KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Rückblick auf die Geschichte der Gedenkstätte Neuengamme

Neuengamme war im Unterschied zu Auschwitz-Birkenau, Treblinka oder Chelmno keine Tötungsfabrik des Holocaust, in der Hunderttausende Juden mit Zyklon B ermordet wurden. Mit der rücksichtslosen Ausnutzung der Arbeitskraft von - zumeist nichtjüdischen - Häftlingen in der deutschen Kriegswirtschaft unter Bedingungen, die den Tod durch Entkräftung bewusst einkalkulierten, steht Neuengamme für den von der SS geprägten Begriff "Vernichtung durch Arbeit".

Bergen-Belsen, seit 1950 die zentrale Gedenkstätte des Landes Niedersachsen, ist - vergleichbar nur mit Dachau, Buchenwald und Auschwitz - in aller Welt als nationalsozialistisches Konzentrationslager bekannt. Die grauenvollen Verhältnisse bei Kriegsende und vor allem die Bilder der britischen Befreier führten dazu, dass Bergen-Belsen fortan nicht nur zum Synonym für die KZs, sondern für die Shoah schlechthin wurde.

In der Rezeptionsgeschichte hat auch die stark unterschiedliche öffentliche Wahrnehmung von Bergen-Belsen und Neuengamme ihren entscheidenden Grund. Obgleich das KZ Neuengamme mit über 80 Außenlagern das zentrale Konzentrationslager für den nordwestdeutschen Raum war und insgesamt über 100.000 Häftlinge zählte, von denen mehr als die Hälfte nicht überlebte (womit die Zahl der Opfer ungefähr der des Konzentrationslagers Bergen-Belsen entspricht), blieb es lange Zeit weitgehend unbekannt.

Wie andernorts auch, tat man sich in Hamburg bekanntlich sehr schwer im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Dabei befand sich mit dem KZ Neuengamme in den eigenen Stadtgrenzen das größte Konzentrationslager Nordwestdeutschlands mit Zehntausenden von Häftlingen und über 85 Außenlagern. Die teilweise bis in die achtziger Jahre währende Weigerung, die Geschichte des KZ Neuengamme zur Kenntnis zu nehmen, und der Umgang mit dem Lagergelände führten dazu, dass Neuengamme lange Zeit als "vielleicht eines der eklatantesten Beispiele der Nachkriegszeit für Vergessen und Verdrängen" galt.

Einer der Gründe dafür war sicherlich, dass die siebenjährige Geschichte des Lagers aufs engste mit der Geschichte Hamburgs im "Dritten Reich" verknüpft ist:

Bereits der Gründung des Lagers 1938 lag ein Vertrag zwischen SS und Stadt zugrunde; die Stadt stellte auch das Areal und einen Millionenkredit für den Aufbau des Lagers zur Verfügung. Sie erhoffte sich davon den preiswerten Erwerb von Klinkersteinen für die beabsichtigte Neugestaltung Hamburgs als "Führerstadt". Später wurden Fertigungsteile der in Hamburg für Ausgebombte errichteten Plattenhäuser in Neuengamme produziert. Seit 1942, vor allem aber nach den schweren Bombenangriffen auf Hamburg im Sommer 1943 wurden große Häftlingskolonnen im städtischen Auftrag mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Im letzten Kriegsjahr bestanden inmitten Hamburgs insgesamt 16 Außenlager, davon sieben für weibliche Häftlinge. Tausende Häftlinge mussten in Hamburger Rüstungsbetrieben, unter anderem auf den Werften, Zwangsarbeiten leisten.

Und schließlich lag der Räumung des KZ Neuengamme im April 1945 mit der Verbringung der Häftlinge in die Sterbelager Bergen-Belsen, Sandbostel und Wöbbelin sowie auf die KZ-Häftlingsschiffe eine auch von Hamburger Interessen geprägte Entscheidung zugrunde.

In Anbetracht der unabwendbaren Niederlage und in Furcht vor den Folgen der angeordneten Verteidigung der durch die Bombenangriffe der Vorjahre schwer zerstörten Stadt hatte sich im April 1945 die Entscheidung zur kampflosen Übergabe an die Briten durchgesetzt. Führende Vertreter der Hamburger Wirtschaft teilten die Sorge der Verwaltung vor Plünderungen, die man nach dem Ende der Kampfhandlungen durch befreite Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge befürchtete. Zudem befürchteten sie Repressalien der Sieger, sollten diese bei der Einnahme der Stadt auf "KZ-Elendsgestalten" stoßen. In Kooperation mit dem Höheren SS- und Polizeiführer Nordsee, Graf Bassewitz-Behr, der die Befehlsgewalt über das KZ Neuengamme im Fall alliierter Feindannäherung ausübte, organisierte Hamburgs Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar Karl Kaufmann die Räumung des Lagers. In großer Eile wurden die Häftlinge fortgeschafft.

Als keine Ausweichlager mehr zur Aufnahme der Neuengamme-Häftlinge verfügbar waren (Bergen-Belsen wurde am 15. April befreit), schlug Gauleiter Kaufmann die Unterbringung auf Schiffen vor. Die letzten 10.000 Häftlinge, die sich im Stammlager Neuengamme befanden, brachte die SS in den Tagen nach dem 20. April nach Lübeck und von dort auf die "Cap Arcona", den Luxusliner der Hamburg-Süd, und zwei Frachtschiffe, die Kaufmann in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Seeschifffahrt als "schwimmende Konzentrationslager" requiriert hatte und auf denen unbeschreibliche Zustände herrschten. Die versehentliche Bombardierung der Schiffe am 3. Mai 1945 durch britische Jagdbomber, der mehr als 7.000 Häftlinge wenige Stunden vor ihrer möglichen Befreiung zum Opfer fielen, die fürchterlichen Verhältnisse in den Sterbelagern Bergen-Belsen, Sandbostel und Wöbbelin, in die über 20.000 Häftlinge des KZ Neuengamme auf Transporten und Todesmärschen getrieben worden waren und in denen Tausende an Hunger zugrunde gingen, der Kindermord am Bullenhuser Damm - das Ende des KZ Neuengamme war ein Inferno.

Bei der Auflösung des Lagers versuchte die SS, die Spuren der Verbrechen zu verwischen. Nachdem der Großteil der Häftlinge das Lager verlassen hatte, war ein in Neuengamme verbliebenes 700köpfiges Restkommando auf Befehl der SS damit beschäftigt, die Spuren der Verbrechen zu verwischen. Berichten zufolge wurden die Baracken von Stroh und Unrat gereinigt, teilweise sogar frisch gekalkt und verräterische Gegenstände wie Prügelbock und Galgen beseitigt. Neben Aufräumungs- und Demontagearbeiten ordnete die SS die Vernichtung sämtlicher Kommandanturakten, der Unterlagen der politischen Abteilung (Lager-Gestapo), der Karteien und alles weiteren im Lager befindlichen Schriftgutes an. Die letzten Häftlinge und SS-Leute verließen das Lager Neuengamme am 1. Mai. Als britische Soldaten das Lager fünf Tage später betraten, fanden sie zwar ein riesiges Gelände mit einer Vielzahl von Baracken vor, was sich dort zugetragen hatte, offenbarte der Ort jedoch nicht. Das Kalkül war aufgegangen. Hätten die britischen Soldaten im Neuengammer Lager jene verhungerten oder zu Skeletten abgemagerten Häftlinge angetroffen, die nach Sandbostel, Wöbbelin, Bergen-Belsen oder auf die KZ-Schiffe verbracht worden waren, so wäre die Legende, in Hamburg sei es während der Nazi-Herrschaft weit gemäßigter zugegangen als anderswo, sicherlich nicht auf so viel Widerhall gestoßen. Noch 1967 war in der offiziösen Heimatchronik der Freien und Hansestadt Hamburg zu lesen, dass hier "unter der NS-Herrschaft ein milderes Parteiklima als in anderen Gauen Deutschlands geherrscht" habe und die Verbrechen in Neuengamme "so gut wie unbemerkt von der Öffentlichkeit" hinter deren Rücken stattgefunden hätten. Die Bilder des Schreckens, die 1945 um die Welt gingen und auf denen auch die zu Tode abgemagerten Häftlinge des KZ Neuengamme zu sehen waren, wurden fortan mit dem Namen Bergen-Belsen assoziiert.

Das KZ Neuengamme nach 1945: Internierungslager und Gefängnis

Das bei Kriegsende leere Lager - Neuengamme war das einzige große KZ, das vollständig geräumt wurde -, die verschiedenen Maßnahmen zur Spurenbeseitigung, die Belegung mit zumeist osteuropäischen Häftlingen, die vergleichsweise geringe Zahl jüdischer Häftlinge und die für das Nachkriegs-Hamburg belastende Verbindung zwischen Stadt und KZ können als Gründe dafür genannt werden, dass Neuengamme lange Zeit weitgehend unbekannt blieb und auf diese Stätte nationalsozialistischen Terrors wenig öffentliche Aufmerksamkeit gelenkt wurde. Aber auch die Nachnutzungen des Lagers haben dem Vergessen Vorschub geleistet.

Ab Juli 1945 nutzte die britische Militärverwaltung das komplett erhaltene Lager als Internierungslager, in das im Zuge des "automatic-arrest" in erster Linie Funktionsträger der verschiedenen Parteiorganisationen, des nationalsozialistischen Staatsapparates und der Wehrmacht eingeliefert wurden. Dieses Lager bestand drei Jahre lang. Als es sich im Zuge der schrittweisen Einstellung der Entnazifizierungsmaßnahmen zunehmend leerte, sah die Hamburger Gefängnisbehörde "eine selten günstige Gelegenheit" zur Beseitigung ihrer Raumnot. Zur Begründung des Vorstoßes wurden jedoch nicht die Nützlichkeitserwägungen vorgebracht, sondern das pragmatische Ansinnen wurde - um dem möglichen Vorwurf politischer Instinktlosigkeit offensiv zu begegnen - kurzerhand zu einem Akt der Vergangenheitsbewältigung erklärt: "Das Schandmal der Vergangenheit möge ausgelöscht werden und Neuengamme uns eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung bedeuten, die wir willig übernehmen, um aus dieser Anstalt nunmehr eine vorbildliche Anstalt der Menschlichkeit und des modernen Strafvollzuges von Weltruf zu schaffen."

Zunächst übergaben die britischen Behörden im Februar 1948 das KZ-Klinkerwerk an die Stadt, die dort die ersten Strafgefangenen unterbrachte und diese dann bei der Demontage der großen Brennöfen und der Trockenkammern einsetzte. Ein halbes Jahr später folgte die Übergabe des Gesamtgeländes. Am 6. September 1948 hielt der Senator der Gefängnisbehörde, Hamburgs Zweiter Bürgermeister Christian Koch (FDP), vor Bediensteten seiner Behörde eine kurze Ansprache; die Veranstaltung schloss mit dem Hissen der Hamburger Flagge auf dem Turm der ehemaligen SS-Hauptwache.

Für die Einrichtung des Männergefängnisses im ehemaligen Häftlingslager wurden einige Umgestaltungen und Neubauten vorgenommen: 1949 ließ die Gefängnisbehörde die Holzbaracken abreißen und an ihrer Stelle großteils aus den demontierten Steinen der Klinkerwerk-Ringöfen ein architektonisch eingepasstes Zellengebäude mit Innenhof von 129m Länge und 94m Breite neu erbauen. Die beiden aus dem Jahr 1944 stammenden zweigeschossigen Massivbauten von jeweils 3.000qm Fläche wurden hingegen weitergenutzt. In das westliche Unterkunftsgebäude wurde Ende der fünfziger Jahre die Gefängnisverwaltung verlegt. In den letzten Kriegsmonaten hatte es u.a. als sogenannter "Schonungsblock" gedient, in dem die SS die verbliebene Arbeitskraft zahlreicher geschwächter und kranker Häftlinge vor allem für Flechtarbeiten nutzte und der aufgrund der hohen Todesrate auch als "Sterbeblock" bezeichnet wurde.

Das zweite massive Unterkunftsgebäude aus der KZ-Zeit, in dem ebenfalls zunächst Strafgefangene untergebracht worden waren, diente fortan als Gefängnis-Lazarett, Magazin und Küche. Die 1943 für die Firma Carl Walther GmbH auf dem Lagergelände zum Zwecke der Gewehrproduktion erbauten Fabrikhallen dienten nunmehr als Gefängniswerkstätten; Teile des ehemaligen SS-Lagers und das Kommandantenhaus als Dienstwohnungen. Die meisten Wachttürme wurden - eine Ausnahme ist die bis heute erhaltene SS-Hauptwache - 1951 gesprengt. Hingegen blieb der elektrisch geladene Stacheldraht zunächst noch in Betrieb; nach den damals verfolgten Konzeptionen für einen reformierten Strafvollzug sollte die strikte äußere Sicherheit eine größere Freizügigkeit innerhalb des Gefängnisses ermöglichen.

Der schwierige Weg zur Gedenkstätte

Die Erinnerung an die Vergangenheit mussten die Überlebenden allein wach halten. Bei den politisch Verantwortlichen fanden sie zunächst mit ihrem Wunsch, ihrer Kameraden dort zu gedenken, wo diese ermordet wurden, wenig Gehör. Als Anfang 1951 ehemalige französische Häftlinge beim Senat baten, ihnen den Zutritt zum Ort des KZ-Krematoriums zu gewähren, wo sie Gedenkveranstaltungen für ihre ermordeten Kameraden abzuhalten wünschten, lehnte der sozialdemokratische Bürgermeister Max Brauer dieses ab, weil die "Schaffung einer Wallfahrtsstätte" den Gefängnisbetrieb beeinträchtigen würde und weil ohnehin "die Wallfahrer bei ihrem Besuch keine Spuren des ehemaligen KZ-Lagers mehr auf dem Gelände einer inzwischen neu errichteten Gefängnisanstalt vorfinden würden". Hamburgs wohl bedeutendster Nachkriegspolitiker, der selbst vor den Nationalsozialisten ins Ausland fliehen musste, forderte die französischen Bittsteller vielmehr dazu auf, nicht "an alten Wunden" zu rühren, vielmehr "die furchtbaren Entsetzlichkeiten der vergangenen Epoche […] allmählich aus der lebendigen Erinnerung auszulöschen".

Die KZ-Überlebenden fühlten sich durch diese Argumentation tief brüskiert; die französische Lagergemeinschaft, in deren Reihen sich ehemalige Häftlinge aller politischen Richtungen organisiert hatten, wandte sich mit Protestnoten an französische Regierungsstellen. Nachdrückliche Interventionen des Hohen Kommissariats der Französischen Republik veranlassten den Hamburger Senat schließlich, der Errichtung einer kleinen Gedenkstätte zuzustimmen, allerdings nur außerhalb des eigentlichen Lagerbereiches auf dem abseits gelegenen Gelände der ehemaligen KZ-Gärtnerei. Die Ortswahl des Senats war jedoch nicht nur von dem Interesse bestimmt, eine gegenüber dem Strafvollzug leicht abzuschirmende Stätte zu finden, sondern berücksichtigte auch die hohe symbolische Bedeutung des Ortes: In der Lagergärtnerei hatte die SS die Asche der im Krematorium verbrannten Leichen als Dünger verstreuen lassen. Am 18. Oktober 1953 wurde auf diesem Areal eine sieben Meter hohe Muschelkalksäule inmitten einer kleinen Grünanlage eingeweiht. Das Denkmal war zunächst lediglich mit der Inschrift "Den Opfern" und der Angabe "1938-1945" versehen. Ein direkter Hinweis auf das Konzentrationslager und weitere Informationen fehlten.

Die Verbände der Überlebenden des Lagers, die sich 1958 zur "Amicale Internationale de Neuengamme" (AIN) zusammengeschlossen hatten, setzten mit permanenten Eingaben und diplomatischem Druck schließlich ihre Forderung nach Errichtung einer würdigeren Gedenkstätte durch. Am 7. November 1965 wurde das ebenfalls im Bereich der ehemaligen Lagergärtnerei errichtete Internationale Mahnmal eingeweiht, bestehend aus einer den Krematoriumsschornstein stilisierenden Stele mit der Inschrift "Euer Leiden, Euer Kampf und Euer Tod sollen nicht vergebens sein!", einer Gedenkmauer mit Tafeln, die mit den Namen der Nationenzugehörigkeit der Häftlinge versehen sind (es werden auch "Roma" und "Israel" genannt), sowie der von der AIN gestifteten Skulptur "Der sterbende Häftling".

Das Mahnmal wurde in eine den Friedhofscharakter unterstreichenden Parkanlage mit Rhododendrenbepflanzung eingefügt. Dass Aufklärung und Information nicht zu den Gestaltungszielen gehörten, zeigt auch die ohnehin nur schwer lesbare Inschriftentafel in der Gedenkmauer. Der sehr allgemein gehaltene Text beinhaltet neben den Jahreszahlen der Lagerexistenz, den Zahlen der Häftlinge und Toten vor allem eine Aufzählung der Außenkommandos, bei der "aus ernsten und wohlerwogenen Gründen" ausschließlich topographische Namen gewählt wurden. So ist beispielsweise von einem Außenkommando "Steinwerder" zu lesen, in den erhaltenen KZ-Akten hieß dieses Lager hingegen "Blohm&Voss;", denn die Außenlager wurden in der Regel unter dem Namen des Unternehmens geführt, bei dem die Häftlinge eingesetzt wurden.

Ungefähr zeitgleich mit den Verhandlungen über die Errichtung des Mahnmals hatten die Hamburger Behörden auch Planungen für den Bau eines weiteren Gefängnisses auf dem früheren KZ-Grund aufgenommen - ohne die Vertreter der AIN darüber zu informieren. Dieser nach mehrjähriger Bauzeit 1970 auf dem Areal der einstigen Tongruben zwischen Klinkerwerk und ehemaligem SS-Lager fertiggestellte Gefängniskomplex, der erhöhten Sicherungsanforderungen genügt, wurde bis Mitte der achtziger Jahre unter dem Namen "Jugendanstalt Vierlande" als Jugendgefängnis genutzt, seitdem dient er als geschlossene Vollzugsanstalt. Der Bau einer weiteren Strafanstalt auf historischem Grund verlief in der damaligen Zeit ungestört von etwaigen politischen oder moralischen Einwänden. Dass auf diesem Gelände vormals ein Konzentrationslager existiert hatte, wurde in den politischen Gremien und der Öffentlichkeit nicht einmal thematisiert.

Mit Beharrlichkeit erreichte es die AIN allerdings, eine zusätzliche kleine Gedenkanlage am Ort des ehemaligen Krematoriums durchzusetzen. Die am südlichen Ende des Lagergeländes gelegene Stelle, an der das Krematorium gestanden hatte, wurde 1970 aus dem Gefängnis ausgegliedert und für Gedenkveranstaltungen und Besichtigungen zugänglich gemacht. Die Zuwegung wurde mit Birken bepflanzt und abgezäunt, der Grundriss des Krematoriums mit einer Pflasterung versehen und mit einer Gedenkplatte gekennzeichnet.

Das Dokumentenhaus von 1981

Da es weiterhin an Informationen über das KZ Neuengamme fehlte, drängte die AIN seit Beginn der siebziger Jahre verstärkt auf die Ergänzung der Gedenkstätte um eine ständige Ausstellung. Diese Forderung fand erst Ende der siebziger Jahre Gehör, als die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der bundesdeutschen Öffentlichkeit deutlich anstieg, der Generationenwechsel unbelastetere Entscheidungsträger in die Ämter brachte und sich in Hamburg erstmals in größerem Umfang Gewerkschaften und Jugendverbände für das Projekt in Neuengamme engagierten. Am 4. September 1979 - seit der Errichtung des KZ waren über 40, seit der Inbetriebnahme des Gefängnisses über 30 Jahre vergangen - beschloss die Hamburger Bürgerschaft "den Neubau eines Dokumentenhauses in Neuengamme", das der Aufklärung über die Verbrechen des NS-Regimes dienen und dahin wirken soll, "dass sich derartiges Unrecht niemals wiederholt".

Zwar begrüßten die interessierten Gruppen die Entscheidung, sie kritisierten aber, dass die Baupläne für das Dokumentenhaus zu klein dimensioniert seien und keine ausreichenden Ausstellungsmöglichkeiten böten, eine Einbeziehung des KZ-Geländes nicht vorgesehen und kein Personal eingeplant sei (das Haus sollte von einer Wach- und Schließgesellschaft betreut werden). Zumindest hinsichtlich der letzten Frage wurde mit der Einstellung von zwei Aufsichtskräften und einem Wissenschaftler die Kritik aufgegriffen. Auch wurde in den Planungen noch ein Gruppenraum berücksichtigt.

Das 1980/81 in unmittelbarer Nähe des Mahnmals errichtete Dokumentenhaus - ein mit Kupferplatten ummantelter und weitgehend fensterloser, mausoleumsartiger Zentralbau - wurde am 18. Oktober 1981 seiner Bestimmung übergeben. 36 Jahre nach Kriegsende informierte Hamburg nun erstmals mittels einer ständigen Ausstellung über die Geschichte des KZ Neuengamme. Die von Dr. Ulrich Bauche, Hauptkustos am Museum für Hamburgische Geschichte, und von Dr. Ludwig Eiber, dem ersten Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, erarbeitete Ausstellung, die den Titel "Arbeit und Vernichtung" trug, war auf der Galerie im ersten Stock des Gebäudes untergebracht; im lichthofartigen Erdgeschoss befand sich neben einigen großformatigen historischen Aufnahmen und Informationstafeln eine Rekonstruktion des Lagerzaunes und ein Modell des Konzentrationslagers. Seitlich waren der Gruppenraum, ein Büroraum, eine Pförtnerloge und die Toiletten angeordnet.

Die Ausstellung hatte einen umfassenden Anspruch. Sie bot neben Dokumenten zur Geschichte des Konzentrationslagers Neuengamme ebenfalls grundlegende Informationen über die Strukturen des KZ-Systems, über die nationalsozialistische Herrschaft sowie ihrer Entstehung, über den Widerstand gegen das NS-Regime, über den Zweiten Weltkrieg und die Herrschaftsausübung in den besetzten Staaten Europas und über den Holocaust. Der weitgesteckte thematische Rahmen, die große Fülle von kleinformatigem Text- und Bildmaterial, die geringe Ausstellungsfläche von 250qm in einem stärker auf symbolische Wirkung als nach Ausstellungserfordernissen konzipierten Gebäude und der Mangel an gegenständlichen Exponaten bzw. Originalen erwiesen sich für die pädagogische Vermittlungsarbeit insbesondere bei Schülergruppen schon bald als problematisch.

Bei der Kritik der damaligen Ausstellungsdidaktik ist allerdings zu bedenken, dass bei der Erarbeitung der Ausstellung weniger pädagogische Prämissen im Vordergrund standen als vielmehr die Absicht, die Faktizität des historischen Geschehens zu dokumentieren. Denn die Suche nach Berichten, Exponaten, Fotos und Dokumenten für Ausstellungszwecke wurde zu einer Zeit begonnen, als noch daran gezweifelt wurde, ob sich überhaupt genügend Material finden ließe, um die Geschichte des Konzentrationslagers darstellen zu können. Insofern hat die ständige Schausammlung den ihr seinerzeit zugewiesenen Zweck erfüllt: Mit dieser Ausstellung, die von 1981 bis 1995 weit über eine halbe Million Besucherinnen und Besucher gesehen haben, wurde das "vergessene KZ" vor den Toren Hamburgs insoweit in das öffentliche Bewusstsein gerückt, dass der zur "zweiten Schuld" gehörende Verdrängungsprozess aufgebrochen werden konnte.

Die unerwartet große Besucherzahl (45.000 bis 55.000 Personen jährlich), die schon bald erkennen ließ, dass das Ausstellungsgebäude den Anforderungen bei weitem nicht entsprach, führte zu einer Ausweitung der ursprünglich geplanten Konzeption. Schon bald wurde eine regelmäßige Gruppenbetreuung aufgenommen. Jahr für Jahr wurden seitdem 500 bis 1.000 Schulklassen und andere Gruppen bei ihrem Besuch der Gedenkstätte betreut. Die personelle Ausstattung mit einem Leiter, zwei Aufsichtskräften und (ab 1983) zwei halben museumspädagogischen Stellen erwies sich als völlig unzureichend. Mit ABM- und Honorar-Kräften, studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Praktikantinnen und Praktikanten, Freiwilligen und anderen Ehrenamtlichen wurden die größten Lücken gestopft, und im Laufe der Jahre kamen auch einzelne feste Stellen hinzu.

Mit dem Dokumentenhaus, das organisatorisch als Außenstelle dem Museum für Hamburgische Geschichte angegliedert war, nahmen auch die zuvor nur schwach ausgeprägten Forschungsanstrengungen zur Geschichte des KZ Neuengamme stark zu. Ein eigenes Archiv wurde aufgebaut, das neben umfangreichen Dokumentensammlungen und Materialien aus zahlreichen Nachlässen ehemaliger Häftlinge vor allem ein größeres Bildarchiv und eine umfangreiche Sammlung von Erinnerungsberichten und Interviews umfaßt. Ferner entstand eine Vielzahl von Publikationen. Die Gedenkstätte hat seit 1981 mehr als 20 Bücher herausgegeben, seit 1994 erscheint mit den "Beiträgen zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland" in Zusammenarbeit mit anderen Gedenkstätten eine eigene Schriftenreihe. Überhaupt wurden die Aktivitäten auch über Hamburg hinaus ausgeweitet. So unterstützte die Gedenkstätte die zeitweise bis zu 50 Initiativen, die sich an den Orten ehemaliger Außenlager gebildet hatten, um die Geschichte der jeweiligen Lager zu dokumentieren und für die öffentliche Erinnerung sichtbar zu machen. Heute existieren an 20 Orten ehemaliger Außenlager Gedenkstätten mit ständigen Ausstellungen. Drei in Hamburg in den achtziger Jahren neu entstandene Gedenkstätten, die der Erinnerung an den Kindermord vom Bullenhuser Damm, an das Frauen-KZ Sasel und an das zentrale Hamburger Gestapogefängnis Fuhlsbüttel dienen, wurden als "Außenstellen" der KZ-Gedenkstätte Neuengamme angegliedert.

Neben der Funktion als Museum trat eine weitere Bedeutung immer stärker in den Vordergrund, die des "Lernortes". Die Gedenkstätte entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem Ort aktiver Erinnerungsarbeit mit einem umfangreichen Veranstaltungs- und Bildungsprogramm. Regelmäßig wurden zum Beispiel Zeitzeugengespräche mit ehemaligen KZ-Häftlingen angeboten; in späteren Jahren zunehmend auch Sonderausstellungen und Veranstaltungsreihen.

Bei Projekttagen und -wochen wurden offene und diskursive Formen der Vermittlung erprobt, die entdeckendes und forschendes Lernen ermöglichen. Mindestens einmal jährlich fanden auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme internationale Jugend-Workcamps zur "Spurensicherung" statt. Im Sommer 1982 wurde im Rahmen eines solchen Workcamps, an dem 120 Jugendliche aus zwölf europäischen Ländern teilnahmen, ein Rundweg um das ehemalige Lagergelände angelegt, womit für die Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte erstmals die Möglichkeit bestand, das Gelände in seiner Größenordnung zu erfassen. Wenig später konnte der Rundweg durch Informationstafeln ergänzt werden, die auch die historische Bedeutung der Gebäude auf dem nicht zugänglichen Gelände der Strafanstalten erläuterten.

Die Einbeziehung des Geländes

Mit der Anlage des Rundwegs gerieten die erhaltenen Bauten und Anlagen des KZ Neuengamme verstärkt in den Blick. Zunächst stand das einzige größere Gebäude, das nicht Teil der Strafanstalten war, im Mittelpunkt der Auseinandersetzung: das 1940 bis 1942 von Häftlingen errichtete Klinkerwerk der Deutschen Erd- und Steinwerke. Mitte der fünfziger Jahre hatte das Strafvollzugsamt das 17.000 qm große Werk an eine schwedische Gasbetonfirma verpachtet. In den sechziger Jahren zog diese aus; Teile des Werkes wurden nunmehr von einer kleinen Bootswerft genutzt, der Rest blieb ungenutzt und verfiel.

Als die Justizbehörde sich 1982 mit dem Gedanken trug, leerstehende Teile des Klinkerwerks an eine Raiffeisen-Warengenossenschaft zu verpachten, die dort einen Landmaschinenhandel betreiben wollte, formierte sich gegen diese Pläne massiver Protest, der auch in den Parteien maßgebliche Fürsprecher fand. Die Presse witterte einen Skandal, als bekannt wurde, dass zu den Vertriebspartnern der Warengenossenschaft die Günzburger Landmaschinenfabrik Mengele zählte, die sich im Besitz der Familie des untergetauchten und von ihr auch finanziell unterstützten Auschwitzer SS-Lagerarztes Josef Mengele befand. Schließlich gab die Justizbehörde ihre Verpachtungspläne auf. Die Protestwelle flammte jedoch erneut auf, als im Sommer 1983 bekannt wurde, dass behördlicherseits nunmehr ein Abriss des Klinkerwerks erwogen und für die dann entstehende Freifläche eine der "besonderen Situation angepasste" Grünanlage (gedacht war an eine Pappelbepflanzung) vorgeschlagen wurde.

Ein daraufhin initiierter "Neuengamme-Appell", der die Erhaltung der baulichen Überreste des KZ forderte, fand innerhalb von drei Monaten die Unterstützung von mehr als 12.000 Menschen aus 18 Nationen, unter ihnen 500 ehemalige KZ-Häftlinge und zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie Willy Brandt und Heinrich Böll. Ausländische Regierungsstellen, Königshäuser, Botschaften und Konsulate wurden beim Hamburger Senat vorstellig, um sich für eine würdige Gestaltung der Gedenkstätte einzusetzen.

Nachdem zwei Wochen zuvor, am 28. Januar 1984, 500 Personen bei einer Demonstration in Neuengamme die KZ-Gebäude symbolisch unter ihren Schutz gestellt hatten, erklärte der Senat am 14. Februar 1984 in einem Grundsatzbeschluss, dass es sein Ziel sei, "die Zeugnisse der Vergangenheit in Neuengamme zu erhalten, aber nicht museal zu gestalten". Für die nicht zu den Strafanstalten gehörenden Geländeteile und Gebäude wurde der Denkmalschutz erklärt, das KZ-Klinkerwerk wurde entpachtet und - da es vom Verfall bedroht war - in den Jahren 1987 bis 1991 mit einem Kostenaufwand von über fünf Millionen € (teilweise im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) als Baudenkmal gesichert und umfassend restauriert;, ferner wurde ein von KZ-Gefangenen erbautes "Plattenhaus" rekonstruiert.

Zugleich sorgten die Arbeit der internationalen Jugend-Workcamps und beharrliche Bemühungen des Hamburger Landesjugendrings und anderer Initiativen für die Sicherung der Spuren und den Schutz weiterer Überreste des KZ Neuengamme. Nach und nach wurden etliche der größtenteils lediglich unter einer Grasnarbe verschwundenen baulichen Überreste, wie die Gleise der Lorenbahn, freigelegt. Mit Hilfe von Modellen und Inszenierungen, wie z.B. der Rekonstruktion einer Tongrube, wurden Verbindungen zwischen der historischen Bedeutung des Ortes und seiner heutigen Gestalt sichtbar gemacht.

Wenngleich sich zu dieser Zeit eine zunehmende Aufgeschlossenheit der politisch Verantwortlichen zeigte (beispielsweise in einem gemeinsamen Arbeitseinsatz von Mitgliedern des Hamburger Landesparlaments, bei dem diese im Mai 1985 anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung die Fundamentreste einer Werkstattbaracke freilegten), so ließ gleichwohl eine der Relevanz des Ortes und dem Besucherinteresse angemessene Ausstattung der Gedenkstätte noch lange auf sich warten.

Glaubwürdigkeitsprobleme entstanden auch gegenüber dem langjährigen Engagement einer stark kirchlich geprägten Initiative "Ein Gedenkraum für Neuengamme", die um Spenden für die Ausgestaltung eines interkonfessionellen Gedenkraums warb, zu dem der Senat die Baukosten beitragen sollte. Die Initiative wähnte sich am Ziel, als der Hamburger Senat am 1. November 1988 vor dem Hintergrund der 50. Wiederkehr der Pogromnacht den Beschluss fasste: "In Übereinstimmung mit dem Vorschlag der Jüdischen Gemeinde, der Evangelisch-Lutherischen Kirche und der Römisch-Katholischen Kirche wird in den Räumen des Klinkerwerks ein Ort stillen Gedenkens eingerichtet". Doch jahrelang blieb es bei der Absichtserklärung, ehe im Zuge der 1995 erfolgten Umgestaltung der Gedenkstätte dann doch noch ein entsprechender Ort geschaffen wurde.

Immer wieder wiesen die für die Belange der Gedenkstätte engagierten Verbände (Verfolgtenorganisationen, Landesjugendring, Gewerkschaften, Parteigliederungen der Grünen und der SPD, kirchliche Gruppen u.a.) auf die vollkommen unzureichenden räumlichen und personellen Bedingungen hin. Nachdem diese auch in einer größeren Öffentlichkeit immer stärkere Kritik hervorrief, richtete die Kulturbehörde am 31. August und 1. September 1987 ein "Internationales Symposium" über die zukünftige Gestaltung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme aus, zu dem in- und ausländische Historikerinnen und Historiker, Leiter anderer KZ-Gedenkstätten und Delegierte von Verfolgtenverbänden eingeladen wurden. Obgleich als Beratungsgegenstand nicht gesondert ausgewiesen, bestimmte - erstmals in dieser Deutlichkeit - die Forderung nach einer Verlagerung der auf dem einstigen KZ-Gelände befindlichen Strafanstalten die Diskussion. Das Symposium verabschiedete eine Erklärung, in der "die Existenz von Strafanstalten auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers" als "untragbar" bezeichnet und deshalb gefordert wurde: "Beide Strafanstalten sind sobald als möglich zu verlagern." Zugleich wurde eine erheblich bessere personelle und räumliche Ausstattung der Gedenkstätte angemahnt und der Erwartung Ausdruck verliehen, dass die finanziellen Mittel denen vergleichbarer kultureller Einrichtungen entsprechend aufgestockt würden.

Zwar stellte die Kulturbehörde 1988 den Ausbau eines Teiles des Klinkerwerks (Maschinenhaus) für Gruppen- und Filmräume, Bibliothek und Archiv in Aussicht, verwies aber zugleich darauf, dass nach Finanzierungsmöglichkeiten "außerhalb des Hamburger Haushalts gesucht" werden müsse. Der daraufhin von dem damaligen Kultursenator Prof. Ingo von Münch (FDP) angesprochene Mäzen Dr. Jan Philipp Reemtsma, der sich bereits für verstärkte Forschungsanstrengungen und die Ausrichtung von "Neuengamme-Symposien" engagiert hatte, hielt allerdings die Einrichtung von Gedenkstätten, die an die nationalsozialistischen Verbrechen erinnern sollen, für eine öffentliche Aufgabe. Er bot aber dem Hamburger Kultursenator an, sich im Rahmen einer gemeinsamen Initiative mit der Bitte um finanzielle Unterstützung an jene Firmen und öffentlichen Einrichtungen zu wenden, die in den Kriegsjahren Nutzen aus der Zwangsarbeit der Häftlinge des KZ Neuengamme gezogen hatten. Nach der Absage des Kultursenators realisierte die von Reemtsma getragene "Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur" diese Idee in Eigeninitiative. Die überwiegende Mehrzahl der angesprochenen Firmen lehnte die Übernahme einer aus der Geschichte bzw. ihrer Rechtsnachfolge resultierenden besonderen Verantwortung ab und verwies auf die Zuständigkeit von Bund und Land. Die Stiftung dokumentierte die Aktion "In Erinnerung an Neuengamme" in einer Ausstellung, die seit 1989 in vielen deutschen Städten zu sehen war.

Der Beschluss zur Gefängnisverlagerung 1989 und die Expertenkommission 1991/92

Als 1988 bekannt wurde, dass die Justizbehörde auf dem Gelände der ehemaligen KZ-Krankenrevierbaracken und unmittelbar neben dem ehemaligen Appellplatz in Ergänzung eines 1983 errichteten Einzelhaftgebäudes (dieser Neubau blieb damals weitgehend unbeachtet) den Neubau weiterer Haftgebäude beabsichtigte, führte dies erneut zu internationalen Protesten. Daraufhin zog die Justizbehörde ihre Neubaupläne zurück. Diese Auseinandersetzung machte abermals deutlich, dass ein Nebeneinander von Haftanstalt und Gedenkstätte im Grunde unvereinbar und nicht nur ein Problem für die direkt Betroffenen, sondern eine Frage grundsätzlicher Natur ist. Nicht zuletzt diese Erkenntnis führte zu einer grundsätzlichen Revision der Politik des Hamburger Senats, der im Juli 1989 den Beschluss fasste, die seit 1948 den Bereich des ehemaligen Häftlingslagers nutzende Justizvollzugsanstalt Vierlande an einen anderen Standort zu verlagern, damit "die Würde dieser Stätte" nicht weiterhin durch Nutzung zu Vollzugszwecken "überschattet" bleibt.

Die Entscheidung fiel dem Senat verständlicherweise nicht leicht, da ein Gefängnisneubau in der für die Verlagerung erforderlichen Größe mit bis zu 100 Millionen € veranschlagt werden musste. Zwar fand der Beschluss bei der Hamburger SPD nachhaltige Unterstützung und im Juni 1990 in der Hamburger Bürgerschaft auch die notwendige Mehrheit, doch wurde er von der christdemokratischen Opposition, die bisher alle Grundsatzentscheidungen zur Gedenkstätte in Neuengamme mitgetragen hatte, abgelehnt. Der Beschluss der Bürgerschaft, auch die Möglichkeiten für eine Verlagerung und einen Abriss des zweiten Neuengammer Gefängnisses - der Ende der sechziger Jahre auf dem Areal der einstigen Tongruben zwischen Klinkerwerk und ehemaligem SS-Lager errichteten Jugendstrafanstalt - zu prüfen, blieb hingegen aufgrund noch größerer finanzieller Auswirkungen folgenlos, obgleich dieser neuere Gefängniskomplex, der mit einer hohen Betonmauer umgeben ist und seit Mitte der achtziger Jahre als geschlossene Vollzugsanstalt genutzt wird, an diesem Standort nicht zuletzt aufgrund seiner martialischen Gestalt zunehmend kritisiert wurde.

Hamburgs Bürgermeister Dr. Henning Voscherau, der den von ihm initiierten Senatsbeschluss zur Gefängnisverlagerung auch gegen Widerstände in den eigenen Reihen durchsetzen musste, erklärte zu dessen grundsätzlicher Bedeutung am 5. Mai 1990 anlässlich des 45. Jahrestages der Befreiung vor über 600 aus dem Ausland angereisten ehemaligen Häftlingen und deren Angehörigen: "Was falsch war, sollen wir so nennen - und endlich ändern. Der Senat und diese Stadt werden die Justizvollzugsanstalt Vierlande verlegen, werden die früheren Gebäude des Konzentrationslagers der Gedenkstätte zurückführen. Das ist nicht Wiedergutmachung, die kann es nicht geben. Es ist das Eingeständnis einer Unzumutbarkeit."

Unter Voscheraus Vorsitz erarbeitete eine 1991 vom Senat berufene Kommission, der neben einer achtköpfigen wissenschaftlichen Expertengruppe auch vier Vertreter der Bürgerschaftsfraktionen, die Kultursenatorin sowie zwei Repräsentanten der AIN angehörten, ein Gesamtkonzept, das im April bzw. Mai 1993 von Senat und Bürgerschaft gebilligt wurde und bis heute die Grundlage für die weiteren Planungen darstellt. In diesem Konzept wurden Empfehlungen für die Gestaltung des Geländes und die Nutzung der Gebäude nach der Gefängnisverlagerung erarbeitet. Zentrale Eckpunkte der Empfehlungen bildeten die vorgeschlagene Trennung des Gedenkbereichs (mit dem Mahnmal und dem zum "Ort des stillen Gedenkens" umzugestaltenden Dokumentenhaus) von dem Dokumentationsbereich, der die erhaltenen Originalgebäude umfasst, der Verzicht auf Rekonstruktionen nicht mehr vorhandener Gebäude, der Abriss des 1950 errichteten Zellentraktes und die anschließende Sichtbarmachung der überbauten Barackengrundrisse und des Appellplatzes, die Einrichtung einer zentralen Ausstellung zur Geschichte des KZ Neuengamme und der 80 Außenlager in einem der beiden erhaltenen Häftlingsunterkünfte sowie eines ergänzenden "Didaktischen Zentrums" mit Gesprächs- und Medienräumen in einem 1.200 qm umfassenden Teil der ehemaligen Rüstungswerkstätten (Walther-Werke). Die Empfehlungen sprachen sich des weiteren für eine angemessene Dokumentation der Nachkriegsgeschichte des Geländes und die Schaffung von Übernachtungsmöglichkeiten in Gestalt einer internationalen Begegnungsstätte aus. Ferner schlug die Kommission zur schnellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen als Zwischenlösung die Errichtung eines provisorischen Gebäudes für die Besucherbetreuung vor.

Senat und Bürgerschaft diskutierten im Frühjahr 1993 die Kommissionsempfehlungen und sprachen sich mehrheitlich für deren Realisierung aus. Die Kosten für die nach der Gefängnisverlagerung geplanten Umgestaltungen wurden auf ca. 15 Millionen € geschätzt. Die CDU-Opposition legte durch ihren Vertreter in der Kommission ein Minderheitenvotum vor, das sich zwar zu einem Ausbau der Gedenkstätte bekannte, die Einrichtung einer neuen Ausstellung, eines Didaktischen Zentrums und einer Jugendbegegnungsstätte aber im Klinkerwerk realisiert wissen wollte. Zugleich bekräftigte die CDU - unter Verweis auf den hohen Kostenaufwand für den erforderlichen Gefängnisneubau - ihre Ablehnung des Senatsbeschlusses zur Verlagerung der Justizvollzugsanstalt Vierlande: "Die Korrektur Jahrzehnte danach kann die historische Fehlentscheidung der Nachkriegsjahre nicht ungeschehen machen."

Zwischenschritte auf dem Weg zur Neukonzeption

Seither wurden die Kommissionsempfehlungen - soweit schon vor der Gefängnisverlagerung möglich - schrittweise realisiert. Im Mai 1994 konnte die Gedenkstätte ein von der Kommission als Zwischenlösung vorgeschlagenes provisorisches Containergebäude beziehen, in dem auf 650qm Archiv und Bibliothek, ein Gruppen- und Filmraum sowie Büros untergebracht sind. Im gleichen Jahr wurde auf dem Gelände des ehemaligen Lagerbahnhofs die Gleistrasse rekonstruiert und ein historischer Güterwaggon aufgestellt

Zu Beginn der neunziger Jahre wurden auch die Planungen für den Bau des für die Verlagerung erforderlichen Ersatzgefängnisses aufgenommen. Zwar legte sich die Justizbehörde schon relativ schnell auf einen geeigneten Standort für den Gefängnisneubau in Hamburg-Billwerder fest und führte einen Architektenwettbewerb durch, doch dann begannen die Schwierigkeiten, die zu einer großen zeitlichen Verzögerung führten und zwischenzeitlich den Eindruck entstehen ließen, dass die Gefängnisverlagerung womöglich überhaupt nicht mehr realisiert werden würde.

Nachdem der Senat den ursprünglich anvisierten Termin für die Gefängnisverlagerung - 1989 hatte Justizsenator Wolfgang Curilla (SPD) das Jahr 1995 als Zielvorgabe genannt - aufgrund von Einsprüchen gegen den beabsichtigten Standort in Billwerder sowie der zunehmend kritischen Haushaltslage wiederholt hatte hinausschieben müssen, drängte die AIN auf einen verbindlichen Zeitplan und auf die Einlösung einer ihr von Bürgermeister Voscherau gegebenen Zusage. Danach sollte 1995 anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung als Zeichen des Verlagerungswillens zumindest der Grundstein für den Gefängnisbau in Billwerder gelegt werden. Als eine Grundsteinlegung aufgrund des 1993 von der Bergedorfer Bezirksversammlung gestoppten und vom Hamburger Senat nicht wieder aufgegriffenen Bebauungsplanverfahrens zum Mai 1995 undurchführbar erschien, bot der neue Justizsenator Klaus Hardraht (Statt-Partei) im Juli 1994 im Gespräch mit der AIN an, im Vorgriff auf die ausstehende Verlagerung einen Teilbereich der als Gefängniswerkstätten genutzten ehemaligen Walther-Werke der Gedenkstätte zu Ausstellungszwecken zur Verfügung zu stellen. Damit bot sich die Chance zur Präsentation einer neuen Dauerausstellung auf wesentlich größerer Fläche als im 1981 errichteten Dokumentenhaus - und in einem Originalgebäude.

Im November 1994 bewilligten Senat und Bürgerschaft 430.000 € für die bis zu den Gedenkveranstaltungen im Mai des nächsten Jahres durchzuführende Umgestaltung der bisherigen Gefängnismalerei in einen Ausstellungsraum und für die Erstellung einer neuen Dauerausstellung. Auch die Realisierung der nunmehr von der Kulturbehörde in Auftrag gegebenen Umgestaltung des bisherigen Dokumentenhauses zu einem "Haus des Gedenkens" musste jetzt ebenfalls in großer Eile erfolgen.

Das "Haus des Gedenkens" und die neue Ausstellung von 1995

Durch eine kurzfristige Verlegung der Strafgefangenen in andere Hamburger Gefängnisse und die Gewährung von eintägigen Hafturlauben war es möglich, dass am 4. Mai 1995 die Gedenkveranstaltung, zu der über 800 Überlebende des KZ Neuengamme und deren Angehörigen aus ganz Europa angereist waren, erstmals auf dem im Gefängnisbereich gelegenen ehemaligen Appellplatz stattfinden konnte - an dem Ort, wo die Häftlinge oftmals Stunde um Stunde bei Wind und Wetter unter Schlägen und Gebrüll ausharren mussten, der aber zugleich für sie durch die Erfahrung der Leidensgemeinschaft von hoher symbolischer Bedeutung ist.

Termingerecht zum 50. Jahrestag der Befreiung konnten die neue Dauerausstellung und das im bisherigen Dokumentenhaus von dem Düsseldorfer Künstler Thomas Schütte gestaltete "Haus des Gedenkens" der Öffentlichkeit übergeben werden. Die eindrucksvolle Gestaltung des bis auf den rohen Beton entkernten Hauses verzichtet auf jede religiöse Symbolik, auf Skulpturen oder andere ästhetische Überformungen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Namen der Opfer und die Wirkung des Raumes: Von den in einem mehrschichtigen Rot lasierten Wänden - Feuer oder Blut sind mögliche, aber nicht zwingende Assoziationen - hängen lange Stoffbahnen, die ca. 18.000 namentlich bekannte Tote des KZ Neuengamme nach dem Sterbedatum verzeichnen; gegen Kriegsende werden die Namenskolonnen von Tag zu Tag länger und schier unüberschaubar. Die letzte Bahn geht nach einer raffenden Schärpe in eine am Boden aufgestellte Rolle des kein Ende nehmenden Stoffes über. In einer kleinen Seitenkammer lagern unter der Inschrift "Wir denken an die Unbekannten" noch zahlreiche leerbelassene Rollen unbedruckter Stoffbahnen. In einem größeren Nebenraum werden in sieben schlichten Pultvitrinen im Krankenrevier des KZ geführte Original-Totenbücher ausgestellt; ein vierbändiges Gedenkbuch mit weiteren Angaben zu den Opfern liegt zur Einsicht bereit. In der zentralen Halle des Gedenkhauses stehen sich zwei Modelle des Geländes gegenüber: auf der einen Seite ein zeitgenössisches, filigran gefertigtes Lagermodell der Gefängnisbehörde, das den Zustand kurz nach Kriegsende abbildet, auf der anderen Seite in gleicher Größe die gegenwärtige Situation in Form eines modernen Architekturmodells. So wird die in den Nachkriegsjahrzehnten vorgenommene Überbauung des einstigen KZ-Geländes sichtbar.

Die in einer ca. 1.000qm großen Halle untergebrachte neue Ausstellung zur Geschichte des KZ Neuengamme, die den Titel "Über-Lebens-Kämpfe. - Häftlinge unter der SS-Herrschaft" trägt, befindet sich an einem historischen Ort, im Südflügel jener Fabrikanlage, die der thüringische Waffenhersteller Walther 1942/43 im KZ Neuengamme errichten ließ und in der in den folgenden Jahren bis zu 1.000 Häftlinge in der Gewehrfabrikation arbeiten mussten. Zur Ausgliederung dieses Gebäudeteils aus dem Gefängnisbereich ließ die Justizbehörde mit einem beträchtlichen Kostenaufwand (über 1 Mio. €) einen neuen Zaun erstellen, um die unmittelbar benachbarten Bereiche des Strafvollzuges und der historischen Dokumentation von einander abzugrenzen.

Neben dem deutlich größeren Raumangebot in den Walther-Werken und den ausstellungsdidaktischen Mängeln der Ausstellung im Dokumentenhaus erforderten auch inhaltliche Gesichtspunkte eine völlige Neukonzeption. Seit 1981 hatte die Forschung zur Geschichte des KZ Neuengamme und der Außenlager enorme Fortschritte genommen. Der in der alten Ausstellung weitgehend dominierende politikgeschichtliche Zugriff bedurfte dringend der Ergänzung um sozialgeschichtliche Perspektiven. Es galt, die Funktionsmechanismen der Konzentrationslager herauszuarbeiten, das stark dichotomische Bild der Täter und Opfer zu differenzieren und das zuvor weitgehend ausgesparte Schicksal der nichtpolitischen Häftlingsgruppen, z.B. der Roma und Sinti, der Homosexuellen und der jüdischen Gefangenen, zu thematisieren.

Die von Dr. Herbert Hötte konzipierte, von einem Team der Gedenkstätte erarbeitete und von den Graphischen Werkstätten Feldstraße realisierte Ausstellung in den Walther-Werken beschreitet neue Wege der Vermittlung und bricht mit einem traditionellen Ausstellungsdesign. Rohe Metallstäbe in unterschiedlichen Anordnungen und gebrochene Rauminszenierungen mit größeren Originalexponaten stehen im Kontrast zu Tafel-, Vitrinen- und Schubladenelementen aus feinem Rotbuchenholz. Die Anordnung in der Halle vermittelt Transparenz und Offenheit; die Wegführung am Eingang wird allerdings durch eine expressionistische Inszenierung mit querstehenden Barackenwänden und einer Leichenbahre bestimmt. Die Ausstellung zeigt Modelle des Konzentrationslagers, einer Häftlingsbaracke und des Lagergefängnisses, Barackeneinrichtung, Häftlingskleidung sowie zahlreiche andere Originalgegenstände. Thematisch beschränkt sich die Ausstellung ganz auf die Darstellung der in 25 Bereichen untergliederten Geschichte des KZ Neuengamme und seiner Nachgeschichte nach 1945. Bis auf wenige Ausnahmen werden ausschließlich Fotos, Dokumente und Gegenstände aus dem KZ Neuengamme (einschließlich der Außenlager) gezeigt.

Die Informationen werden in drei Rezeptionsebenen vermittelt: Grundinformationen bietet ein durchgängiges System von Großphotos und kurzen Überblickstexten (auch in englischer, französischer und russischer Sprache), das der schnellen Orientierung dient. Zur vertiefenden Beschäftigung stehen zahlreiche Themenordner, Alben und Schuber mit Originaldokumenten zur Verfügung, die schwerpunktmäßig einen biographischen Ansatz verfolgen. Die dritte Ebene bilden mediale Elemente: zwei Videotheken mit 32 wählbaren Filmsequenzen zu den Bereichen "Wege ins Lager" und "Selbstbehauptung und Widerstand", zwei Computer-Präsentationen mit Foto- und Textcollagen zur SS und zur Nachkriegsgeschichte des Geländes sowie eine durch die Gedenkstätte selbst fortschreibbare, interaktive Computer-Infothek mit Übersichtskarten, Plänen, Dokumenten und Fotos zu den 85 Außenlagern. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Berichte der Überlebenden, die auszugsweise in einem Hörraum (Stahlkuppel) wiedergegeben werden. Hier sollten die Besucherinnen und Besucher innehalten und sich ungestört von visuellen Reizen einige Minuten auf die Aussagen der Überlebenden konzentrieren können.

Der Einsatz von Themenmappen, Schubern und AV-Medien orientiert sich an der Leitidee, die Besucherinnen und Besucher aus der Rezipienten- bzw. Konsumentenrolle zu lösen, ihnen die Möglichkeit zu geben, zwischen verschiedenen Angeboten auszuwählen und sie dadurch zur eigenständigen Erschließung der Thematik zu befähigen.

Mit der Ausstellungshalle im Südflügel der Walther-Werke und der Zuwegung entlang der Gleistrasse, vorbei am ehemaligen Lagerbahnhof, am Platz des Krematoriums und den 1997 freigelegten Überresten des SS-Schießstandes, umfasst die Gedenkstätte neben der ursprünglichen Fläche um das 1965 errichtete Mahnmal und das Klinkerwerk (insgesamt 17,5 Hektar) seit 1995 ein weiteres Areal im Süden des einstigen KZ-Geländes von ca. 5 Hektar Größe. 1998 wurde eine weitere Dauerausstellung eröffnet, die am historischen Ort des Klinkerwerks unter Einbeziehung vorhandener Spuren (Trockenkammern, Pressenhaus und Sumpf) die Arbeitsbedingungen der KZ-Häftlinge in der Ziegelproduktion dokumentiert.

Im Zuge der Umwandlungen der staatlichen Museen Hamburgs in Stiftungen öffentlichen Rechts wurde die KZ-Gedenkstätte Neuengamme zum 1. Januar 1999 aus dem Museum für Hamburgische Geschichte ausgegliedert. Als selbständige Einrichtung nach dem "Neuen Steuerungsmodell" (NSM) mit eigenem Budget untersteht sie seither direkt der Hamburger Kulturbehörde.

Das Für und Wider der Gefängnisverlagerung

Es dauerte über zehn Jahre und es mussten viele Hindernisse überwunden werden, ehe die im Juli 1989 vom Senat beschlossene Gefängnisverlagerung tatsächlich in Angriff genommen wurde. 1996/97, als der Baubeginn abermals herausgeschoben wurde, schien es so, als sei mit einer Realisierung in absehbarer Zukunft kaum mehr zu rechnen. Die AIN erklärte, dass diese Situation für die ehemaligen KZ-Häftlinge unerträglich sei und dass sie deshalb in den ihnen verbleibenden Lebensjahren noch unerbittlicher auf eine Einlösung der von der Stadt Hamburg gegebenen Zusagen drängen würden. Unter der Überschrift "Hamburgs Schande des Gefängnisses im einstigen KZ muss vor der Jahrtausendwende ein Ende finden!" gab die AIN im Mai 1996 eine Erklärung heraus, in der sie resümiert: "Mehr als sechs Jahre nach dem Verlagerungsbeschluss ist an den Senat die Frage zu richten, wann endlich seinen Worten Taten folgen werden. […] Die in der Amicale Internationale zusammengeschlossenen Überlebenden des KZ Neuengamme sind in sehr großer Sorge, ob sie es überhaupt noch selbst werden erleben können, dass dem Ort, an dem sie Zehntausende ihrer Kameraden starben sahen und der einem Friedhof gleichkommt, mit der ihm gebührenden Würde begegnet wird als einer Stätte der Mahnung und Dokumentation von internationaler Bedeutung. Nicht nur die noch lebenden ehemaligen Häftlinge des KZ Neuengamme, sondern auch nachwachsende Generationen werden den Hamburger Senat aufgrund seiner Handlungen bewerten."

Als das Bauvorhaben weiter ins Stocken geriet, brachte die CDU im Dezember 1996 in die Bürgerschaft einen Antrag ein, der den "endgültigen Verzicht auf die Verlagerung der Justizvollzugsanstalt Vierlande" forderte. Zwar sprach sich die Oppositionsfraktion darin mit erfreulicher Klarheit für eine weitere Ausgestaltung der Gedenkstätte aus, doch stünde auch außerhalb der Justizvollzugsanstalt dafür genügend Raum zur Verfügung. Der Senat würde irren, wenn er glaube, durch die Gefängnisverlagerung die "Fehler der damals Verantwortlichen" korrigieren zu können. Der Ende der vierziger Jahre erfolgte Abriss der Häftlingsbaracken könne nicht ungeschehen gemacht werden, auch nicht durch die "Sichtbarmachung ehemaliger Grundrisse" nach Beseitigung des auf dem Areal errichteten Gefängnistraktes. Außerdem werde das Ziel des Senats "ohnehin nicht erreicht, solange die Anstalt IX [das ist der zweite, in den sechziger Jahren neu errichtete Gefängniskomplex] auf dem Gelände verbleiben soll".

Auch von den Verlagerungsbefürwortern wurde nicht bestritten, dass die Anwesenheit der Gefängnisse auf dem Gelände eine permanente Anfrage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit der Hinterlassenschaft des NS-Regimes darstelle, die tiefere Einsichten in den Prozess von Verdrängung und Aufarbeitung eröffnen könne. Davon unbenommen bleibe aber die Anfrage an die politische Moral, ob es auch zukünftig weiterhin angängig sein könne, an der Stätte beispielloser Massenverbrechen Strafvollzug zu praktizieren.

Überhaupt entwickelte sich eine gemeinsame Interessenlage von Justizbehörde und Gedenkstätte, die zum einen aus der Situation erklärter Übergangslösungen resultierte, zum anderen aber auch aus der Erkenntnis der Behörde, dass in Zeiten leerer Staatskassen ohne das Senatsversprechen, dem politischen Skandalon der Nutzung des einstigen KZ zu Haftzwecken ein Ende bereiten zu wollen, der Bau einer neuen, mehr Haftplätze, erhöhte Sicherheitsanforderungen und einen zeitgemäßen Strafvollzug ermöglichenden Justizvollzugsanstalt kaum durchsetzbar wäre.

Mit dem neuen Hamburger Regierungsbündnis aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen (GAL), das sich nach den Wahlen vom September 1997 bildete, kam wieder Bewegung in den Entscheidungsprozess. Bürgermeister Voscherau legte seinem Nachfolger Ortwin Runde die Einlösung des Senatsbeschlusses von 1989 noch einmal als besonders vordringliche Aufgabe ans Herz. In ihrem Koalitionsvertrag bekräftigten die beiden Regierungsparteien, am Ziel der Gefängnisverlagerung festhalten zu wollen. Anschließend wurden die Planungen seitens der Justiz- und der Stadtentwicklungsbehörde zügig vorangetrieben.

Nachdem die Mittel für den Bau des für die Verlagerung erforderlichen und zugleich mit mehr Haftplätzen versehenen Gefängnisses in Höhe von 96 Millionen € in den Haushalt eingestellt worden waren, konnte im August 2000 mit dem Bau der neuen Justizvollzugsanstalt in Hamburg-Billwerder begonnen werden, der zwei Jahre in Anspruch nehmen wird. Nach umfangreichen Entwässerungs- und Planierungsarbeiten sind inzwischen die Bodenplatte und die ersten Gebäude im Rohbau fertiggestellt. Die gemeinsame feierliche Grundsteinlegung in Billwerder am 14. Dezember 2000 durch die Justizsenatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit und den von ihr dazu geladenen Präsidenten der Amicale Internationale KZ Neuengamme Robert Pinçon dokumentierte eindrucksvoll den ernsten Willen von Senat und Bürgerschaft, endlich zu einer Situation zu gelangen, wo die Würde des historischen Ortes nicht mehr durch die Nutzung zu Vollzugszwecken überschattet ist.

Zugleich ist von Seiten des zuständigen Fachreferates in der Kulturbehörde in enger Abstimmung mit der Gedenkstättenleitung auf der Grundlage der Kommissionsempfehlungen von 1992 ein Entwicklungskonzept für die KZ-Gedenkstätte Neuengamme erarbeitet worden, das die einzelnen Vorhaben beschreibt, die nach der Gefängnisverlagerung im Zuge der Neugestaltung der Gedenkstätte als geschichtlicher Lernort von internationaler Bedeutung in den Jahren 2003 bis 2006 realisiert werden sollen. Die Ergebnisse ausführlicher Beratungen mit der Amicale Internationale KZ Neuengamme sind in das Konzept ebenso eingeflossen wie die Anregungen von Gruppen und Verbänden, die sich für die Belange der Gedenkstätte engagieren. Des weiteren ließ sich die Kulturbehörde durch eine Expertengruppe beraten, die sich aus einschlägig ausgewiesenen Historikern und Mitgliedern aller in der Hamburgischen Bürgerschaft vertretenen Parteien zusammensetzte.

Die im Juli 2001 vom Senat vorgelegte Drucksache zur "Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme", die die zentralen Gesichtspunkte des Entwicklungskonzeptes beschreibt, ist am 5. September in der letzten Sitzung der Bürgerschaft der 16. Wahlperiode beraten worden. In der Debatte wurden für alle vier Fraktionen - SPD, CDU, GAL und Regenbogen - engagierte Redebeiträge gehalten, die darin übereinstimmten, dass die mit der Gedenkstätte verfolgte Absicht, einem Vergessen der Schrecken des Nationalsozialismus entgegenzuwirken, durch einen Weiterbetrieb des Gefängnisses konterkariert werde. In der anschließenden Abstimmung wurde die Drucksache durch die nahezu vollzählig versammelte Bürgerschaft einstimmig verabschiedet.

Über die Parteigrenzen hinweg hat sich in Hamburg die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Weiternutzung eines ehemaligen Konzentrationslagers als Gefängnis politisch unvertretbar ist und dass demgegenüber der Nutzung des authentischen Ortes als Gedenk- und Dokumentationsstätte eine wichtige Funktion im Bereich der historisch-politischen Bildung zukommt, derer man nicht nur als Gedenkort für die persönlich Betroffenen oder aus Rücksichtnahme auf das Ausland, sondern auch um seiner selbst und der Zukunft willen bedarf.

Im Anschluss an die Wahlen vom 23. September 2001, die zu einer stark veränderten Sitzverteilung in der Hamburgischen Bürgerschaft geführt haben, wird es in der Hansestadt voraussichtlich zu einem Regierungswechsel kommen. Es ist zu hoffen, dass die in der letzten Bürgerschaft erreichte Einstimmigkeit in dieser zentralen Frage Hamburger Geschichtsbewußtseins auch in der neuen Bürgerschaft bewahrt bleibt.

Dieser Beitrag erscheint in der Präsentation im Internet ohne Anmerkungen. Für Nachweise und weitere Informationen sei auf die Buchausgabe verwiesen


aus:

Detlef Garbe: Die Arbeit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme 1981 bis 2001. Rückblicke - Ausblicke.
Eine Dokumentation der Aktivitäten 20 Jahre nach der Eröffnung des Dokumentenhauses in Hamburg-Neuengamme.
Herausgegeben von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Hamburg 2001.
151 Seiten, zahlr. Illustrationen, Farbplan
€ 10,10