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Bioprodukte boomen in Österreich · Ein Überblick über Produktion, Vertrieb und Vermarktung

Natur in aller Munde

Von Peter Gluchi

Beinahe 8 Prozent der österreichischen Felder werfen schon Bioprodukte ab, damit sind wir europäischer Spitzenreiter (die Schweiz als Zweitbeste hält bei zirka 4
Prozent). Die Verbände und vor allem die Handelsketten haben mit Millionenbudgets (1995 alleine von Billa und Spar 100 Mill. S) die Konsumenten überzeugt. Die Akzeptanz ist da. Mehr als 95 Prozent
der Bevölkerung sind Lebensmittel aus ökologischem Landbau bekannt, bei 70 Prozent stoßen sie auf Kaufinteresse, der gleiche Anteil hält sie für gesünder und immerhin 40 Prozent finden sie
geschmackvoller.

Direktvertrieb und Hofvermarktung standen notgedrungen am Anfang. Sehr bald forderten EU und Globalisierung auch die Biobauern und ihre Vermarkter heraus. Österreichs größter Bioverband „Ernte für
das Leben" ist der Marktdynamik folgend auf vorhandene Strukturen zugegangen. 80 Prozent der Produkte der 12.000 bäuerlichen Mitgliederbertriebe finden nun vertraglich vorfixiert ihren Weg zu in- und
ausländischen Handelsriesen. Bei einer jährlichen Menge von 10.000 t Kartoffeln etwa werden Preise schon vor dem Anbau ausgehandelt. Die „Ernte"-Vetriebs-GesmbH „Ökoland-Österreich" gibt den
Zulieferbetrieben die Sorten vor, ein Verarbeiternetz sorgt für konzerngerechte Verpackung und gleich bleibende Qualität. „Grund für diese Entwicklung", so der Linzer „Ernte"-Marketingleiter
Mag. Allersdorfer, „war die fehlende Naturkostladenszene in Österreich und die Handelskonzentrationsdichte".

Das hat sich herumgesprochen. Deutsche Verarbeiter wie Schneekoppe, Alete oder Hipp (die Österreicher produzieren in Bayern)

decken mit Waren ausländischer Produzenten ein Drittel der österreichischen Nachfrage ab. Gegen diesen Importdruck plant Allersdorfer „den Exportanteil österreichischer Grundprodukte heuer auf 50
Prozent zu erhöhen". Schon jetzt geht Käse nach Schweden, Kartoffeln und Hühner nach Großbritannien und verarbeitete Babymilch-Produkte finden ihren Absatzweg in den arabischen Raum, nach Russland
und durch den REWE-Konzern, die Tengelmanngruppe (Löwa, Magnet, Zielpunkt) oder Spar nach Deutschland. Die Spielregeln sind klar: Menge und Kontinuität muss gewährleistet sein, dann erschließt sich
das gesamte Vertriebsnetz des Partners.

Neben Bio auch Öko

Der Leitgedanke des ökologischen Landbaus ist Wirtschaften im Einklang mit der Natur. Zuerst waren es wenige Bauern. Mit der Sensibilisierung weiter Verbraucherschichten für Gesundheits-,
Umweltschutz- und Tierfragen kam in den achtziger Jahren der erste Aufschwung und die „ARGE Bio-Landbau" wurde Dachorganisation für die vielen kleinen Verbände. Mit den Fördergeldern des EU-
Extensivierungsprogrammes und der EU-Agrarreform für Umstellungswillige explodierte ab 1992 die Anzahl der Biobauern auf heute rund 20.000 Betriebe. Etwa 44 Prozent davon sind unorganisiert (so-
genannte CODEX-Bauern). 1994 haben sich von der ARGE-Biolandbau jene Verbände abgespalten, die unter Bio auch Öko verstehen. Sie wollen auch „Handeln" im Einklang mit der Natur.

Die ÖIG (Österreichische Interessengemeinschaft für biologische Landwirtschaft) setzt auf „professionell gewerbliche Strukturen als bewusstes Gegengewicht zur zunehmend industriellen
Lebensmittelverarbeitung". Josef Ammersdorfer aus Pfarrkirchen im Mühlviertel sieht für „Erde & Saat" in eine Zukunft jenseits von Schicht- und Akkordarbeit der Lebensmittelriesen: „Unsere ,Grüne
Zweig Handels GesmbH.` arbeitet nur mit regionalen Vermarktern. Biobäcker und Biofleischer schaffen menschengerechte Arbeits- und Lehrplätze. Jene Sparkaufleute, die bis zu 50 Prozent der Produkte in
eigener Verantwortung listen können, vermeiden weite Transporte und zentralisierte Erfassung." Dies gelte es langfristig auf die Beine zu stellen, „als eigene Fachbranche, die
wohlstandsvermehrend arbeite, ohne der Nachwelt unnütze Kosten aufzubürden".

Der VNÖ (Verein zur Förderung und Entwicklung des Naturkost-Fachhandels in Österreich) will · so das Ziel von Geschäftsführer Liebing · „das fehlende und logische Glied in der Kette vom
Produzenten der Biolebensmittel hin zum Verbraucher werden". Wie beim deutschen Vorbild BNN (Bundesverband Naturkost Naturwaren e.V.), deren Logo die Österreicher übernehmen, soll eine
einheitliche Strategie in der Vermarktung bildlich in die Öffentlichkeit. Was Billa das „Ja! Natürlich" ist, soll „Natur Kost & Waren" den Naturkostläden werden: ein Signum mit Marktgewicht (und
immer noch Alternativanspruch).

Erster Träger des neuen Logos ist Stefan Maran. Der gebürtige Rumäne steht zwischen den Vitrinen und Regalstraßen seiner beinahe 300 m² großen Verkaufsfläche in der Wiener Ottakringer Straße 186. Vor
dem Geschäft hängen die Fahnen mit dem fettem Blockbuchstaben „N", aus dessen linkem Balken ein stilisierter Baum ragt. Über dem Eingang steht schlicht „Bio-Markt". Was diese Insignien nobel
verschweigen, wird beim Eintritt in den Laden klar, dies ist ein Supermarkt. Der erste ganz in Bio gehaltene.¹ In den Regalen finden sich Kosmetikwaren, Wasch- und Putzmittel, Fruchtsäfte, Obst und
Gemüse, unverpackte Wurst und Käse. Dazu eine Imbissecke, im ersten Stock ein Seminarraum.

Die diversen Milcharten, Joghurt, Schlagobers, Sauerrahm, Topfen und Dessertprodukte kommen aus dem oberösterreichischen Lembach. Dort steht die erste Biomolkerei. Sechs Bauernbetriebe aus dem ÖIG-
Bereich haben sie in einem zurückgekauften Genossenschaftsbetrieb etabliert. Einzugsgebiet für die Anlieferer sind ökologisch enge 30 km. Zurzeit werden täglich 2.000 l Milch verarbeitet, angepeilt
sind 7.000 l. „Unser Vorteil liegt in der Schnelligkeit", vergleicht Betreibervertreter Hans Furtmüller seine „Besser Bio"-Produkte mit jenen konventioneller Betriebe: „Die Milch kommt ohne
Vermischungsprobleme tagesfrisch ins Verkaufsregal, wenn nötig auch österreichweit." Da funktioniert die gewerbliche Zusammenarbeit, wie sie Ammersdorfer meint.

Für Billa etwa wird in drei konventionellen Molkereien Biomilch aus ganz Österreich eingeholt und verarbeitet. „Feinsäuberlich getrennt und streng kontrolliert", wie „Ja! Natürlich"-Chef Werner
Lampert versichert. Die Tagesmengen liegen im salzburgischen Maishofen bei bis zu 150.000 l. Die Oberkärntner Milch als kleinste hält bei 32.000 l. „Die Qualität des Produktes ist die gleiche",
räumt „Erde & Saat"-Mann Ammersdorfer ein, „aber deren Produktionsweise führt in die falsche Richtung."

Bio-Supermarkt

Stefan Maran ist beim Einkauf („für den Markt brauche ich ein komplettes Sortiment") in Deutschland, Italien und sogar in den USA unterwegs. Das könne zwar nicht „öko" sein, sei aber nicht
seine Schuld. Manche österreichische Zulieferer des gewerblichen Sektors gingen zu langsam auf Kundenwünsche ein. „Helle Nudeln in Bioqualität etwa wurden lange Zeit in Österreich nicht angeboten.
In Deutschland gab es keine Probleme, die Kleie weg zu sieben", erklärt Maran seine Sorgen. Aus diesem Grund will er sich nicht vorschreiben lassen, woher er seine Waren bezieht. Die Formulierung
der Richtlinien des VNÖ sieht vor, „ausschließlich Waren in Bioqualität anzubieten, außer die geeignete Qualität ist nicht verfügbar". Für Maran ist das akzeptabel, wenn damit auch die
Mengenverfügbarkeit inkludiert ist. „Als Kaufmann kann ich nicht schlafen, wenn mir unbekannt ist, wie viel und ob Ware lieferbar ist. Da greife ich natürlich auf andere naturnahe Produkte zurück,
selbst wenn Ware in Bioqualität existiert."

„Absolute BIO-Klarheit verschafft den Konsumenten die BIO-Kontrollnummer (z. B.: AT-O-02 BIO)", erklärt Konsumentenschützer Heinz Schöffel von der Arbeiterkammer. AT steht für Österreich, damit
ist aber nicht sicher, dass es österreichische Ware ist. Selbst Nicht-EU-Ware wird geprüft und muss demnach eine Prüfnummer aufgedruckt haben. Somit, so Schöffel, „ist mittlerweile Bio drin, wo
Bio draufsteht". Was das im einzelnen bedeutet, ist für landwirtschaftliche Produkte pflanzlichen Ursprungs seit 1991 EU-weit einheitlich vorgeschrieben: Geeignete Sortenwahl und Fruchtfolge sowie
mechanische Bodenbearbeitung statt der Chemiekeule, begrenzte Zufuhr von Dünge- und Bodenverbesserungsmitteln, keine genetisch veränderten Rohstoffe und nur wenige zugelassene Zusatzstoffe bei der
Verarbeitung. Mindestens jährlich werden (teils unangemeldet) die Betriebe besichtigt und Stichproben untersucht, die Zulieferbücher kontrolliert. Das ist der EU-Mindeststandard. Die österreichischen
Verbandsbauern halten zusätzliche, strengere Richtlinien ein.

Kurz vor dem Abschluss stehen nun auch harmonisierte Regelungen für Biolebensmittel tierischer Herkunft (in Österreich gilt derzeit Kapitel 8A des Lebensmittelkodex). Der EU-Rat behandelte die
Materie im März '99. Laut dem zuständigen Beamten für Umweltförderung im Landwirtschaftsministerium Dipl.-Ing. Bosch bleiben „Details weiterhin national ausformulierbar", und damit sind durch
die neuen EU-Verordnungen „keine Veränderungen für die heimische Praxis zu erwarten." Die Förderungen bleiben gleich.

Im Prinzip, so versichert „Erde & Saat"-Mann Ammersdorfer, könne sich niemand mehr leisten, Bio zu signalisieren, ohne eine Prüfnummer am Produkt zu haben. „Da hat er sofort eine Klage der
Mitbewerber wegen unlauteren Wettbewerbs auf den Tisch." Dem Konsumenten ist nicht zumutbar, beim Einkauf alle Marken und Logos nach ihrem Wahrheitsgehalt nachzuprüfen. Die Arbeitskammer hat es
probiert und gestaunt. Das beauftragte Öko-Institut sichtet penibel die einzelnen Richtlinien des Zeichen- und Pickerlwaldes, wo mit grünen Blättern, Ährenkorn und Sonnensymbolen Natur beschwört
wird, welche nicht immer so pur im Produkt drin ist. Mit der AK-Broschüre, die konkreten Marktprodukten unterschiedliche Erzeugerformen (naturnah, integrierter Anbau, artgerechte Haltung und BIO)
zuordnete, haben die „Verwechslungen" (manche sagen der Schwindel) rasch abgenommen.²

Das VNÖ-„N", plant Geschäftsführer Liebing, wird das Signum für absolut sichere Bioqualität im Naturkost-Fachhandel in Österreich. Das Fähnchen vor dem Geschäft signalisiert, dass im Laden
ausschließlich Bioqualität angeboten wird. „Belgische" Verhältnisse sind unter dem „N" sowieso undenkbar. „Absolut gentechnikfrei" gilt es gerade jetzt, so Liebing, „vermehrt als
Wettbewerbsvorteil" zu kommunizieren.

Rapunzel neben Nutella

Für Josef Ammersdorfer ist der „Lebensmitteleinkauf eine Kultursache. Dazu braucht es Kompetenz und Zeit zum Schauen." Und das nicht nur auf den Preis. Denn hinter einem „Joghurt um S
6,90 steht hinkünftig ein Arbeiterlohn von S 10/Std. und S 1/pro Liter Milch für den Bauern." Qualität hat aber ihren Preis, der „aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen und deren
Lebens- und Arbeitschancen" bezahlt werden will.

Sinnlich veranschaulicht diesen Gedanken „Point of Sale", ein Kunstprojekt von Andreas Wegner. Mit zwei versierten Beratern aus der Naturkostladenszene (Alexander Herwei und Othmar Holzinger) hat er
konventionelle Lebensmittel unmittelbar neben Produkten aus kontrolliert biologischen Anbau platziert. In dem greislerartigen Laden stehen u. a. nun sechs Monate lang friedlich die Samba Creme von
Rapunzel und Nutella nebeneinander. Die Kaufentscheidung kann da auf die tatsächlichen Vor- und Nachteile des Produkts konzentriert werden: z. B. der Haselnussgehalt (hier 45 Prozent, da 13 Prozent),
der Vanillequalität (Bourbon Vanille oder Vanillin), die Füllstoffart (Vollwert oder Soja Lecithin).

Der Laden in der Margaretenstraße Nr. 36 bietet einen sinnlichen Parcour in Sachen Markttransparenz. Die konventionellen Produkte konnten die Betreiber natürlich nicht zu jenen Konditionen beziehen
wie mengenorientierte Diskonter. Auf diesen höheren Einkaufspreisen der Großlieferanten für Kleinabnehmer basiert ihre Kalkulation. Die Folge: ein höherer Verkaufspreis wie bei Bioläden bzw. früher
bei den Greißlern. Gleichzeitig wurden die bestmöglichen Biopreise etikettiert, weil in der kleinen Szene die Lieferanten den Läden entgegen kamen (wie Kleinlieferanten dies früher auch beim Greißler
taten). Der Effekt: Das Preisgefälle ist entschärft, die Kaufentscheidung in einen breiteren Kontext gestellt.

„Ob Bio auch im Handel wieder Öko wird, liegt vor allem in der Hand und der Verantwortung der Verbraucher", ist Josef Ammersdorfer überzeugt. Ob sich die viel gepriesene Macht des Konsumenten
tatsächlich durchsetzt, hängt aber auch von den Rahmenbedingungen ab. Wenn etwa der Lkw-Verkehr quer durch Europa weiterhin so kostengünstig rollen kann, wird den ÖKOs unter den BIOs noch viel
Überzeugungsarbeit abverlangt werden.

¹ Weitere BIO-Supermärkte stehen in Graz, Innsbruck und Salzburg in den Startlöchern. Aus der Vor-Supermarktära gibt es natürlich immer noch Ab-Hof-Verkauf, das Selbsternten in BIO-Gärten und die
BIO-Bauernmärkte. Daneben wird direkt ins Haus geliefert, BIO-Partyservice angeboten, auch BIO-Bäcker und BIO-Fleischer stehen zu Diensten. Infos über deren Standorte und div. Bezugsquellen bieten:

Bio Guide, Falter-Verlag, Bestellungen: E-Mail: service 10@falter.co.at

Bio einkaufen & erleben in . . . (nach Bundesländern), Arge Bio-Landbau, Bestellungen: im BioClub 0 71 14/22 13 14 zum Ortstarif, E-Mail: info@bioclub.at).

² AK-Broschüren: Bestelltelefon-Nr.: 310 00 10 + DW oder E-Mail: bestellservice@akwien.or.at

Freitag, 03. September 1999

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