, begütert) zum Standesethos (Ausbildung, Lebensweise,
Kampfideale, Frauendienst) ermöglicht auch den ursprünglich unfreien Ministerialen,
sich dem Rittertum zugehörig zu fühlen, ohne dass Freie und Adlige sie wirklich als
gleichstehend angesehen hätten. Zwei korporative Gemeinschaftsbildungen entwickelten
sich für Ritter: die Ritterorden seit dem 12. Jh. als eine "Frucht" der Kreuzzugsbewegung
und die Ritterbünde des SpätMA. Ritterorden - die bekanntesten sind Templer,
Johanniter und deutscher Ritterorden - sind Orden, d.h. auf monastische Gelübde
(Ehelosigkeit, Gehorsam gegenüber Gott, dem Groß- oder Hochmeister und dem Papst sowie
persönliche Armut) verpflichtete geistliche Gemeinschaften, die jedoch im Vergleich
zu anderen monastischen Gemeinschaften einige entscheidende Unterschiede aufweisen:
die Vollmitglieder müssen ritterbürtig sein und sind zum Kampf für Christentum und
christliche Kirche sowie gegen die "Heiden" verpflichtet. Dies bedingt auch eine
andere Lebensweise als die von Mönchen. Kampfspiele als Training, Pferde, Jagd und
Jagdfalken sowie Waffen sind erlaubt. Die Ritterbünde des SpätMA sind ständische
Zusammenschlüsse von Laien-Rittern auf regionaler Ebene zur Wahrnehmung und
(auch gewaltsamen) Durchsetzung ihrer Standesinteressen. - Noch vor der Verbreitung
der Feuerwaffen (15. Jh.), nämlich mit der Zurückdrängung der hervorragenden militärischen
Rolle der Reitertruppen im 13. und 14. Jh. und mit der Zunahme der Bedeutung von
Soldtruppen und spezialisierten, zu Fuß kämpfenden Armbrust- und Langbogenschützen
verlor die ritterliche Kampf- und Lebensweise an Ansehen und Nutzwert. Ein Signal
stellten die horrenden Verluste der adligen Ritterheere Frankreichs im Kampf gegen
die Langbogenschützen der Engländer im 14. Jh. dar. Zu der militärischen Ineffektivität
kamen andere Entwicklungen hinzu, die den Niedergang des Rittertums verstärkten:
die Zunahme der Geldwirtschaft, die allmähliche Verlagerung des Reichtums vom
Grundbesitz auf den wirtschaftlichen Ertrag urbaner Tätigkeiten, die Stagnation des
ritterlichen Lebensideals, dem die Alltagsrealität des "armen Ritters" längst nicht
mehr entsprach.
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