Das Frühmittelalter im Überblick: Die letzten Merowinger

Gerhard Schmitz, Quellensammlung zur Vorlesung: Das Frühmittelalter im Überblick (Wintersemester 1997/98)
Die letzten Merowinger

Einhard, Vita Karoli c. 1

MGH SS rer. Germ. [25], 6. Aufl., hg. von O. HOLDER-EGGER (1911) S. 2ff.

1. Gens Meroingorum, de qua Franci reges sibi creare soliti erant, usque in Hildricum regem, qui iussu / Stephani Romani pontificis depositus ac detonsus atque in monasterium trusus est, durasse putatur. Quae licet in illo finita possit videri, tamen iam dudum nullius vigoris erat, nec quicquam in se clarum praeter inane regis vocabulum praeferebat. Nam et opes et potentia regni penes palatii praefectos, qui maiores domus dicebantur, et ad quos summa imperii pertinebat, tenebantur. Neque regi aliud relinquebatur, quam ut regio tantum nomine contentus crine profuso, barba summissa, solio resideret ac speciem dominantis effingeret, legatos undecumque venientes audiret eisque abeuntibus responsa, quae erat edoctus vel etiam iussus, ex sua velut potestate redderet; cum praeter inutile regis nomen et precarium vitae stipendium, quod ei praefectus aulae prout videbatur exhibebat, nihil aliud proprii possideret quam unam et eam praeparvi reditus villam, in qua domum et ex qua famulos sibi necessaria ministrantes atque obsequium exhibentes paucae numerositatis habebat. Quocumque eundum erat, carpento ibat, quod bubus iunctis et bubulco rustico more agente trahebatur. Sic ad palatium, sic ad publicum populi sui conventum, qui annuatim ob regni utilitatem celebrabatur, ire, sic domum redire solebat. At regni administrationem et omnia quae vel domi vel foris agenda ac disponenda erant praefectus aulae procurabat.

2. Quo officio tum, cum Hildricus deponebatur, Pippinus pater Karoli regis iam velut hereditario fungebatur. Nam pater eius Karolus, qui tyrannos per totam Franciam dominatum sibi vindicantes oppressit et Sarracenos Galliam occupare temptantes duobus magnis proeliis, uno in Aquitania apud Pictavium civitatem, altero iuxta Narbonam apud Birram fluvium, ita devicit, ut in Hispaniam eos redire conpelleret, eundem magistratum a patre Pippino sibi dimissum egregie administravit. Qui honor non aliis a populo dari consueverat quam his qui et claritate generis et opum amplitudine ceteris eminebant.



Übersetzung: Quellen zur Karolingischen Reichsgeschichte 1 (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 5, 1956, hg. von R. RAU S. 167-169:

1. Das Geschlecht der Merowinger, aus dem die Franken ihre Könige zu wählen pflegten, endete nach der gewöhnlichen Annahme mit König Hilderich, der auf Befehl des römischen Papstes Stephan abgesetzt, geschoren und ins Kloster geschickt wurde. Aber obwohl es erst mit ihm ausgestorben zu sein scheinen könnte, so war es doch schon längst ohne alle Lebenskraft und hatte außer dem eiteln Königstitel nichts Ruhmvolles an sich; denn die Macht und die Gewalt der Regierung waren in den Händen der Pfalzvorsteher, die Hausmaier hießen und denen die ganze Regierung oblag. Dem König blieb nichts übrig, als zufrieden mit dem bloßen Königsnamen, mit langem Haupthaar und ungeschorenem Bart auf dem Throne zu sitzen und den Herrscher zu spielen, die von überall her kommenden Gesandten anzuhören und ihnen bei ihrem Abgange die ihm eingelernten oder anbefohlenen Antworten wie aus eigener Machtvollkommenheit zu erteilen, da er außer dem nutzlosen Königstitel und einem unsicheren Lebensunterhalt, den ihm der Hausmaier nach Gutdünken zumaß, nur noch ein einziges, noch dazu sehr wenig einträgliches Hofgut zu eigen besaß, auf dem er ein Wohnhaus hatte und Knechte in geringer Zahl, die ihm daraus das Notwendige lieferten und ihm dienten. Uberall, wohin er sich begeben mußte, fuhr er auf einem Wagen, den ein Joch Ochsen zog und ein Rinderhirte nach Bauernweise lenkte. So fuhr er nach dem Palast, so zu der öffentlichen Volksgemeinde, die jährlich zum Nutzen des Reiches tagte, und so kehrte er dann wieder nach Hause zurück. Die Staatsverwaltung aber und alles, was im Innern oder nach außen hin zu tun und zu ordnen war, besorgte der Hausmaier.

2. Dieses Amt bekleidete zu der Zeit, da Hilderich abgesetzt wurde, Pippin, der Vater König Karls, schon wie ein erbliches Recht. Denn sein Vater Karl, der die Unabhängigkeitsgelüste der Großen im ganzen Frankenlande unterdrückte und die Sarrazenen, die die Eroberung Galliens versuchten, in zwei großen Schlachten, in Aquitanien bei der Stadt Poitiers, dann bei Narbonne an der Berre schlug und zur Rückkehr nach Spanien nötigte, stand mit hoher Auszeichnung dem Amt vor, das ihm sein Vater Pippin hinterlassen hatte, und das gewöhnlich von dem Volke nur solchen anvertraut wurde, die durch Adel des Geschlechts und Größe des Besitzes die andern überragten.