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Stand vom 30.11.2004

"Anzeige gegen Rumsfeld ist reine PR-Aktion"

Interview mit dem Völkerrechtler Alexander Lorz

Die US-Menschenrechtsorganisation CCR1 hat am Dienstag (30.11.04) in Karlsruhe Strafanzeige gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gestellt. Anlass sind die Foltervorwürfe im irakischen Gefängnis Abu Ghraib im Irak. Der Düsseldorfer Rechtsprofessor Alexander Lorz hält die Anzeige allerdings für eine PR-Aktion.

wdr.de: Auf welche Rechtsgrundlage stützt sich die Anzeige der US-Menschenrechtsorganisation "Center for Constitutional Rights"(CCR) gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld?

Alexander Lorz, Professor für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Uni Düsseldorf; Rechte: LorzBild vergrößern

Professor Alexander Lorz

Alexander Lorz: Die Anzeige basiert auf dem neuen deutschen Völkerstrafgesetzbuch, das im Juli 2002 in Kraft getreten ist. Darin sind diejenigen Verbrechen aufgeführt, die auch nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs als Völkerverbrechen verfolgt werden sollen. Mit dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch sind diese Verbrechen auch in Deutschland strafbar und können daher hier verfolgt werden. Es handelt sich also um ein deutsches Gesetz, das auf dem völkerrechtlichen Vertrag basiert.

wdr.de: CCR beruft sich in der Anzeige, die vom deutschen Republikanischen Anwälteverein (RAV) unterstützt wird, auf das so genannte Weltrechtsprinzip: Was besagt dieses Prinzip?

Lorz: Weltrechtsprinzip bedeutet, dass bestimmte Taten unabhängig davon verfolgt werden, ob ein Anknüpfungspunkt an die deutsche Rechtsordnung vorliegt oder nicht. Im deutschen Recht wird normalerweise verlangt, dass entweder der Täter Deutscher ist, oder das Opfer Deutscher ist, oder die Tat in Deutschland begangen worden ist. Beim Weltrechtsprinzip verzichtet man auf alle diese Anknüpfungspunkte. Das tut man allerdings nur bei besonders schweren Verbrechen, z.B. bei den völkerrechtlichen Verbrechen, die im Völkerstrafgesetzbuch verzeichnet sind.

wdr.de: Wie sieht ein Verfahren nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch aus?

Lorz: Das ist ein ganz normales deutsches Strafverfahren. Nur die Tatbestände ändern sich. Man verfolgt dann eben nicht wegen Diebstahls oder Betrugs, sondern wegen Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

wdr.de: Wer darf nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch wen und wofür anzeigen?

Lorz: Wie es im Strafprozessrecht auch sonst üblich ist: Anzeigen kann jeder und die Strafverfolgung obliegt dann der Staatsanwaltschaft, in diesem Fall wegen der Tatbestände, die im Völkerstrafgesetzbuch stehen. Das sind im Wesentlichen Völkermord - das steht im Fall Rumsfeld nicht zur Debatte -, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Unter die letzten beiden Tatbestände könnte auch der Vorwurf der Folter fallen.

wdr.de: Warum wird die Anzeige ausgerechnet in Deutschland eingereicht?

Montage: Folterszene, US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld; Rechte: ap/dpa/WDR(m)Bild vergrößern

Angezeigt: Donald Rumsfeld

Lorz: Weil das deutsche Recht mit der Anordnung der Geltung des Weltrechtsprinzips über die meisten anderen nationalen Rechtsordnungen hinaus geht. Es haben sich zwar alle Vertragspartner des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs dazu verpflichtet, die dort verzeichneten Verbrechen zu verfolgen, aber man muss nicht unbedingt nach dem Weltrechtsprinzip verfolgen. Deutschland gehört zu den wenigen Staaten, die dieses umfassende Verfolgungsprinzip eingeführt haben. Die USA hingegen sind gar nicht Vertragspartei des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs und fallen insofern völlig raus. Die USA haben aber ihre internen Straftatbestände, nach denen selbstverständlich auch Folter und Kriegsverbrechen strafbar sind. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind in den USA genauso vorhanden wie bei uns.

wdr.de: Welches Strafmaß kann bei der Anzeige gegen Rumsfeld ausgesprochen werden?

Lorz: Das Strafmaß bei den Völkerrechtsverbrechen reicht theoretisch bis zur lebenslangen Freiheitsstrafe, hängt aber natürlich von der Schwere der Verbrechen und der Schuld im Einzelfall ab.

wdr.de: Wie würde ein mögliches Urteil gegen Donald Rumsfeld vollstreckt?

Lorz: Es wird nicht dazu kommen, warum sage ich Ihnen gleich. Spielen wir also die Frage rein gedanklich durch: Sie müssten natürlich des Beschuldigten zunächst habhaft werden, weil Prozesse normalerweise nicht in Abwesenheit durchgeführt werden. Sie würden also versuchen, einen internationalen Haftbefehl zu erwirken. Schon an diesem Punkt fängt die Sache an, ein wenig skurril zu werden. Stellen Sie sich vor, Sie beantragen bei Interpol einen Haftbefehl gegen den amerikanischen Verteidigungsminister! Aber das wäre der Weg, wie man auch sonst mit internationalen Straftätern verfährt.

wdr.de: Wie berteilen Sie die rechtlichen Chancen der Anzeige?

Im US-Gefängnis Abu Ghraib im Irak: US-Soldaten stehen um nackten Iraker herum, der seine Arme hinter dem Kopf verschränkt hat; Rechte: APBild vergrößern

Im US-Gefängnis Abu Ghraib im Irak

Lorz: Das Ganze ist eine reine PR-Aktion. Ich sage Ihnen auch warum: In unserer Strafprozessordnung gibt es den Paragrafen 153 f, der extra für das Völkerstrafgesetzbuch eingeführt worden ist. Dieser Paragraf gibt der Staatsanwaltschaft ein sehr weit reichendes Ermessen, von der Strafverfolgung abzusehen. Und zwar kann die Staatsanwaltschaft insbesondere von der Strafverfolgung absehen, wenn kein Tatverdacht gegen einen Deutschen besteht - das ist hier der Fall; die Tat nicht gegen einen Deutschen begangen wurde - das steht hier auch nicht zur Debatte; kein Tatverdächtiger sich im Inland aufhält - auch das ist der Fall. Außerdem wird Deutschland in der Regel bei der Strafverfolgung zurückstehen, wenn die Tat bereits durch den Staat verfolgt wird, dessen Staatsangehöriger der mutmaßliche Täter ist. Genau darauf wird sich die Bundesanwaltschaft stützen und argumentieren, dass die Vereinigten Staaten ein Rechtsstaat sind, der jede Menge Verfahren wegen Abu Ghraib führt. Deshalb werden für die Bundesanwaltschaft keinerlei Zweifel bestehen, dass eine effektive Strafverfolgung all dieser Verbrechen stattfindet. Fazit: Es besteht kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Damit wird dieses Verfahren eingestellt werden. Diese Prognose wage ich mit einer Sicherheit von 99,9 Prozent. 

wdr.de: Wie kam der Paragraf 153 f zustande?

Lorz: Der Paragraf 153 f wurde in Deutschland bewusst aufgrund der Erfahrungen eingeführt, die man in Belgien gemacht hat. Belgien hatte nämlich ursprünglich ein umfassendes Weltrechtsprinzip für derartige Verbrechen ohne die Einschränkungen, die wir in Paragraf 153 f haben; mit der Konsequenz, dass es in Belgien Anzeigen gehagelt hat, für alle Verbrechen dieser Welt. Die meiste Aufmerksamkeit hat das Verfahren gegen den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon erhalten. Diese Gesetzeslage ist den Belgiern schließlich über den Kopf gewachsen, deshalb haben sie ihr Gesetz geändert. Deutschland hat von den belgischen Erfahrungen gelernt und die einschränkende Klausel von Anfang an in die deutsche Strafprozessordnung hineingeschrieben. Damit kann zwar in Deutschland - nach dem Weltrechtsprinzip - eine umfassende Strafverfolgung stattfinden, sie muss es aber nicht.

Das Interview führte Dominik Reinle.

Stichworte

1 Center for Constituitional Rights (CCR)

Die US-Menschenrechtsorganisation "Center for Constitutional Rights" (CCR) hat am 30. November 2004 bei Generalbundesanwalt Kay Nehm Anzeige gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Ex-CIA-Direktor George Tenet, General Ricardo Sanchez sowie sieben weitere Verantwortliche der US-Regierung und des US-Militärs eingereicht. Die Organisation wirft ihnen Kriegsverbrechen und Verstöße gegen das Völkerrecht in Irak vor. Anlass sind die Vorgänge im Gefängnis Abu Ghraib.

Ziel der Organisation ist es, die Entwicklung des Völkerrechts voranzubringen und die Rechte jener Menschen zu vertreten, die sonst kaum Zugang zu juristischer Hilfe haben. Sieben Anwälte und 13 Mitarbeiter sind im CCR beschäftigt, das seit 1966 besteht und seinen Sitz in New York hat. Seit 2002 vertritt die Organisation und ihr Präsident, der Rechtsanwalt Michael Ratner, unter anderem Internierte im US-Gefängnis Guantanamo Bay auf Kuba. Auf Initiative des CCR entschied der Oberste US-Gerichtshof im Juni 2004, dass die Guantanamo-Häftlinge das Recht haben, gegen ihre Inhaftierung vor Gericht zu ziehen.

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