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In den USA zum Beispiel wurde Beuys' künstlerische Praxis besonders von Benjamin Buchloh als wortführendem Kritiker der "October Group" angefochten. Diese Gruppe von Kunsthistorikern und -theoretikern hatte auf die nachfolgenden Generationen von Künstlern, Kritikern und Kuratoren – mich inbegriffen – einen großen Einfluss. Ein weiterer Faktor könnte sein, dass Beuys’ utopische Kunst tief in der Moderne wurzelt, in der Vision von Eintracht und der Überzeugung, Dinge verbessern zu können. Er glaubte aufrichtig an die heilsame und therapeutische Wirkung der Kunst. Matthew ist ganz und gar ein Post-Modernist. Seine künstlerische Herangehensweise ist von Deleuze geprägt. Dessen Begriff der "Vielheit" ist bezeichnend für Barneys Arbeit, die sich eindeutigen Auflösungen verweigert.



Matthew Barney, CREMASTER 2, 1999,
Foto Ellen Labenski,
©Solomon R. Guggenheim Foundation, New York;
©2006 Matthew Barney

Arbeiten von Künstlern wie John Bock vermitteln den Wunsch, die Moderne zu reflektieren. Zumindest in Europa beziehen sich derzeit viele junge Künstler auf ganz unterschiedliche Weise auf die Moderne. Mir scheint es, als sei gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Schau wie diese.

Das denke ich ebenfalls, gerade in Betracht auf den Moment, den wir in kultureller, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht erleben. Vielleicht gelingt es der Ausstellung, einen neuen Blick auf Beuys zu eröffnen, oder die Debatte darüber zu verstärken. Das wäre unsere größte Hoffnung. Ob Beuys in seiner politischen Zielsetzung in Deutschland ernst genommen wird, oder nicht, kann ich als Amerikanerin nicht beurteilen. Aber ich glaube, es ist an der Zeit, Beuys' Botschaft in einigen seiner höchst bedeutsamen Ansätze neu zu überdenken, zum Beispiel in Bezug auf das, was er über Frieden und Versöhnung sagte. Das mag ein utopischer Traum sein, aber wir befinden uns weltweit in einer kritischen und ausweglosen Situation, die man nicht einfach ignorieren kann. Und auch wenn man die Art und Weise wie die Botschaft daher kommt nicht mag, bleibt ihr Inhalt dennoch wichtig. Vermutlich ist die Zeit gekommen, sich wieder damit auseinander zu setzen, wie die Politik Eingang in die Kunst finden kann. Matthew und ich haben viel über solche Dinge gesprochen. Seine Arbeit wendet sich mehr und mehr einer kritischen Auseinandersetzung mit der Welt zu, statt weiter in einem eher abstrakten Modell zu verharren.




Joseph Beuys, Terremoto in Palazzo, 1981, Foto ©FMGB Bilbao,
©2006 Artists Rights Society (ARS), New York / VG Bild-Kunst, Bonn

Die Ausstellungsbesucher sind vermutlich mit Teilen von Matthew Barneys und Joseph Beuys' Arbeiten vertraut; sie könnten diese beiden Welten für gänzlich unvereinbar halten, zumal Beuys wirklich daran gelegen war, Dinge miteinander zu verbinden und Trennungen aufzuheben. Barneys Kosmos dagegen erscheint auto-erotisch und narzisstisch bestimmt. Wie bringen Sie diese beiden Polaritäten in Einklang?

Es geht nicht um den perfekten Einklang. Beuys und Barney verbindet die Faszination für das Erzählerische und für den metaphorischen Gebrauch von Materialien: Bei Barney ist es die Vaseline, bei Beuys das Fett. Beide Werke weisen eine Beziehung zwischen der Aktion und dem Objekt auf, sowie in der Art und Weise, wie die Skulpturen inszeniert werden. In dieser Hinsicht kann man beide Künstler sehr gut miteinander vergleichen. Natürlich gibt es da auch grundlegende Unterschiede. Wie ich bereits erwähnte: Matthew ist durch und durch Post-Modernist. Er glaubt nicht daran, dass ein totaler Einklang wirklich erreicht werden kann, aber er erkennt an, dass das Streben danach wichtig ist. Beuys hingegen schien tatsächlich überzeugt, dass gesellschaftliche Veränderung und so etwas wie eine umfassende kulturelle Gesundung vollständig möglich wären.




Matthew Barney, Ambergris Guest, 2006,
Foto David Regen, courtesy Gladstone Gallery;
©2006 Matthew Barney

Würden Sie sagen, dass es sich bei der Ausstellung um ein experimentelles Projekt handelt? Oder ist Ihnen das Ergebnis bereits bewusst?

Obgleich wir eine klare Vorstellung davon haben, wie die Installation aussehen wird, kann man nie vorhersagen, wie das Publikum darauf reagiert. Das ist natürlich immer aufregend. Ich hoffe, dass die Ausstellung einen Dialog entfacht und Menschen dazu anregt, ihre Gedanken und Meinungen zu Beuys' Werk sowie ihre Erinnerungen daran in Bezug auf Barneys Arbeit miteinander zu teilen. Es handelt sich um ein Projekt, dessen Ende noch offen ist. Hier geht es nicht darum, dass Beuys von Barney "bearbeitet" wird, sondern eher darum eine Zwei-Mann Schau zu präsentieren.

Ich glaube auch nicht, dass dies irgendein anderer schon einmal gewagt hätte, zumindest niemand von der jüngeren Generation. Es hat ja bereits etliche Ausstellungen gegeben, in denen Beuys' Arbeiten neben denen anderer Künstler gezeigt wurden, niemals jedoch in einem derart intimen Bezug zueinander. Hier hat man zwei Mythologien nebeneinander, die jede für sich sehr stark ist. Allerdings könnte es sein, dass Barney bei der jüngeren Generation wesentlich bekannter und anerkannter ist, und dass die Besucher vor allem seinetwegen kommen.

Das könnte sehr gut sein. Aber vielleicht gibt es ja auch jüngere Künstler, die auch von Matthew Barney nicht besonders überzeugt sind. Das ist immer eine höchst subjektive Angelegenheit. Ich für meinen Teil bin sehr neugierig darauf, was für eine Debatte daraus möglicherweise resultiert. Warum sollte man sonst eine Ausstellung machen?

All in the Present Must Be Transformed: Matthew Barney und Joseph Beuys
28. October 2006 – 12. January 2007
Deutsche Guggenheim, Berlin

Übersetzung: Maria Morais

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